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Zum ersten Mal wird hier gewagt, eine Geschichte der musikalischen Bildung in einen Zeitrahmen von mehr als 3.000 Jahren zu stellen. Damit verbindet sich der Anspruch, ein Bild zu zeichnen, das nicht erst - wie bisher üblich - um 800 oder gar erst um 1.800 beginnt. Denn die Grundentscheidungen über den Bildungsrang der Musik im europäischen Abendland sind da längst gefallen: in den antiken Hochkulturen und im Christentum.Musik ist mehr als Musik - und Bildung ist mehr als Pädagogik, denn Musik ist ein unübertroffener Spiegel der Welt. Musikalische "Weltbilder" haben ganze Nationen,…mehr

Produktbeschreibung
Zum ersten Mal wird hier gewagt, eine Geschichte der musikalischen Bildung in einen Zeitrahmen von mehr als 3.000 Jahren zu stellen. Damit verbindet sich der Anspruch, ein Bild zu zeichnen, das nicht erst - wie bisher üblich - um 800 oder gar erst um 1.800 beginnt. Denn die Grundentscheidungen über den Bildungsrang der Musik im europäischen Abendland sind da längst gefallen: in den antiken Hochkulturen und im Christentum.Musik ist mehr als Musik - und Bildung ist mehr als Pädagogik, denn Musik ist ein unübertroffener Spiegel der Welt. Musikalische "Weltbilder" haben ganze Nationen, Geschichtsepochen und Kulturkreise bis in ihre politische Gestalt hinein geprägt: Musik hat "gebildet" im ursprünglichen Sinn des Wortes."Die Geschichte der musikalischen Bildung" gibt Antworten auf Fragen wie:- Welche Rolle spielen Musik und Bildung in verschiedenen Epochen?- Welche Funktion hat musikalische Bildung für den Staat und für die Entwicklung der Persönlichkeit?- Wie geben ein Schamane in Sibirien, ein Ritter aus dem hohen Adel und ein lutherischer Lehrerkantor musikalisches Wissen (vermutlich) weiter?- Wie funktionieren musikbildende Institutionen wie die Schola Cantorum, die Meistersingerschulen oder das Thomaskantorat unter J.S. Bach?- Was denken Augustinus, Luther, Comenius, Rousseau, Goethe, Fröbel und Adorno über musikalische Bildung und Praxis?Der Leser wird zu 40 Stationen unserer Kultur- und Bildungsgeschichte geführt - von der Antike bis zur Gegenwart.Ausgezeichnet mit dem Deutschen Musikeditionspreis 2006.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2006

Erkennen Sie die Melodie?
Karl Heinrich Ehrenforths Geschichte der musikalischen Bildung

Die musikalische Unterforderung in heutigen Schullehrplänen spricht der ehrwürdigen Tradition der Musikpädagogik hohn. In dieser Situation reißt Karl Heinrich Ehrenforth historische Perspektiven musikalischer Erziehung auf.

An eine umfassende Geschichte der musikalischen Bildung in kultur- und ideengeschichtlicher Perspektive hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum mehr jemand herangetraut. Die Gründe liegen auf der Hand: Das Feld war zu umfangreich, der Gegenstand oftmals zu unscharf - überdies schien manches an der jüngeren Geschichte nationaler Sing- und Musikbewegungen in Europa durch totalitären Mißbrauch diskreditiert zu sein, oder es klang zu "musikantisch" in mißtrauischen Ästhetenohren.

Karl Heinrich Ehrenforth, lange Zeit Professor für Musikpädagogik an der Musikhochschule Detmold, Inhaber wichtiger Ämter in der deutschen und internationalen Musikerziehung, hat sich durch solche Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen. Er legt auf 554 Seiten eine Geschichte der musikalischen Bildung in einem Zeitraum von 3000 Jahren vor, nachdem er 1997 im Artikel "Musikpädagogik" der MGG eine konzentrierte Skizze zur Thematik veröffentlicht hatte.

