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Ein aufschlussreiches Zeitdokument über die 50er und 60er Jahre sowie die leidenschaftliche Abrechnung eines 'zornigen jungen Mannes' mit Ost und West. Hlaskos schockierende Prosa mit ihrer Härte und Zartheit ließ ihn zum Sprecher seiner, um ihre Lebensfreude betrogenen, Generation werden.

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Produktbeschreibung
Ein aufschlussreiches Zeitdokument über die 50er und 60er Jahre sowie die leidenschaftliche Abrechnung eines 'zornigen jungen Mannes' mit Ost und West. Hlaskos schockierende Prosa mit ihrer Härte und Zartheit ließ ihn zum Sprecher seiner, um ihre Lebensfreude betrogenen, Generation werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2000

Warschau hat mich erfunden
Rebellenleben: Marek Hlaskos Autobiographie "Die schönen Zwanzigjährigen" · Von Julia Encke

Jeder Schriftsteller ist auch ein Spion. "Wenn mein schriftstellerisches Werk mich berechtigte, jungen Leuten Ratschläge zu geben", schreibt in den sechziger Jahren der polnische Autor Marek Hlasko, "ich würde sagen: Jeder von euch sollte eine Zeitlang für die Geheimpolizei arbeiten, um sein Denken zu schulen und einen eigenen Stil auszubilden. Bücher muß man schreiben wie Polizeiberichte und dabei denken, daß ein dumm verfaßter Bericht vor allem dich selbst vernichten kann."

Marek Hlasko ist zweiunddreißig, als er das schreibt. Die Arbeit für die Geheimpolizei liegt einige Jahre zurück. "Die schönen Zwanzigjährigen" nennt er sein Buch, "eine Art Memoiren", wie er sagt, die 1966 im Pariser "Institut Littéraire" erscheinen. Trotz des Einfuhrverbots gelangen einige Exemplare nach Polen, wo sie von Hand zu Hand weitergereicht werden, nicht selten in Form von Maschinenabschriften. In seiner Heimat ist Hlasko der literarische Geheimtip, den die Aura des Verbotenen umgibt. Als in den fünfziger Jahren seine ersten Erzählungen und Reportagen im Studentenblatt "Pro Postu" erscheinen, feiert man ihn zu Hause als Star einer unangepaßten Literatur, die das Klima der Depression und moralischen Atrophie treffsicher protokolliert. Nicht nur ein Liebling der Leser ist der junge Autor, der mit Alkoholexzessen und Skandalen Aufsehen erregt, auch das Kulturestablishment umwirbt ihn. Im Januar 1958 erhält er den Polnischen Preis der Verleger.

Wenige Monate später wird er als Staatsfeind und Verräter des Landes diskreditiert. Das Regime ist launisch und der Schneematsch des politischen "Tauwetters" zur Eisschicht gefroren. Gleich nach seiner Preisverleihung war Hlasko in den Westen gereist und hatte seine Erzählungen "Friedhöfe" und "Der Nächste ins Paradies" veröffentlichen können, die in Warschau abgelehnt worden waren. Damit - so der Vorwurf - habe er auch politisch die Seite gewechselt: Das Parteiorgan "Trybuna Ludu" nennt ihn die "Primadonna einer Woche" und würdigt seine Texte zum "antikommunistischen Pasquill" herab, und einer der eifrigsten stalinistischen Epigonen, der 1956 von der Leitung des polnischen Schriftstellerverbandes abgesetzte Jerzi Putrament, bezichtigt ihn in der Moskauer "Iswestija", ein "antikommunistischer Renegat" zu sein. Mit den Verleumdungen beginnt der politische Feldzug gegen einen Autor, der nie vorhatte, im Westen zu bleiben. Man verweigert ihm die Einreise nach Polen. Marek Hlasko wird nicht mehr zurückkehren.

"Ihr habt über mich geschrieben, ich sei ein Spion, ich hätte das polnische Volk verraten", heißt es in "Die schönen Zwanzigjährigen", "ich habe das Gerücht nicht ausgestreut." Hlasko versteht sich als "Informand à rebours". Seine literarischen Texte bezeichnet er als die Fortsetzung jener "Stilübungen" des Spitzelbriefs, die bei der polnischen Geheimpolizei, wie er sich zugute hält, ein "gräßliches Durcheinander" hatten anrichten können. Längst beschränken sich die weitergegebenen Informationen nicht mehr auf einzelne Genossen, denen nie gesagte Worte und Überzeugungen angedichtet werden konnten. Sie betreffen das Leben einer Stadt: "Nicht ich habe das Warschau erfunden, in dem die Menschen vor Angst zittern", verteidigt sich der Schriftsteller in einem bekanntgewordenen offenen Brief an die "Trybuna Ludu", "nicht ich habe das Warschau erfunden, in dem das höchste Gut der Armen eine Flasche Schnaps war, in dem ein Mädchen billiger war als eine Flasche Wodka - dieses Warschau hat mich erfunden."

