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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2003

Stopft mir die transzendentale Pfeife
Metaphysik der Häuptlinge: Arno Münsters Biografie über Ernst Bloch
Dieses Buch braucht eine Gebrauchsanweisung. Nur eines, liebe Leser, so müsste darin stehen, nur eines dürfen Sie nicht tun: lesen Sie nicht die Einleitung. Beginnen Sie statt dessen mit der „Ouvertüre”. Man muss es der Redlichkeit halber sagen: Die sprachlichen Zumutungen der Einleitung, insbesondere ihrer ersten beiden Seiten, kann man nur ganz schnell vergessen wollen. Der Rest des Buches hingegen ist lesenswert.
Als die definitive Biographie des Philosophen Ernst Bloch kündigt der Verlag das Buch an, Geistesgeschichte und Lebensbeschreibung in einem. Das französische Original erschien vor zwei Jahren, die deutsche Ausgabe hat der Autor selbst übersetzt. In der Tat ist Arno Münster der Spagat zwischen Leben und Werk gelungen. Das Resultat, die bislang umfassendste Bloch-Biographie, lässt sich sehen. Die Kapitel über Amerika und die DDR sind geradezu packend erzählt. Auch der Aufbau des Buches ist gut: Wenn den Bloch-Neuling einmal eines der Blochschen Werke langweilt, kann er praktischerweise zum nächsten Kapitel blättern, denn meistens werden Biographie und philosophisches Schaffen getrennt dargestellt. Der Bloch-Freund wird sich über ein Gesamtbild freuen, das von unverhohlener Begeisterung für seinen unentwegt Pfeife stopfenden und rauchenden Gegenstand getragen ist.
Kleinere Faiblessen trüben gelegentlich das Lesevergnügen. Münster streut Wörter wie „natürlich”, „ultra-” oder „paradoxerweise” in den Text ein, ohne dass sie einen Sinn ergeben. In Passagen zur Zeitgeschichte (nicht immer ganz korrekten) hebt er mitunter besserwisserisch den Zeigefinger. Er dankt dem Ludwigshafener Bloch-Archiv – wer aber die Spuren seiner unzweifelhaft geleisteten Archivarbeit im Text oder in den Fußnoten sucht, wird nicht fündig. Und manchmal ist es der Empathie einfach zu viel.
Und dennoch: Münster hat eine großartige Biographie geschrieben, und am besten ist sie da, wo sie aus Treue zu den Fakten der Verklärung ihres Helden zuwiderläuft. Wenn zwei Dinge Bloch gutgetan haben, dann waren es seine dritte Frau Karola und das Exil. Der junge Bloch konnte unerträglich sein. Seine Eigensinnigkeit war der familiären Enge abgetrotzt – und den Torturen der Schule. Der Direktor des humanistischen Gymnasiums in Ludwigshafen am Rhein gab Bloch zum Abitur die Worte mit auf den Weg: „Philosophie wollen Sie studieren? Dafür sind Sie viel zu dumm.” Ein Lehrer schrieb ins Zeugnis: „er beschäftigt sich mit Dingen, die ihm fernliegen sollten (Schopenhauer zum Beispiel)”.
Einige Jahre später meinte Max Weber: „Gerade war ein neuer jüdischer Philosoph da, ein Jüngling mit enormer schwarzer Haartolle und ebenso enormem Selbstbewusstsein; er hielt sich offenbar für den Vorläufer eines neuen Messias und wünschte, dass man ihn als solchen erkannte.” Die Jahre der Entbehrung machten Bloch bescheidener, ohne ihm den Optimismus zu rauben. Die Vermutung liegt nahe, dass Bloch ohne die Erfahrung des Exils (Zürich, Wien, Paris, Prag, Amerika) nie das weltweit bewunderte philosophisch-politische Vorbild geworden wäre.
Die eigentliche Heldin in Münsters Biographie jedoch ist Karola, die Bloch 1926 kennengelernt hatte. Im Exil verkriecht sich Bloch hinter seinen Manuskripten, schreibt Bettelbriefe teils fiktiven Inhalts etwa an das Institut für Sozialforschung, um an etwas Geld zu kommen, und zürnt mächtig, wenn er nichts erhält. Karola arbeitet derweil als Kellnerin und Architektin, zieht den Sohn auf und ernährt die Familie. Bloch lernt selbst in Amerika kaum ein Wort Englisch, Karola dagegen spricht sechs Sprachen fließend.
Denkmal für Karola
In politischen Fragen stand es ähnlich. Karola Bloch war KPD- Mitglied und reiste wiederholt in lebensgefährlichen Missionen für die Partei durch Nazi-Deutschland nach Polen. Dennoch erkannte sie sofort das Verbrechen der Moskauer Schauprozesse. Stalin war für sie ein mörderischer Diktator. Bloch dagegen, der Distanz zur Partei hielt, wollte das nicht glauben. In zwei Artikeln verteidigte er 1937 die Schauprozesse und wiederholte die Komintern- Propaganda vom Bündnis zwischen Hitler und den Trotzkisten. Kritik an den Moskauer Prozessen machte er lächerlich. Nachrichten darüber weigerte er sich zur Kenntnis zu nehmen. Münster entschuldigt nichts, meint aber, großen Philosophen müsse das „Recht zum Irrtum zugestanden werden”. Das ist ein fragwürdiges Recht, wenn es um Leben und Tod geht. Münster selbst hat es in seinem jüngsten Buch Heidegger nicht gewährt.
Und wie war Blochs Reaktion auf den 17. Juni 1953? Karola schrieb an das Neue Deutschland, schuld daran sei allein die „falsche Politik der SED-Führung”. Bloch schwieg. Er war 1949 mit 64 Jahren endlich auf einen philosophischen Lehrstuhl nach Leipzig berufen worden und wollte verständlicherweise sein Lebenswerk nicht riskieren. Dennoch wurde die Stasi 1956 auf ihn aufmerksam. Freunde wie Wolfgang Harich, die auf ein „Tauwetter” auch in der DDR hofften und Ulbrichts Rücktritt forderten, wurden verhaftet. Bloch versuchte zu retten, was zu retten war. Der Zwangsemeritierung und Verbannung aus allen Universitätsgebäuden konnte er nicht entgehen. Fortan musste der greise und weltberühmte Philosoph mit Telefonüberwachung und Hausdurchsuchungen leben.
Als die Mauer gebaut wurde, hörten die Blochs in Bayreuth gerade die Walküre. Sie kehrten nicht mehr in die DDR zurück. Blochs Manuskripte wurden auf abenteuerliche Weise gerettet. Der Konservative Theodor Eschenburg bot dem Marxisten Bloch ein letztes Asyl in Tübingen. Dort begann eine Erfolgsgeschichte, die nach 1968 ihren Höhepunkt fand. Aber auch wenn weltweit die Revolutionäre des dritten Weges nach Tübingen blickten: Am Ende hatte Bloch seinen Frieden mit der liberalen Demokratie gemacht. Denn ohne die bürgerlichen Freiheiten, so hatte er gelernt, gebiert der Traum von der besseren Gesellschaft die Ungeheuer der Diktatur.
TIM B. MÜLLER
ARNO MÜNSTER: Ernst Bloch. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003. 432 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2004

