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Ein Mann erzählt. Er heißt Salim und war Gefangener im Straflager Tazmamart im Süden Marokkos, verurteilt zu einem langsamen Sterben in Kälte, Schmutz und Angst. Im Gefängnis herrscht ewige Nacht. Um zu überleben lernt Salim, sich von den Bildern seiner Vergangenheit zu befreien, denn "sich erinnern heißt sterben".

Produktbeschreibung
Ein Mann erzählt. Er heißt Salim und war Gefangener im Straflager Tazmamart im Süden Marokkos, verurteilt zu einem langsamen Sterben in Kälte, Schmutz und Angst. Im Gefängnis herrscht ewige Nacht. Um zu überleben lernt Salim, sich von den Bildern seiner Vergangenheit zu befreien, denn "sich erinnern heißt sterben".
Autorenporträt
Tahar Ben Jelloun, geb. 1944 in Marokko, lebt in Paris. Er gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. 2011 wurde Tahar Ben Jelloun mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Gefangen im Kitschkerker
Tahar Ben Jelloun nimmt Wucherzinsen / Von Stephan Maus

Im Juli 1971 schlägt ein Attentat auf den marokkanischen König Hassan II. fehl. Die Anführer des Staatsstreiches werden erschossen, die Ausführenden, größtenteils junge Offiziersschüler, wirft man in nachtschwarze Folterzellen in Tazmamart im Atlasgebirge. Unter dem Druck von Menschenrechtsgruppen und der internationalen Gemeinschaft werden die Überlebenden im Oktober 1991 befreit. Tazmamart wird zum Symbol eines repressiven Staates. Achtundzwanzig von achtundfünfzig Inhaftierten haben die Torturen überlebt. Einer davon ist Aziz Binebine.

Seit 1971 lebt der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in Frankreich. Immer wieder predigt er Mut zu Zivilcourage und Engagement für die Menschenrechte. Doch bis zum Tod von Hassan II. im Sommer 1999 hat er sich niemals kritisch zur politischen Lage in Marokko geäußert und ließ sich vom König sogar als Ehrengast empfangen. Ab 1981 werden erste Briefe aus Tazmamart geschmuggelt und von Menschenrechtlern veröffentlicht. Zwanzig Jahre später und neun Jahre nach Öffnung des Folterkellers von Tazmamart nimmt sich Ben Jelloun der Geschichte an. Sein Roman "Das Schweigen des Lichts" beruht auf Aziz Binebines Erzählungen. Der Autor gerät damit ins Kreuzfeuer der Kritik, viele erzürnen sich über ein verspätetes und risikoloses "J'accuse".

Nun muß eine solche Vorgeschichte einen Autor nicht davon abhalten, ein gutes Buch zu schreiben. In Jellouns Fall leider doch. Das Leid der Gefängnisinsassen nimmt Jelloun zum Anlaß, eine rhetorisch aufgeblasene Heilsgeschichte zu inszenieren, in der sein Erzähler Salim eine konzentrierte Vergeistigung als Strategie gegen die unerträgliche Realität des Folterkerkers wählt. Ben Jelloun erleidet dabei eine stilistische Regression sondergleichen, etwa bei den Symbolen, Allegorien und Bildern, die er für die Pubertät findet. Vom Regenbogen- bis zum Schmetterlingsmotiv ist alles dabei: Herz, Tunnel, Nacht, Kerze, Sanduhr - der gesamte Sprachtrödel des simulierten Sentiments. Alle abgegriffenen Metaphern und Vergleiche zwischen den Polen Licht und Dunkelheit werden dabei restlos durchdekliniert.

