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Tiziano Scarpa stellt Grundfragen: Woran lässt sich die Liebe erkennen? Wann kann man von sich behaupten, verliebt zu sein? Ein sentimentaler Zeitgenosse denkt an Gott und die Welt, während seine Freundin es ihm besorgt. Ein Vorfahre von Woody Allen immigriert in den eigenen Penis. Die Kraft der Leidenschaft lässt ein Mädchen neuromagnetische Wellen absondern, bis ihr Freund sie als Klon verfolgt. Ein Vater wird aus falsch verstandener Sohnesliebe zum Bodybuildinghelden für Senioren. Mit böser Ironie und bewegender Komik zeigen Scarpas Geschichten, welch überraschende Wendungen das Leben zu…mehr

Produktbeschreibung
Tiziano Scarpa stellt Grundfragen: Woran lässt sich die Liebe erkennen? Wann kann man von sich behaupten, verliebt zu sein?
Ein sentimentaler Zeitgenosse denkt an Gott und die Welt, während seine Freundin es ihm besorgt.
Ein Vorfahre von Woody Allen immigriert in den eigenen Penis.
Die Kraft der Leidenschaft lässt ein Mädchen neuromagnetische Wellen absondern, bis ihr Freund sie als Klon verfolgt.
Ein Vater wird aus falsch verstandener Sohnesliebe zum Bodybuildinghelden für Senioren.
Mit böser Ironie und bewegender Komik zeigen Scarpas Geschichten, welch überraschende Wendungen das Leben zu jeder Zeit nehmen kann. Wenn man nur verliebt genug ist. Oder verrückt genug. Oder beides. Scarpa gilt mit seinen schrillen und komischen Geschichten vor literarisch ausgefeiltem Hintergrund als Enfant terrible der italienischen Literatur.
Autorenporträt
Tiziano Scarpa wurde 1963 in Venedig geboren und lebt heute als freier Autor und Journalist in Mailand und Venedig. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen, unter anderem ins Englische, Französische, Spanische und Chinesische, übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2002

Tränen- und Busenwunder
Tiziano Scarpa sucht das Übernatürliche in der Liebe

Mag sein, daß am Anfang der ersten Geschichte die skandal-famose Installation von Maurizio Cattelan gestanden hat, die den Papst von einem Meteoriten zu Boden gestreckt zeigt. Bei Tiziano Scarpa ist es dessen Nachfolger, der von einem Erdrutsch verschüttet wird, eben als der oberste Bodyguard des Heiligen Vaters auf die Pointe eines absehbar unanständigen Witzes zusteuert. "Wir lagen auf dem Rücken. Ein langer, flacher Fels blockierte unsere eine Körperseite, vom Kinn bis zum linken Knie; er bedeckte unseren ganzen Brustkorb, den Bauch - wie ein Grabstein."

Ein steinzeithaft anmutendes Eremitenpaar schleift den Verletzten in eine Höhle, die von uniformierten Skeletten bewacht wird, aus Totenschädeln flößen sie ihm Narkotika ein, schienen das Bein mit Gewehrläufen. Sie sprechen kein Italienisch, doch der Papst bringt ihnen das Kreuzschlagen bei. In ihrer Augenhöhle brütet die Eremitenfrau ein Ei aus; der Papst treibt unterdessen geistliche Exerzitien, die immer wieder um seine frühere Haushälterin kreisen, und gibt sich dunkel erotischen Phantasien hin. Eines Tages kann er den Schreckensort seiner Genesung verlassen. Ein Lastwagenfahrer greift ihn auf; so gelangt er unerkannt in seine Heimatdiözese. In der Kirche beichtet er die Liebe zu seiner Haushälterin; Mariannas Leib aber ist der Schauplatz eines gräßlichen Wunden-Wunders geworden, der Ort Mira zum Pilgerziel. Auf dem Petersplatz verkündet der neue Papst den Heimgang der Gebenedeiten, und vom Dom löst sich eine steinerne Träne Christi.

Dem Verfasser von Heiligenviten gilt das Wunderbare als Evidenz eines natürlich Übernatürlichen. Bei Tiziano Scarpa, von dem man wenig mehr erfährt, als daß er im Venedig des Jahres 1963 geboren wurde und heute als "das neue Enfant terrible der italienischen Literatur" gehandelt wird, geht es gleichfalls nicht mit rechten Dingen zu. In acht Geschichten zielt er auf den Produktkern von "Liebe" im Sinne eines eingetragenen Warenzeichens. Vom Übernatürlichen macht auch er nicht viel Aufhebens. Doch nicht der Heilsgewißheit des frommen Chronisten ist solche Gelassenheit geschuldet, sondern der stoischen Coolness des jungwilden "Enfant terrible". Wer zu einer literarischen Gruppe namens "gioventù cannibale" zählt, den darf so schnell nichts aus der Fassung bringen.