Eine Stadt erfindet seinen Autor und der Autor seine Stadt: Ein Wechselspiel der Fiktion ist die Geschichte von Marek Hlaskos Autobiographie. In der Übersetzung von Roswitha Matwin-Buschmann und versehen mit einem Nachwort von Marta Kijowska ist das Buch jetzt auch deutschen Lesern zugänglich. Sieben Prosa-Stücke verfaßt der Autor über seine Kindheit in Polen, über das Leben auf den Straßen und die Boxkämpfe in der Breslauer Jahrhunderthalle, über die Arbeit beim Schlachthof oder bei der Lebensmittelgenossenschaft und über Nachtlokale wie die "Jontek"-Bar oder das "Kameralna". Die letzten Kapitel skizzieren rastlose Jahre im Westen. Er habe nie jemandem etwas über die Motive erzählt, die ihn dazu bewegten, im Westen zu bleiben, schreibt Hlasko, und wolle deshalb versuchen zu beschreiben, warum er in Frankreich, Spanien, Deutschland, Israel und all den anderen Ländern gelebt habe. Bezeichnenderweise ist von den Motiven dann keine Rede mehr.

Daß Hlasko das Spiel mit den Etiketten beherrschte, die ihn bekannt gemacht haben, davon legen "Die schönen Zwanzigjährigen" Zeugnis ab. Schon der junge Autor pflegte die Pose des Rebellen, und nicht nur in Polen, auch im Westen hatte man die passenden Floskeln parat, sprach vom "zornigen jungen Mann der polnischen Literatur", von einem "polnischen James Dean" und vom "Idol der ,lost generation'", von einer "Antwort auf Faulkner, Hemingway und Osborne". In Deutschland erschienen seine Bücher bei Kiepenheuer & Witsch, in den sechziger Jahren nicht zuletzt der Hausverlag des Jungstars Rolf Dieter Brinkmann. "Was soll ein Schreibender tun, der niemals Mitglied der Partei war, der keine Hymnen zu Ehren der politischen Polizei verfaßt hat und den sie in seinem eigenen Land nicht drucken wollen, weil sie ihm eine konterrevolutionäre Haltung vorwarfen?" fragt der Erzähler im fünften Kapitel der "Memoiren", das den Titel "Feliks Dzierzynski und Bogey" trägt. Als Antwort folgen vier mögliche "Leben als Gebrauchsanweisung", von der vorgetäuschten Geisteskrankheit über die Rolle des vom Kommunismus Enttäuschten und die Zuhälterei bis zum Gefängnisaufenthalt, dem letzten "stillen Hafen".

Natürlich ist das zynisch. Hlaskos anekdotische Erzählungen entbehren aber nicht der Komik, vor allem dann nicht, wenn er sich etwa über die Figur des "lausigen Polen" in Film und Weltliteratur mokiert: den Gronowski in der Verfilmung der "Brüder Karamasow", den Landsmann in Putraments "Die Arche Noah" oder die polnischen Arbeiter in Faulkers "Wilde Palmen", die kein Englisch sprechen und jeden, der ihnen nicht gefällt, mit Dynamit in die Luft jagen. Schade nur, daß die Anmerkungen der übersetzten Ausgabe, die zu Recht einige der polnischen Namen kommentiert, zuweilen wenig ergiebnig sind. Daß jemand als "bahnbrechend für die Moderne" gilt oder "weitreichende Veränderungen in Politik und Gesellschaft" hervorruft, sagt dem Leser wenig.

Für Marek Hlasko, den Späher und Informanten, gab es keinen Fluchtweg mehr. 1969 starb er an einer Überdosis Schlaftabletten in Wiesbaden, wo er sich mit dem Drehbuchautor seines Romans "Alle hatten sich abgewandt" getroffen hatte. In seiner Tasche befand sich ein Rückflugticket nach Israel.

Marek Hlasko: "Die schönen Zwanzigjährigen". Erzählungen. Aus dem Polnischen übersetzt von Roswitha Matwin-Buschmann. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 2000. 240 S., geb., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Man nennt ihn den "polnischen James Dean", schreibt Katharina Döbler, und findet in dieser Autobiografie jene Momente, die sein Leben tatsächlich als "so wild und schnell und kurz" kennzeichnen wie das des amerikanischen Schauspielers. Indem sie Struktur und Details, den Übergang von Polen nach Paris und Stationen des Davor und Danach, nachzeichnet, thematisiert sie das exzessiv in Kneipen gelebte Leben, das immerwährende Fremd-Sein des so plötzlich Erfolgreichen. Aber sie arbeitet auch die dunkleren Momente, das "Zynische" seiner Haltung bzw. Situation heraus; wie er als Siebzehnjähriger "zu Spitzeldiensten erpresst" sich "durch anhaltendes Fabulieren entzieht", jedoch tatsächlich auch dem Drang nach "Geltung" nachkommt, die sich für ihn später realisiert, als er "die Stimme seiner Generation" geworden ist. Charakteristisch für sein Leben - und dieses Buch - scheint für die Rezensentin vor allem aber das Wort "Odyssee", das sie gleich zweimal gebraucht für den polnischen Autor, der heute in Polen zur "perfekten Vorlage der modernen unchristlichen Legenden" geworden ist.

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