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Nach einem phantastischeren Buch kann man in der Weltliteratur lange suchen. Es handelt von Gott und der Welt, von Mathematik und von den Frauen, von Botanik und Okkultismus, Sprache und Religion. Unergründlich verschwistern sich in Strindbergs Buch, das er "die Synthese meines Lebens" nennt, Naturalismus und Metaphysik, Empirie und Spekulation. Gewidmet hat er es dem Mystiker Emmanuel Swedenborg. Aber seine kabbalistische Weisheitslehre ist durchschossen von einer erbitterten Zeitkritik. Von einerSeite zur andern wechselt der Tonfall. Man sieht dem Autor zu, wie er grübelt und wütet, sinnt…mehr

Produktbeschreibung
Nach einem phantastischeren Buch kann man in der Weltliteratur lange suchen.
Es handelt von Gott und der Welt, von Mathematik und von den Frauen, von Botanik und Okkultismus, Sprache und Religion. Unergründlich verschwistern sich in Strindbergs Buch, das er "die Synthese meines Lebens" nennt, Naturalismus und Metaphysik, Empirie und Spekulation. Gewidmet hat er es dem Mystiker Emmanuel Swedenborg. Aber seine kabbalistische Weisheitslehre ist durchschossen von einer erbitterten Zeitkritik. Von einerSeite zur andern wechselt der Tonfall. Man sieht dem Autor zu, wie er grübelt und wütet, sinnt und höhnt. Mit seiner "kontrainduktiven Methode", die das Verfahren der Surrealisten vorwegnimmt, brüskiert er die moderne Wissenschaft und provoziert nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch den heutigen Leser. Die plötzlichen Eingebungen, die ihn heimsuchen, entzünden sich an den banalsten Alltagserscheinungen. Die Nummer an einer Straßenbahn, der Flug eines Fischadlers: alles, was Strindberg beobachtet, kann halluzinatorische Ahnungen bei ihm auslösen. Und so verschwimmt auch vor den Augen des Lesers die Grenze zwischen schlichter Wahrnehmung und mystischer Erfahrung, Zwischen Realität und Esoterik.
Autorenporträt
August Strindberg wurde 1849 in Stockholm geboren und starb dort, nach langjährigen Auslandsaufenthalten, 1912. Er hinterließ ein riesiges Werk.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2005

Wüterich und Wunder
Die Lust am Falschen: August Strindbergs „Blaues Buch”
So blau wie in der neuesten Ausgabe war Strindbergs „Blaues Buch” noch nie: aus blauem Samt der Einband, hellblau die Seiten und dunkelblau die Schrift, dazwischen typographische Tupfen in Rot - selbst in der „Anderen Bibliothek” erscheint es in solcher Aufmachung als das ganz andere Buch. Strindberg gab seinen Büchern gern farbige Titel: „Das rote Zimmer” hieß ein früher Roman, „Schwarze Fahnen” sein letzter. Die erste Reihe deutscher Übersetzungen, von ihm selbst autorisiert, nennt man nach ihrem Einband die „gelbe Ausgabe”. Als „En blå bok” 1907 in Stockholm erschien, war der Titel in Dunkelblau auf hellblauem Grund zu lesen.
„Das Blaue Buch”, wie Angelika Gundlachs kommentierte Auswahl und Übersetzung heißt, lässt eine neuromantische Suche nach der blauen Blume erwarten. An Spekulationen des Autors über den verborgenen Sinn der Natur und des Lebens fehlt es hier in der Tat nicht. Wie Novalis, Erfinder und Finder der blauen Blume, so hat Strindberg hundert Jahre später Emanuel Swedenborg, den Naturforscher und Mystiker des 18. Jahrhunderts, zum Führer durch die dunklen Gebiete der Erkenntnis gewählt.