Harter Aufsetzer
Wie Arno Münster mit seiner Bloch-Biographie bei Philo gelandet ist

Vielleicht sollte man nicht so kleinlich sein. An der Fassung, bei der die Suhrkamp-Lektoren das Handtuch warfen, ist im Philo-Verlag noch einmal hart gearbeitet worden. Und was an Fehlern übrig blieb, ist kaum von inhaltlicher Bedeutung. Schauen wir einmal hin: Die Lietzenburger Straße liegt zwar zum größten Teil in Berlin-Charlottenburg, aber eben nicht deren Hausnummer 7. Wer mit dem Zug von München nach Venedig fährt, steigt nicht in Mailand in einen Expreßzug um, der dann "über den Gardasee, Verona, Brescia" fährt; wer von Venedig nach Paris oder von Paris nach Prag reist, berührt in Paris nicht die und nicht "den" Gare d'Austerlitz. Und deutsche Emigranten haben zwar vielleicht Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Lodz "verschiedene Textilspinnereien" gegründet, aber vor allem haben sie die Lodzer Textilindustrie Anfang des neunzehnten Jahrhunderts begründet. Schon deshalb stimmt es nicht, daß in Lodz eine jüdische Arbeiterschaft "beinahe ghettoisiert in Enklaven" inmitten einer polnisch-katholischen, stark antisemitischen Gesellschaft lebte. Wer geographisch oder historisch irgend interessiert ist, kann das wissen oder ahnen, aber er muß es natürlich nicht.

Etwas ärgerlicher sind die chronologischen Unstimmigkeiten. 1958 nimmt Bloch auf dem Frankfurter Kongreß der (übrigens falsch geschriebenen) Internationalen Hegel-Gesellschaft gezielt den Kontakt zu Adorno wieder auf, um dann einige Seiten später (mit rückverweisender Fußnote!) 1959 auf demselben Hegel-Kongreß "überraschend" mit ihm zusammenzutreffen. Und als Bloch Ende Oktober "schockiert von der Armut der Bevölkerung" aus Albanien nach Leipzig zurückkehrt, erwartet ihn die schlechte Nachricht, daß der inzwischen von der Universität verwiesene Jürgen Teller einen schweren Unfall hatte. Doch Bloch arbeitet "ungerührt weiter an seinem Werk". Denn in der Tat, zehn Seiten und genau ein Jahr zuvor hatte Bloch seinen "untröstlichen" Assistenten bereits im Krankenhaus besucht.

