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"Dass ein solcher Mensch wie Montaigne geschrieben hat, dadurch ist wahrlich die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden." Friedrich Nietzsche "Er hat die menschliche Natur schlechthin geschildert", sagte einst Voltaire über Montaigne, und: "Er ist ein Mensch, der immer geliebt werden wird". Kaum jemand weiß besser, warum das so ist, als Hans Stilett: 1998 schenkte er uns die erste moderne Gesamtübersetzung der Essais, ein Buch, an dem er vorher schon nahezu 15 Jahre gearbeitet hatte. Seit einem Vierteljahrhundert also beschäftigt Stilett sich fast ausschließlich mit Leben und Werk des…mehr

Produktbeschreibung
"Dass ein solcher Mensch wie Montaigne geschrieben hat, dadurch ist wahrlich die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden." Friedrich Nietzsche "Er hat die menschliche Natur schlechthin geschildert", sagte einst Voltaire über Montaigne, und: "Er ist ein Mensch, der immer geliebt werden wird". Kaum jemand weiß besser, warum das so ist, als Hans Stilett: 1998 schenkte er uns die erste moderne Gesamtübersetzung der Essais, ein Buch, an dem er vorher schon nahezu 15 Jahre gearbeitet hatte. Seit einem Vierteljahrhundert also beschäftigt Stilett sich fast ausschließlich mit Leben und Werk des lebensfreundlichsten aller Philosophen; für seine immense Arbeit wurde er mit Lob, Preisen und Anerkennungen überschüttet. "Lebendigem soll man lebendig begegnen", in diesem Sinne schreibt Stilett über Montaigne: sachkundig doch unakademisch, lebenszugewandt und mit viel humanistischem Humor. In diesem Buch erzählt er uns vom Leben, Denken und Schreiben Montaignes - von seiner Vielgestalt als Literat, Politiker und Philosoph, als Lebenskünstler, Skeptiker und Stoiker, als Pionier der Pädagogik, Leser und Schalk, als Humanist und christlicher Heide. Er ergründet sein Wesen und legt uns sein Denken in aller Widersprüchlichkeit dar - einer oft tiefernsten, oft spielerisch-heiteren Widersprüchlichkeit, die Montaigne gerade so sympathisch, menschlich und faszinierend macht.
Autorenporträt
Hans Stilett erhielt 2003 für seine Montaigne-Übersetzungen den Schweizer Übersetzerpreis "Prix lemaniaque de la traduction". Der Preis wird alle drei Jahre einem Übersetzer aus dem Französischen ins Deutsche und einem Übersetzer aus dem Deutschen ins Französische verliehen. Hans Stilett verstarb 2015 im Alter von 92 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Erst die Klugheit macht die Schönheit schön
Hans Stilett schließt seine Montaigne-Arbeiten mit einer biographischen Liebeserklärung ab / Von Andreas Platthaus

Sein wichtigstes Werk veröffentlichte er 1998 unter Pseudonym, und so ist heute der nom de plume Hans Stilett allgemein bekannt, obwohl er erst von 1974 an Verwendung fand, während das sonstige Leben und Schaffen des 1922 geborenen und in Königswinter lebenden Hans Adolf Stiehl weitgehend im Dunkeln liegt. Doch auch als Stilett brauchte Stiehl fast ein Vierteljahrhundert, um den Durchbruch zu schaffen. Der frühere Journalist hatte sich den Kunstnamen zunächst als Poet zugelegt, aber schließlich war es vor zehn Jahren ein Sonderband von Hans Magnus Enzensbergers "Anderer Bibliothek", der ihn berühmt machte.

Dieses Buch enthielt die von Stilett übersetzten Essais des Michel de Montaigne. Das wäre für sich noch keine große Sensation gewesen, denn seit Johann Daniel Tietzes erster Übertragung ins Deutsche aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte es bis 1998 bereits nicht weniger als sieben weitere gegeben, darunter die bis dato beste von Herbert Lüthy für den Zürcher Manesse Verlag. Allerdings boten ausgerechnet nur die zwei ältesten Ausgaben sämtliche 107 Essais, die Montaigne von 1572 bis zu seinem Tod 1592 geschrieben hatte, und so konnte Stilett seine Version geschickt, aber berechtigt als "erste moderne Gesamtübersetzung" bezeichnen. Trotzdem hätte wohl niemand damit gerechnet, dass der überformatige und nicht eben preiswerte Band sich mehr als sechzigtausend Mal verkaufen würde.

