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Wieso musste Tony Durán sterben?In seinem lang erwarteten neuen Roman entführt uns Ricardo Piglia in dietrügerische Ruhe der argentinischen Provinz. Während alle Welt glaubt, derschwule Japaner Yoshio habe den Ausländer Durán getötet, entwickelt KommissarCroce mit Hilfe des aus Buenos Aires angereisten Journalisten Renzi seineeigene Theorie: Waren es wirklich nur die körperlichen Reize der ZwillingsschwesternAda und Sofía Belladona, die Durán in die Pampa gelockt haben?Was hatten deren Vater und Bruder, die Besitzer der hiesigen Fabrik, mit demOpfer zu schaffen? Was hat es mit dem Erbe der…mehr

Produktbeschreibung
Wieso musste Tony Durán sterben?In seinem lang erwarteten neuen Roman entführt uns Ricardo Piglia in dietrügerische Ruhe der argentinischen Provinz. Während alle Welt glaubt, derschwule Japaner Yoshio habe den Ausländer Durán getötet, entwickelt KommissarCroce mit Hilfe des aus Buenos Aires angereisten Journalisten Renzi seineeigene Theorie: Waren es wirklich nur die körperlichen Reize der ZwillingsschwesternAda und Sofía Belladona, die Durán in die Pampa gelockt haben?Was hatten deren Vater und Bruder, die Besitzer der hiesigen Fabrik, mit demOpfer zu schaffen? Was hat es mit dem Erbe der irischen Mutter der Zwillingeauf sich? Und was nur hat Cueto, der aalglatte Staatsanwalt und Intimfeind Croces,zu verbergen?Piglia bietet alles auf, was das Genre des Kriminalromans hergibt - um dieGemeinplätze der Gattung am Ende auszuhebeln und zu zeigen, dass nichts soist, wie es scheint. Dabei gelingt ihm die Quadratur des Kreises: ein Buch, dassich liest wie ein Krimi - und doch keiner ist.
Autorenporträt
Ricardo Piglia wurde 1941 in Adrogué nahe Buenos Aires geboren. Er lehrt Literatur und Film in Princeton und wurde von der Universidad de Buenos Aires zum Honorarprofessorernannt. Im Verlag Klaus Wagenbach sind von ihm die Romane "Brennender Zaster", "Künstliche Atmung" und "Falscher Name" erschienen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2011

