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Kairo, 2011. Alles scheint möglich. Die ganze Welt schaut hin, als die ägyptischen Aufständischen nicht müde werden, lautstark gegen die Diktatur zu protestieren, trotz aller Gewalt von Polizei und Militär.Mittendrin: Mariam und Khalid. Sie lernen sich im Getümmel einer Demonstration kennen, und fortan wird sie die Angst, dass dem anderen etwas zustoßen könnte, nicht mehr verlassen. Mutig kämpfen die beiden gemeinsam in einer Aktivistengruppe und versenden rund um die Uhr Nachrichten in alle Welt. Und nicht zuletzt kämpfen sie um ihre Liebe, für die keine Zeit bleibt in dem unaufhörlichen…mehr

Produktbeschreibung
Kairo, 2011. Alles scheint möglich. Die ganze Welt schaut hin, als die ägyptischen Aufständischen nicht müde werden, lautstark gegen die Diktatur zu protestieren, trotz aller Gewalt von Polizei und Militär.Mittendrin: Mariam und Khalid. Sie lernen sich im Getümmel einer Demonstration kennen, und fortan wird sie die Angst, dass dem anderen etwas zustoßen könnte, nicht mehr verlassen. Mutig kämpfen die beiden gemeinsam in einer Aktivistengruppe und versenden rund um die Uhr Nachrichten in alle Welt. Und nicht zuletzt kämpfen sie um ihre Liebe, für die keine Zeit bleibt in dem unaufhörlichen Strom von Aufgaben, die die Revolution ihnen aufbürdet, getrieben vom Gefühl der Verantwortung gegenüber ihren ermordeten oder inhaftierten Mitstreitern. Erbittert diskutieren sie darüber, welche Kompromisse sie eingehen müssen, zerrieben zwischen Hoffen und Verzweifeln.Dieser aufwühlende Roman zeigt die ägyptische Rebellion aus unmittelbarer Nähe, rasant folgt er den Revolutionären durch KairosStraßen und über Twitter. Und auch wenn die Lage immer aussichtsloser erscheinen mag: Sie werden nicht aufgeben.
Autorenporträt
Omar Robert Hamilton ist Sohn einer ägyptisch-palästinensischen Mutter und eines britischen Vaters, beide ebenfalls Autoren. Er arbeitet als Filmemacher und Essayist. Außerdem ist er Mitbegründer eines Aktivisten- und Medienkollektivs in Kairo und des Palestine Festival of Literature. Sein Debütroman erscheint gleichzeitig in mehreren Sprachen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Elektrisierend findet Rezensentin Sonja Zekri das Debüt von Omar Robert Hamilton. Halb autobiografischer Roman, halb Chronik aus Facebook-Posts, Tweets, SMS, Protest-Slogans und Schlagzeilen, bringt ihr der Text den arabischen Frühling noch einmal ganz nah. Die Figuren, Aktivisten der Revolution, verstrickt in Liebe und Zweifel an der Macht der Bilder und Medien, gehen der Rezensentin unter die Haut, ebenso die vom Autor mit Wucht entworfenen Szenen auf dem Tahir-Platz.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2018

In Stahl- und Tweet-Gewittern

Es wird leider nicht gut ausgehen: Omar Robert Hamiltons zorniger Roman "Stadt der Rebellion" erzählt vom Scheitern des Arabischen Frühlings in Ägypten.

Während ich "Stadt der Rebellion" las, explodierten in der libyschen Stadt Benghasi im Abstand von einer halben Stunde zwei Bomben. Die zweite sollte jene Menschen treffen, die den Opfern erste Hilfe leisteten. Ein paar Minuten bevor diese Nachricht kam, hatte ich in Omar Robert Hamiltons Roman gelesen: "Fern im Osten erschütterte eine laute Detonation die Luft. Eine Rauchwolke stieg in den Himmel auf. Eine Bombe. Ich warte auf den Folgeknall, die zweite Explosion, die jene erwischt, die als Erste reagiert haben, die Helden; aber sie kommt nicht. Hoffentlich wurden nur Polizisten getötet." In Benghasi starben die Polizisten zusammen mit den Sanitätern erst durch die zweite Bombe; auch sie wollten helfen.

