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Die hier vorgelegten Revolutionsetüden rücken so dicht wie möglich an die französische Revolution heran, namentlich an die großen journées der Jahre 1792/93, und zeigen, wie die bedeutendsten deutschen Autoren vom Weltereignis der Revolution gezwungen werden, ihre Position zu bestimmen. Sie beobachten Schiller als Leser des Moniteur, der den Prozeß gegen Ludwig XVI. in allen Details wiedergibt, namentlich die großen Reden von Montagne und Gironde. Sie entdecken in Goethes Natürlicher Tochter eine erschütternde Verarbeitung der Septembermorde, die Goethe als Teilnehmer an der Campagne der…mehr

Produktbeschreibung
Die hier vorgelegten Revolutionsetüden rücken so dicht wie möglich an die französische Revolution heran, namentlich an die großen journées der Jahre 1792/93, und zeigen, wie die bedeutendsten deutschen Autoren vom Weltereignis der Revolution gezwungen werden, ihre Position zu bestimmen. Sie beobachten Schiller als Leser des Moniteur, der den Prozeß gegen Ludwig XVI. in allen Details wiedergibt, namentlich die großen Reden von Montagne und Gironde. Sie entdecken in Goethes Natürlicher Tochter eine erschütternde Verarbeitung der Septembermorde, die Goethe als Teilnehmer an der Campagne der Koalitionstruppen im Feldlager zur Kenntnis nehmen muß. Kleists umstrittene Hermannsschlacht erweist sich schließlich als Sammelbecken revolutionärer Reminiszenzen, die auch sonst in seinem Werk lauern und dessen Atrozitäten untermauern.
Autorenporträt
Schings, Hans-Jürgen
Hans-Jürgen Schings, Promotion 1965, Habilitation 1974. Ordentliche Professuren: Würzburg (1974-1981), Heidelberg (1981-1986), FU Berlin (1986-2005, Emeritierung).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schlicht und einfach das aufregendste Buch eines Meisterphilologen entdeckt Gustav Seibt in Hans-Jürgen Schings' Versuch einer Philologie des Schreckens anhand von Schiller, Goethe und Kleist. Das Thema ist eigentlich durch, weiß Seibt. Umso mehr überrascht es ihn, dass es dem Autor dank seines kriminalistischen Gespürs gelingt, bei Schiller, in Kleists "Hermannschlacht" oder Goethes "Natürlicher Tochter" Momente einer Dialektik zwischen Schrecken und Aufklärung zu entdecken und dem Leser erzählerisch, argumentativ, und philologisch gekonnt zu zeigen, wie sich in der Klassik bereits die Schrecken des 20. Jahrhunderts ankündigen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2013