Das Buch hat es in sich. Ehrenforth nutzt die Blickerweiterungen der jüngeren Musikwissenschaft (Dahlhaus, Eggebrecht, Gruhn, Rainbow, van Waesberghe), um alte nationale pädagogische Perspektiven zu überwinden. Was er vorlegt, ist weit mehr als eine Geschichte der institutionalisierten Musikerziehung oder gar der Schulmusik im engeren Sinne. Doch er widersteht auch der Versuchung, seinen Entwurf gleich kühn als eine Weltgeschichte der musikalischen Bildung auszugeben: Sein Überblick beginnt zwar mit den frühen Hochkulturen, verjüngt sich aber im weiteren Verlauf vorwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) auf Europa, wobei besonders die wechselvolle jüngere Geschichte der "musikalischen Volksbildung" in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch in England, Skandinavien, Ungarn eine Rolle spielt.

Ein so umfangreiches Material übersichtlich anzuordnen, so daß über dem Enzyklopädischen das Biographische, das sprechende Detail, die Anekdote nicht zu kurz kommen, ist eine Kunst - und so ist vorab der sorgfältige Disponent Ehrenforth zu rühmen, der erfreulicherweise auch über erzählerische Qualitäten verfügt und ein lesbares, jargonfreies Deutsch schreibt. In vierzig "Stationen" - das Wort ist mit Bedacht gewählt, um den Charakter der Erkundung, des Unabgeschlossenen zu betonen - führt der Verfasser die Leser von den antiken Hochkulturen über das jüdisch-christliche Gotteslob zum Beginn musikalischer Schulung und Traditionsbildung im Mittelalter und von dort zu den neuzeitlichen Jahrhunderten, in denen sich die Standards musikalischer Erziehung endgültig formen und festigen.

Je näher er der Gegenwart kommt, desto kritischer werden Ehrenforths Urteile - das gilt schon für die oft utopischen Entwürfe einer umfassenden "Volksbildung durch Musik" und die patriotischen Unschuldsvisionen nach dem Motto "Wo man singt, da laß dich ruhig nieder. . ." im nationalstaats- und bildungsgläubigen neunzehnten Jahrhundert. Erst recht gilt es für die Musikerziehung im zwanzigsten Jahrhundert. Sie lebte von der weltweiten Sehnsucht nach einer neuen sinnenhaften, körperbetonten, eng mit Rhythmus und Bewegung verbundenen Musikerziehung, fiel aber auf der anderen Seite in den europäischen Ländern nicht selten ins Primitive und Barbarische zurück. Auch die "bösen Menschen" hatten eben ihre Lieder - entgegen dem frommen Sinnspruch.

Wie die "unpolitischen Kleingärten" der Jugend- und Musikbewegung am Ende bis auf wenige Reste von Hitler vereinnahmt wurden, dem "Führer", der die Sehnsucht der Singenden und Spielenden nach der "großen Gemeinschaft" einzulösen versprach, das wird deutlich und ohne Beschönigung geschildert. Der Sturz war tief, die Zerstörung umfassend, die Aufräumarbeiten dauern bis heute an. Und so entlassen uns die letzten, bewußt essayistisch formulierten Kapitel des Buches ein wenig ratlos, sie enden, wie der Verfasser anmerkt, "im spitzen Winkel subjektiver Problemformulierungen für die Zukunft, die jeder Leser auch anders sehen kann".

Das Problem einer Geschichte "langer Dauer" ist nicht nur, daß sie durch viele Zeiten, unterschiedliche Kulturen führt. Sie verlangt vom zuständigen Cicerone auch eine Fülle von Spezialkenntnissen. Wer die Geschichte musikalischer Erziehung und Bildung schreiben will, der muß abwechselnd Religionswissenschaftler und Kulturhistoriker, Theologe und Philosoph, Soziologe und Pädagoge sein. Nicht der Polyhistor ist hier gefragt, sondern der Mehrfachspezialist. Aber kann es ihn überhaupt noch geben - heute, in einer alexandrinischen Zeit, in der unzählige Forscher sich über immer kleinere Ausschnitte der Wirklichkeit beugen?

