Marktplatzangebote
33 Angebote ab € 10,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Im ersten Jahr des neuen Jahrtausends feiert ein Werk seinen 250. Geburtstag, das wie kein anderes zum Synonym für die europäische Aufklärung geworden ist: die "Encyclopedie ou dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers", konzipiert und herausgegeben von Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert. Von den sterilen und langweiligen Lexika unserer Zeit, deren Inhalt immer schneller veraltet, unterscheidet sich die "Encyclopedie" radikal: Ihren Autoren ging es nicht nur darum, ein Kompendium des damaligen Wissens zu erstellen, ihr Ziel war es, die Welt neu zu denken. Das macht die…mehr

Produktbeschreibung
Im ersten Jahr des neuen Jahrtausends feiert ein Werk seinen 250. Geburtstag, das wie kein anderes zum Synonym für die europäische Aufklärung geworden ist: die "Encyclopedie ou dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers", konzipiert und herausgegeben von Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert.
Von den sterilen und langweiligen Lexika unserer Zeit, deren Inhalt immer schneller veraltet, unterscheidet sich die "Encyclopedie" radikal: Ihren Autoren ging es nicht nur darum, ein Kompendium des damaligen Wissens zu erstellen, ihr Ziel war es, die Welt neu zu denken. Das macht die Lektüre auch heute noch, wo uns der Gedanke, die Menschheit könne durch Wissen glücklicher werden, immer kühner erscheint, zum Vergnügen.
Aber wird die "Encyclopedie" überhaupt noch gelesen? Die einzige deutsche Auswahlausgabe, 1972 in Leipzig erschienen, gab dazu wenig Anlaß. Sie war tapfer, ließ jedoch viele Wünsche offen. Höchste Zeit also für eine neue Edition, die wissenschaftliche n Ansprüchen genügt.
"Die Welt der Encyclopedie" wird die wichtigsten Artikel Diderots enthalten, der mit mehreren tausend Einträgen einen Löwenanteil der Arbeit übernahm. Neben seinen brillanten polemischen Beiträgen kommen auch die berühmten Mitstreiter wie Rousseau, Voltaire und Montesquieu zu Wort. Auch die ketzerischen Kassiber werden nicht fehlen, die immer wieder die Zensur auf den Plan riefen. Das Hauptkriterium der Auswahl ist jedoch die Überlegung, was uns aus diesem riesigen Steinbruch des Lebens heute noch interessieren kann, welche der 72.000 Artikel gehören zum HANDGEPÄCK FÜR DAS DRITTE JAHRTAUSEND?
Auf diese leitende Frage antworten die Herausgeber mit einem besonderen Clou: Sie haben zeitgenössische wilde Denker und Wissenschaftler aus aller Welt, die "Diderots von heute", gebeten, zu ausgewählten Stichwörtern eigene Artikel - Repliken, Fortschreibungen, Polemiken - zu verfassen. Beiträge haben unter anderen geliefert: Aleida und Jan Assmann, Hans Belting, Erwin Charga ff, Margriet de Moor, Lars Gustafsson, Alexander Kluge, Jutta Limbach, Michael Krüger, Javier Marias, Tzvetan Todorov und Anton Zeilinger.
Fünfhundert Seiten aus der "Encyclopedie" sind neu übersetzt, vorhandene Texte durchgesehen und revidiert worden. Eingeleitet wird der Band durch einen Essay von Robert Darnton, der die heroische Editionsgeschichte des Werkes nachzeichnet; eine Zeittafel und ein Literaturverzeichnis ergänzen die Edition. Ein so außergewöhnliches, wissenschaftliches Projekt verlangt nach einer außergewöhnlichen Gestaltung. "Die Welt der Encyclopedie" erscheint als Sonderband der ANDEREN BIBLIOTHEK im Folio-Format, in rotes Leinen gebunden, in ähnlicher Ausstattung wie die 1998 erschienene Neuübersetzung der "Essais" von Montaigne. Die neuverfaßten Beiträge werden nicht separat veröffentlicht, sondern typographisch hervorgehoben in die alphabetische Abfolge der Artikel integriert. Die direkte Konfrontation von alten Erkenntnissen mit neuen Einsichten läßt das monumen tale Werk der Aufklärung in neuem Glanz erstrahlen.
Autorenporträt
Rainer Wieland studierte Literaturwissenschaften, Publizistik und Geschichte. Er lebt und arbeitet als Lektor, Herausgeber und Autor in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Rundherum, das ist schwer
Noch einmal im Kreis: Die Enzyklopädie / Von Achim Bahnen

