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Der junge Moskauer Journalist Sascha erhält den Auftrag, für sein Blatt einige Porträts nach New York ausgewanderter Russen zu verfassen. In Brooklyn, wo in "Little Odessa" mehrere hunderttausend russische Emigranten leben, lernt er den mysteriösen Geschäftsmann Markow kennen. Er spürt bald, dass den todkranken Zar von Brooklyn ein bedrohliches Geheimnis umgibt. Zurück in Moskau erkennt Sascha, dass sich auch der ehemalige KGB und mächtige Verbrechersyndikate für Markow interessieren. Auf der Suche nach der Wahrheit gerät Sascha zwischen die Mühlsteine der wahren Machthaber Russlands und…mehr

Produktbeschreibung
Der junge Moskauer Journalist Sascha erhält den Auftrag, für sein Blatt einige Porträts nach New York ausgewanderter Russen zu verfassen. In Brooklyn, wo in "Little Odessa" mehrere hunderttausend russische Emigranten leben, lernt er den mysteriösen Geschäftsmann Markow kennen. Er spürt bald, dass den todkranken Zar von Brooklyn ein bedrohliches Geheimnis umgibt. Zurück in Moskau erkennt Sascha, dass sich auch der ehemalige KGB und mächtige Verbrechersyndikate für Markow interessieren. Auf der Suche nach der Wahrheit gerät Sascha zwischen die Mühlsteine der wahren Machthaber Russlands und bekommt zu spüren, dass niemand der grausamen Realität des Ostens entkommen kann. In seinem sprachmächtigen, an den großen russischen Erzählern geschulten Roman entfaltet Ulrich Schmid ein figuren- und geschichtenreiches Panorama und macht die unüberwindlichen Gegensätze zwischen der russischen und der westlichen Mentalität anschaulich. Mit Sascha, dessen amerikanischer Freundin Tracy und dem faszinie renden Markow hat er unvergessliche Figuren geschaffen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Ostküstenherbst und Moskauer Luft
„Der Zar von Brooklyn”, Ulrich Schmids russisch-amerikanischer Erstlingsroman
„Kleine Augen, kleine Nasen, kleine, in heilloser Anstrengung pfeifende Münder, bedrängt von fleischigen Wangen. Auf den Gelenken stauen sich die Fleischsäcke, auf den Kniescheiben bildet sich eine Falte, die aussieht wie ein angewiderter Mund. Auf dem Grundfett türmen sich Berge von wabbeligem Oberflächenfett. Mit hohlem Kreuz, feierlich wie Monarchen schreiten sie einher, den Körper abdrehend bei jedem Schritt, unsichtbare Untertanen grüssend”. Gemeint sind „die Dicken” Amerikas; seine wahren Fürsten, die „Hochübergewichtigen”: Sie „sind imposante, wandelnde Tragödien. Ich mag sie. Sie haben gemerkt, dass das Leben leer ist, weil es keine Gefahr mehr gibt und keine Not und keine Abenteuer und keinen Wilden Westen, und drum fressen sie sich zurück durch den Berg aus süßem Brei ins Schlaraffenland der Fettleibigkeit, damit sie wieder leiden und hoffen können. In einem Supermarkt gibt es keine Hoffnung. Alles ist da. ”
Die Beobachter sind Alexander Michailowitsch Zwetkow, genannt Sascha, und seine amerikanische Bekannte, die Slawistik-Studentin Tracy. Sie streifen durch New York, oft auf der Suche nach Dicken, die Tracy fotografiert, am liebsten im Zoo (dort steht hinter jedem von ihnen ein Zebra). Für Sascha ist vorerst die ganze Stadt ein friedlicher Urwald: Er ist zum ersten Mal da, von der Zeitung Sputnik geschickt, ein junger Moskauer Journalist, der das Emigrantenleben im Russenviertel Brighton Beach am Beispiel des nur mittelmässig erfolgreichen Elektrohändlers Gennadi Borrisowitsch Markow, eines krebskranken, stinkenden alten Mannes, eines ehrfurchtgebietenden Erzählers, der auf Sasche wie Der Zar von Brooklyn wirkt. Die Reise war die Belohnung für eine preisgekrönte Reportage. Sascha freut sich, verliebt sich, ist arglos. Bald wird er seinen Job verlieren und seine Freundin in Moskau, und er weiss noch gar nicht, wie gut er die russische Mafia, zu der Markow nicht gehört, noch kennenlernen wird.
