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  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Untersuchung zu Kultur und Bildung
  • Verlag: Lax Verlag
  • Seitenzahl: 720
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 1570g
  • ISBN-13: 9783826963506
  • ISBN-10: 3826963504
  • Artikelnr.: 27868897
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Volkmar Wittmütz hat zwar auch Kritik zu diesem Buch anzumerken, doch hält er es alles in allem für eine "wirkliche Bereicherung unseres Bildes von dieser Epoche". Er ist beeindruckt von der schieren Menge der abgedruckten Bildpostkarten und stellt fest, dass der Autor zwar nicht zu völlig neuen Ergebnissen kommt, jedoch durchaus "überraschende Nuancen" freilegt. Lobend hebt der Rezensent hervor, dass May sich auch Gedanken zu den Arbeitsbedingungen von Postkartenverlagen und den Beförderungsbedingungen durch die Post gemacht hat. Die im Untertitel des Buches versprochene Untersuchung der "Untertanenerziehung" findet er allerdings überzogen. Das könnten die Bildpostkarten nicht leisten, und es würden somit "falsche Erwartungen" geweckt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2000

Nie ohne Uniform oder Fahne
Bildpostkarten als Spiegel des Wilhelminismus

Otto May: Deutsch sein heißt treu sein. Ansichtskarten als Spiegel von Mentalität und Untertanenerziehung in der Wilhelminischen Ära (1888-1918). Verlag Lax, Hildesheim 1998. 717 Seiten, 1000 Abbildungen, 128,- Mark.

1012 Bildpostkarten aus der Zeit Wilhelms II., zu dritt und zu viert kleinformatig auf einer Buchseite angeordnet, bilden den eindrucksvollsten und umfangreichsten Teil dieses voluminösen Werkes. Und sie stellen nur eine Auswahl aus einer Sammlung von nahezu 14 000 Postkarten dar, die sich im Besitze des Verfassers befindet und die die Grundlage seiner Studie bildet. Die weite Verbreitung von Postkarten um die Jahrhundertwende machte sie zu idealen "Mentalitäts- und Ideologieträgern", und in einem aufwendigen, die Hermeneutik mit der Statistik verbindenden, vom Computer unterstützten Verfahren hat der Autor aus diesen Karten die Mentalität der damaligen Zeitgenossen destilliert. Das Ergebnis seiner Analyse ist nicht überraschend, es bestätigt das Bild des Wilhelminischen Reiches voller gehorsamer Untertanen, geprägt von Autoritätsfixierung, Nationalismus und Militarismus - ein Bild, das auch aus anderen Untersuchungen, etwa über Unterricht, Schule und Lehrbücher, und nicht zuletzt aus der Kunst und Literatur bekannt ist. Doch gelingt es dem Verfasser, dieses inzwischen zum Klischee erstarrte Bild zu verfeinern und ihm manchmal überraschende Nuancen hinzuzufügen.

Offene Drucksendungen waren seit 1865 in Preußen, seit den siebziger Jahren in Deutschland erlaubt, und als 1873 das Porto für Karten auf fünf Pfennig halbiert wurde und kurz darauf auch private Unternehmen neben der staatlichen Post Karten herstellen durften, entwickelte sich die Postkarte zu einem Kommunikationsmittel für die Massen. Dazu trug das Bedürfnis nach kurzen und normierten Mitteilungen ebenso bei wie die damalige Schnelligkeit der Beförderung durch die Post: In großen Städten wie Berlin wurden Sendungen bis zu elfmal am Werktag und dazu noch sonntags ausgetragen. Zahlreiche Postkarten-Verlage - die Adressbücher von 1907 zählen 280 Namen in Deutschland - versorgten den rasch wachsenden Markt und beschäftigten Tausende von Arbeitnehmern. Auf ihre Arbeitsbedingungen hat der Autor ebenfalls einen kurzen Blick geworfen.

Die Karten trugen auf einer Seite eine Abbildung, zum Beispiel eine Städte- oder Gebäudeansicht oder auch das Porträt eines Fürsten. Mit dem Dreikaiserjahr 1888 wurden zum ersten Mal noch lebende Persönlichkeiten - in diesem Fall der Thronfolger Wilhelm II. - porträtiert. Ein gedruckter Zusatz, etwa ein Werbespruch oder eine politische Parole, war den Abbildungen bereits vorher zugefügt worden. Im Ersten Weltkrieg erreichte die Produktion von "politischen Karten", ähnlich wie die vergleichbarer Plakate, einen Höhepunkt. Neben den Plakaten weisen auch die Illustrierten jener Zeit wie der "Simplicissimus", der "Kladderadatsch" oder die "Gartenlaube" verwandtschaftliche Beziehungen zu den Postkarten auf, weil sie Bildtypen prägten und Sehgewohnheiten beeinflussten.