Der rühmlichste Zeitpunkt für ein derartiges Werk", schreibt Denis Diderot in seinem Artikel "Enzyklopädie", dem Rechenschaftsbericht des von ihm verantworteten gleichnamigen Mammutwerkes, "wäre der Moment unmittelbar nach einer großen Umwälzung, die den Fortschritt der Wissenschaften aufgehalten, die Leistungen der Künste unterbrochen und einen Teil unserer Hemisphäre wieder in Finsternis getaucht hätte." So schlecht scheint der Zeitpunkt also nicht gewählt zu sein, zu dem in der "Anderen Bibliothek" von Hans Magnus Enzensberger ein großformatiger Prachtband über "Die Welt der Enzyklopädie" vorgelegt wird. Der Anlaß freilich war erfreulich: Vor zweihundertfünfzig Jahren erschien der erste Band der "Encyclopédie, ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers". Als Anette Selg und Rainer Wieland das gegenüber dem Original winzig erscheinende, aber immer noch beeindruckende Unternehmen auf sich nahmen, eine um neue Beiträge vermehrte Auswahl zu edieren, konnten sie nicht ahnen, daß der Leser das im Vorwort gebrauchte Bild einer Arche Noah voller Wissensschätze nicht nur auf die Informationsfluten, in denen alles Wichtige zu versinken droht, beziehen würde. In Zeiten, da der Wunsch nach Sicherheit, nach festem Halt gesteigert wird, läßt man Rettungsboote gern vom Stapel.

Enzyklopädien sind Weltbewahrungsapparate, und die achtundzwanzig Großkonserven, die Diderot (zunächst mit d'Alembert) trotz mächtiger Widerstände und gegen die Zensur, gleichwohl mit Unterstützung von Malherbes, dem Oberzensor, in die Welt setzte, diese siebzehn Text- und elf Kupferstichbände könnten sich wohl der "rechtzeitigen Rettung der Kenntnisse aus den vergangenen Jahrhunderten" rühmen. Kartoffel, Kaschmir, Kastraten, Kaukasus, Kaviar: Gut zu wissen, daß es auch nach einem Vierteljahrtausend Dinge gibt, die cum grano salis noch so wie vorher sind. Doch ein Wissen, das beruhigt - notiert der Todesfeind Canetti -, ist tödlich. Nichts lag den Enzyklopädisten ferner. Ihr Werk, mit seinen vielen, vor allem gegen die christliche Religion gerichteten Sottisen, war auch eine Welterschütterungsmaschine.

Obwohl Selg und Wieland mit gut vierhundert Artikeln, davon viele neu und manche erstmals übersetzt, gerade einmal ein halbes Prozent der Stichwortzahl des Originals präsentieren, eröffnet sich dem Leser tatsächlich die Welt der Enzyklopädie en gros und en détail: Die langen Texte wie Rousseaus Abhandlung über die Ökonomie laden ebenso zum Schmökern ein wie die vielen kleinen, unscheinbaren Stücke, in denen sich immer wieder überraschende Seitenhiebe finden. Diderots Streich gegen die Historiker, die "meistens das Gegenteil von einem kreißenden Berg" seien ("handelt es sich auch nur um eine Maus, bringt doch ihre Feder einen Elefanten hervor"), ist in dem nur achtzehn Zeilen langen Eintrag "Boa" versteckt. Wer Enzyklopädien nicht nur als zielgenaue Nachschlagewerke nutzt, sondern gerne ziellos über die lexikalischen Pfade solcher Wissensdschungel streunt - und auch in diese zwei Klassen ließe sich die Menschheit einteilen -, wird zwischen den roten Leinendeckeln des Quartformats viele Stunden verbringen; er muß jedoch nicht nur auf jegliche Abbildung verzichten, sondern sich auch mit vielen Sackgassen im Garten der sich verzeigenden Pfade abfinden.

Die Herausgeber waren sich zwar bewußt, daß die Verweise "innerhalb der ,Encyclopédie' eine große Rolle" spielen, haben es aber nicht für nötig befunden, das eigene Werk mit einem tragfähigen Verweisnetz auszustatten. So laufen viele Bezüge ins Leere (etwa am Ende von Mallets Eintrag "Menschenfresser" die berühmten ketzerischen Verweise auf "Eucharistie, Kommunion, Altar etc."), aber auch Vorhandenes wird nicht eigens erschlossen: Nicht jeder wird erraten, daß er sich über die unter "Nachttopf" erwähnten Sybariten hundertsechzehn Seiten später leidlich informieren kann. Die im Vorwort anklingende Verachtung "unserer Zeit der beliebig verfügbaren, verlinkten Information" fällt hinter die Einsicht der Enzyklopädisten zurück. Wenn jemand die Bedeutung des Hypertexts avant la lettre erkannte, dann war es Diderot, nachzulesen unter "Enzyklopädie".