Das Zitat aus "Stadt der Rebellion" ist typisch für dieses zutiefst zornige Buch, in dem es keinen Polizisten gibt, der nicht hassenswert wäre. Mit dem Titel ist Kairo gemeint, und Hamilton, 1984 als Sohn einer palästinensischstämmigen Ägypterin und eines Briten geboren, war im Frühjahr 2011 aus Amerika, wo er sich als Filmemacher etablieren wollte, zurückgekehrt in die Heimat seiner Mutter, um die Revolution gegen den Staatschef Husni Mubarak zu beobachten. Und sie zu unterstützen, wofür er das Moisereen Collective mitbegründete, ein Pressebüro, das den Aufstand und die Repressalien des Staates dokumentierte und bekanntmachte. Es gab das Vorbild ab für das entsprechende Kollektiv namens "Chaos", in dem die Protagonisten von Hamiltons Roman zusammenfinden: Mariam, Rosa, Rania, Hafez und Khalil. Letzterer ist das Alter Ego des Autors, ein wie dieser aus Amerika heimgekehrter junger Ägypter, dem die Einheimischen die andere Lebenswelt am Akzent seines Arabisch anhören. Insofern ist er Außenseiter. Insofern ist er unser Stellvertreter, der den Blick auf die unglaublichen Geschehnisse auch aus westlicher Perspektive wirft.

Unglaublich deshalb, weil wir mit Khalil im ersten Jahr seines Aufenthalts in Kairo durch Orgien der Gewalt gehen, meist Polizeigewalt, berichtet wie mit atemloser Stimme eines Teilnehmers der Demonstrationen, der immer wieder unter Beschuss gerät. Wobei Hamilton im ersten Teil seines Romans, der die Zeit von Oktober 2011 bis Februar 2012 abdeckt, noch auktorial erzählt, mehr über und auch aus der Sicht von Mariam, mit der Khalil im gemeinsamen Kampf für Demokratie zusammengekommen ist. Sie, eine Arzttochter, ist vertraut mit dem Land, sie hat keine Illusionen, und doch kämpft sie für ein anderes Ägypten - ihr Optimismus ist ansteckend, und deshalb ist der erste Teil mit "Morgen" überschrieben, zukunftszugewandt.

Obwohl es der streng voranschreitenden Chronologie der Handlung widerspricht, heißen die beiden anderen Teile des Romans dann "Heute" und "Gestern". Immer mehr verflüchtigen sich die Hoffnungen der Demokratiebefürworter, als erst die Muslimbrüder die Früchte der Revolution ernten - davon erzählt der von Dezember 2012 bis August 2013 reichende zweite Teil - und schließlich doch wieder das Militär, das schon Mubaraks Herrschaft stützte und mit Abd al Fattah al Sisi seit Juni 2014 auch den Präsidenten stellt. Just da endet der Roman, und im letzten Teil hörten wir erstmals einen Ich-Erzähler, Khalil, weil es nun nur noch die Erinnerung an eine große eingeschworene Gruppe gibt. Die meisten früheren Mitstreiter sitzen in Haft, bei manchen weiß man nicht einmal, wo, und es sind auch schon einige gestorben.

Verfolgten 2011 noch Zehntausende die Tweets und Feeds des Chaos-Kollektivs, sind es jetzt nur noch ein paar Dutzend, denn die Menschen sind der Nachrichten über das ungebrochene staatliche Morden und Foltern müde geworden. "Wie können wir je anders sein? Du hast eine friedliche Revolution, um einen Diktator zu stürzen, aber um einen friedlichen Übergang zu bewerkstelligen, brauchst du Wahlen, und die Einzigen, die die Ressourcen und die Netzwerke haben, um die Wahl zu gewinnen, sind Ex- und Möchtegern-Diktatoren. Wir sitzen in einem Gemälde von Escher fest." Je weiter wir in "Stadt der Rebellion" voranschreiten, desto intensiver wird die innere Reflexion Khalils. Doch es blitzen auch immer wieder die Grausamkeiten der Repression auf, die das revolutionäre Pathos, das anfängliche Triumphgefühl erstickt haben.

Ein Roman also über das Scheitern des Arabischen Frühlings, verdeutlicht am Beispiel Kairos. "The City Always Wins" heißt der Titel des auf Englisch geschriebenen Originals, und in dieser Formulierung vom immerwährenden Sieg steckt ein Sarkasmus, der bösartiger kaum gedacht werden kann, denn auf jede Beschwörung individueller Menschlichkeit oder urbanen Lebensgefühls folgt ein drastischer Tiefschlag, erzählt mit einer Detailgenauigkeit über Misshandlungen und Verwundungen, dass das Heroische von Beginn an verzweifelt erscheint.

