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Nehmen wir kein Blatt vor den Mund: Die deutsche Geschichte hat uns manches versaut. Zu ihren Opfern zählt auch eine der erstaunlichsten Götterwelten der Welt: die nordische Mythologie. Von Richard Wagner ebenso genial wie schwerfüßig auf die Opernbühne verschleppt, von Chauvinisten und Rassisten vereinnahmnt, von den Nazis bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, fristet sie bis heute ein Schattendasein in der rechten Ecke. Wie tölpelhaft das war und ist, zeigt der Norweger Tor ge Bringsvaerd mit seiner rasanten Nacherzählung, die auf genauer Quellenkenntnis beruht und mit allen herrschenden…mehr

Produktbeschreibung
Nehmen wir kein Blatt vor den Mund: Die deutsche Geschichte hat uns manches versaut. Zu ihren Opfern zählt auch eine der erstaunlichsten Götterwelten der Welt: die nordische Mythologie. Von Richard Wagner ebenso genial wie schwerfüßig auf die Opernbühne verschleppt, von Chauvinisten und Rassisten vereinnahmnt, von den Nazis bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, fristet sie bis heute ein Schattendasein in der rechten Ecke. Wie tölpelhaft das war und ist, zeigt der Norweger Tor ge Bringsvaerd mit seiner rasanten Nacherzählung, die auf genauer Quellenkenntnis beruht und mit allen herrschenden Klischees aufräumt. Was dabei zum Vorschein kommt, überrascht durch Originalität, Humor und Weisheit. Die Götter des nordischen Olymps sind schon dadurch einzigartig, daß sie weder unsterblich, noch allwissend, geschweige denn allmächtig sind. Odin erschafft eine Welt, die ihm rätselhaft erscheint. Sein Freund Loki ist ein intelligenter Trickser, der vor keinem Betrug zurückschreckt. Die Li ebesgöttin Freia kann allen helfen, nur sie selber leidet an chronischem Liebeskummer. Immerzu ist die Herrschaft der Asen durch ältere Mächte bedroht. Sie müssen sich ihrer Haut wehren, und sie geben nie auf. Ihre Geschichte kennt zahllose Abenteuer; ein Happy-End ist allerdings nicht vorgesehen. Eine so große europäische Tradition kampflos den Dumpfhirnen zu überlassen, grenzt an Verblendung.
Die zwölf Kapitel des Buches werden ergänzt durch Aufsätze der deutschen Bearbeiter und durch ein ausführliches Register aller handelnden Personen, das auch die isländischen Quellen Bringsvaerds nachweist.
Autorenporträt
Tor Åge Bringsværdt , 1939 im norwegischen Skien geboren, lebt in Hølen am Oslofjord. Er hat viele Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Kinderbücher publiziert. Bringsværds Werke sind in fünfzehn Sprachen übersetzt, und seine Theaterstücke wurden bisher in dreizehn Ländern aufgeführt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.01.2002