Die erste und vollständige Übersetzung ins Deutsche, 1908 von Emil Schering, hieß, weniger romantisch und dem Titel des schwedischen Originals näher, „Ein Blaubuch”. „Blaubuch” ist ein Fachausdruck der englischen Diplomatie: Er bezeichnet eine Sammlung von Dokumenten zum Konflikt des eigenen Landes mit einem fremden und trifft den Charakter von Strindbergs persönlichem „blå bok” besser als „Das Blaue Buch”: In knappen Notizen, schwankend zwischen Tagebucheintrag, Aphorismus und Kurzgeschichte, dokumentiert Strindberg seine Ansichten über Gott und die Welt und seinen konfliktreichen Umgang mit beiden.
Der Wahnsinn droht
Um der Unverbindlichkeit privater Aufzeichnungen zu entkommen, erfindet Strindberg für sie die Stimme einer höheren Autorität. Sie werden als Weisheiten eines von Gott (oder von Swedenborg) inspirierten „Lehrers” vorgetragen. Damit verschreibt Strindberg seinem von Depression und Paranoia bedrohten Gemüt eine Heilung durch den Glauben, freilich eines von ihm und für ihn persönlich hergestellten Glaubens.
Der Autor übernimmt die Rolle des Schülers, der nichts als zusammenhanglose oder besonders auffällige Einzelheiten wahrnimmt, und zugleich die des Lehrers, der mühelos die Synthesen des Kosmos und des Lebens verkündet. Religion - welche genau es sein sollte, bleibt, wie meistens in der Moderne, ungewiss -, Religion also übernimmt hier eine therapeutische Aufgabe: „Der Lehrer fuhr fort: Wenn dieses Unseligkeitsgefühl einen Ungläubigen trifft, äußert es sich als so genannter Verfolgungswahn. Er glaubt sich verfolgt von Menschen, die ihn z. B. vergiften wollen. Da seine Intelligenz so niedrig ist, daß er sich nicht zum Gottesbegriff erheben kann, dichtet sein böses Gewissen böse Menschen. So versteht er nicht, daß Gott ihn verfolgt, und deshalb kommt er ins Scheol oder ins Irrenhaus.” Hat man, wie Strindberg vermutet, alle Welt zum Feind, so braucht man Gott zum - manchmal unerbittlichen - Freund.
Da Gott selbst nicht spricht, hält sich Strindberg, wie die meisten Theosophen und Esoteriker, an die Stellvertreterin Gottes auf Erden: an die Natur. (Auch der Teufel hält, speziell für Strindberg, eine Stellvertreterin auf Erden bereit: die Frau.) Wie viele Künstler und Dichter um 1900, so setzt Strindberg dem Fortschritt der Naturwissenschaften, die vom Laien kaum noch zu verstehen sind, eine Naturauslegung entgegen, die dem Bedürfnis des Menschen besser entspricht: Ihm habe der ganze Kosmos, als wäre er ein Buch, etwas mitzuteilen - was jedoch seinerseits geheimnisvoll bleibt. Im Gesang der Nachtigall, im Duft der Rebenblüte seien Geister am Werk; ein in den Wiesen versteckter Vogel, der nicht fliegen könne, ziehe unsichtbar im Winter von Schweden nach Italien; der Mensch stamme nicht vom Affen ab, vielmehr der Affe von einer missratenen Abart des Menschen; die Schallwellen des Äthers lassen den Dramatiker in Stockholm den Applaus hören, den die Premiere seines Stücks in Berlin erhalten hat - und was der Wunder und Wunderlichkeiten mehr sind.
Die Drohung des Wahnsinns, unter der Strindberg litt, mildert sich durch solche göttliche Zeichen zum Spiel des Unsinns. Nähme der Leser den Anspruch dieses Schriftstellers ernst, dass er hier Wissen aus Erfahrungen darzubieten habe, so müsste man sich über solche Vergeudung des Verstandes und der Wörter ärgern. Doch als Träumereien eines Poeten genommen, gewinnen diese Märchen von einer anderen Natur einen romantischen Reiz. Jede Lektüre von Literatur erfordert eine Lust am Falschen.
