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Nie hat die SPD im Bund länger regiert, nie die deutsche Gesellschaft intensiver geprägt als in den Jahren von 1969 bis 1982, die als das 'sozialdemokratische Jahrzehnt' der alten Bundesrepublik gelten. Der Bochumer Historiker Bernd Faulenbach stellt seine Bilanz der Sozialdemokratie jener Jahre in den Kontext der damaligen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzungen. Eines der herausragenden Jahrzehnte der Bonner Republik war die Zeit Willy Brandts und Helmut Schmidts, die Zeit des großen Aufbruchs und des Protestes, der Neuen Ostpolitik und der Nachrüstungsdebatte,…mehr

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Produktbeschreibung
Nie hat die SPD im Bund länger regiert, nie die deutsche Gesellschaft intensiver geprägt als in den Jahren von 1969 bis 1982, die als das 'sozialdemokratische Jahrzehnt' der alten Bundesrepublik gelten. Der Bochumer Historiker Bernd Faulenbach stellt seine Bilanz der Sozialdemokratie jener Jahre in den Kontext der damaligen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzungen. Eines der herausragenden Jahrzehnte der Bonner Republik war die Zeit Willy Brandts und Helmut Schmidts, die Zeit des großen Aufbruchs und des Protestes, der Neuen Ostpolitik und der Nachrüstungsdebatte, der inneren Reformen und der alternativen Herausforderungen. Doch nicht nur die Gesellschaft, auch die SPD war einem tiefgreifenden Wandel unterworfen - ein Spiegel der großen Probleme, die sich seit 1973/75 häuften: von der weltwirtschaftlichen Entwicklung über den Terrorismus bis hin zu einem verwirrenden 'Klimawandel' in der internationalen Politik.
Autorenporträt
Bernd Faulenbach geb. 1943, Dr. phil., Historiker, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Bundesrepublik und DDR. Der Autor ist Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2012

Fortschreitende Sehschwäche
Bernd Faulenbach erhebt die Kanzlerschaften von Brandt und Schmidt zum "sozialdemokatischen Jahrzehnt"

Periodisierungen sind in der Geschichtsschreibung gang und gäbe, aber meist nicht unproblematisch. Relativ unstrittig ist die Benennung nach Name und Regierungszeit der führenden Persönlichkeit. Kontrovers sind hingegen Periodisierungen nach sachlichen Inhaltskriterien, weil sie den Anspruch auf Sinngebung und die Tendenz zur Erhöhung einer bestimmten Politik enthalten. Zu diesem Typus gehört der vorliegende Band, mit dem die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zum sozialdemokratischen Jahrzehnt erhoben werden. Der 1943 geborene Autor ist Historiker an der Universität Bochum und zugleich Zeitzeuge und engagierter Sozialdemokrat (so als Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD). Er betont eingangs, diese Tatsache dürfe nicht zu der Annahme verleiten, dass hier "Geschichte von innen oder in parteiischer Absicht" geschrieben werde. Das Bemühen um "Gerechtigkeit des Urteils" nimmt er ausdrücklich für sich in Anspruch; den Begriff Objektivität vermeidet er.

Bernd Faulenbach kann auf zahlreiche eigene Vorstudien, die reichhaltigen Quellenbestände vor allem der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Willy-Brandt-Archivs und umfangreiche Sekundärliteratur zurückgreifen, die er sorgfältig nachweist und auswertet. Das klare Programm lautet: "Es geht weniger um die Feststellung neuer Details durch akribische Aktenstudien, als um die Interpretation der Entwicklungslinien der Sozialdemokratie im Kontext ihrer Zeit, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verhältnisse wie der internationalen Politik."

Sinnvollerweise wird die enge Verzahnung von Innen- und Außenpolitik nachgezeichnet. Die neue Ostpolitik, die als Modus-Vivendi-Politik im Rahmen des Konzepts einer neuen europäischen Friedensordnung interpretiert wird, war "in hohem Maße von den internationalen Tendenzen abhängig" und wirkte auf sie zurück. Dieser Politikbereich und die breite Reformpolitik im Innern, die in einer euphorischen Stimmung durchgeführt wurde, kennzeichneten den Anfang der sozialliberalen Koalition. Abgesehen von der gelegentlichen Einfügung von Spezialkapiteln - etwa zur spannungsreichen Führungstroika Brandt-Schmidt-Wehner - folgt die Darstellung dem chronologischen Prinzip: 1969 bis 1974 und 1974 bis 1982. Die Sinnhaftigkeit dieser Gliederung ergibt sich aus dem tiefen Einschnitt des Jahres 1974, der nicht nur durch den Wechsel im Kanzleramt, sondern zudem durch den "Umschlag des Zeitklimas", durch Wechsel der Themen und der politischen Tagesordnung und durch die erste ökonomische Krise bestimmt war. Ökonomisierung ist dort das Schlüsselwort; und die "neue Unübersichtlichkeit" ist das situative Kennzeichen.