Im Verlauf der Handlung verwandeln sich die Gefangenen langsam in einen engagierten Betzirkel mit prophetischen Traumgesichtern und telepathischem Kontakt zu Familienmitgliedern. Doch die Dialoge klingen, als probte eine Klasse von Internatsschülern ein aufwühlendes Kerkerdrama. Auch die Wärter hören sich nach schlampig synchronisiertem B-Movie an: "Ihr seid zu ewiger Finsternis verdammt. Das Licht werdet ihr nie mehr wiedersehen. Die Befehle sind eindeutig. Finsternis, Wasser und Trockenbrot. Weg mit euch!" In den realistischeren Szenen kippt der Roman in eine alberne Horror-Farce: "Alle Skorpione der Gruft klebten an Mustafas gemartertem Körper. Die Killertiere mußten aus der Gruft entfernt werden." Der Angriff der Killerskorpione kann erfolgreich abgewehrt werden. Der Todesstachel der Trivialliteratur nicht.

Tahar Ben Jelloun hat so eine wahre maghrebinische Tragödie zu einer billigen Kerker-Schnulze verwandelt und verhökert geliehenes Leid mit schamlosem Wucherzins. Sein Gewährsmann Aziz Binebine hat nicht nur achtzehn Jahre in einem grausamen Foltergefängnis gesessen, sondern muß nun seine Biographie mit unzumutbarer Trivialliteratur verquickt sehen - ihm ist der Roman gewidmet.

Doch der Sprachkitsch des Autors dringt nicht nur in düstere Kerker, er findet auch in sonnendurchflutete Irrgärten. Der Roman "Labyrinth der Gefühle" führt nach Neapel, dessen Gassengewirr hier die Orientierungslosigkeit der Protagonisten spiegelt. Der Ich-Erzähler Gharib ist ein alternder marokkanischer Dichter, der nach einer tragischen Liebe den Frauen vorerst abgeschworen hat - bis Wahida kommt. Sie ist jung, hat den brodelnden Vesuv unter den verführerisch gewölbten Brüsten und die Capri-Sonne im Herzen. Wahida ist maghrebinische Prostituierte, die in Neapel in die Fänge der Camorra geraten ist. Gharib kauft sie frei, liest ihr Gedichte vor und kriegt sie mit der Masche rum: "Ich fühle mich geborgen bei dir. Ich sage es noch einmal: Du bist der erste Mann, der mir die Hand gereicht, meine Hand mit Gefühl ergriffen hat." Die Geborgenheit schaukelt sich hoch, bis es zu einem lyrischen Striptease kommt; bei der Genitiv-Metapher "Atem der Seele" fällt schließlich der Schlüpfer. Doch den Atem des Fleisches fürchtet der Dichter, die alten "Wunden" sind noch zu frisch. Wutentbrannt flüchtet Wahida vor dem Faselderwisch zur wortkargen albanischen Mafia. Die liest ihr wenigstens keine Gedichte mehr vor. Auch in diesem Buch glänzt Tahar Ben Jelloun wieder mit verschlungenen Kitscharabesken: "Neapel hat mich eingehüllt, mit reinstem Olivenöl eingerieben." Der Mann muß über einen Kraftdünger für Stilblüten verfügen. Die Frauen sind so geheimnisvoll wie die Stadt. Man meint, das Hohe Lied der Liebe in einer Bearbeitung von Wolfgang Petry zu lesen: "Sie küßte mich stürmisch ... Es war Wahnsinn." Hölle, Hölle, Hölle.

Für zwei Sätze fliegt den Erzähler gleißende Klarsicht an: "Ja, du hast Recht, ich liebe (die Frauen), aber meine Tragödie ist, daß ich sie nicht verstehe. Sie interessieren und fesseln mich, doch alle meine Liebesgeschichten gehen daneben." Tahar Ben Jelloun bleibt mit diesen zwei Werken den Beweis schuldig, daß er mehr als ein exilierter Schundautor ist.

Tahar Ben Jelloun: "Das Schweigen des Lichts". Roman. Aus dem Fanzösischen übersetzt von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2001. 252 S., geb., 39,80 DM.