Ulrich Schmid, 1954 geboren, war von 1990 bis 1995 Russland-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, dann schrieb er vier Jahre aus Washington, seit kurzem berichtet er aus Peking. Schmid hat schon ein Sachbuch über die russische Mafia geschrieben. Doch sein erster Roman, ein wälzerdickes Russland- und Amerikawerk, ist, inhaltlich wie formal, weit mehr als eine aktuelle Riesenreportage. Einleuchtender als der Vergleich mit Ingo Schulzes 33 knappen Petersburger Glücksmärchen, wirken Parallelen zu Petra Morsbachs Leningrad-Roman Und plötzlich ist es Abend. Schreibweise und Inhalt sind verschieden (Morsbachs lakonische Geschichte eines paradigmatischen Frauenlebens steht gegen einen politischen Bildungsroman, auf Parzival-Muster mit Krimi-Elementen erzählt). Doch in einem sind sich die beiden Texte einig: Sie vermeiden die beliebte „ich als deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland”-Perspektive. Beide versuchen einen Blick aus dem Inneren des „anderen” Landes heraus; was äußerst schwierig ist, aber auch Ulrich Schmid verblüffenderweise gelingt. Obwohl er den noch etwas gefährlicheren Weg geht: Statt Morsbachs distanzierter Perspektive („Ljusa geht die Straße entlang”) wählt er die Ich-Erzählung. So verbirgt sich Schmid, nach eigenem Bekunden ein von der Lewinsky-Affäre ebenso angeekelter wie gelangweilter Amerika-Korrespondent, hinter dem jungen Kollegen Sascha, der die Staaten mit russischen Augen sieht. Mittels Mimikry objektivert er damit den eigenen Lebensweg von Ost nach West, die Ankunft in einer neuen Welt.
Sascha, Schmids Held, der wieder nach Russland zurückkehrt und dort zum Schluss des Romans auch bleibt, ist ein gescheiter Durchschnittsmensch, ein neugieriger Melancholiker, ein Mann mit wenigen Eigenschaften, dessen Wahrnehmungen auf unauffällige Weise differenziert sind. Schmid verhilft dem literarisch traditionsreichen Gesetz von der notwendigen „Wahrscheinlichkeit” der Handlungen wieder in die Gegenwart. Das heißt er schreibt einen psychologischen, körpergenauen Realismus, der natürlich die Frage weckt, ob die Art, in der hier erzählt wird, nicht verboten altmodisch sei? Aber die Anziehungskraft dieses Zaren-Romans liegt gerade darin, dass sein eleganter, weitschweifiger Realismus, den im deutschsprachigen Raum kaum einer mehr versucht oder beherrscht (das letzte verwandte Beispiel war Selige Zeiten, brüchige Welt, Robert Menasses bislang bestes Buch) inzwischen nicht mehr alt, sondern wieder „neu” wirkt. Der Begriff des Neuen ist ohnehin offener, als man denkt. Nur das vor kurzem Vergangene,hat gerade keine Chance mehr. Das zwei, drei Generationen Zurückliegende kann man wieder lesen.
„Oh Lord, ist das Leben schön, und zu Banjoklängen rasten wir in den rotorangen Sonnenuntergang. ” Oft ist Schmid ein mit dicken Farben auftragender, sinnlicher Porträtist (am besten gelungen das Markow-Bild, das den ganzen Roman prägt); er zeigt, wie sich die Liebe (der schüchterne Sascha hat Erfolg) zu Tracy und Galja entwickelt und wieder vergeht; er beschreibt Sex so sachlich und lustvoll-ironisch wie er schwärmerisch vom goldenen Ostküsten-Herbst und der Moskauer Luft reden kann. Und er vermittelt dabei in all dem Raum, den er sich lässt, ein überzeugenderes Bild der neuen russisch-amerikanischen Mittelschicht, als so manche Reportage, die durch ihren Zwang zur „Auffälligkeit”, „Besonderheit” oft an der Lebenswelt vorbeistürmen muss.
Manchmal verliert Schmid das Bewusstsein, dass die Tradition des literarischen Realismus, ob nun russisch, französisch oder deutsch, ein mikroskopisches Interesse an Wirklichkeit, Geduld und Genauigkeit in ihrer Wahrnehmung verlangt. Dann häufen sich floskelhafte Formulierungen („leise Belustigung”, „schnaubte verächtlich”). Aber das sind eher Nebensächlichkeiten, bei diesem aufschlussreichen Aufklärungsstück über russisch-amerikanische Befindlichkeiten, diesem schönen literarischen Krimi. Über den man, weil er gut geschrieben ist, durchaus verraten kann, dass er formal ein einziger, 500 Seiten langer, rückblickend erzählter Brief Saschas, nämlich sein Aufnahmegesuch in den abgehalfterten KGB ist. Ulrich Schmid kann, was von der deutschsprachigen Literatur immer wieder gefordert wird: erzählen.
HANS-PETER KUNISCH
ULRICH SCHMID: Der Zar von Brooklyn. Roman. Eichborn. Berlin, Berlin 2000. 516 Seiten, 49,80 Mark.
Ulrich Schmid
Foto: Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2000

