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Karl Schiller war einer der bedeutendsten Wirtschaftspolitiker der Bundesrepublik. Ehemals Mitglied der NSDAP und wirtschaftswissenschaftlicher Berater der nationalsozialistischen Politik, legte der sozialdemokratische Professor eine rasante Nachkriegskarriere hin, wurde 1966 Wirtschaftsminister der Großen Koalition und 1969 Wirtschafts- und Finanzminister der sozialliberalen Regierung Willy Brandts. Mit diesem Buch liegt nun die erste Biographie über den ersten westdeutschen "Superminister" vor. Karl Schiller war ein Grenzgänger zwischen den Welten. Als Professor für Volkswirtschaft zog es…mehr

Produktbeschreibung
Karl Schiller war einer der bedeutendsten Wirtschaftspolitiker der Bundesrepublik. Ehemals Mitglied der NSDAP und wirtschaftswissenschaftlicher Berater der nationalsozialistischen Politik, legte der sozialdemokratische Professor eine rasante Nachkriegskarriere hin, wurde 1966 Wirtschaftsminister der Großen Koalition und 1969 Wirtschafts- und Finanzminister der sozialliberalen Regierung Willy Brandts. Mit diesem Buch liegt nun die erste Biographie über den ersten westdeutschen "Superminister" vor. Karl Schiller war ein Grenzgänger zwischen den Welten. Als Professor für Volkswirtschaft zog es ihn immer wieder in die praktische Politik. Ende der 1960er Jahre avancierte er Typus des kühlen, sachbezogenen Ökonomen kurzzeitig sogar zum populärsten Politiker der Bundesrepublik. Wie war das möglich? Und wie kam es zum tiefen Sturz des "Superministers", der 1972 aus der Regierung austrat, der SPD den Rücken kehrte und sich im anschließenden Bundestagswahlkampf für die CDU engagierte? Erzählt wird von Schillers Freundschaft mit Künstlern wie Günter Grass, von der Rivalität zu seinem einstigen Studenten Helmut Schmidt, der sein Nachfolger im Kabinett Willy Brandts werden sollte. Mit Hilfe bislang unbekannter Quellen wird die Lebensgeschichte eines überragenden Ökonomen und Politikers erzählt, in dem viele eine große "Diva" der Bonner Politik sahen.
Autorenporträt
Torben Lütjen geb. 1974, Dr. disc. pol., Politikwissenschaftler, Studium in Göttingen, Caen und Berkeley, Mitarbeiter des DFG-Graduiertenkollegs "Freunde, Gönner, Getreue: Praxis und Semantik von Freundschaft und Patronage in historischer, anthropologischer und kulturvergleichender Perspektive" der Universität Freiburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2008