Das ist selbst (oder gerade) bei einem Werk der philosophischen Weltliteratur bemerkenswert viel. Dieser Erfolg trieb Stilett voran, machte ihn in hohem Alter verspätet noch zum Nestor der deutschen Montaigne-Forschung und begründete im Herbst eines publizistischen Lebens eine zehnjährige Erntezeit, in der erst seine Übersetzung von Montaignes Reisetagebüchern herauskam, dann Auswahlbände mit thematisch verwandten Essais erschienen (unter anderem für Lehrer, Mediziner und Juristen) und schließlich in diesem Herbst eine eigene Deutung folgt: "Von der Lust, auf dieser Erde zu leben".

Der Titel verdankt sich Nietzsches "Unzeitgemäßen Betrachtungen", einer der zahlreichen Liebeserklärungen aus deutscher Feder an Montaigne. Doch wo der Philosoph dem Kollegen lediglich ein paar begeisterte Zeilen widmete, sind es beim Übersetzer mehr als 270 Seiten. Herausgekommen ist dabei eine bemerkenswerte Mischung aus Biographie und - ja - aus Essay, auch wenn Stilett dieses Wort fürs eigene Schreiben geradezu impertinent vermeidet und seine neunzehn jeweils selbständigen Kapitel als "Wanderungen" bezeichnet. Und um den Unterschied zur durch Montaigne erst begründeten Gattung des Essays noch deutlicher zu machen, beginnt jede dieser Wanderungen nicht mit einem schlichten Zitat, sondern mit einem "Treffpunkt" - dem Ort im Werk nämlich, von dem der Interpret seinen Ausgang in die weite Denklandschaft des französischen Edelmannes nimmt.

Als deren Grundzug erkennt Stilett "ein vorbehaltloses Ja zum Leben". Montaigne, der immer wieder betont hat, dass die Essais allein der Augenblicksaufnahme seines Ichs dienten, wird vom Übersetzer mit den eigenen Worten korrigiert - hin zu einem Analytiker des allgemein Menschlichen, der gerade aus der akribischen Selbstbeobachtung eine Suchbewegung beginnen lässt, die in jeder Hinsicht des Wortes aufs Ganze geht.

Dafür ist paradoxerweise die essayistische Form entscheidend, denn sie bildet gerade in ihrer thematischen Spezialisierung dieses Verfahren genau ab: "Kein Gegenstand ist so geringfügig, dass er nicht mit Fug und Recht in diese bunte Folge aufgenommen würde", heißt es bescheiden und herausfordernd zugleich im dreizehnten Essai, der sich allerdings nichts Kleinem, sondern "Förmlichkeiten bei der Begegnung von Königen" widmet (Montaigne wusste genau, wovon er sprach; er diente drei französischen Monarchen als Berater und Unterhändler). Doch man muss diesen Beginn des Textes als bösen Spott aufs Hofzeremoniell lesen, denn später spricht Montaigne von der "Sklaverei", der er dort zu glücklich entkommen sei, als dass man etwas davon "bis in den eigenen Schlupfwinkel mitschleppen" sollte.

Er pflegte in der Tat ein eigentümliches Verhältnis zu den wichtigsten Parametern seines Lebens. Mit seiner Einstellung zu Büchern verhält es sich genauso. Im Essai "Über die Einsamkeit" erläutert er: "Gewiss sind Bücher unterhaltsam; wenn wir aber durch allzu häufigen Umgang mit ihnen schließlich Frohsinn und Gesundheit verlieren, unsern größten Besitz, dann weg damit! Ich gehöre zu denen, die der Meinung sind, dass ihr Gewinn einen solchen Verlust nie aufwiegen kann." Montaigne trieb es ungeachtet seines Rufs als schreibender Eremit im eigenen Schlossturm so lange noch aufs Pferd, wie sein Nierenleiden ihm das gestattete, und er liebte das Gespräch viel mehr als die Lektüre. In seinen Essais aber führt er es mit sich selbst und meist auf vergleichsweise kurzer Strecke, deshalb wird das eigene bewusst fragmentierte Werk nicht vom harschen Urteil über das Lesen erfasst.