Fischauge, sei wachsam!
Wodka-Fondue: Ulrich Schmids Roman "Der Zar von Brooklyn"

Ulrich Schmid arbeitete von 1990 bis 1995 als Auslandskorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" in Moskau. Die nächsten vier Jahre verbrachte er als Korrespondent in Washington. Der Schweizer Kosmopolit beweist nun erstaunlichen Orientierungssinn, indem er ein Romandebüt über Russland auf postsowjetischem Schlingerkurs vorlegt - aus der Perspektive eines Moskauer Journalisten. Der Erzähler Alexander Michailowitsch Zwetkow, genannt Sascha, ist 31 Jahre alt und Redakteur bei der Zeitschrift Sputnik. Bei einem Journalistenwettbewerb gewinnt er eine Reise nach Amerika. Während seiner Recherchen über russische Einwanderer lernt er in "Little Odessa", Brooklyn, einen todkranken mysteriösen Import-Export-Millionär kennen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Vater-Sohn-Beziehung. Aber schnell tauchen blasse, fischäugige Gestalten auf, errichten ihre Drohkulisse aus abgewetzten Lederjacken, Tätowierungen und bedrohlich knackenden Fingergelenken, kippen Gartenstühle um und fordern Schutzgeld. Was erst nach provinziellem Kleinkriminellenmilieu aussieht, entpuppt sich nach und nach als eine kriminalistische Internationale, in der ehemalige Genossen des KGB die Schlüsselpositionen besetzen.

Die Schlapphüte aus der Lubjanka haben überall ihre Finger im Spiel. Und weil die Realität bekanntlich die Kunst imitiert, bekommt Russland demnächst mit Putin einen Präsidenten, der nach eigenen Angaben seine Berufung zum Geheimdienstler schon als Neuntklässler verspürte. Sascha gerät immer tiefer in undurchsichtige Verstrickungen und verliert immer mehr den Überblick. Um ihn herum wird gemordet, er selbst wird verschleppt, erniedrigt und geschlagen. Gleich einem postsowjetischen Simplicissimus durchquert er die transatlantischen mafiosen Wirrnisse. Parfümbesprenkelt treten millionenschwere "Biznismeni" aus ihrer Schattenwirtschaft und erobern Saschas gute Stube: "Federnd kam er mir durchs Wohnzimmer entgegen, als habe er sich eben von einer Liane aus dem Dschungel der russischen Wirtschaft zu uns herabgeschwungen." Gepanzert die Limousinen, verspiegelt die Sonnenbrillen. Die undurchschaubaren Organisationsstrukturen der Mafia reflektieren die Unübersichtlichkeit der neuen russischen Verhältnisse: Wer ist hier Strippenzieher, wer nur Marionette? Nicht weniger rätselhaft als die ehrenwerte Gesellschaft sind die internationalen Frauen. Die Amerikanerin duftet verführerisch im Nacken, die Russin hingegen riecht phantastisch hinterm Ohrläppchen. Aber beide verdrehen sie Sascha den sowieso schon schwer desorientierten Kopf. Betrügereien, Seitensprünge, Überkreuzverflechtungen: die Welt der organisierten Versprechen.

Ulrich Schmid untergräbt mit seinem Roman das Bedürfnis nach Authentizität und Folklore. Es ist verblüffend, wie überzeugend ein Schweizer aus der Sicht eines Russen über Russland und die Vereinigten Staaten schreiben kann. Zwischen Wodka und Fondue scheint die Chemie zu stimmen. Listig stimmt Schmid einen "Komm, Brüderchen, setz dich erst mal und nimm einen Schluck"-Ton an und vermittelt dem Leser das Gefühl, haargenau so müsste ein Russe schreiben, niemals hätten Russen anders geschrieben. Er entlarvt das Klischee der unergründlichen russischen Seele, indem er ihren vermeintlich so unnachahmlichen Tonfall glaubhaft imitiert. Mit der Mythologisierung von Nationalcharakteren betreibt er ein spöttisches Spiel.