Kein Pferd mehr nach Durango
Paranoia in der Pampa: Ricardo Piglias funkensprühender neuer Roman „Ins Weiße zielen“
Leiser Wildwest-Sound à la Ennio Morricone begleitet den als Detektivgeschichte getarnten Roman des Argentiniers Ricardo Piglia. In diesem postmodernen Melodram tritt der von Korruption und Kapitalflucht bewegte Geldrausch an die Stelle des klassischen Goldrauschs. Geldwäscher übernehmen die Rolle der Goldgräber von einst, und Giacomo Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen“ wird von gleich zwei rothaarigen Schönheiten aus „El Sur“, dem „goldenen Süden“ des lateinamerikanischen Kontinents, abgelöst: den bisexuellen Zwillingsschwestern Ada und Sofía Belladona, die keiner auseinanderhalten kann.
Die Töchter des lokalen Magnaten sind leidenschaftliche Glücksspielerinnen, die dem Wein huldigen, keinen BH tragen – wir schreiben das Jahr 1972 – und auch gerne mal eine Linie Kokain ziehen, während sie die Langeweile und Idiotie des Landlebens beklagen. „Sieh einer an, die Mädchen vom Dorf“, sagt dazu ein von den lustigen Zwillingen auch sinnlich beeindruckter Reporter aus der Hauptstadt. Die Tageszeitung El Mundo hat ihn als Sonderkorrespondenten in das weit ab vom Schuss, in der endlos flachen Pampa gelegene Kaff geschickt.
Eines spektakulären Mordfalls wegen, der ganz nach „Für ein paar Pesos mehr“ aussieht, weswegen das Hauptstadtblatt die Geschichte mit „Tod eines Yankees“ betitelt, als handele es sich um einen Spaghetti-Western in Cinemascope: Adiós Gringo! Ermordet auf dem Fußboden seines Zimmers im örtlichen Plaza Hotel liegt Tony Durán, ein aus New York zugereister Glücksritter puertoricanischer Herkunft in den Spielhallen der Provinz, der mit den Belladona-Zwillingen eine Ménage-à-trois eingegangen war.
Des heimtückischen Mordes verdächtigt wird der schwule Nachtportier Yoshio, ein japanischer Einwanderer von ansonsten tadellosem Benehmen. Mit ihm will der zuständige Staatsanwalt Cuetos, ein ziemlich übler Geselle, Harley-Davidson-Fahrer, Glasauge – sein natürliches Auge hat er beim Polospiel verloren–, kurzen Prozess machen. Allein Kommissar Croce, kauzig, schiefe Schnute, eigenbrötlerisch, zuweilen cholerisch und mit messerscharfer Intuition begabt, stellt sich quer und ermittelt in diesem Fall, der sein letzter werden sollte.
Wie seine Namensgleichheit mit einem berühmten italienischen Philosophen andeutet, hat Croce – alleinstehend, nicht mehr ganz jung, dazu noch angefeindet – nicht nur sein Kreuz zu tragen, er erweist sich in der Ermittlungspraxis auch als philosophisches Talent, das seine Vorgehensweise erkenntnistheoretisch zu fundieren wusste: „Wir sehen nie, was wir gerade sehen“, sagt er, oder: „Wir sehen die Dinge so, wie wir sie interpretieren.“ Dazu skizziert er bei Tisch auf eine Serviette die Umrisse eines Hasenkopfes, der sich um neunzig Grad gedreht in den Kopf einer Ente verwandelt. Und ein heimlicher Poet ist er sogar auch: Im Schlaf umfängt ihn eine Kopfmusik, aus der Sätze wie Erinnerungen auftauchen: „In der Nacht verfasste Sätze. Er wusste genau, was sie bedeuteten, nicht aber, wie sie in seinen Kopf gelangt waren.“
Ricardo Piglias Kommissar Croce ist ein aus der Wildnis der Großstadt in die Einöde der Pampa exilierter Wiedergänger von Raymond Chandlers Philip Marlowe – so wie dieser in der „Langzeitgeschichte des Krimi-Genres“, dem Piglia seinen mit wunderbar leichter Hand verfassten Essay „Der letzte Leser“ gewidmet hat, bereits der Wiedergänger von Edgar Allan Poes Privatdetektiv Auguste Dupin ist. Das Vorbild für Croce ist freilich nicht der hartgesottene, misogyne Zyniker aus „The Big Sleep“, sondern der alternde, melancholisch gestimmte Marlowe aus „The Long Good-Bye“, dem Abgesang auf das private eye – es ist, wie Croces Beispiel zeigt, auch durch Verbeamtung nicht mehr zu retten: „Ich bin ein Dinosaurier, der letzte Überlebende“, sagt Croce zu sich selbst, als er sich anschickt, ein letztes Mal „einen Fall auf die alte Art zu lösen“. Auch er ist ein „letzter Leser“, den es wie die Figur des modernen Intellektuellen, auf die Piglias Essay in Exkursionen zu Kafka, Joyce und Borges, Prinz Hamlet, Leopold Bloom und Che Guevara zielt, zur Tat drängt, auch wenn er an solch heroischem Anspruch scheitert.