Die Mächte vergehen wie Eis an der Sonne
Was einer weiß, bleibt zweien nicht verborgen: Tor Åge Bringsværd macht die nordischen Götter munter
Wir leben unter der Hirnschale eines Riesen, und die Wolken am Himmel sind die zerflatterten Reste seines Gehirns, das die Götter in die Luft warfen, nachdem sie ihn im Schlaf getötet hatten. Sein Blut ist das Meer, sein Fleisch das feste Land, und wenn wir auf Bergen und Klippen herumklettern, bewegen wir uns auf Riesenknochen. Aber wir wissen es nicht, weil wir die Bildersprache der Natur nicht mehr verstehen und die Stimmen ihrer Geister nicht mehr hören. Nur auf einer dampfenden Insel im Nordatlantik stehen die Menschen angeblich noch in Verbindung mit den Wesen, die vor uns die Welt bevölkerten, und mit denen, die sie erschufen. Man sagt deshalb gern, dass alle Isländer entweder verrückt oder Dichter seien.
Sicher ist, dass auf jener Insel zwischen dem achten und dreizehnten Jahrhundert der größte Teil dessen entstand, was wir vorsichtig „die klassische Literatur der germanischen Völker” nennen. Vorsicht scheint uns geboten, weil wir zur nordischen Mythologie, die erst in der Romantik aus dem Halbdunkel volkstümlicher Überlieferung ins Licht systematischer Erforschung trat und bald darauf in einen unheilvollen nationalistischen Kontext geriet, ein gestörtes Verhältnis haben. Richard Wagners genial verschwurbelte Adaptation wies den Weg zur Vereinnahmung des Stoffes durch Chauvinisten und Rassisten, schließlich zu den üblen Anstrengungen von Nazis und Neonazis, die klangvollen Namen und einprägsamen Symbole politisch zu instrumentalisieren. Dadurch wird den skandinavischen Ländern bis heute der unbefangene Umgang mit dem eigenen Kulturerbe erschwert, und im deutschen Sprachraum kann sich noch immer leicht verdächtig machen, wer der „Edda” ein mehr als philologisches Interesse entgegenbringt.
Dass die Sammlung altnordischer Götter- und Heldenlieder, deren Originalhandschrift 1662 von Island nach Dänemark gebracht wurde und mehr als dreihundert Jahre später an ihren Ursprungsort zurückkehrte, von wagnerisch wabernden Weihespielen um Seemeilen entfernt ist, soll nun nicht länger das Geheimwissen von Skandinavisten bleiben. Für den zweihundertsten Band der „Anderen Bibliothek” hat Hans Magnus Enzensberger gemeinsam mit seiner in Norwegen lebenden Tochter Tanaquil die Prosa-Nacherzählung von Tor Åge Bringsværd ins Deutsche übersetzt. Der norwegische Autor, bekannt geworden vor allem mit Science Fiction, Fantasy- und Kinderbüchern, traf in seiner vor fünf Jahren erschienenen „Edda”-Version einen Ton, der die Nebel über Niflheim und Muspilheim vertreibt und, passend für jedes Lesealter, die Bewohner des nordischen Olymps als eine buntscheckige, skurrile, launische und anrührend anthropomorphe Sippe vorführt: So rüpelhaft wie empfindsam sind sie alle, dazu fehlbar und sterblich, und nicht nur bei Loki, dem notorischen Störenfried, muss man ständig auf böse Überraschungen gefasst sein.
Im Mittelpunkt steht der Götterkönig Odin, „der Einäugige”, der Bringsværds Fassung den Originaltitel gab. Ein Auge hat er, um Weisheit zu erlangen, dem Riesen-Schamanen Mime geopfert; mit dem anderen blickt er grübelnd, zweifelnd und am Ende schaudernd auf die zerbrechliche Welt, über die er herrscht, ohne sie recht zu begreifen. Um ihn herum lieben und leiden, jagen und feiern, rauben und raufen seine göttlichen Verwandten, pausenlos im Clinch mit ihren Erbfeinden, den Riesen oder Trollen, was hier tatsächlich dasselbe ist. Irgendwo dazwischen liegt die Sphäre der Menschen, die mit ihrem orientierungslosen Gewusel das Interesse und das Mitleid ihres Schöpfers Odin erregen. Gefallen findet er gleichwohl daran, dass sie „voller Leben” sind.
Das Götterreich nämlich ist von Stillstand bedroht; irgendwann werden dort keine Kinder mehr geboren, und der alternde Obergott orakelt: „Unsere Zeit neigt sich dem Ende zu.” Wie das Ende aussehen wird, zeigt ihm Völva, die Wahrsagerin, in einer schreckenerregenden Vision: Nach dem längsten und eisigsten aller Winter, Fimbul genannt, wüten blutige Schlachten und Bruderkämpfe, bis Götter- und Menschenwelt in Flammen aufgehen. Ragnarök, die Götterdämmerung, ist „die Zeit, da Mächte vergehen wie Eis an der Sonne”. Was nicht heißt, dass nach einer kleinen Ewigkeit nicht neues Leben aus Ruinen blühen kann.
Tor Åge Bringsværd knüpft mit seiner Bearbeitung an eine lange Traditionskette an, denn seit ihrer schriftlichen Fixierung im Mittelalter sind die „Edda”-Dichtungen, die zuerst nur mündlich weitergegeben wurden, immer wieder neu erzählt, übersetzt und umgedeutet worden. Dass moderne Prosafassungen die Sprachmagie der altnordischen Gesänge, ihre Metaphorik und damit einen großen Teil ihrer rätselvollen Substanz nicht darstellen können, versteht sich von selbst. Bringsværds Götter-Roman in zwölf Kapiteln besitzt neben seiner mitreißenden Lebendigkeit mindestens zwei Vorzüge: Er vermittelt etwas von dem eigenartigen, leicht ironischen Understatement-Ton, der die gesamte altnordische Literatur kennzeichnet, und er setzt die überlieferten Mythen-Fragmente so zusammen, dass eine Chronologie sichtbar wird, eine fortlaufende Erzählung, die von der Schöpfung über das Weltende bis zu einem geträumten, paradiesischen Neubeginn reicht. Bei aller märchenhaften Anmutung wird sichtbar, welch ein farbiges und differenziertes Welterklärungsmodell in der Bilderflut jener Geschichten seinen Ausdruck fand.
„Eine so große europäische Tradition kampflos den Dumpfhirnen zu überlassen, grenzt an Verblendung”, heißt es im Sponti-Jargon auf dem Pappschuber, der den goldenen Einband schützt. Drinnen aber geht es so seriös wie preziös zu, mit Illustrationen von Johannes Grützke, detailliertem Register und erhellendem Kommentar zur Quellen- und Rezeptionsgeschichte von Tanaquil Enzensberger. „Was einer weiß, bleibt zweien nicht verborgen, und was drei wissen, wissen alle”, lautet eine von Odins Lebensregeln aus der Spruchsammlung „Hávamál”, die im Volksmund Norwegens noch heute kursiert.
So wird es sich hoffentlich auch bei uns bald herumgesprochen haben, dass die nordische Götterszene wieder zur Besichtigung freigegeben ist. KRISTINA MAIDT-ZINKE
TOR ÅGE BRINGSVAERD: Die wilden Götter. Sagenhaftes aus dem hohen Norden. Aus dem Norwegischen von Tanaquil und Hans Magnus Enzensberger. Mit 77 Zeichnungen, Initialen und Vorsatz von Johannes Grützke. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 312 Seiten, 29,65 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2002