Mit dieser Geschichte im Ohr ist auch der Leser gewappnet für weitere unerhörte Begebenheiten. Etwa dem traurigen Ende des Vaters jenes eifrigen Studenten der Geschlechtertheorie Otto Weiningers, der mitansehen muß, wie sich sein alter Herr zum Idol der Senioren-Bodybuilder-Szene hocharbeitet, bis er nach einem Talkshowauftritt zusammenfällt wie ein Ballon, eine leere Hülle "reiner Nitrozellulose". Was die Liebe sei, fragt sich in der nächsten Geschichte ein liebendes Mädchen, in deren neuromagnetischen Hirnwellen eine Gruppe von Brustschwimmerinnen trainiert: "In neuromagnetischem Wasser kann man atmen, ohne Luft holen zu müssen. Man bewegt sich in aerober Umgebung, schwebt in der Luft und wird dabei von einem Feld aus mehr oder weniger transparenten Kräften an der Oberfläche gehalten" - oder eben nicht, weil Tom mit der Energielieferantin Schluß gemacht hat. Da läßt die Neuroenergie nach, und die Schwimmerinnen fallen auf den Grund des leeren Beckens.

Später fesselt die Liebende diesen Tom an einen Heizkörper, während sie Sex mit seiner "Holokopie" hat. Die Rache endet tragisch, wie auch "Die außergewöhnliche Geschichte des Samuel J. Königsberg, dem Mann, der in seinen eigenen Penis umzog", wegen seiner außerordentlichen Erektion zeitweilig zur Zirkusattraktion wird, bis der Blutstau in den unteren Schwellkörpern zu Gedächtnisausfällen und Sprechstörungen führt, der Penis ein eigenes Leben beginnt und das seines Wirtskörpers schließlich um drei Tage überlebt. Mit dem Titel einer der fingierten Quellen Life and Exhibitions of Samuel J. Königsberg (Northumbria Press, Boston 1993) legt Scarpa eine dezente Spur zu James Boswells "The Life of Dr. Samuel Johnson, LL.D." (1791), dem locus classicus britischer Exzentrik. Dagegen wirkt die Pointe der Story, die den Penis-Mann zum Vorfahren Woody Allens erklärt, fast schon indiskret. Der Indiskretion des Erzählers von "Was mir so durch den Kopf geht, während Maria Grazia mir einen bläst" verdanken wir tiefe Einsicht in die komplexe Projektionsmechanik der männlichen Psyche: "5. ich stelle mir vor, daß Maria Grazia gar nicht Maria Grazia ist, sondern irgendeine Caterina. Dann stelle ich mir vor, wie ich mich bemühe, mir vorzustellen, daß diese Caterina Maria Grazia ist, und meine Vorstellungs-Bemühungen sind derart intensiv, daß es mir im Halbdunkel tatsächlich gelingt, diese Caterina zu verwandeln und sie bis aufs Haar Maria Grazia gleichen zu lassen, die mir gerade einen bläst (steigender Erregungspegel)."

Wo die Dinge so stehen und in den surrealen pulp-Arrangements Tiziano Scarpas auf die Spitze getrieben werden, wird man sich über den wahren Charakter des Markenartikels "Amore" keine Illusionen mehr machen. Scarpas raffinierte, belesene, kalkuliert geschmacklose Miniaturen aber wird man zu den interessanteren Erstauftritten neuerer italienischer Literatur in deutscher Sprache zählen. Leicht steigender Erregungspegel.

HOLGER NOLTZE.

Tiziano Scarpa: "Amore®". Erzählungen. Aus dem Italienischen von Olaf Matthias Roth. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2001. 158 S., geb., 16,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein schmaler Band mit nur acht Erzählungen, die bei aller Knappheit zugleich etwas Überbordendes haben, so charakterisiert Michael Schmitt den Erzählband, der unter dem zunächst irritierenden Titel "Amore" herausgekommen ist. Amore scheint bei Scarpa in jedem Fall deftig, bizarr, verquer abzulaufen: in allen Geschichten entstünden aus banalen Alltagssituationen die unglaublichsten Verwicklungen, Verrenkungen und Verstrickungen im durchaus leibhaften Sinne des Wortes, berichtet Schmitt. Ein bisschen gehe es zu wie bei "Pulp Fiction", meint er, oder wie auf einem alten Jahrmarkt, auf dem erschröckliche Moritatensänger ihr literarisierendes bänkelhaftes Unwesen treiben. Rücksicht wird auf nichts und niemanden genommen, meint Schmitt - und "schon gar nicht auf den Papst".

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