Wie seine literarischen Vorgänger in den Metropolen Paris, London und Los Angeles, ist auch Croce auf ein Alter Ego angewiesen. Er findet es in Emilio Renzi, dem aus Buenos Aires gesandten Zeitungskorrespondenten, der selbst ein verhinderter, seit Jahren an einem Roman arbeitender Schriftsteller ist. Renzi ist zugleich aber auch – nicht zum ersten Mal – das Alter Ego des Autors, der sich für die Entstehung dieses Meisterwerks ganze dreizehn Jahre Zeit ließ. Auch Renzis Recherchen, die ihn eine Liebesaffäre mit einer der Belladona-Zwillinge eingehen lassen, ergeben andere und neue Lesarten des Romangeschehens, bis die Ermittlungen schließlich auf ihn übergehen – dies in freilich enger Abstimmung mit Croce, der sich nach der von seinem Intimfeind, dem korrupten Staatsanwalt Cueto erwirkten Zwangspensionierung hinter die Mauern einer psychiatrischen Klinik zurückzieht – nicht zuletzt, um der Kehrseite seiner genialen Intuition, der Paranoia zu entgehen.
Die Aufklärung des Falls ist am Ende banal, es kommt zu keinem dramatischen Showdown, was von einem Kolportagekrimi, zumal in amüsanter Kreuzung mit einem Italowestern, auch nicht anders zu erwarten ist. Doch für den, der es mit der Reinheit der Genres nicht ganz so ernst nimmt, bietet Piglias Roman ein großartiges, und intelligentes Lesevergnügen von famoser stilistischer Brillanz auch in der deutschen Übertragung, die Carsten Regling mit bewundernswerter Souveränität besorgt hat. Nur manchmal tut der Übersetzer des Guten zu viel, wenn er die Verse berühmter Tangolieder, wie Carlos Gardels „Amores de estudiantes“, in unmelodisches Deutsch übersetzt. Mit den Songs von Elvis Presley würde das auch keiner machen.
Wie nebenbei – tatsächlich auch in vielen Fußnoten, die der Fiktion einen authentisch wirkenden Unterbau an historischen und soziologischen Realien liefern – erfährt der Leser viel Wissenswertes über die Geschichte Argentiniens, über die Formen der Landnahme sowie über das Leben und die verblassten Mythen der Gauchos. Die Aufforderung seiner Redaktion zur Rückkehr beantwortet Renzi mit dem humorvollen Vorschlag, ihr endlich einmal eine Beilage über Gaucho-Literatur zu besorgen.
Daneben gibt es manch köstliche Einlage in Kafkas oder Becketts Manier, und allein mit dem Namensulk, den Ricardo Piglias Roman mit nach der Literatur erfundenen Figuren wie Grete Berlau, Rosa Echeverry, René Queneau anstellt, ließe sich eine hübsche Liste füllen. Etwas daneben greift nur der deutsche Titel. „Blanco nocturno“ – „nächtliches Weiß“ – heißt das Original, und das meint nichts anderes als im Deutschen die populären Verse: „Dunkel war’s, / der Mond schien helle, / als ein Auto blitzesschnelle, / langsam um die Ecke fuhr. / Drinnen saßen stehend Leute, /schweigend ins Gespräch vertieft, / als ein totgeschoss’ner Hase auf der Sandbank Schlittschuh lief.“Oder war es nicht doch eine Ente? VOLKER BREIDECKER
RICARDO PIGLIA: Ins Weiße zielen. Roman. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010. 253 Seiten, 19,90 Euro.
RICARDO PIGLIA: Der letzte Leser. Essay. Aus dem Spanischen von Leopold Federmair. Klever Verlag, Wien 2010. 208 Seiten 19,90 Euro.
Piglias Kommissar ist ein in die
Pampa versetzter Philip Marlowe
Ein intelligentes Lesevergnügen
von stilistischer Brillanz
Auf den Spuren von Chandler: Ricardo Piglia Foto: Eduardo Grossman
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2011