Im Zauberspiegel
Tor Åge Bringsværd erzählt die Edda neu

Wie es sich gehört, trägt der zweihundertste Band der "Anderen Bibliothek" den Namen Enzensberger. Zusammen mit seiner in Norwegen lebenden und diesmal federführenden Tochter Tanaquil Enzensberger präsentiert der Bibliotheksleiter persönlich die deutsche Bearbeitung eines norwegischen Buches, das nichts Geringeres erzählt als die mythische Geschichte der Welt von der Erschaffung bis zu ihrem Untergang. Geschrieben hat sie vor fünf Jahren der norwegische Schriftsteller Tor Åge Bringsværd; die Enzensbergers haben sie nun zum Jubiläum übersetzt und mit Kommentaren, ausführlichem Personenregister und Quellenverzeichnis versehen, und schließlich hat Johannes Grützke das Ganze mit kongenialen Illustrationen und Initialen ausgestattet. Das Ergebnis ist ein Fest für die Bibliothek und für ihre Leser.

Bringsværd vollbringt das Kunststück, auf zweihundertfünfzig Seiten die gesamte altnordische Mythologie zu erzählen, frei von Nebelschwere und Waberlohe, als einen anmutigen und leichtfüßigen, am Ende ergreifenden Roman von Aufstieg und Fall der Götter und ihrer Welt. Auf die Übermacht des Stoffes und seiner nicht nur in Deutschland heiklen Rezeptionsgeschichte antwortet er mit einem lapidaren Tonfall, der das Pathos auf Abstand hält, grundiert von einer gedämpften Ironie, etwas salopp, manchmal respekt-, aber nie taktlos. Die Überlieferungen der "Edda" lese er, hat Bringsværd erklärt, als "eine lange Erzählung, die wie ein großer Spiegel zerbrochen ist. Seine Scherben möchte ich wie ein großes Puzzle wieder zusammensetzen, und dazu ist ein Nacheinander nötig." Der durch Chronologie, psychologischen Scharfblick und Spielfreude hypothetisch wieder zusammengesetzte Spiegel ist dieses Buch, ein großes Epos im kleinen Format.