Ähnlich dazu lässt sich auch Stiletts Studie als Sammlung kleiner Preziosen ansehen, deren Glanz gemeinsam betrachtet zwar noch heller strahlt, bisweilen jedoch das Risiko der Übersättigung birgt. Gelegentliche Redundanzen werden aber einem Leser, der seine Lektüre über Tage streckt, nicht unangenehm auffallen, sondern als willkommene Leitmotive gelten und damit als Gewähr von Kontinuität - ganz nach Montaignes Ideal einer Ästhetik des reibungslosen Übergangs, die er am Beispiel einer Ruderbootfahrt im Gegensatz zur Schiffstour am Schleppseil erläutert: "Es ist also nur eine mit kurzen Abständen unterbrochne Bewegung, die mir Pein bereitet, wenn sie sich langsam und lange hinzieht."

Des eingedenk ist Stilett ein versierter Arbeiter am Schlepptau; er reißt uns mit, ohne dass wir jemals einen Widerstand spürten. Selbst die insgesamt acht kurzen "Abstecher", mit denen er einzelne Wanderungen noch fortsetzt, sind, obwohl sie sich sämtlich Übersetzungsfragen widmen, keine Wallfahrten zum Altar des gerühmten Übersetzers (nur eine Fußnote mit Kritikerlob wirkt ein bisschen selbstverliebt). Stilett macht vielmehr klar, dass er in seiner Funktion auf den Schultern von Riesen ruht: Manche seiner deutschen Vorgänger, aber auch die Übersetzungen ins Englische und Neufranzösische haben gute Tipps parat gehalten, und im Kapitel "Heiße Spur zu Hamlet" gelingt Stilett mit der Beschreibung des Einflusses von Montaignes Essais auf Shakespeares Drama sogar ein schönes Stück englischer Literaturgeschichtsschreibung, von dem sogar die "Arden"-Kommentierung noch profitieren könnte.

"Von der Lust, auf dieser Erde zu leben" ist also eine Liebeserklärung an Montaigne auf neunzehnfache Weise. Dabei wurde das Buch begonnen als der schon 1998 in der Essais-Übersetzung angekündigte Kommentarband. Doch die Leidenschaft führte dem Autor so sehr die Feder, dass eine trockene Philologie nicht entstehen wollte. Dennoch sorgt die Belesenheit Stiletts dafür, dass er - damit ganz Montaignes Ideal gemäß - abweichend vom Urteil des Paris nicht der Liebesgöttin Venus, sondern der klugen Pallas Athene den Vorzug gibt. Im Zweifelsfalle ist es doch Stiletts Intellekt und nicht die Faszination allein, der sein Buch befeuert.

Hans Stilett: "Von der Lust, auf dieser Erde zu leben". Wanderungen durch Montaignes Welten. Ein Kommentarband anderer Art. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2008. 272 S., 19 Abb., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2008