Pandämonium in Weiß
Ricardo Piglia verhext virtuos den Kriminalroman

Die argentinische Literatur hat eine Tendenz zum Vergeistigten und Phantastischen. In Brasilien oder Mexiko herrscht eine größere Freude an Sinnlichkeit, Farben, Gerüchen, Landschaften. Wir dagegen mit unserer flachen Pampa besitzen so etwas wie Landschaft gar nicht. Daher müssen wir den Stimulus stets im eigenen Kopf suchen: Wie eine Art heimliche Gebrauchsanweisung zur Lektüre des neuesten Werks von Ricardo Piglia liest sich dieser jüngst in einem Interview formulierte Gedanke des Erzählers César Aira. Und das, obwohl Aira in seinen bizarren, surreal überkochenden Szenarien innerhalb der Generation der in den vierziger Jahren geborenen argentinischen Literaten als eine Art Antipode Piglias gilt. Letzterem wird eher das souveräne, wenn auch etwas unterkühlte Arbeiten mit Versatzstücken und intertextuellen Referenzen nachgesagt.

Mit seinem vierten Roman "Ins Weiße zielen" stellt Piglia nun unter Beweis, dass kühnes Fabulieren und subtil intellektuelles Konstruieren ebenso wenig Gegensätze bilden wie das Phantastische und die Eintönigkeit der Pampa. Genau dort, in einem meist nur namenlos als "der Ort" bezeichneten, Ende des 19. Jahrhunderts von einem Turiner Einwanderer namens Belladonna gegründeten Kaff keimen namenlose Delirien. Dabei beginnt alles in lakonischer Nüchternheit. Knapp sind die Fakten eines klassischen Kriminalfalls auf den Tisch geblättert. Wir befinden uns am Anfang der siebziger Jahre. Schwärmer ersehnen die Rückkehr des exilierten Ex-Präsidenten Perón, selbst in der hintersten Pampa. Dorthin verschlägt es Tony Durán, einen puerto-ricanischen Glücksritter aus New Jersey. Eigentlich ist er an den mondänen Schauplätzen der Welt zu Hause und hat sich in den fernen Süden nur durch eine Ménage à trois mit den beiden Urenkelinnen des Ortsgründers locken lassen: den Belladonna-Schwestern Ada und Sofía, die ihn auf einer gemeinsamen Amerikareise bei einem Casinobesuch verführten.

Eigentlich will Tony niemandem etwas Böses. Trotzdem muss er kurz nach seiner Ankunft im Hotel sterben. Dass der Mörder sein Zimmernachbar ist, der zarte japanische Einwanderer Yoshio, der in Leidenschaft zu dem exotischen Mulatten entbrannt sein soll, will Kommissar Croce von der lokalen Polizei nicht einleuchten. Dem zwielichtigen Staatsanwalt Cueto scheint hingegen sehr viel an dieser Version zu liegen. Doch warum soll der Mörder einen Koffer mit 100 000 Dollar heimlich in den Gepäckraum des Hotels geschafft haben, statt mit dem Geld durchzubrennen? Welches Geheimnis verbindet den Mord mit den Belladonnas, ihrer turbulenten Familiengeschichte, ihrer in den Konkurs gegangenen Autofabrik nahe der Stadt? Und welche Rolle spielt ihr ehemaliger Hausanwalt Cueto, der nun im Dienste der Justiz offenkundig alles andere im Sinne hat als die Gerechtigkeit?

Diese Fragen zumindest stellt sich der Reporter Renzi, aus Buenos Aires in die Provinz geschickt, um ein paar auflagensteigernde Enthüllungen zu machen. Worauf er stößt, ist jedoch viel zu komplex, um seine Redaktion lange bei Laune halten zu können. Während Behörden und Presse den Fall schon für gelöst erklären, verfällt Kommissar Croce "wie aus dem Nichts" in Wachträume und orakelt bei der Ermittlung Ungreifbares wie: "Alle Verbrechen werden aus Leidenschaft begangen." Plötzlich will Croce den Mörder gefunden haben, der tatsächlich ein briefliches Geständnis eines Auftragsmordes ablegt, ohne den Hintermann zu nennen - um dann Selbstmord zu begehen. Zeitgleich wird der Kommissar vom Dienst suspendiert und ins Irrenhaus verfrachtet, wo er anonyme Briefe an die Öffentlichkeit verfasst.

Die Klapsmühle ist ein ideales Erholungsheim. Nur den Ermittlungen kommt es wenig zugute. Erzählerisch perfide: Zu diesem Zeitpunkt ist gerade einmal die Hälfte der Romanhandlung verstrichen. Ratlos fragt sich der Leser, wie es nun weitergehen soll. Sicherlich übernimmt Renzi auf eigene Faust die Nachforschungen. Doch was ihm widerfährt, nimmt immer wirrere Züge an. Das vermeintlich gesunde Landleben erweist sich als Abgrund der Laster, wo alle in Korruption und Verschwörungen verstrickt sind.

"Jeder einzelne Gaucho ist ein Robinson, der wie ein Schatten über das Land reitet", lautet das deprimierende Fazit. Die Gauchos selbst erscheinen als kekskauende Vegetarier, vom Tabak so zahnlos, dass sie kein Fleisch essen können. Schließlich muss sich auch Renzi, als alles nach Willen der Staatsmacht abgewickelt ist, vom Irren-Inspektor Cueto aufklären lassen: "Das vollständige Netz der Intrigen werden wir nie verstehen. Je näher uns die Wahrheit scheint, desto auswegloser verfangen wir uns in dem endlosen Spinnennetz."

