Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 13,99 €
  • Broschiertes Buch

New York - Fanal und Versprechen zugleich! Explizit im 20. Jahrhundert ist die schillernde Megacity zu einem wichtigen Topos in der Stadtliteratur avanciert, wobei angesichts unzähliger Werke amerikanischer Autoren häufig übersehen wird, daß sich auch überraschend viele Europäer mit New York lyrisch auseinandergesetzt haben. Sowieso erfahren Prosatexte mehr Aufmerksamkeit als Lyrik über New York, obwohl gerade die Dichtung einen facettenreichen Beitrag zur urbanen Wahrnehmung geleistet hat.Interessanterweise wurde nie die Frage gestellt, warum europäische Lyriker sich überhaupt mit einer…mehr

Produktbeschreibung
New York - Fanal und Versprechen zugleich! Explizit im 20. Jahrhundert ist die schillernde Megacity zu einem wichtigen Topos in der Stadtliteratur avanciert, wobei angesichts unzähliger Werke amerikanischer Autoren häufig übersehen wird, daß sich auch überraschend viele Europäer mit New York lyrisch auseinandergesetzt haben. Sowieso erfahren Prosatexte mehr Aufmerksamkeit als Lyrik über New York, obwohl gerade die Dichtung einen facettenreichen Beitrag zur urbanen Wahrnehmung geleistet hat.Interessanterweise wurde nie die Frage gestellt, warum europäische Lyriker sich überhaupt mit einer fernen amerikanischen Megalopolis beschäftigen, hat ihnen doch Europa als vertrauter kultureller Erlebnishorizont ebenfalls bedeutende Großstädte zu bieten. Gleichwohl konnte sich New York einen exponierten Platz in der europäischen Dichtung des 20. Jahrhunderts erobern, geriet wie keine andere internationale Metropole in den literarischen Fokus.Dies läßt erahnen, daß New York von Europa aus nicht nur als eine weitere City betrachtet wird, sondern als repräsentativer Ort des 20. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, Themen, Problemen oder Phänomenen des Centenniums findet anhand von New York statt in Form einer ebenso reichhaltigen wie differenzierten Dichtung.
Autorenporträt
Nathalie Mispagel studierte zunächst Jura. Nach dem 1. Staatsexamen wechselte sie zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und zu Filmwissenschaft, erwarb ihren Magister und wurde dann in Komparatistik promoviert. Nebenbei veröffentlicht sie Film- sowie Buchkritiken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2011

Die Stadt sehen und dichten
Nathalie Mispagels Studie über New York in der europäischen Dichtung ist so unüberschaubar wie die Metropole

Dass die Welt nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt sei, ist eines der großen Missverständnisse in der Rezeption von Nietzsches Kunsttheorie, dem offenbar auch Karlheinz Stockhausen mit seiner Verklärung der Ereignisse des 11. September 2001 zum "größtmöglichen Kunstwerk" aufsaß. Mit seiner umstrittenen Äußerung lag Stockhausen allerdings eine Verharmlosung der Terroranschläge fern. Ihm ging es um die rein ästhetische Wirkung, die dank der Medialisierung alle bisherigen Maßstäbe gesprengt habe. Für Nietzsche dagegen war die Welt nicht nur, sondern schon als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt - und das heißt: moralisch eben auch.

Der Spagat zwischen ethischer und ästhetischer Beurteilung erfährt eine neue, literaturwissenschaftliche Bedeutung, wenn das zehn Jahre zurückliegende Ereignis zum Anlass für Dichtung geworden ist. Ob nun zufällig oder nicht, zum Jahrestag ist die mehr als vierhundertseitige Dissertationsschrift "New York in der europäischen Dichtung des 20. Jahrhunderts" von Nathalie Mispagel erschienen. Zunächst: Formal ist es nicht korrekt, das Ereignis dem zwanzigsten Jahrhundert zuzuschlagen, inhaltlich lassen sich indes durchaus Gründe dafür finden. Gleichwohl nimmt das Terrorismus-Kapitel keine zwanzig Seiten ein, was mit einem generellen Mangel an "europäischer 9/11-Lyrik" zusammenhängen soll, erschwert durch einen solchen an Qualität. Und das liege nicht nur an der ästhetischen Irrelevanz vieler Gedichte, sondern vor allem am konstatierten Manko "an fundierten Einblicken in und gelehrten Einsichten über den Terrorismus". Dass man Dichtern Terrorkompetenz abverlangt, dürfte ein Novum sein.

Unter den vier als literaturfähig erachteten europäischen Dichtern mit Terrorismusexpertise sind immerhin drei deutschsprachig, von denen sich Durs Grünbeins "September-Elegien" auch mit der ästhetischen Dimension der Ereignisse auseinandersetzen. Die Grünbein als repräsentativ zur Seite gestellten Gedichte von Rüdiger Heins und Markus Peters wirken allerdings seltsam uninspiriert: Heins' "11. September - Terror in Chile" verweist nur indirekt auf die New Yorker Katastrophe, sie ist vielmehr Anlass für Erinnerungen an den chilenischen Militärputsch gleichen Datums 28 Jahre zuvor. Peters dagegen reflektiert in "Brooklyn, Spring 2002" den im Rückblick beobachteten Wandel der Stadt mit plumpen Versatzstücken wie der pseudopoetischen und, in Bezug auf die Dauer des Einsturzes, auch unpassenden Zeitmetapher "mit einem wimpernschlag nur" oder dem irritierenden Bild von den Leichen "mit beton gepudert".