Umgekehrt unterbrechen im ersten und dritten Teil kleine Porträts der Angehörigen von als Märtyrer verherrlichten Toten des Aufstands die Kette der Ereignisse. Außer dem Gedenken an die Getöteten bleibt den Hinterbliebenen kein Trost, und wie ein Leitmotiv durchzieht die Sehnsucht nach Straßenumbenennungen diese Schilderungen, nach einer sichtbaren Geste der Anerkennung, die aber nur einmal erfüllt wird: als nach dem schlimmsten der Tode in diesem Roman der Name des Opfers auf einem Straßenschild steht, hingeschrieben von seinen Freunden, aber natürlich auch das nur eine Geste, die kaum ein weiteres Kapitel lang Bestand haben dürfte. Hamilton ist aber so gnädig, seiner Figur, dessen Angehörigen und uns Lesern diesen winzigen Triumph dauerhaft zu gönnen.

Dass es nicht gut ausgehen wird in Ägypten und in der ganzen arabischen Welt, daran lässt "Stadt der Rebellion" keinen Zweifel. Es ist in dieser Hinsicht die legitime Fortsetzung des größten ägyptischen Romans der jüngeren Zeit, "Der Jakubijan-Bau" von Alaa al-Aswani, der 2002 im arabischen Original und 2007 auf Deutsch erschien und damals schon jedem Leser die Augen öffnen musste für die Zustände der Herrschaft Mubaraks, für dessen Unhaltbarkeit, aber zugleich auch die strukturelle Unüberwindbarkeit dieses Diktaturmodells. Alle Typen des älteren Romans sind hier unter anderen Namen wieder vertreten, nur dass diesmal ein heldenhafter Widerstand im Zentrum steht, der aber genauso vergeblich ist wie die Resignation bei gelegentlicher Obstruktion, die man bei al-Aswani kennenlernen konnte.

Anders als "Der Jakubijan-Bau" orientiert sich "Stadt der Rebellion" aber an einem westlichen Schreibideal (man denke an den zitierten Escher-Verweis), und dass Omar Robert Hamilton sich vor allem als Filmemacher versteht, ist seinem Erzählen anzumerken. Überall, wo er beobachtet, ist die Sprache reich, pulsiert das Buch, wenn es aber um die Psychologie der Figuren geht kommt er selten über Klischees hinaus. Die großen pathetischen Momente sind kinoreif, aber damit auch rhetorisch überladen: Die Körper strahlen vor Schönheit, man hört schon die Filmmusik aufbrausen, liest im steten Wechsel aus Zeitraffer und Zeitlupe, wenn der Tod einer Ärztin im Stil einer Eisenstein-Montage geschildert wird. Und so ist denn auch der ganze Text geprägt von Schnitttechnik: Nachrichtenmeldungen, Rundfunkkommentare, Twitterbotschaften werden in die Prosa eingeblendet, jedoch nur selten erfüllen sie eine so zwingende dramaturgische Funktion wie beim Kontrast zwischen einem Tweet-Stakkato mit unterschiedlichsten Meinungen und einer langen inneren Betrachtung von Mariam am Ende des zweiten Teils, dem emotionalen Höhepunkt des Buchs.

Er ist zugleich das Ende der Hoffnung, und so zieht Teil drei nur noch eine Bilanz des Scheiterns, wenn auch vereinzelt Unbeugsame auftreten, darunter auch der Blogger Alaa Abd El-Fattah, eine reale Person, Cousin von Hamilton und mit seinen Texten eine der wichtigen Quellen für den Roman. Aber die Worte und Gesten des Widerstands bekräftigen nur noch individuelle Kraft, keinen kollektiven Willen mehr. Das, was allein noch verbindet, ist das Gefühl des Untergangs: "Es ist, als würdest du dir selbst beim Ertrinken zusehen. Du kennst das Ende, du weißt, was kommt und dass es nichts gibt, was du dagegen tun kannst. Nichts verändert sich. Alles ertrinkt. Alle Zeit und alle Erfahrungen sind ein einziger Strudel, und wir werden alle hineingesaugt." Hamiltons Buch, so viel muss man ihm zugestehen, ist wie dieser Strudel.

ANDREAS PLATTHAUS

Omar Robert Hamilton: "Stadt der Rebellion". Roman.

Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018.