Auch Piglias Text ist ein solches Netz, aus verschiedenen Zeitebenen zusammengesponnen und mit einer Unzahl von Fußnoten versetzt, die jedoch nicht Wahrheiten vermitteln, sondern ein monströses Korpus von unnützem Sekundärwissen anhäufen.

"Blanco nocturno" heißt der Roman im spanischen Original. "Nachtweiß" heißt das übersetzt, im Doppelsinn aber zugleich "nächtliche Zielscheibe". Der deutsche Titel "Ins Weiße zielen" ist insofern mit Bedacht gewählt wie auch die meisten Entscheidungen des Übersetzers Carsten Regling. Weiße Stellen, die zugleich das verborgene Zentrum der Handlung ausmachen, durchziehen leitmotivisch den Roman: als grelle Autoscheinwerfer und Ursache tödlicher Unfälle; als gleißendes Schweißgerät, das selbst die Hühner durch eine Lichtüberdosis wie unter Drogen setzt; als esoterische "böse Lichter", die vom wandernden Geist des Selbstmörders ausgehen.

Virtuos verschachtelt der Roman die literarischen Genres. So wandelt sich der Kriminalfall zu einer Chronik eines Familienverfalls, um dann ins Surreale zu gleiten. Wenn Luca Belladonna, der Chef des Familienunternehmens, nach dem Bankrott "wie ein Gespenst in der leeren Fabrik haust" und sich dort zum Burgherrn über ein alptraumhaft erträumtes Universum aus Riesen-Glasaugen und Nautilus-Raumschiffen aufschwingt, pendelt sich der Text zwischen Phantastik und Groteske ein.

Schließlich kondensiert der falsche Kriminalroman zugleich die Geschichte eines Ortes von der Gründung bis zum Vorabend des Militärputsches von 1976 - damit aber auch in allegorischer Weise die Geschichte eines ganzen Landes. Während die Nachrichten von Anschlägen der marxistischen Guerrilla berichten, ist der Zusammenbruch der Zivilgesellschaft, der Vormarsch einer skrupellosen Staatsmacht in seiner provinziellen Keimzelle bereits vollendet. Und selbst in der alles andere als unschuldigen Pampa ist "das Ende Arkadiens" nicht mehr aufzuhalten.

Dem Protagonisten Renzi legt Piglia am Ende sein Romankonzept in den Mund: "Man müsste ein neues Genre der Kriminalliteratur erfinden: Paranoia-Fiktion. Alle sind verdächtig, alle fühlen sich verfolgt. Der Kriminelle ist kein Einzeltäter mehr, sondern eine Bande, die die absolute Macht innehat." Etwas zu deutlich hat der Autor sich damit in die Karten schauen lassen. Der exegetische Zeigefinger des in Princeton lehrenden Literaturprofessors Piglia ist auch in diesem Roman nicht zu übersehen. Dennoch wird dieser Finger von der fabulierenden Phantasie des Dichters Piglia stets wieder kupiert - um nach dem Zielen ins Weiße doch mitten ins Schwarze zu treffen.

FLORIAN BORCHMEYER.

Ricardo Piglia: "Ins Weiße zielen". Roman.

Aus dem argentinischen Spanisch von Carsten Regling. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010. 253 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auf höchstem intellektuellen Niveau amüsiert hat sich Volker Breidecker mit Ricardo Piglias Kolportagekrimi "Ins Weiße zielen". Ausführlich gibt er dessen in der argentinischen Pampa spielende Geschichte wieder: Ein Amerikaner wird ermordet, ein Zeitungsjournalist wird aus der Hauptstadt in das Provinzkaff geschickt und verfällt nicht nur dessen Charme, sondern auch dem der verruchten Belladona-Zwilling. Der kauzige Kommissar Croce ermittelt. "Intelligentes Lesevergnügen" gibt der Rezensent zu Protokoll, der außerdem einiges über argentinische Geschichte gelernt hat, über die Legenden der Gauchos und die Lieder Carlos Gardels.

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