Indem der Autor den Kanzlerwechsel als "Symbol einer Epochenwende" beschreibt und ein zentrales Kapitel entsprechend betitelt, reduziert sich die behauptete Epochenqualität der gesamten siebziger Jahre auf den Umstand, dass beide Kanzler Sozialdemokraten waren und "die Sozialdemokratie" bis 1982 die Regierung im Bund verteidigen und die Deutschland- und Außenpolitik ebenso wie die Innenpolitik prägen konnte - wobei freilich zu bedenken ist, dass dies in einer Koalitionsregierung mit der FDP geschah und schon deshalb eine Gleichsetzung von SPD-Politik und Regierungspolitik nicht statthaft ist. So drängt sich die Frage auf, wie es denn mit der politischen Einheitlichkeit der Sozialdemokratie als Partei und der angeblichen sozialdemokratischen Grundkontinuität von Brandt bis zum Ende der Regierungszeit Schmidts bestellt war.

Das Bild, das die Partei bot, ist diffus und alles andere als einheitlich. Das ergibt sich aus den eigenen Darlegungen des Autors und aus zahlreichen Belegen, und zwar sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik. Faulenbach zeigt überzeugend, wie die Reformpolitik "Teil des innerparteilichen Richtungsstreits" wurde. Bei der Auseinandersetzung mit kommunistischen Gruppen führte der Weg vom "Radikalenerlass" von 1972 zu dessen Aufkündigung im Jahre 1976. Jusos und Teile der Linken "entdeckten gemeinsame Wurzeln, Interessen und Ziele mit Kommunisten bei der Realisierung einer sozialistischen Gesellschaft". Zwar wurden formelle Bündnisse mit kommunistischen Gruppen ausgeschlossen. Aber informell, etwa in den Universitäten, wurde diese Zusammenarbeit durchaus praktiziert - mit bitteren Konsequenzen für die Freiheit von Forschung und Lehre, so dass auch namhafte Sozialdemokraten sich veranlasst sahen, den "Bund Freiheit der Wissenschaft" mitzugründen beziehungsweise ihm beizutreten. Faulenbach räumt ein, dass (wie er es vage ausdrückt) "bestimmte Positionen" bei den Jusos und dem linken Flügel der SPD es dann der CDU und CSU "erleichterten", Freiheit und Sozialismus zu kontrastieren.

In der Deutschlandpolitik, also im Verhältnis zur DDR, war der Richtungsstreit noch größer. Die These von einem "Revisionismus" der SPD in der Wiedervereinigungsfrage hält der Autor freilich für überzogen. Was die Außenpolitik anbelangt, so bestreitet Faulenbach einerseits, dass Kanzler Schmidt im Vergleich mit seinem Amtsvorgänger eine "modifizierte" Ostpolitik geführt habe; seine Außenpolitik habe "eine eindeutig sozialdemokratische Fundierung und Prägung" gehabt. Andererseits konstatiert er eine "Arbeitsteilung" zwischen der Politik der Regierung Schmidt und der Politik des Parteivorsitzenden Brandt und der SPD. Es habe die "Gefahr" bestanden, dass Brandt in der Außenpolitik "ein Widerlager zu Schmidt" bildete. In der Deutschlandpolitik übernahm der Fraktionsvorsitzende Wehner im gewissen Sinne diese Rolle.