Was er zeigt, sind so viele Wunder und Rätsel, daß man versteht, warum schon die wikingischen Zuhörer außer sich waren vor Staunen und Vergnügen. Da gibt es das wunderbare Götterschiff Skidbladner, das immer Rückenwind hat und sich auf Taschentuchgröße zusammenfalten läßt, und den goldenen Eber Gullborste, der nicht nur schneller ist als jedes Pferd (eine von den abenteuerlustigen Göttern dankbar genutzte Fluchthilfe), sondern luxuriöserweise sogar im Dunkeln leuchtet. Da ist Thors mächtiger Zauberhammer Mjölner, der enormen Lärm veranstalten kann und von jedem Wurf wie ein Bumerang zurückkehrt. Da trainieren untote Geisterreiter mit Flammenschwertern für die letzte Schlacht; Meermänner und Meerfrauen in Tiefseeschlössern gibt es zu sehen, ungeheure Adler und allwissende Raben, Trolle und Nornen und in der Burg von Jotunheim den berühmten Geiröd. Der ist "so groß und häßlich, daß nur seine beiden Töchter, die häßliche Greip und die abscheuliche Galp, seinen Anblick ertragen können". Ganz so schlimm ist es aber doch nicht mit der Häßlichkeit, denn Geiröd hat, was in dieser Welt keineswegs selbstverständlich ist, wenigstens "nur einen Kopf". Auch die Menschen tragen hier Namen, die selbst durch Tolkiens Adaptionen nicht übertroffen worden sind. "Raudung" heißen sie oder "Gambara" oder "Aurwandil"; noch der gräßliche Winter am Ende der Welt wird "Fimbul" heißen. So liest man und staunt und lernt nicht aus.

Himmel und Erde sind die Schauplätze, die Tiefen des Eismeers, die norwegischen Fjorde und die russischen Steppen und einmal auch das Land der Finnen. In dieser Welt agieren die wilden Götter. Sie sind die eigentlichen Helden der Geschichte - Iduna beispielsweise, die leider extrem vergeßliche Göttin ewiger Jugend, oder die ewig pubertierende Liebesgöttin Freia oder Baldur, "eine Lichtgestalt" mit dunklen Ahnungen. Aber auch die schwierige Ehe Odins und Friggas gibt es, mit Ehebruch und Entfremdung und den stummen Umarmungen im Ehebett, wenn der verzweifelte Göttervater sich in den Schlaf weint.

Weder Heldentenöre noch Knallchargen sind diese Himmlischen, sondern überaus gemischte Charaktere - komisch, elend, vorübergehend glücklich und dann wieder tobend "vor Zorn und Begierde". Im Zentrum nicht nur der Götterwelt, sondern auch dieses Buches steht ihr Anführer, Odin. "Der Einäugige", lautet der norwegische Originaltitel, und er bezeichnet diese Sonderstellung genauer als der Enzensbergersche. Der Einäugige ist die imponierendste und rührendste Gestalt dieser Geschichte. Als seine Schöpfung noch neu war, da war auch er selbst "noch ein sehr junger Gott, dem es an Selbstvertrauen fehlte", dafür war er wenigstens, wie Loki sich neidvoll erinnern wird, "der geilste und wildeste von uns allen". Erst allmählich lernt er, heranwachsend, sich selbst und die Welt einigermaßen kennen. Auch die Zauberkunst muß er sich mühsam erwerben, und auf das Weissagen versteht er sich niemals so ganz. Aber erst durch diese Mühsal hindurch wird der junge Gott zum "Götterkönig", zu dessen Größe es gehört, daß er seine Grenzen kennt. Denn so groß seine Macht und sein Wissen sind, allmächtig und allwissend ist er nicht. So hat er immerfort Grund zum Grübeln, und mit den Albträumen vom Weltuntergang quält ihn auch die Frage, warum er eigentlich da ist, wenn doch alles Geschehen einer schicksalhaften Bestimmung folgt. "Wer bin ich?" fragt er die Nornen. Ein Gott als zweifelnder Theologe seiner selbst - das ist ein eigenartiger Anblick.