Optimistischer Technokrat
Karl Schiller prägte lange Zeit die Wirtschaftspolitik der SPD
So stellt man sich eine moderne Doktorarbeit vor: Flott, bisweilen süffisant-schnoddrig geschrieben, am Puls der Zeit, doch sämtliche Nuancen ausleuchtend, da dem Autor das Quellenmaterial bestens erschlossen ist. Torben Lütjen gelingt dieser Husarenritt in seinem Buch über Karl Schiller, den „Superminister” Willy Brandts, über weite Strecken. Allerdings schießt der junge Göttinger Politikwissenschaftler über das Ziel hinaus, sobald er Persönlichkeit, Eigenarten und Marotten Schillers in altkluger und psychologisierender Manie einzuordnen beabsichtigt. Beispiel im Hinblick auf seine dritte Ehe: „In einer traurigen Metamorphose hatte sich Schiller in der öffentlichen Wahrnehmung vom mutigen Rezessionsbekämpfer und Retter der Nation zum obersten Pantoffelhelden der Republik entwickelt.” Oder: „Und so sollte auch Karl Schiller seine inneren Verletzungen bis zum letzten Atemzug mit sich durch die Welt tragen.”
Über Kindheit und Jugendzeit hatte sich der Politiker stets ausgeschwiegen. Erhellendes vermochte da auch sein Biograph nicht ans Tageslicht zu fördern. Die Ehe der Eltern war gescheitert, das Einzelkind wuchs in Kiel auf, studierte Volkswirtschaft und avancierte, halb gewollt, halb unbeabsichtigt, zum „Theoretiker der nationalsozialistischen Arbeitsbeschaffung”. In seiner Promotion belegt Schiller die positiven konjunkturellen Auswirkungen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ohne diese als eine ausschließlich nationalsozialistische Errungenschaft hervorzuheben. Dem keynesianischen Leitgedanken des deficit spending blieb sich Schiller bis zu seinem Rücktritt 1972 treu.
Wie sich der ehrgeizige und gleichermaßen sendungsbewusste Schiller durch die Wirren der jüngeren deutschen Geschichte durchlavierte und ihm trotz NSDAP-Mitgliedschaft nach 1945 eine steile Karriere in der SPD gelang, dies erzählt Lütjen präzise und in einer schnörkellosen Sprache. Amüsant zu lesen auch das erste Zusammentreffen von Schiller, damals Wirtschaftssenator in Hamburg, und seinem späteren persönlichen Referenten Helmut Schmidt.
Beide Männer waren sich in ihrer Selbsteinschätzung zu ähnlich, als dass es je zu einem harmonischen und vertrauensvollen Verhältnis hätte kommen können – weder zu Hamburger Zeiten noch später während der Großen Koalition oder unter Kanzler Brandt. Dem Höhenflug folgte ein jäher Absturz. 1972 Rücktritt vom Ministerposten, Austritt aus der SPD, Annäherung an die CDU. Zu allem Unglück verließ ihn auch noch seine dritte Frau. Schiller stürzte in eine tiefe Krise und erholte sich an der Seite seiner vierten Frau nur langsam. Er wurde versöhnlicher zu sich selbst. Die Kinder, schreibt Lütjen, registrierten die Veränderungen ebenfalls. Und die Enkelkinder „fielen dem Opa zur Begrüßung herzlich und überschwänglich um den Hals. Der ließ das geschehen, etwas unsicher zwar, aber auch sichtlich gerührt”.
Schiller war ein überzeugter Vertreter des ökonomischen Wachstums. Wie kein Zweiter prägte der Professor und zwischenzeitliche Rektor der Universität Hamburg die Wirtschaftspolitik der SPD bis in die 70er Jahre. Ohne ihn, seinen Sachverstand und sein bürgerliches Auftreten hätte sich die Partei schwergetan, den Nachweis ihrer Regierungsbefähigung zu erbringen. Lütjen erzählt aus dem Leben eines „optimistischen Technokraten”, der die Zeichen seiner Zeit richtig einzuordnen verstand und sich dabei schon einmal die Freiheit herausnahm, seine Meinung zu ändern, ohne dies anderen zuzugestehen.
1968 lehnten Schiller, Kiesinger und Strauß die Aufwertung der Mark kategorisch ab. Ein halbes Jahr später überraschte der Finanzminister das Kabinett mit dem entgegengesetzten Ratschlag; Schillers Einschätzung nach drohte andernfalls die Konjunktur zu überhitzen, was Lohn- und Preisstabilität gefährde. Seinen hervorragenden Umfragewerten tat dieser Schwenk keinen Abbruch. Schiller stieg nach Bundespräsident Heinemann zum zweitbeliebtesten Politiker auf. Der Bundestagswahlkampf 1969 kulminierte im Streit um die Aufwertung. Und niemandem außer Karl Schiller traute die Mehrheit der Wähler zu, die Währung stabil zu halten.
Dass der Finanz- und Wirtschaftsminister 1972 zurücktrat, war ebenfalls einem währungspolitischen Disput geschuldet: Es ging um die Freigabe der Wechselkurse. Schiller lehnte dirigistische Eingriffe ab, setzte sich aber nicht durch. Als kleine Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik lässt sich die Biographie auch lesen, wenngleich der Autor Vorkenntnisse voraussetzt. Da merkt man dann wieder, dass das Buch eine wissenschaftliche Abhandlung ist, eine Doktorarbeit eben. GODEHARD WEYERER
TORBEN LÜTJEN: Karl Schiller (1911-1994). „Superminister” Willy Brandts. Dietz-Verlag, Bonn 2007. 403 Seiten, 34,00 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2007