320 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2018

„Hallo, geliebte Befreite“
Omar Robert Hamilton schreibt sich in „Stadt der Rebellion“ den Aufstand auf dem Tahrir-Platz von der Seele und erzählt sein Scheitern.
Mit schwindelerregender Wucht taucht er ein in den Tränengasnebel der Proteste, in die wogenden, jubelnden, heulenden Massen
VON SONJA ZEKRI
Ein Land im Freiheitsrausch, zukunftstrunken, über Religionen und Klassen ozeanisch vereint. Ein Platz im Herzen der Stadt leuchtet in die Welt und wird von der Welt gefeiert.
Ein Land im Blutrausch, 900 Tote an einem Tag, bejubelt als notwendiges Opfer, als chirurgischer Eingriff zur Rettung der Nation. Ein Platz in Kairo, auf dem Armeefahrzeuge Zelte planieren, Verletzte werden in Schubkarren fortgeschafft. Und dann die Grabesruhe einer neuen Militärherrschaft.
Zweieinhalb Jahre lagen zwischen dem Aufstand auf dem Tahrir-Platz und der Räumung der Protestlager der Muslimbrüder, nachdem diese sich an eine Herrschaft klammerten, deren Zustandekommen einer von vielen Unglücksfällen des Arabischen Frühlings war. Im Laufe jener knapp dreißig Monate hatte Ägypten seine Sicht auf den Aufstand gegen Hosni Mubarak verändert. Aus dem Stolz auf eine glanzvoll bestandene Schicksalsprüfung wurde eine peinliche Erinnerung, dann eine Verschwörung, schließlich das bei Strafe Unsagbare. So ist es bis heute.
In diese erzwungene Geschichtsverleugnung fällt Omar Robert Hamiltons elektrisierendes Debüt „Stadt der Rebellion“. Obwohl der Verlag das Buch „Roman“ nennt, trifft das den Charakter nicht ganz. Durch die Geschichten der Figuren ziehen sich Tweets und Facebook-Posts, SMS und Schlagzeilen, Armee-Verlautbarungen und Protest-Slogans, die Tonspur jener zweieinhalb Jahre. „Stadt der Rebellion“ ist mindestens so sehr Dokumentation wie Roman. Mit diesem Buch hat sich jemand die Revolution von der Seele geschrieben.
Hamilton, Sohn der ägyptischen Schriftstellerin Ahdaf Souef und des britischen Dichters Ian Hamilton, wuchs in Großbritannien auf, wurde an britischen Colleges erzogen und arbeitete als Filmemacher in Washington. Aber als die aufständischen Ägypter im Januar 2011 den Tahrir-Platz besetzen konnten – was niemanden mehr überraschte als sie selbst – stürzte er sich kopfüber in den Aufstand. Er gründete ein Medienprojekt, „Mosireen“, um unabhängig zu berichten – gerade hat Mosireen sein Archiv ins Netz gestellt. Sein Cousin ist der Bürgerrechtler Alaa Abdel-Fatah, der als einer der Ersten im Gefängnis landete. Erst als sich der neue Herrscher Abdel Fatah al-Sisi als schlimmer erwies als Mubarak, verließ Hamilton Ägypten.
In New York schrieb er dann die durchaus autobiografisch inspirierte Geschichte über einen amerikanisch-palästinensischen Ägypter, Khalil, der im Ausland lebt, aber für die Revolution nach Ägypten reist und eine Medienplattform namens „Chaos“ gründet. Sie produziert Videos, Podcasts und eine Webseite und begrüßt Kairo jeden Morgen mit unwiderstehlichem Optimismus: „Hallo, geliebte Befreite auf den Straßen unserer Revolution, heute bringen wir euch Neuigkeiten von der Front, Musik aus dem Untergrund und den politischen Beat, den ihr braucht, um durch die Woche zu kommen.“
Khalil liebt Mariam, eine Aktivistin, die in der ersten Szene des Buches im Leichenschauhaus die Toten zählt, während Eisblöcke zwischen den zerfetzten Körpern schmelzen. Das Militär hat einen Protestzug der koptischen Christen vor dem Rundfunkgebäude Maspero niedergewalzt, eine jener Katastrophen, die Ägypten fast im Wochenrhythmus erlebte. Außerdem ist Khalil mit Hafez befreundet, der am Ende an den Folgen der Folter stirbt.
Zwischen diesen fast überlebensgroßen Heldenfiguren bewegt sich Khalil, der Rückkehrer, der den marxistischen Philosophen Eric Hobsbawm liest und sich bald misstrauische Fragen wegen seines Akzents gefallen lassen muss. Anfangs wollte er so gern dazugehören, später hasst er sich für die Erleichterung, dass er Ägypten verlassen kann.