Tahar Ben Jelloun: "Labyrinth der Gefühle". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Kayser. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2001. 124 S., br., 21,51 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2002

Aus der Gruft
Tahar Ben Jellouns Roman
über das Straflager Tazmamart
Seit 1971 lebt der siebenundfünfzigjährige marokkanische Bestsellerautor Tahar Ben Jelloun in Paris, erklärt den Erwachsenen in seinen Büchern das marokkanische Leben und den Kindern Fremdenhass und den Islam. Ein Agent, der das Gute proklamiert und ganz privat auch das weniger Gute tut. Tahar Ben Jalloun empört in Intervallen die Aufrechten und reagiert selbst als empörter Aufrichtiger. Die Franzosen mokierten sich über den Rausschmiß seines marokkanischen Kindermädchens. Kaum hatte sich die Empörung der Gerechten gelegt, kündigte sich ein neuer Skandal an. Tahar Ben Jelloun bekam 250 000 Mark Vorschuss für eine Geschichte, die Azis Binebine ihm über die achtzehn Jahre seiner Gefangenschaft im Todestrakt des Wüstengefängnisses Tazmamart erzählt hatte.
Azis Binebine war 1971 als junger Unteroffizier am Putschversuch gegen den Monarchen Hassan II beteiligt. Hassans Sohn, Mohammed VI, lässt zur Zeit diese „schwarzen Jahre” untersuchen, die nur auf Druck internationaler Vereinigungen wie Amnesty International beendet wurden. Selim, wie Tahar Ben Jelloun das Alter Ego von Azis Binebine nennt, hört 1991 im Lastwagen auf dem Weg in die Freiheit die Geräusche der Bulldozer. Tazmamart wurde eingestampft, die Spuren verwischt, die Entlassenen bei Androhung neuer Strafen zum Schweigen verpflichtet.
Seit die Bilder der Al-Qaida-Kämpfer um die Welt gegangen sind, Guantánamo Bay zu einem Schauplatz für Menschenhaltung in Käfigen wurde und die Müllmannrot eingekleideten und gefesselten Gefangenen gefundenes Fressen der Bildagenturen und Moskitos wurden, ist Tahar Ben Jellouns Bericht über das Überleben in der drei Meter langen und anderthalb Meter breiten und zum Stehen viele zu niedrigen Zelle auch eine Unterweisung der Gegenwart. Die Taliban- Terroristen sind in ihren Stacheldrahtverschlägen der kubanischen Sonne ausgeliefert. Im Unterschied zum Geheimort Tazmamart schaut in Guantánomo die ganze Welt zu.
Die Kritik, die Tahar Ben Jelloun vorwirft, er habe Azis Binebines Leben gestohlen und im Roman 'Das Schweigen des Lichts' zu den eigenen Gunsten vermarktet, ist heuchlerisch. Nicht weil Binebine nur die Hälfte des Vorschusses bekam, sondern weil Schriftsteller schon immer die Geschichten von Menschen, die das selbst nicht können, geschrieben und vorm Verschwinden bewahrt haben. Geld wird in seltenen Fällen gezahlt. Auf die Frage, weshalb er, der so gerne als Moralist über die Boulevards läuft, erst im Sicherheitsabstand nach König Hassans Tod das Buch geschrieben habe, antwortet Tahar Ben Jelloun mit der Stimme des guten Sohnes, der sich den Weg nach Marokko ins Haus seiner alten Mutter freihalten wollte.
Balzac und die Skorpione