Der Superminister
Eine Biographie zeichnet das Leben Karl Schillers nach

Sein wirtschaftspolitisches Credo formulierte Karl Schiller schon früh: "So viel Wettbewerb wie möglich; so viel Planung wie nötig." Später beeindruckte er SPD-Wähler mit fachmännisch klingenden Schlagwörtern wie "Globalsteuerung" oder "Konzertierte Aktion". Kurz vor seinem Fall rief er Parteifreunden seinen im Nachhinein vielleicht bekanntesten Satz zu: "Genossen, lasst die Tassen im Schrank!"

Die Bundesrepublik kannte bislang zwei herausragende Wirtschaftsminister: Ludwig Erhard stand für die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, Karl Schiller trug mit seinem Konzept eines gemäßigten Keynesianismus mehr als jeder andere Sozialdemokrat zur Regierungsfähigkeit der SPD im Bund bei.

Der junge Politikwissenschaftler Torben Lütjen hat nun eine Biographie Schillers vorgelegt, die diese Bezeichnung auch verdient und die sich unter anderem auf den Nachlass des ehemaligen Ministers stützt. Gleichwohl bleibt die Annäherung an Schiller schwierig: Der Politiker und Ökonom war meist verschlossen wie eine Auster, und so sehr er wohl Stabilität und Ordnung suchte, so sprunghaft verhielt er sich in seinem Berufs- wie in seinem Privatleben. In Schiller verbanden sich intellektuelle Brillanz, die Neigung zu Exaltiertheit, Distanz und Kälte gegenüber seinen Mitmenschen sowie ein Anflug von Mimosenhaftigkeit. Kurz: Er war kompliziert und schnell beleidigt, aber er hatte auch etwas, das die meisten anderen nicht besaßen. Das machte ihn interessant.

Die Überzeugungen des späteren Ökonomen und Politikers reiften in jungen Jahren heran. Der in schwierigen Verhältnissen und ohne Vater aufgewachsene Schiller wollte eigentlich Ingenieur werden, studierte aber Ökonomik in der Überzeugung, sich auch hier mit einer rationalen, mathematisch fundierten Wissenschaft zu beschäftigen, die überdies geeignet schien, die gelegentliche Irrationalität der Politik in wohltuend sachgemäßes Handeln zu transformieren.

Schiller war zuerst beeinflusst durch die Ökonomen Adolf Löwe, Eduard Heimann und Emil Lederer, die von einer Art religiösem Sozialismus als einer heileren Welt träumten, in ihrer wissenschaftlichen Arbeit aber Verständnis für Marktwirtschaft und Wettbewerb besaßen. Das Vertrauen des jungen Schiller in die Marktwirtschaft litt jedoch - wie bei vielen Ökonomen seiner Generation - in der Weltwirtschaftskrise, und so begann er sich schon in seiner Dissertation mit der Möglichkeit von Staatseingriffen zu befassen, was ihn in die Nähe der Arbeiten des britischen Ökonomen John Maynard Keynes führte. Seitdem war und blieb Schiller Anhänger eines "dritten Weges" zwischen einer liberalen, weitgehend unregulierten Marktwirtschaft und einem durch zentrale Planwirtschaft gelenkten Sozialismus.

Schiller trat vermutlich aus Opportunismus in die NSDAP ein, schrieb Gutachten am Kieler Institut für Weltwirtschaft und diente im Zweiten Weltkrieg. Sein Lebenstraum, eine Professur an einer angesehenen Hochschule, erfüllte sich erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Hamburg, wo unter anderen Helmut Schmidt bei ihm studierte. Kurz darauf ereilte ihn, der mittlerweile der SPD angehörte, der Ruf, in Hamburg Senator für Wirtschaft zu werden.

Wie Lütjen schreibt, hat sich Schiller nie um ein politisches Amt beworben. Immer rief man ihn, zuerst Ende der vierziger Jahre in Hamburg und, nach einigen Jahren an der Universität, wieder Anfang der sechziger Jahre. Willy Brandt ernannte den ehrgeizigen und stolzen, gegenüber den Genossen jedoch oft hochmütig auftretenden Hanseaten zum Wirtschaftssenator in Berlin.