Der Despotismus der Freiheit
Schiller, Goethe, Kleist, Septembermorde, Zerstückelungen: Hans-Jürgen Schings betreibt historische Philologie des Schreckens
Es sagt sich leicht dahin, dass die deutschen Schriftsteller, die erst so begeistert von der Französischen Revolution waren, sich unter dem Eindruck der Septembermorde von 1792, des Terrors, der Verurteilung und Hinrichtung von Ludwig XVI. von ihr abgewandt hätten. Aber wie genau ging das zu? Welche Spuren hat der revolutionäre Schrecken in den Dichtungen selbst hinterlassen?
  Wer so fragt, muss die Ereignisgeschichte in philologische Erkenntnis überführen, er muss zeigen, dass es nicht um Meinungen und Affekte geht, sondern um konkrete Nachrichten, um Argumente und um Poesie. Klassizismus und Terror könnte, in Abwandlung eines Titels von Karl Heinz Bohrer, die Themenstellung lauten.
  Die „Revolutionsetüden“ des Germanisten Hans-Jürgen Schings, die Studien zu Schiller, Goethe und Kleist versammeln, leisten genau das: historische Philologie des Schreckens. Mit solcher Intensität und solchem kriminalistischen Gespür hat das bisher noch kein Forscher geleistet, was bei einem so durchgekauten Thema doch überrascht.
  In Kleists „Hermannsschlacht“ gibt es die von den Römern vergewaltigte Hally, die von Vater und Vettern in einem brutalen Ehrenmord erdolcht wird. Dann wird ihre Leiche in fünfzehn Teile zerstückelt und zu den fünfzehn Stämmen Germaniens gesandt, zur Erzeugung hemmungslosen Hasses.
  Dafür gibt es nicht nur eine biblische Vorlage (im Buch der Richter), sondern auch das Vorbild des Fleischers Legendre, der zwei Tage vor der Hinrichtung Ludwigs XVI. in der Nationalversammlung den Vorschlag machte, man solle den König in Stücke hauen, „sie einpökeln und jedem Department eins davon zuschicken, dass es am Fuß des Freiheitsbaumes verbrannt würde.“
  Ausgerechnet im klassizistisch stillsten Stück Goethes, der „Natürlichen Tochter“ von 1803, hat eine der bestialischsten Szenen der Revolution, die Ermordung und Zerstückelung der Herzogin von Lamballe durch den Pariser Mob, eine Spur hinterlassen, die erst Schings entdeckt: In der Szene, in der dem Herzog der angebliche Jagdunfall und Tod seiner Tochter mit auffallender Lust am grausamen Detail lügnerisch vorgespiegelt wird, hallen die Berichte von diesem alle Zeitgenossen schockierenden Ereignis nach. Was in Goethes Dichtung als bösartige Erfindung erscheint, ist faktische Wirklichkeit.
  Friedrich Schiller sprach von „Schinderknechten“ und „Würgerbanden“, er erwog sogar in seiner Eigenschaft als französischer Ehrenbürger eine Verteidigung des französischen Königs zu verfassen. Die Urkunde von seiner Ernennung war eine Woche vor den Septembermorden ausgefertigt worden, erreichte Schiller aber erst 1798. Da war er schon dabei, jene Verse der „Glocke“ zu entwerfen, die für Generationen deutscher Bildungsbürger das kanonische Urteil zur Revolution wurden.
  Warum aber wandte sich der Dichter der Freiheit, den die Revolutionäre als einen der Ihren ansahen, so rasch und entschieden von ihnen ab? Es war nicht einfach Nervenschwäche, gar kompromisslerische feudale Hörigkeit, wie oft vermutet wird.
  Schings arbeitet Schillers Reaktion als Konsequenz einer aufklärerischen Haltung heraus, die vor Beginn der Revolution schon formuliert war, im „Don Carlos“ und in der Vorlesung über die Gesetzgebung des Lykurg und des Solon. Der „Don Carlos“ entwarf bei allem Freiheitspathos auch eine Kritik am instrumentellen Verhältnis zum Menschen, wie es sich in der Freundschaft zwischen Posa und Carlos zeigt. Auch der Appell an die Menschlichkeit von König Philipp setzt voraus, dass der Monarch in die Brüderlichkeit der Humanität einbezogen bleibt; die Revolutionäre aber, allen voran St. Just, stießen Ludwig XVI. aus der Menschheit aus, erklärten ihn zum absoluten Feind.
  Schon die Lykurg-Schrift hatte die Verabsolutierung der Vaterlandsliebe und die Abwertung aller übrigen zwischenmenschlichen Tugenden scharf kritisiert. Mit dem Wissen vom antiken Sparta war Schiller vorbereitet, die Protokolle der Pariser Verhandlungen gegen den König und die Berichte von den Massenmorden als Dokumente eines Zivilisationsbruchs zu verstehen, als Abschied von der klassischen Aufklärung. Schings liest den Moniteur , das Pariser Journal, das Tag für Tag die Geschehnisse der Revolution aufzeichnete, mit Schillers Augen, mit dem Schlüssel von Lykurg und Posa, mit der Erkenntnis von jenem „Despotismus der Freiheit“, den Redner wie St. Just und Robespierre offen proklamierten und den Hannah Arendt anderthalb Jahrhunderte und Millionen Tote später als Matrix aller totalitären Gewalt kritisierte.
  Am erzählerischen, argumentativen und philologischen Höhepunkt schneidet Schings Zitate zusammen aus Edmund Burkes liberaler Verteidigung höfischer Sitte, aus Robespierres fundamentalistischer Begründung des Tugendterrors und aus Schillers Konzeption vom „ästhetischen Staat“ als dem Vorläufer einer humanen Gesellschaft. Da auch Robespierre, der Vertreter des Terrors, kein kleiner Schriftsteller ist (vor allem wenn er von Friedrich Gentz übersetzt wird), bekommen alle Seiten das ihnen zukommende maximale Gewicht. Man erkennt im blendenden Licht der Klassik die Generalprobe der Schrecken des 20. Jahrhunderts. Hans-Jürgen Schings, der Meisterphilologe, hat sein aufregendstes Buch vorgelegt.
GUSTAV SEIBT
  
  
    
      
Hans-Jürgen Schings :
Revolutionsetüden. Schiller, Goethe,Kleist. Königshausen & Neumann,
Würzburg 2012.
236 Seiten, 29,80 Euro.
Die Prinzessin von Lamballe, Hofdame und Vertraute der Königin, wurde am 3. September 1792 dem Mob übergeben, der sie misshandelte und ermordete.
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