Darf ein authentischer Bericht erfunden werden, darf als Trosteinlage eine Taube vom Himmel fallen und ein kleiner Vogel singen? „Das Schweigen des Lichts” ist ein Bericht über die Reduzierung eines Individuums bei Bohnen und Trockenbrot auf seinen Kopf, ist die Beschreibung eines unglaublichen Überlebens und es ist schwer vorstellbar, daß ein Mensch soviel aushält. Tahar Ben Jellouns will, auf die Bedeutung des Gehirns hinweisen, auf die Fähigkeit zur Konzentration und das Abtauchen in die Meditation. Welche Phantasien der Kopf produziert, liegt am Vorrat, von dem er zehren kann. Selims Lebensgeschichte ist eine Unterweisung in die Leidensfähigkeit und eine Anleitung. So, nur so kann man eine Hölle überleben. Tahar Ben Jelloun nennt das ein paar Mal eine „Lernerfahrung”. Selim hat überlebt, weil er seinen Körper und die Sexualität vergessen, seine Sinne „in einem Schließfach am Bahnhof abgestellt” und ihnen ein anderes Leben geben hat.
„Das Schweigen des Lichts” ist ein furchtbares und ein romantisches Buch. Romantisch, weil der Schriftsteller sich darin seine Hoffnung erfüllt. Der Gefangene überlebt die Kloake, die Attacken der Skorpione, das Fehlen des Tageslichts, weil – welche Bestätigung könnte für einen Schriftsteller schöner sein – Selim, der Erzähler, ein literarisch geprägter Mensch ist. Er rettet sich durch den Geist, die Erinnerung und die Vorstellungskraft. Selim erzählt den Mitgefangenen Geschichten, er erzählt ihnen Filme und Romane von Balzac und Camus. Selim, der als Jugendlicher und junger Mann das Leben und das Glück für eine „schöne Selbstverständlichkeit” hielt, vernachlässigte Gott. In Tazmamart holt er das Beten nach: „es ist wie bei einem Kredit: Ich zahle meine Verzögerungen, mein Vergessen, meine Verirrungen ab”. Tahar Ben Jellouns Buch über Tazmamart erschien, nachdem schon ein paar Bücher über das „Gefängnis des Todes” herausgekommen waren. Fünf Jahre kämpfte der Überlebende Ahmed Marzouki um die Möglichkeit, seinen trockenen, grausamen Bericht „Tazmamart Cellule 10” veröffentlichen zu dürfen. Einige Passagen finden sich in Tahar Ben Jellouns Roman wieder. Der Schriftsteller als Dieb und Dekorateur fremden Lebens. Ein Vergehen? Nein. „Das Schweigen des Lichts” ist grausam und beeindruckend. Geschichten die sonst auf den Begriff „unfaßbar” zusammenschnurren, müssen aufgeschrieben werden. Auch wenn sie die Wirklichkeit untertreiben.
VERENA AUFFERMANN
TAHAR BEN JELLOUN: Das Schweigen des Lichts. Roman. Aus dem Französischen von Christiane Kayser. Berlin Verlag 2001. 251 Seiten. 19.90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein umstrittenes Buch ist dieser Roman, der auf den Erinnerungen eines Überlebenden des marokkanischen Straflagers Tazmamart basiert und auch der Rezensent Tomas Fitze hat große Probleme damit. Das liegt nicht an der stilistischen und erzählerischen Leistung des Autors, obwohl einige Details nach Fitze auch hier nicht stimmen. Vielmehr hat der Rezensent Probleme mit der Rolle, die der Autor Tahar Ben Jelloun in diesem Buch einnimmt. Fitze wirft ihm vor, dass er die tragische Geschichte des Überlebenden Aziz Binebine vereinnahmt (auch die öffentliche Diskussion um das Buch ging in die Richtung, dass der Autor sich mit diesem Buch unredlich bereichert hat) und nach eigenem Gusto missbraucht. Zum Beispiel "entpolitisiert er die Gefangenen", was auch damit nicht entschuldbar sei, dass es dem Autor offensichtlich "gar nicht um Politik, sondern um existenzielle Extremerfahrungen" geht. Richtiggehenden Widerwillen löst dieses Buch bei Fitze aus: "Es ist der hohle Ton, die rhetorische Aufgeblasenheit, die das Buch unerträglich macht, die Aussagen, die Ben Jelloun ... im Namen der Gefangenen macht". Auch stört den Rezensenten, dass der Berlin-Verlag gar nichts über die Zusammenhänge dieses Straflagers erläutert.

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