Die Begegnung mit dem "Menschenfischer" Brandt prägte Schiller, der mittlerweile als führender Wirtschaftsfachmann seiner Partei galt, und verleitete ihn dazu, in der Politik zu bleiben. 1966 kam Schillers große Stunde: Als Wirtschaftsminister in der Großen Koalition bildete er nicht nur ein legendäres Duo mit Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU), sondern konnte auch seine technokratischen Phantasien in die Praxis umsetzen.

Schiller installierte die "Konzertierte Aktion", in der sich die Regierung, Sachverständigenrat, Arbeitgeber und Gewerkschaften um eine Koordination vor allem der Lohnpolitik bemühten. Daraus entstanden Sitzungen, die gewöhnlich nicht unter acht Stunden dauerten und von denen es damals in der Presse hieß, Schiller zelebriere sie "wie eine private Messe". Die Anerkennung der Öffentlichkeit war groß, nur ein seltener Kritiker wie Kurt Biedenkopf geißelte in dieser Zeitung die Veranstaltung als "geschlossenes Kartell, in dem die mächtigen Einflussgruppen einen gefährlichen Neo-Korporatismus installieren".

Geprägt hat Schiller auch das berühmte "Stabilitätsgesetz", in dem der Staat das "magische Viereck" aus Wirtschaftswachstum, Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung und Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts garantieren soll. Die Versöhnung von Markt und Staat schien gelungen; Schiller wurde für die SPD zur Wahllokomotive.

Auf der Höhe seiner Macht befand sich der Hanseat in der sozialliberalen Koalition von 1969 an; zunächst als Wirtschaftsminister, später als "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen. Doch schon drei Jahre später war alles vorbei, als Schiller tief enttäuscht zurücktrat und sein "Superministerium" ausgerechnet an seinen parteiinternen Widersacher (und ehemaligen Studenten) Helmut Schmidt übergeben musste.

Er war an seinem Fall nicht unschuldig. "Es waren nicht zuletzt die ökonomischen Heilsversprechen Karl Schillers, die die geistigen und atmosphärischen Voraussetzungen für das Aufbruchspathos der sozialliberalen Koalition schufen: Er hatte suggeriert, die Ökonomie sei beherrschbar geworden, die Politik ihr nicht mehr länger unterworfen", schreibt Lütjen. Als die Wirtschaft schlechter lief, die Regierung aber immer mehr Geld ausgeben wollte, wirkte Schiller plötzlich ratlos und, da er wegen seiner komplizierten Persönlichkeit keinen Rückhalt in der SPD besaß, angreifbar. Überdies begannen sich die Medien auf ihn einzuschießen, bis Schiller Anfang Juli 1972 nach einem Streit über Devisenkontrollen zurücktrat. Dass mit Schiller die gesamte Idee der Planbarkeit von Wirtschaftspolitik gescheitert war, wurde vielen Politikern erst später bewusst.

GERALD BRAUNBERGER

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Rödder zeigt sich überaus zufrieden mit Torben Lütjens Biografie über Karl Schiller, Wirtschaftsminister der ersten Großen Koalition und "Superminister" der Regierung Brandt. Die aus Quellen gearbeitete Studie zeichnet ein instruktives, überzeugendes Bild des wechselvollen Lebens des höchst talentierten, eitlen und unausgeglichenen SPD-Politikers, seiner wirtschaftspolitischen Überzeugungen, seiner vier Ehen, seiner Vergangenheit im Dritten Reich, seinem Aufstieg und Fall innnerhalb der SPD, so Rödder. Er findet das Buch "gut geschrieben" und lobt die zahlreichen "bemerkenswert feinsinnigen Beobachtungen und Reflexionen", die Lütjens liefert. Einen Minuspunkt vergibt er nur für das Fehlen eines Resümees. Rödder selbst würdigt Schiller schließlich als eine Persönlichkeit, "in der sich auf eine ganz eigene Weise zentrale Stränge der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert bündeln".

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