Es gehört zu den Grundrechten der Poesie, Erkenntnisgewinne der exakten Wissenschaften missachten, missdeuten zu dürfen. Bei Strindberg steigert sich die misstrauische Selbstherrlichkeit zu dem Wahn, eine akademische Verschwörung glaubensloser Professoren habe die Wahrheit religiöser und telepathischer Erfahrung, wie sie dem begabten Subjekt möglich sei, zerstören wollen. Zu mehr als geistvoll-komischen Kuriositäten führen aber diese subjektiven Korrekturen der Naturgesetze nicht. Begründeter ist Strindbergs Misstrauen, wo es sich auf die Konventionen der Sprache und des gesellschaftlichen Verhaltens richtet. Dann bemerkt er, dass hinter Redensarten wie „die Hände ringen” oder „sich in Konvulsionen winden” keine Wirklichkeit steht: Nie habe er einen solchen Körperausdruck an Menschen beobachtet.
Selbst dem Reisen, einer lebenslangen Leidenschaft Strindbergs, nimmt er Ansehen und Zauber: „Das Verlangen zu reisen läßt sich teils aus Neugier oder Lust an Abwechslung herleiten, meist aber aus Hochmut und Schadenfreude . . . Und wenn sie selbst von der Sixtinischen Madonna oder vom British Museum sprechen, dann tun sie es, um sich überlegen zu fühlen und die armen Verwandten, die nichts von der Welt gesehen haben, niederzumachen." Wer die Menschen, sich selbst eingeschlossen, für Hochstapler und Egoisten hält, wird lieber unter den Sternen und Vögeln nach Zeichen der Wahrheit und des Einverständnisses suchen.
Zwischen die mürrischen Beobachtungen über seine Mitmenschen und den phantasievollen Vermutungen über die Natur sind in das Allerlei des „Blauen Buchs” kleine Szenen und Anekdoten eingestreut, aus denen der Autor ganze Dramen und Romane gemacht hätte, wenn er nun nicht zu alt, zu krank und dem Tod nahe wäre. Nachdem er ein Leben lang sinnliche Extreme gelebt und erdichtet hatte, wendet er sich nun in einer Mischung aus Altersweisheit und Alterstorheit dem Besinnlichen und Übersinnlichen zu. Darum schreibt er ins Blaue hinein, wo er bald seine wahre Heimat zu finden hofft. HEINZ SCHLAFFER
AUGUST STRINDBERG: Das Blaue Buch. Ausgewählt und aus dem Schwedischen übersetzt von Angelika Gundlach. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005. 420 Seiten, 30 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dies, soviel steht für Thomas Fechner-Smarsly fest, ist ein Buch wie kein anderes. Vom Jahre 1906 bis zu seinem Tod im Jahr 1912 hat August Strindberg - vom Erfolg verlassen - seine Ansichten über Gott und die Welt niedergeschrieben. Das ist sehr wörtlich zu nehmen, denn es kommen neben theologischen Erwägungen auch "Chladnis Klangfiguren", "Lears Weib", "die Windungen des Gehirns" und sehr vieles andere vor. Okkultes ist rechlich dabei, notiert der Rezensent, und gerade Strindbergs stets apodiktische Einmischungen ins Wissenschaftliche verdeutlichen, dass Strindberg mit dem Rationalismus auf Kriegsfuß stand. Das Motto beschreibt der Rezensent Thomas Fechner-Smarsly bündig so: "Erst spekulieren, dann experimentieren." In keiner Hinsicht nimmt Strindberg ein Blatt vor den Mund, das schließt auch persönliche Rachefeldzüge mit ein. Natürlich, das kann man der Rezension entnehmen, ist das in einem bestimmten Sinne nicht ernst zu nehmen. Andererseits aber hat Fechner-Smarsly das Buch offenkundig mit Begeisterung gelesen - zumal ihm die Auswahl durch Angelika Gundlach trefflich, die bibliophile Aufmachung durch Franz Greno ganz exquisit scheint.

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