Orgien gehören dazu
Aber mach dich nie abhängig von den Lüsten der Welt – Hans Stiletts kluge Wanderungen zu Montaigne: „Von der Lust, auf dieser Erde zu leben”
Das beliebte Gesellschaftsspiel um die Frage, welches Buch man auf die einsame Insel mitnehmen würde, wirft eigentlich ein Charakterproblem auf. Mit wem hält man es allein und fürs ganze Leben aus? Es lässt sich einiges dafür vorbringen, dass Dantes „Göttliche Komödie” das beste Buch aller Zeiten sei, unerschöpflicher Stoff für immer neue Lektüren. Aber ein Leben lang Feuer in der Hölle und UV-Bestrahlung im Paradies? Rousseau oder Dostojewski als dauernde Gefährten? Brrr. Goethe? Hm. Aber nur, wenn man den ganzen mitnehmen darf, samt Briefen und Gesprächen.
Ausprobiert wurde solches Leben mit einem Buch bisher nur mit heiligen Schriften. Es gab und gibt Unzählige, denen Bibel oder Koran der einzige schriftliche Lebensbegleiter sind. Woran aber soll denken, wer sich nicht in die Dauergemeinschaft mit Propheten und ihrem mehr oder weniger gnädigen Gott begeben will? Einer der aussichtsreichsten Kandidaten könnte Michel de Montaigne sein, mit dem einen dicken Buch, das er hinterlassen hat und das den schlichten Titel „Essais”, Versuche, trägt.
Einen der Gründe dafür liefert Montaigne selbst, in seiner Erörterung der Ehe. Er rät dazu, diese von erotischer Leidenschaft unabhängig zu halten; die Liebesglut gehe ungern Verbindungen ein mit den vielen anderen, eher praktischen Zwecken, die eine Ehe begründen. „Eine gute Ehe, falls es das gibt, macht sich mit der Liebe nicht gemein; sie strebt vielmehr dem Vorbild der Freundschaft nach: Sie ist eine sanfte Lebensgemeinschaft, mit einer unendlichen Zahl nützlicher und handfester Dienste und Pflichten.” Umgelegt auf die Frage nach dem einen Buch im Leben heißt das: Man wäre schlecht beraten, ein Werk zu wählen, das man einmal mit glühenden Wangen verschlungen hat. Die Gefahr, dass es verblassen und langweilig werden könnte, ist allzu groß.
Das Buch als irdischer Freund, zu dem man in allen Lebenslagen immer wieder gehen kann und das einem doch jedesmal Neues – oder das Alte neu – bietet, das zugleich unterhaltsam und tiefsinnig, schlicht, anschaulich und dabei unendlich erfahren und weise ist, das sind Montaignes „Essais”. Sie behaupten sich buchstäblich vor dem Schlimmsten. Nehmen wir den Schmerz. Wie alle Weisheitslehrer rät Montaigne, sich nicht von ihm überwältigen zu lassen, ihm standzuhalten. Aber anders als die Rigoristen des Stoizismus weiß er, dass die vollständige Unterdrückung der Äußerungen des Schmerzes, des Jammerns oder Schreiens, die Sache nur schlimmer macht. Der Körper braucht seine Auswege. Nur sollte man es nicht übertreiben damit, um das Mitleid der anderen zu erregen und ihnen so auf die Dauer zur Last zu fallen. So auch bei der Todesangst: Wer schon mehrfach gestorben ist oder Kirchen der Angst ausruft, läuft Gefahr, den Abschied von dieser Welt unbegleitet nehmen zu müssen.
Solches Drehen und Wenden ist Montaignes Weisheit. Mach dich nicht abhängig von den Lüsten der Welt, aber wenn sie sich dir bieten, nimm sie! Sex ist keine Sünde, sondern etwas Wunderbares, aber man soll sich Zeit dafür nehmen. Wenn der Körper Lust auf Völlerei hat, traut Montaigne ihm mehr als allen Diätplänen – eine Einsicht, die die Medizin gegen den Schlankheitswahn hervorkramt. Gesund soll man sein, vor allem in der Jugend; aber nicht durch Askese. Seinen Sohn würde dieser Weltmann gern auch stark für alle möglichen Ausschweifungen, ja Orgien sehen. Nur verfallen darf man den Exzessen nicht.
Kurzum: Als Lehrer des irdischen Lebens steht Montaigne mit einem Fuß darin, mit dem anderen draußen. Das ist eine ideale Position fürs Wahrnehmen und fürs Nachdenken. Alles erfahren, nichts selbstverständlich nehmen: Dann erkennt man, dass Menschenfresser nichts Abwegiges sein müssen, oder dass Tiere eine Sprache haben, in der sie sich kaum weniger präzise verständigen können als die Menschen mit ihren Wörtern.