Selbstverständlich läßt auch "der Ehrenforth" die unterschiedliche Nähe des Autors zu den einzelnen Epochen erkennen. Gleichmäßige Vertrautheit wäre nur von einem Außermenschlichen zu erwarten. Überdies ist manches noch wenig erforscht, wie etwa der Beitrag Roms zur Geschichte der musikalischen Erziehung; anderes liegt im Halbdunkel wie der Zusammenhang von jüdischer und frühchristlicher Psalmodie oder das Auftauchen der Mehrstimmigkeit im Mittelalter - der Verfasser kann hier oft nur eine Summe aus Hypothesen ziehen.

Bemerkenswert ist die Leidenschaft, mit der sich Ehrenforth als studierter evangelischer Theologe in die Geschichte der Orden und der Musik in Klöstern und Kathedralschulen hineingearbeitet hat, die Sorgfalt, mit der er den Aufgang der Kantillation aus dem Sprechen liturgischer Texte und das Bündnis von Cantor und Musicus im christlichen Europa beschreibt. Demgegenüber fallen kleinere Irrtümer kaum ins Gewicht. So findet sich das oft zitierte "Ora et labora" noch nicht in der Benediktregel, die vielmehr von der Trias Hören, Beten, Arbeiten bestimmt ist; Dufay heißt Guillaume Dufay (und nicht de Dufay); und - ärgerlichster Fehler, der aber auch dem Lektorat des Verlags nicht aufgefallen ist: In dem schönen augustinischen Motto, das dem Buch vorangestellt ist, muß es heißen: Cantent facta (singen sollen die Taten) - nicht cantet facta.

Am besten sind jene Kapitel gelungen, in denen sich die theologische Beschlagenheit des Autors mit seiner historischen und musikalischen Kompetenz verbindet: so die Seiten über Luther, über Johann Sebastian Bach (und über die Gegenwelten bei Comenius und Francke). Der Musikerziehung in Venedig und in England sind knappe, aber inhaltsreiche Kapitel gewidmet. Liebevoll werden die Pioniere moderner musikalischer Bildung geschildert: der hochmusikalische Theoretiker und Singspielkomponist Jean Jacques Rousseau und ihm folgend Pestalozzi, Zelter, Fröbel (der Abschnitt über den letzten ist ein Glanzlicht!).

Der musikalischen Jugendbewegung versucht Ehrenforth mit differenzierten Urteilen gerecht zu werden. Jöde, Hensel und Götsch werden verständnisvoll, aber nicht unkritisch porträtiert. Breuers "Zupfgeigenhansl" kommt ins Bild - dagegen fehlt das nicht minder verbreitete katholische Gegenstück, Klemens Neumanns "Spielmann". Dafür wird einer der frühesten katholischen Kritiker des lebensreformerischen Überschwangs der Jugendmusikbewegung, der aus dem Umkreis Romano Guardinis stammende Felix Messerschmid, erstmals in seiner Bedeutung, auch in seinem pädagogischen Wirken in der Nachkriegszeit, gewürdigt. Orffs Schulwerk sprengt die Enge der Jugendmusikbewegung: Es markiert den Übergang zum weltweit neuen Durchbuchstabieren sprachrhythmischer Urmuster. Apart sind die parallelen Lebensläufe von Leo Kestenberg und Zoltán Kodály, die beide in Krisenzeiten musikalische Bildung als Aufgabe nationaler Kulturpolitik begriffen.

Es ist zu bedauern, daß Ehrenforths verdienstvoller Überblick sich gegen Ende wieder zu einer Geschichte der Singerziehung zu verengen droht. Das müßte in künftigen Auflagen ergänzt und korrigiert werden. Natürlich ist das Singen vor allem für Schulmusiker immer der breiteste gemeinsame Nenner der Musikerziehung gewesen - aber darüber sollte die Geschichte der Schulen und Musikhochschulen, der Elitebildung und musikalischen Spitzenförderung nicht vergessen werden.