Denn während das Land zwischen Militär, Islamisten und säkularen Zynikern zerrissen wird, wachsen Khalils Zweifel an der Macht der Bilder und der Medien. Kurz nach dem Sturz Mubaraks kann Mariam einen Mitstreiter aus den Fängen der Polizei mit der Drohung freipressen, sie werde an die Öffentlichkeit gehen und fünf „Märtyrer-Familien“ in einer Pressekonferenz versammeln. „Märtyrer“ und „Zeuge“ haben im Arabischen dieselbe Wurzel, die Macht von Medienprojekten wie „Chaos“ – oder von Hamiltons „Mosireen“ – beruht auf dieser Nähe von Zeugenschaft und Opfertod.
Zwar hadert Khalil bis zum Schluss damit, dass es den Aufständischen nicht gelang, das Rundfunkgebäude zu besetzen – „Wir hätten Maspero einnehmen müssen“ –, aber längst beobachtet er, wie diese Kraft schwindet, wie Hafez Abstand von einem Drehbuchprojekt über die Revolution nimmt, weil jene 18 Tage „zu Tode erzählt“ sind, wie die Begeisterung der Welt in Langeweile umschlägt: „Du hattest mal so viele Freunde. Wir waren mal Material für die beste Sendezeit“, klagt Khalil.
Als wäre dies nicht das Schlimmste, wendet sich ihre einstige Wunderwaffe sogar gegen die, die sie führen. Die Bilder des Blutbades an den Muslimbrüdern stellen sie nicht einmal mehr ins Netz, denn sie begreifen, dass die Bilder des Massakers nicht nur ihre aufrüttelnde Wirkung verloren haben, sondern, im Gegenteil, einschüchternd wirken. „Sie wollen, dass wir sehen, dass wir Angst bekommen, dass wir verstehen, wie weit sie gehen können“, sagt Hafez. Der Arabische Frühling eine Social-Media-Revolution? Was für eine grausame Illusion.
Der ursprüngliche Titel des Buches lautet „Die Stadt gewinnt immer“, denn gnadenloser als noch der x-beinigste Geheimdienstler ist Kairo, Al-Qahira, die Siegreiche. „Kairo ist Jazz“, schwärmt Khalil im Rausch der Revolution: rivalisierende „kontrapunktische Einflüsse“, dazu „gelegentlich brillante Solos, die sich hoch über den steten Rhythmus der Straße hinaufschrauben“. Aber dann, als das „Chaos“-Büro schon leer steht, kann er die Geräusche der Stadt nicht ertragen, das ewige Hupen, den unerschütterlichen Alltag. Hamilton will Zeugnis ablegen, auch mit diesem Buch. Und wo er in den Tränengasnebel der Proteste eintaucht, in die wogenden, jubelnden, heulenden Massen, da entfaltet sein Buch eine schwindelerregende, geradezu gegenwärtige Wucht. Wer gern auf dem Tahrir-Platz dabei gewesen wäre, hier kann er es sein.
Zugleich aber zeigt er mit vielleicht unbewusster Offenheit, wie isoliert das kleine Häuflein um Khalil bald ist, wie wenig die aufrechten, globalisierten, vernetzten, oft auch: wohlhabenden Aktivisten die profanen Sorgen der übrigen Ägypter begreifen, wie selbstgerecht das Pathos von „Front“ und „Krieg“ klingt, wie beliebig manches Ziel. Maspero oder Präsidentenpalast? Jalla bina, wir sind dabei. „Ich sehe 100 Kinder, die Steine ins Leere werfen“, sagt Mariams Vater.
Hamilton beschreibt die Intrigen zwischen Islamisten und Armee, die Erschöpfung der Ägypter, die politischen Wendepunkte wie die ersten Wahlen. Aber am Ende kann er genauso wenig wie alle Experten dieser Welt erklären, warum diese Revolution gescheitert ist. „Das ist Ägypten. Hier zerstört das Neue nicht das Alte“, sagt der Vater eines getöteten Aufständischen, und er meint es durchaus patriotisch. Womöglich ist das der Kern des Problems.
Obwohl der Verlag
das Buch Roman nennt, trifft das
den Charakter nicht ganz
Während das Land zerrissen
wird, wachsen die Zweifel an der
Macht der Bilder
Wer gerne auf dem
Tahrir-Platz dabei gewesen
wäre, hier kann er es sein
Omar Robert Hamilton: Stadt der Rebellion. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Wagenbach, Berlin 2018. 320 Seiten, 24 Euro. E-Book 21,99 Euro.
„Heute bringen wir euch Neuigkeiten von der Front, Musik aus dem Untergrund und den politischen Beat“: Blick auf den Tahrir-Platz in Kairo, am Abend des
8. Februar 2011.
Foto: dpa
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"Ein blendendes Debüt. Hamilton zeigt uns die überschäumende Hoffnung der Bewegung und gleichzeitig ihren niederschmetternden Kummer. Und er stellt die zeitlose Frage, was die Lebenden den Toten schulden." Naomi Klein "Ein bewegender, klarer und schlauer Roman über politische Unschuld und Angstlosigkeit. Das fiktive Porträt der Revolution ist nichts anderes als bahnbrechend." Richard Ford