Unbefriedigt wird mancher Leser auch durch den weitgehenden Verzicht auf Kommentare bleiben. Wenn man nicht davon ausgehen mag, daß das Projekt ohnehin durch den Preis nur einem kleinen Kreise wissender Liebhaber vorbehalten bleibt und das "geistige Handgepäck für das dritte Jahrtausend" (Enzensberger) als intellektuelles Pradatäschchen gedacht ist, hätte man dem größeren Publikum eine kleinere, aber mit Anmerkungen versehene Auswahl gewünscht. Zudem wüßte man gerne, an welchen Stellen Einträge wie "Arbeit", "Intoleranz" oder "Neger" denn gekürzt wurden. Freilich stehen die alten Einträge nicht für sich; etliche sind mit Zitaten aus anderen Quellen versehen, und zu fünfundzwanzig Artikeln wurde je ein Wissenschaftler oder Literat gebeten, eine Aktualisierung zu verfassen.

Die Galerie der "neuen" Enzyklopädisten ist eindrucksvoll, Javier Marías (über Babel) und Lars Gustafsson (Nichts) sind ebenso vertreten wie Hans Belting (Meisterwerk) und Jutta Limbach (Naturrecht). Schöne Stücke sind darunter, anregend wie die Zeilen über das Gehirn, aus dessen ursprünglich von Pierre Tarin beschriebener Ellipsenform Detlef Linke das Aperçu gewinnt, man hätte die Encyclopédie doch besser Enellipsopédie genannt. Doch selbst wenn man über einen Ausrutscher wie Michel Tourniers abgestandenes und reizlos selbstverliebtes Stück über "Die Ästhetik des modernen Romans" den Mantel des Schweigens breitet, so ist im Ganzen zu bemerken: Den Autoren, auch den namhaften, fehlt es meist an Mut.

Die auf dem Vorsatzblatt angekündigten "Ausblicke ins 21. Jahrhundert" sind überwiegend Aktualisierungen der alten Texte, sei es brav und mit allen fachlichen Scheuklappen versehen (Anton Zeilinger über Physik), sei es brillant in fremde Näpfe spuckend (Luigi Malerba über den Heiligen Stuhl). Wie fügt die Physik sich in den Kreis der Wissenschaften, deren einsame Krone sie einst war? Was wird aus der Kirche im neuen Jahrtausend? Da die Auswahl der updates keinem ersichtlichen Konzept folgt - warum nicht "Arbeit" und "Holocaust", "Stein der Weisen" und "Tribade" ergänzen? -, hätte man ruhig über die Chronistenpflicht hinausgehen können. Kaum einer aber, der hier über Künftiges spräche.

Belebender, auch beunruhigender wirkt der Aktualitätsbezug der eingestreuten Zitate. Natürlich darf ein Montaigne, dessen "Essais" in der "Anderen Bibliothek" als erster Band im Großformat erschienen, nicht fehlen, aber die Quellen reichen bis zum Radiosender Bayern 5 ("Dreifacher Hexensabbat an deutschen Börsen"). Wenn Auszüge aus Himmlers Rede an die SS vom 4. Oktober 1943 unter dem Eintrag "Menschlichkeit" stehen, dann werden Kontinuität und Wandel der conditio humana im Lauf der Jahrhunderte auf erschreckende Weise greifbar. Es keimt aber auch die Hoffnung, daß der Lesende, der immer mehr Altes liest, etwas tauge als "eine Art von Vertrauensmann der anderen", wie Canetti schreibt: "er wird, wenn er nur nie aufhört - so denken sie - auch das Entscheidende finden".

"Die Welt der Encyclopédie". Hrsg. von Anette Selg und Rainer Wieland. Aus dem Französischen von Holger Fock, Theodor Lücke, Eva Moldenhauer und Sabine Müller. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. X, 486 S., geb., bis 31. März 2002 128,- DM, danach 77,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Auch wenn es sich nur um eine - angesichts des Originals - "winzig erscheinende" Auswahl aus der Enzyklopädie handelt, nennt der Rezensent Achim Bahnen das Projekt, für das einzelne Artikel neu übersetzt und von namhaften Intellektuellen kommentiert wurden, ein "beeindruckendes Unternehmen". Das Urteil fällt dennoch ein wenig zwiespältig aus. Natürlich, räumt Bahnen ein, kann man sich zwischen den Buchdeckeln dieses "Prachtbands" schmökernd verlieren und wird klüger zurückkehren. Was den Rezensenten schmerzt, ist der Verzicht auf Abbildungen und ist das Verweisungsdurcheinander, das einen in manche "Sackgasse" führt. Auch die Abwesenheit von Kommentaren wird bemängelt. Nicht sehr gut weg kommen darüber hinaus die Kommentatoren: Michel Tournier zeigt sich "selbstverliebt" bei der Beschreibung der "Ästhetik des modernen Romans", aber auch die Beiträge der anderen findet Bahnen nicht gerade originell und mutig. Schon interessanter scheinen ihm die "eingestreuten" Zitate, deren Quellen von Montaigne bis zum Radiosender Bayern 5 reichen.

© Perlentaucher Medien GmbH"