Aber, wie gesagt, der Philo-Verlag hat hart gearbeitet, und irgendwie hätte man auch den Eindruck, daß eine allzu präzise Biographie dem Denken Blochs nicht angemessen wäre. Andererseits - wie kommen solche Fehler zustande? Arno Münster wird sich aus seinen Quellen Stichworte notiert haben, die er dann nach und nach mit Hilfe von Allgemeinbildung und Lexika zum fortlaufenden Text ausformulierte. Die weitaus am häufigsten genutzte Vorlage sind Karola Blochs Lebenserinnerungen. Da haben wir die Lietzenburger Straße Nr. 7, der Münster freihändig das falsche Charlottenburg hinzufügt. Da haben wir die von Etappe zu Etappe führende Italien-Reise, aus der Münster, sogar mit Fußnotenverweis auf seine Quelle, durch ein Umsteigen in Mailand geographischen Unsinn macht. Und da haben wir ein Lodz, in dem es zwischen den bürgerlichen Juden und Christen (zu denen eben auch deutsche Protestanten und russische Orthodoxe gehören) kaum Kontakt gibt und in dem die armen orthodoxen Juden (aber eben nicht die Industriearbeiter) eine Enklave bilden. Münster summiert das großzügig zu "Ghetto" und "polnischer Antisemitismus".

Und wenn dann noch bei Karola Bloch völlig korrekt von den ersten Baumwollspinnereien und Webereien die Rede ist, die die Deutschen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gegründet hatten, fällt es schwer, den Ausruf zu unterdrücken: Kann der Mann nicht wenigstens richtig abschreiben! Denn ein Abschreiben ist es. Aus erstaunlich wenigen Quellen. Und offenbar ohne Quellenkritik. Auch Blochs Werke werden in seitenlangen Zitaten präsentiert. Sie gelten dann näher als "höchst beachtenswert" oder "zutiefst antifaschistisch". Mit seiner "hochgelehrten" Hegel-Studie, die von einem amerikanischen Verlag "großspurig" zurückgewiesen wurde, habe Bloch die Aktualität Hegels wiederhergestellt und viele alte Arbeiten entstaubt. Indem er einen Zwei-Fronten-Krieg führt gegen die theokratisch-orthodoxe Religionsauffassung, die den Menschen in autoritärer Weise Verhaltensweisen aufzwingt, ebenso wie gegen die allzu einfache Verachtung alles Religiösen durch den atheistischen Vulgärmaterialismus, schiebe Bloch energisch die dogmatischen Trennwände beiseite und setze sich zwischen alle Stühle. Und so weiter.

Solche Zitat- und Referatcollagen wären auch ganz in Ordnung, wenn es sich um ein Bändchen in einer der klassischen Einführungsreihen handelte. Doch dazu ist das Werk, das nächste Woche in die Buchhandlung kommt, zu dick und zu dick angekündigt. Das ist dann auch der Grund, kleinlich zu sein. Es geht nicht darum, daß von den vielen Daten und Fakten einige wenige und meist belanglose falsch wiedergegeben werden. Es geht darum, daß mit wahlloser Präzision der Schein von Wissenschaftlichkeit erzeugt werden soll. Und der Schein trügt.

GUSTAV FALKE

Arno Münster: "Ernst Bloch". Eine politische Biographie. Philo Verlag, Berlin 2003. 440 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Arno Münsters Ernst-Bloch-Biografie hat Rezensent Gustav Falke ganz und gar nicht überzeugt. Zwar räumt er ein, dass der Philo-Verlag, der das Buch nun, nachdem es Suhrkamp nicht haben wollte, herausbringt, noch einmal "hart" daran gearbeitet hat. Dennoch entdeckt er neben zahlreichen kleineren Fehlern (etwa bei geografischen Angaben), auch solche, die er als "etwas ärgerlicher" empfindet, etwa chronologische Unstimmigkeiten. Letztlich spricht nach Ansicht Falkes etwas anderes gegen das Buch, nämlich, dass aus "erstaunlich wenigen" Quellen und "offenbar ohne Quellenkritik" abgeschrieben ist. Auch Blochs Werke würden in seitenlangen Zitaten präsentiert. Aber selbst solche Zitat- und Referatcollagen fände Falke noch ganz in Ordnung, handelte es sich bei Münsters Bloch-Biografie um ein Bändchen in einer der klassischen Einführungsreihen. Dafür findet er das Buch allerdings "zu dick und zu dick angekündigt". Falke betont, dass es ihm nicht darum gehe, dass von den vielen Daten und Fakten einige wenige und meist belanglose falsch wiedergegeben würden. "Es geht darum", erklärt der Rezensent abschließend, "dass mit wahlloser Präzision der Schein von Wissenschaftlichkeit erzeugt werden soll. Und der Schein trügt."

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