Die Fragen nehmen kein Ende. Was kann Odin dafür, daß er die Verantwortung tragen soll für eine Schöpfung, die sich seinem Zugriff und beinahe auch seinem Verständnis entziehen will? Daß die Erschaffung der Welt und ihre Beherrschung nur um den Preis von Morden möglich sind, daß sie bezahlt sind mit mythischer Ur-Schuld? Odins Widersacher in diesem Weltspiel ist der ihm in Haßliebe verbundene Loki. Zunächst erscheint er nur als eine Art Vorgänger J. R. Ewings in der Seifenoper von Walhall. Doch auch er gerät bald in die unauflösliche Spannung von Willensfreiheit und mythischem Zwang. Denn was kann Loki dafür, daß er der Trickser in diesem Spiel sein muß, der mephistophelische Verführer? Warum bleibt es ihm überlassen, am Ende alles Entstandene wieder zugrunde gehen zu lassen, ihn selbst eingeschlossen? Keine Antwort auch hier.

Die Menschen erscheinen erst spät auf der Szene, als interessante Quälgeister und Nervensägen. Zugleich Trolle und Götter seien sie, meint Odin, und auch wieder keines von beiden. Mitleidig sieht er zu, wie ihr Leben allzu schnell vorübergeht und sie "fast nie wissen, was sie tun und lassen sollen". Beides unterscheidet sie nur graduell von ihm; aber er hat mehr Zeit als sie, darüber nachzudenken. Und sollte zwischen Göttern und Menschen vorübergehend Frieden herrschen, gibt es ja immer noch die Trolle und Riesen und Zwerge. Einer von ihnen, ein unermeßlich reicher Zwerg, macht üble Schwierigkeiten, in denen ein gewisser Ring eine Rolle spielt und die ein menschlicher Held namens Sigurd beheben muß; beiläufig ist auch von Wälsungen und Walküren die Rede. Wie Bringsværd das Wagner-Problem seines Unternehmens löst, indem er diese Episode fast nebenbei aus der Perspektive des vom himmlischen Logenplatz aus zusehenden Odin schildert, das ist eines seiner Kabinettstücke.

Die Machtverteilung zwischen Menschen, Unter- und Überirdischen bleibt ungeklärt - bis ans Ende, das sie alle verschlingt. Sehr allmählich verdunkelt sich Bringsværds Zauberspiegel. Am Rande der Welt, die er zeigt, hat immer schon eine Riesin gelebt, die unablässig Wölfe gebiert, und mit jeder Geburt nimmt die Kälte zu. Seit es die Zeit gibt, ist es kälter geworden, und weil manche der Wölfe auch Sonne und Mond immerfort über den Himmel jagen, ist auch das Licht nicht von Dauer. Es hat nur lange niemand auf die Zeichen geachtet, auch der Leser nicht. Irgendwann aber zieht der erste der Götter fröstelnd die Schultern zusammen, dann erfaßt auch die Menschen ein Schaudern, und wenn der Frühling fahl bleibt, ist es zu spät. Aber das war es ja eigentlich schon von Anfang an.

Am Ende, wenn die Wolfszeit gekommen ist und er bei der weissagenden Völva die Götterdämmerung geschaut hat, sagt Odin seinen großen letzten Satz: "Ich mochte die Welt." Man kann ihn verstehen, nach der Lektüre noch besser als zuvor. Kompakt wie das zusammengelegte Zauberschiff Skidbladner ist dieses Buch, dabei temporeich wie der goldene Eber und funkelnd wie Thors Zauberhammer. Von Tor Åge Bringsværd kunstreich zusammengesetzt, bilden die mythischen Splitter ein speculum mundi von erstaunlicher Tiefenschärfe. Man kann sich nicht satt sehen daran.

Tor Åge Bringsværd: "Die wilden Götter". Sagenhaftes aus dem hohen Norden. Deutsche Fassung von Tanaquil und Hans Magnus Enzensberger. Mit 77 Zeichnungen, Initialen und Vorsatz von Johannes Grützke. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 312 S., geb., 29,65 [Euro].

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