Bei anderen, hier leider unterschlagenen Autoren wäre man fündiger geworden: Brigitte Oleschinski, Dieter M. Gräf, Ulrike Draesner, Robert Gernhardt, Thomas Kling oder Thomas Gsella: Wie anders klingt doch bei dem verstorbenen Kling die von Staub und Sterben handelnde Totenklage "Manhattan Mundraum Zwei"! Wie erfrischend und entlarvend liest sich der Gegen-Grünbein Gsella mit seinem kurzen, formal schlichten Gedicht "Von New Jersey schauend", das er dem selbsterklärten Poeta doctus "in wachsender Verehrung zugeeignet" hat: "Und haltlos überflog sein Blick zum Hohn / Dreitausend Toter diese leere Stelle. / Kein Leib mehr ohne Stein. - Nebst Babylon / Gehört in dies Gedicht auf alle Fälle."

Welchen Erkenntniswert bieten die übrigen knapp vierhundert Seiten? Neben der Darlegung bestimmter Topoi in der Einleitung wie dem der "Großstadt als Ort der Moderne" ist die Arbeit in fünf thematische Bereiche gegliedert: Es geht um New York als "Emigrationsziel", als "Zentrum des Kapitalismus", "als architektonisch strukturierter Wahrnehmungskosmos" sowie um die Stadt "im Fokus von Kultur- und Gesellschaftskritik".

Der Ertrag bleibt auch hier gering: Das Fremdheitserlebnis im Exil (etwa bei Rose Ausländer, Richard Huelsenbeck oder Mascha Kaléko) scheint nur wenig mit New York an sich zu tun zu haben, sondern vielmehr mit dem in aller Regel unfreiwilligen Abschied von der Heimat. Die Kapitalismus-Kritik bei Brecht und Enzensberger wird nacherzählt, aber leider mit den dargelegten, kommunistisch imprägnierten New-York-Erfahrungen Wladimir Majakowskis in keinen zwingenden Zusammenhang gebracht. Der kultur- und gesellschaftskritische Fokus schließlich ist derart breit, dass er es erlaubt, alle möglichen Gedichte und Dichter mit irgendeinem Bezug zur Millionenstadt nebeneinanderzustellen. Als Sammelbecken von New-York-Gedichten unterschiedlicher Herkunft und Couleur hat die Arbeit einen gewissen Reiz, wirkt dabei aber wie ein Abbild des vielzitierten "melting pot".

Dass die Autorin ihren Stoff nicht in den Griff kriegt, liegt vor allem an der Unentschiedenheit des Zugriffs: Sie möchte ihre Arbeit "nicht allein als literaturwissenschaftliche Betrachtung, sondern ebenfalls als Würdigung der europäischen New-York-Dichter im 20. Jahrhundert" verstanden haben. Es wäre ratsamer gewesen, sich für einen der beiden Wege zu entscheiden: eine solide, kommentierte Gedichtauswahl oder eine Studie mit einer thematischen oder (moral-)ästhetischen Beschränkung à la Stockhausen oder Nietzsche.

Neben methodischen Mängeln offenbart die Arbeit, die an fremdsprachiger Lyrik manche Entdeckung bereithält (vorausgesetzt, man versteht die unübersetzten Originaltexte), interpretatorische Schwächen. So eröffnet die Autorin ihre Schlussbetrachtung über das "urbane Verständnis" europäischer Dichter mit einem Heine-Zitat über London als "übertriebene" Stadt, von der wohl ein Philosoph, aber "beileibe kein Poet" angeregt würde: London, so Heine, "erdrückt die Phantasie und zerreißt das Herz".

Aus seiner Abneigung gegenüber London abzuleiten, dass ihm generell "Metropolen mit ihrem Mangel an Ästhetik, der Hektik, der Gewalttätigkeit" nichts zu bieten hätten, was "dichterisch verarbeitet werden könnte" (Mispagel), ist angesichts von Heines Vorliebe für Paris Unsinn. Seine französische Wahlheimat war ihm "Schauplatz, wo die größten Tragödien der Weltgeschichte aufgeführt werden, Tragödien, bei deren Erinnerung sogar in den entferntesten Ländern die Herzen zittern und die Augen nass werden".

FRIEDERIKE REENTS

Nathalie Mispagel: "New York in der europäischen Dichtung".

Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2011. 414 S., br., 49,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friederike Reents hat eine Menge auszusetzen an dieser umfangreichen Dissertationsschrift Nathalie Mispagels. Zunächst einmal habe die Verfasserin für ihr 9/11-Kapitel die falschen Lyriker ausgewählt - statt der "uninspirierten" Texte von Rüdiger Heins und Markus Peters hätte die Rezensentin lieber eine Auseinandersetzung mit Thomas Klings oder Thomas Gsellas New-York-Gedichten gelesen. In dem Kapitel, das die Stadt als Emigrationsziel beleuchtet, kann Reents wiederum keine spezifisch New Yorker Ursache für die geschilderten Fremdheitserfahrungen erblicken. Argumentative ebenso wie interpretatorische Schwächen attestiert die Kritikerin dann auch den anderen Kapiteln der Arbeit. Im Kapitalismus-Teil etwa vermisst Reents einen Abgleich der Kapitalismuskritik Brechts und Enzensbergers mit den ebenfalls dargelegten New-York-Erfahrungen Majakowskis. An anderer Stelle sei das Thema zu weit gefasst, so dass die Arbeit selbst zum "melting pot" aller möglichen lyrischen Ergüsse mutiere. Immerhin hat Reents auf diese Weise so manche Entdeckung gemacht, wie sie einräumt.

© Perlentaucher Medien GmbH