"Der Zar von Brooklyn" ist ein perfekter Schmöker. Russlands Weite hat Schmid zu epischer Breite inspiriert. Typisch russisch? Verwirrend. Schmid beherrscht ebenso den schnellen Dialog wie die weit ausholende, rhythmisierte Beschreibung. Wenn dem Helden in dunklen Spelunken der Arm ausgekugelt wird, ändert man mitfühlend die Position im Lesesessel; bekommt Sascha Schläge auf die Ohren, hört man das nachschwingende Trommelfell in Dolby-C-Surround-Sound; und stürzt er in ein Eisloch, dreht man die Heizung höher. Als hätte Schmid nach einer programmatischen Ouvertüre für sinnliche Prosa gesucht, beginnt er seinen Roman nach dem Prolog mit einer langen Beschreibung der unterschiedlichen Gerüche Moskaus und treibt im gleichen Atemzug die gogolsche Phänomenologie des Riechorgans um drei, vier Nasenlängen voran. Für Sinneseindrücke findet Schmid Bilder von halluzinogener Präzision: "Einmal merkte ich, daß sie beim Sprechen auf meine Nase schaute, und ich spürte, wie unter ihrem Blick meine Schleimhäute trocken wurden und zu jucken begannen." Und immer wieder fließt die Moskwa durchs Bild, Parallelstrom im Cinemascope-Format zu Schmids mitreißendem Erzählfluss, der einen davonträgt, "als glitten wir ... dahin, von einer sanften Naturgewalt getrieben, einem Floß in der Strömung gleich".

Der Journalist Sascha richtet seine Erzählung als eine Art fünfhundertseitiges Bewerbungsschreiben an den Vorstandsvorsitzenden der ominösen Holding Aljans, den geheimnisvollen Iwan Andrejewitsch Gubin. Diese ungewöhnliche Bewerbung ist dicht besetzt mit Prosa-Perlen, ebenso wie eine Fernsehwand in einem Brooklyner Elektrogeschäft funkelt sie "wie ein von innen beleuchteter Eisberg". Wenn dieser Iwan Andrejewitsch auch nur den geringsten Sinn für erzählerische Pracht hat, wird er Saschas Bewerbung annehmen. Selbst in typischen Mafiakiller-Szenen bleibt Schmids Bilderwelt von preziöser Eleganz: "Dennoch wirkte er elastisch, ja dehnbar; bestimmt hätte sich sein Körper in die Länge gezogen wie Teig, wenn man ihn an einem Haken aufgehängt hätte." Während sich in der Literaturszene Russlands die unterschiedlichsten jungen Wilden austoben, setzt Schmid dem russischen Chaos geschmackvolle Schweizer Präzisionsarbeit entgegen. Dabei nimmt er Maß an Pasternak, nicht an Belyj. Während sich der Held am Ende seiner Abenteuer nach klaren Hierarchien und festen Strukturen sehnt, bemüht Schmid noch einmal den klassischen Formenkanon. Das ist vielleicht nicht ganz auf der Höhe der turbulenten Zeit, aber sehr spannend und genussreich. Seit September 1999 ist der Autor als Korrespondent seiner Zeitung in Peking beschäftigt. Man kann nur hoffen, dass die Zürcher Personalpolitik mitspielt und Ulrich Schmid demnächst einen einfühlsamen, kenntnisreichen und unterhaltsamen "Mandarin von Dschibuti" vorlegt.

STEPHAN MAUS

Ulrich Schmid: "Der Zar von Brooklyn". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000. 516 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Geradezu verzückt äußert sich Hans-Peter Kunisch über diesen Roman eines Schweizers, der aus der Ich-Perspektive eines russischen Journalisten über New York erzählt. Der Rezensent staunt über die Einfühlung in seinen Charakter, zu der Schmid - ehemals Moskau-, dann Amerikakorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung - fähig sei, so dass man ihm als Leser seine Anverwandlung an seinen russischen Helden durchaus abzunehmen scheint. Was auch immer in den Blick dieses jungen Russen hineingerät, ob es die in den USA so häufigen "Hochübergewichtigen" sind oder die russische Mafia - Kunisch findet es mit "körpergenauem Realismus" erzählt. Das Bedenken, ob dieser Realismus etwas Altmodisches sei, wischt Kunisch ob seiner Lesefreude mit leichter Hand bei Seite. Nein, gar nicht, und überhaupt wirke dieser Realismus heute wieder "neu". "Ulrich Schmid kann, was von der deutschsprachigen Literatur immer wieder gefordert wird: erzählen."

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