Überblickt man die hier präsentierten 3000 Jahre musikalischer Erziehung und Bildung, so scheinen sich in Abständen immer wieder ähnliche Erscheinungen zu wiederholen. In den Anfängen begegnen wir einem universellen Entwurf von Musik, der Musik der Griechen, Mörikes "anmutiger Musenkunst" - eng mit Bewegung, Tanz, Mimus, aber auch mit Ethos, Öffentlichkeit, Lebensführung verbunden, viel weiter und umfassender als die heutige Musik, die demgegenüber nur ein Klangspiel ist. Archaische Reste in der modernen Welt sind die Buschtrommel, die Sitzungsglocke, die Trillerpfeife des Schiedsrichters, die Alarmsirene, die allgegenwärtige Motorik der Maschinenwelt. Im Lauf der Zeit wird das alles gedämpft, spezialisiert und aufgegliedert, die universelle Beteiligung verschwindet, Musik zerfällt in eine Minderheit aktiver Virtuosen und eine Mehrheit passiver Hörer und Genießer. Oft wird sie zum unverbindlichen Dekorum der Gesellschaft. Das ruft Gegenbewegungen auf den Plan: Irgendwann bricht die Frage auf, wozu denn Musik "eigentlich da sei", ob nicht "Musik machen" am Ende besser sei als Musik hören - ob Musik nicht für alle da sei, ob sie nicht zumindest eine Botschaft "an alle" habe.

Diese Meinung vertreten vor allem die großen Musikerzieher, denen Ehrenforth in seinem Buch ein Denkmal gesetzt hat: eine stolze, doch nicht ganz unproblematische Reihe, die von Platon bis zu Rousseau reicht. (Ein nicht leicht einzuordnender Gegenwartsfall ist der kundige, doch in seinen Urteilen oft recht einseitige und illiberale Adorno.) Oft meinen sie zu wissen, welche Musik für die Menschen gut oder schlecht sei, welche man unbedingt hören müßte, welche man besser vermeiden sollte. Dann überschreiten sie ihre Grenzen. Heute sind die Musikerzieher im allgemeinen vorsichtiger geworden und wollen nur noch die Balance wahren zwischen dem Überlieferten und dem Modernen, zwischen der überschwenglichen Hoffnung auf "Lebensreform durch Musik" und der kärglichen musikalischen Unterforderung in heutigen Schullehrplänen. Und darin haben sie gewiß recht - darin sollte man sie nicht nur gewähren lassen, sondern sie sogar nach Kräften unterstützen.

HANS MAIER

Karl Heinrich Ehrenforth: "Geschichte der musikalischen Bildung". Eine Kultur-, Sozial- und Ideengeschichte in 40 Stationen. Von den antiken Hochkulturen bis zur Gegenwart. Schott Verlag, Mainz 2005. 554 S., Abb., geb., 62,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rundum gelungen findet Rezensent Hans Maier diese umfassende Geschichte der musikalischen Bildung, die Karl Heinrich Ehrenforth vorgelegt hat. Nicht nur die übersichtliche Anordnung des Stoffes - der Autor führt Leser von den antiken Hochkulturen über das jüdisch-christliche Gotteslob zum Beginn musikalischer Schulung und Traditionsbildung im Mittelalter und zu den neuzeitlichen Jahrhunderten -, sondern auch der gut lesbare, jargonfreie Stil des Autors haben Maier überzeugt. Ihm gelingt es nach Ansicht Maiers die Blickerweiterungen der jüngeren Musikwissenschaft zu nutzen, um alte nationale pädagogische Perspektiven zu überwinden. Maier merkt an, dass sich natürlich eine unterschiedliche Nähe des Autors zu den einzelnen Epochen erkennen lässt. Nichtsdestoweniger würdigt er die Leidenschaft und Sorgfalt dieser verdienstvollen Darstellung. Am besten findet er die Kapitel, in denen sich die theologische Beschlagenheit des Autors mit seiner historischen und musikalischen Kompetenz verbindet.

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