Diese Zweifüßigkeit hat Montaigne vor allem zu einer idealen Balance von Askese und Genuss, von Geist und Leib gebracht. Der feinste Psychologe ist er und ein derber Realist; ein belesener metaphernseliger Poet, der sich nicht zu schade ist, über seinen Urin, seinen Kot oder die Größe seines Glieds zu räsonieren, immer unterhaltsam, nie blendend. Also der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Gott respektiert er, ohne ihn zu kennen. Er hat so viele Religionen erlebt oder von ihnen gelesen, dass er ganz vernünftig bei seinem Katholizismus bleiben kann, wie die anderen bei ihrem Glauben, auch hier halb drinnen, halb draußen. So hat er die erste moderne Philosophie oder besser: Haltung der Freiheit entwickelt, eine Haltung, die sich nicht auf Institutionen oder Parteien, sondern nur aufs Subjekt stützt. Dieses hat ein „Hinterstübchen” wie gute Kaufmannsgeschäfte, wo die eigenen Gedanken als beste Ware still ruhen.
Dass wir diesen Gedanken- und Erfahrungskosmos auf deutsch vollständig besitzen, verdanken wir dem Übersetzer Hans Stilett, der die „Essais” vor zehn Jahren als schweren Buchsolitär – man platziere ihn auf den Grund des Boots zur Insel – vorgelegt hat; so genau und liebevoll wie noch nie in unserer Sprache. Nun hat er seiner längst auch in handlicheren Ausgaben vorliegenden Großtat ein nach Themen geordnetes, halb systematisches, halb faktisch informierendes Vademecum nachgesandt, das Montaigne unter dem schönen Titel „Von der Lust, auf dieser Erde zu leben” erschließt. Dieses Buch kann ganz ohne vorherige Kenntnis der „Essais” gelesen werden, aber es ist wohl unmöglich, danach nicht zur großen Ausgabe zu greifen.
Überaus reizvoll sind auch die Passagen, in denen Stilett Einblicke in seine Übersetzerwerkstatt bietet, gerade weil sie den Leser vielleicht manchmal zu anderen Entscheidungen führen können. Mit einem detaillierten Vergleich von mehr als einem Dutzend Übersetzungen in alle möglichen Sprachen erklärt Stilett, warum er Montaignes berühmten Satz „Chacque homme porte la forme entière de l'humaine condition” mit „Jeder Mensch trägt die ganze Gestalt des Menschseins in sich” wiedergibt. Tatsächlich ist dieser so einfach klingende Satz höchst vertrackt. Sein primärer Sinn: In jedem Individuum liegt der Grundriss der gesamten menschlichen Existenz, ist auf Anhieb verständlich.
Alle Lebensbedingungen
Aber die „condition humaine” und ihre „forme” bieten vor allem dem deutschen Lexikon eine harte Nuss. Da ist es nützlich zu erfahren, was Stilett bestimmt weiß, aber nicht erwähnt, dass die „conditio humana” aus dem Werk über die Pflichten des von Montaigne nicht besonders geschätzten Cicero stammt. Arno Borst hat die damit zusammengefasste antike Lehre vom Menschen mit „einschränkende Lebensbedingungen” wiedergegeben, worunter so elementare Voraussetzungen wie Zeit, Raum und Gemeinschaft, also auch Sterblichkeit, Leiblichkeit und Sprache zu begreifen sind. An diesen ein wenig fachlichen, aber doch elementaren philosophischen Zusammenhang zu erinnern, ist vielleicht nicht überflüssig. Borst folgend, könnte man den Satz zur Tradition durchsichtig halten, ohne ihn zu verkomplizieren: „Jeder Einzelne trägt die ganze Gestalt menschlicher Lebensbedingungen in sich.” Oder noch einfacher: „Bei jedem von uns zeigen sich alle Lebensbedingungen des Menschen.” Dieser Gedanke fundiert Montaignes Essais. Darum kann man sie immer und überall lesen – dank Hans Stilett auch wunderbar auf deutsch. GUSTAV SEIBT
HANS STILETT: Von der Lust, auf dieser Erde zu leben. Wanderungen durch Montaignes Welten. Ein Kommentarband anderer Art. Eichborn Verlag, Berlin 2008. 272 Seiten, 24,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nein, "Essais" sind das ausdrücklich nicht, was Hans Stilett - das Pseudonym von Hans Adolf Stiehl - hier vorlegt. Mit dem von ihm übersetzten Meister Montaigne will sich der Autor in diesen "Wanderungen" durch dessen Werk schlicht und einfach nicht messen. Der Rezensent Andreas Platthaus sieht sich durch diese Vorsicht freilich nicht gehindert, die vorliegenden Annäherungen an Montaignes Werk halb biografisch und halb eben doch essayistisch zu finden. Und, wenn auch nicht ganz und gar, gelungen. Mindestens voller "kleiner Preziosen", wenngleich von Dopplungen nicht frei. Das aber ist, so Platthaus, schlimmstenfalls halb so schlimm, wenn einer so belesen und klug und mitreißend schreibt, wie Hans Stilett es in diesem Band neunzehnmal tut.

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