Von zentraler Bedeutung war schließlich die Nato-Nachrüstungsdebatte und die Friedensbewegung. Auch Faulenbach sieht hier eine "deutliche Entzweiung" zwischen Schmidt und Brandt. Mehr noch: Schmidts Politik des strategischen Gleichgewichts sei "niemals in den Kernbereich sozialdemokratischer Vorstellungen" aufgenommen worden. Vergleicht man diesen Kernbereich mit Schmidts Credo, Entspannungspolitik sei "die Fortsetzung der Strategie des Gleichgewichts unter Hinzuziehung anderer Mittel", so wird ersichtlich, dass von einer einheitlichen sozialdemokratischen Politik in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht die Rede sein kann. Die "Zerrissenheit der SPD" in der Nachrüstungsfrage bedrohte die Handlungsfähigkeit der Partei und der Regierung. Schon auf dem Parteitag von 1979 hatte Schmidt in dieser Frage ein Drittel der sozialdemokratischen Delegierten gegen sich. Nach dem Regierungsende votierten auf dem Kölner Parteitag (November 1983) nur dreizehn Delegierte mit Schmidt. Die übergroße Mehrheit lehnte die Stationierung der Mittelstreckensysteme ab. Sie wurde dann bekanntlich von der schwarz-gelben Regierung Kohl/Genscher durchgeführt und veranlasste nachweislich Gorbatschow zum Einlenken auf die Null-Lösung.

Man kann also schwerlich das Kernstück der Schmidtschen Entspannungspolitik als inhaltlichen Bestandteil des sozialdemokratischen Jahrzehnts werten. Wie es um das ominöse "sozialdemokratischen Jahrzehnt" aus der Sicht der beiden Hauptakteure tatsächlich bestellt war, ist dem Briefwechsel zwischen Brandt und Schmidt vom 2. und 11. November 1982 zu entnehmen, den Faulenbach in einer Anmerkung referiert. Schmidt kritisierte mit deutlichen Worten die Entwicklung der Partei und den Parteivorsitzenden und stellte fest, dass er und Brandt "seit einem Jahrzehnt verschiedener Meinung über Aufgabe und nötige Gestalt der deutschen Sozialdemokratie" seien.

Gewiss, man kann, wie der Autor, argumentieren, dass die siebziger Jahre insofern doch ein sozialdemokratisches Jahrzehnt waren, als die Sozialdemokratie im politischen Zentrum stand. Aber sie war zunehmend eine "zerrissene" Partei, wobei nach dem Urteil Faulenbachs für das Koalitionsende nicht die Auseinandersetzungen der SPD über die Nachrüstung, sondern die Gegensätze in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Koalition ursächlich waren. Es ist das Verdienst des Autors, dass er die innerparteilichen Auseinandersetzungen und Flügelkämpfe in der SPD ausführlich beschrieben, analysiert und interpretiert hat, und zwar aus zentristischer Perspektive.

Dass es neben der Sozialdemokratie auch "andere Strömungen" gegeben hat, wird zwar in einer Anmerkung als evident notiert; aber nur die Auseinandersetzungen mit den kommunistischen Tendenzen werden beschrieben. Die konservativen "Strömungen" werden nur am Rande und oberflächlich wahrgenommen. Es handelt sich ja nicht um die Geschichte der Bundesrepublik, sondern um die der SPD in den siebziger Jahren. Ob das vom Autor bekundete Bemühen um "Gerechtigkeit des Urteils" gegenüber den Führungspersönlichkeiten und den Parteiflügeln der SPD sowie gegenüber dem Koalitionspartner FDP und der CDU/CSU-Opposition als erfolgreich angesehen werden kann, wird der geneigte Leser je nach eigener Position und Perspektive unterschiedlich beantworten.

WERNER LINK

Bernd Faulenbach: Das sozialdemokratische Jahrzehnt. Von der Reformeuphorie zur neuen Unübersichtlichkeit. Die SPD 1969-1982. Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2011. 824 S., 48,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Periodisierungen in der Geschichtsschreibung steht der Rezensent skeptisch gegenüber. Die 70er Jahre als das sozialdemokratische Jahrzehnt zu interpretieren, wie es der Autor dieser Studie macht, lässt bei Werner Link die Alarmglocken läuten. Genaueres Hinsehen führt ihn zu einem Punkt, wo das umfangreiche von Bernd Faulenbach, einem bekennenden Sozialdemokraten übrigens, gewissenhaft ausgewertete Quellenmaterial (der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Willy-Brandt-Archivs) die These des Autors zu torpedieren scheint. Der Koalitionspartner FDP, der Zwist zwischen Brandt und Schmidt in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik - für Link Hinweise auf eine alles andere als einheitliche SPD. Dass die 70er von der Sozialdemokratie geprägt waren, meint er, lässt sich wohl sagen. Was Sozialdemokratie damals bedeutete, findet er indessen umso schwieriger festzustellen.

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