Der Autor konzentriert seine Untersuchung auf Bildpostkarten als "mentale Nachrichtenträger". Private Glückwunschkarten, Städteansichten oder auch Werbekarten werden nicht berücksichtigt, sie hätten vermutlich kaum ein anderes Resultat erbracht. Er entwickelt ein Raster von Fragen und Merkmalen, das die Einteilung der Kartenmasse in handhabbare Gruppen und den Gang der Untersuchung bestimmt. An Tausende von Karten angelegt, wirkt das Raster ein wenig ermüdend auf den Leser. Andererseits gewährleistet dieses Vorgehen, dass alle Karten denselben formalen wie inhaltlichen Kriterien unterworfen werden. Als Spiegel von "Erziehung" im Kaiserreich, selbst bei Verwendung eines weiten Erziehungsbegriffs, taugen die Karten allerdings kaum. Sie spiegeln Mentalitäten, aber nicht den Prozess ihrer Entstehung, so dass der Untertitel des Werkes falsche Erwartungen weckt.

Jeder Bilderanalyse wird eine kurze geschichtliche Einführung vorangestellt. Dass der Autor dabei nur die Standardliteratur heranzieht, ist angesichts des Umfangs der Aufgabe verständlich, führt aber zu manchen Lücken. Zum Beispiel wird eine Gruppe von Postkarten mit nationalen Symbolen und Gestalten wie der des deutschen Michel untersucht. Dabei wüsste der Interessierte gern, wie aus dieser die Deutschen symbolisierenden Figur, die noch im Vormärz und in der Revolution 1848 als "schlafender Michel" dargestellt wurde, innerhalb nur weniger Jahrzehnte jenes kraftvolle Mannsbild entstand, dem um die Jahrhundertwende auf den Postkarten Deutschlands Verteidigung anvertraut wurde und das für das Vaterland in den Krieg zog.

Überhaupt der Krieg, bei zahlreichen Karten stehen er und die Wertschätzung des Militärischen im Mittelpunkt. Der Autor vermutet, dass militärische Elemente, zumindest Uniform und Fahne, auf fast allen damaligen Bildpostkarten zu sehen waren. Karikaturen dieses Phänomens waren dagegen selten. Man machte sich lustig über bestimmte Erscheinungsformen des Militärs, etwa über Manöver oder öffentliche Vereidigungen, wandte sich aber kaum je prinzipiell gegen den "Sozialmilitarismus" und den überall und alles bestimmenden Grundsatz von Befehl und Gehorsam.

Die größte Zahl von "Mentalitätspostkarten" war vor dem Krieg Bismarck gewidmet, selbst der Kaiser trat dahinter zurück. Schon vor dem Tod des Kanzlers wurde für ihn die spezielle Form der "Huldigungskarte" entwickelt, bei der der Absender nur noch seinen Namen in einen vorbereiteten Text einfügte. Zu Bismarcks achtzigstem Geburtstag wurden etwa 450000 solcher Karten an ihn versandt, so dass die Post ihr Personal in Friedrichsruh verstärken musste.

Schon kurze Zeit nach seinem Tod erschien das Konterfei des Kanzlers, oft zusammen mit politischen Parolen, auf Postkarten, die das neue Weltmachtstreben Deutschlands propagieren und legitimieren sollten. Der Verfasser versteht zu Recht diesen Rückgriff auf Bismarcks Autorität auch als "Fluchtpunkt von Ängsten" der Deutschen vor den Auswirkungen ihrer neuen Weltpolitik. Die psychologische Deutung von Abbildungen nicht nur Bismarcks, sondern auch Friedrichs des Großen, Hindenburgs und anderer militärischer Führer - selbst die Sozialdemokraten kamen nicht ohne ihren "roten Kaiser" Bebel aus - offenbart eine starke Autoritätsfixierung, aber auch eigene Unsicherheit und Schwäche, die sich fremder Stärke versichern muss, um neuen Herausforderungen gewachsen zu sein. Dieser interessante Deutungsansatz hätte vielleicht etwas häufiger Verwendung finden können.

Neben dem Kartentyp mit dem Bild eines autoritären Führers gab es weitere, die in der Untersuchung vorgestellt und analysiert werden. Dazu zählen etwa die Feindbilder, die auch schon vor dem Weltkrieg populär waren. Innere Feinde wie vor allem die Juden wurden diffamiert und ausgegrenzt, mit anderen "Reichsfeinden" wie den Sozialdemokraten ging man dagegen wesentlich milder um. Unter den äußeren Reichsfeinden waren vor allem die Engländer die Zielscheibe von Spott und Hohn.

Doch am Rande der wilhelminischen Untertanengesellschaft, die nur durch massive Autoritäten und Feindbilder zusammengehalten wurde, entwickelte sich die Lebensreform-Bewegung in ihren vielen Spielarten. Für sie wurden gleichfalls Postkarten hergestellt. Auf ihnen waren Sonnwendfeiern, Volkstänze, Naturgebete oder Jugendtreffen abgebildet - nicht unbedingt ein künstlerisch oder politisch revolutionäres Gegenbild, aber doch eine entwicklungsfähige Alternative zum verkrusteten Wilhelminismus. Auch darauf geht der Verfasser ein, und in ihrer Vielseitigkeit ist seine Studie eine wirkliche Bereicherung unseres Bildes von dieser Epoche.

VOLKMAR WITTMÜTZ

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