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Die Zeit des frühen chinesischen Mittelalters (ca. 200-600 n.Chr.) gehört zu den am wenigsten erforschten Perioden der chinesischen Geschichte. Die verwirrende Fülle zumeist kurzlebiger Dynastien sowie die Tatsache, daß die gesamte nördliche Reichshälfte zu Beginn des 4. Jahrhunderts von nichtchinesischen Nomadenstämmen erobert worden war, haben dieser Zeit bislang ein Schattendasein innerhalb der sinologischen Diskussion beschert. Dabei waren insbesondere das 5. und 6. Jahrhundert eine Zeit der kulturellen Blüte im Süden des ehemaligen Reiches, wohin sich der chinesische Kaiserhof und…mehr

Produktbeschreibung
Die Zeit des frühen chinesischen Mittelalters (ca. 200-600 n.Chr.) gehört zu den am wenigsten erforschten Perioden der chinesischen Geschichte. Die verwirrende Fülle zumeist kurzlebiger Dynastien sowie die Tatsache, daß die gesamte nördliche Reichshälfte zu Beginn des 4. Jahrhunderts von nichtchinesischen Nomadenstämmen erobert worden war, haben dieser Zeit bislang ein Schattendasein innerhalb der sinologischen Diskussion beschert.
Dabei waren insbesondere das 5. und 6. Jahrhundert eine Zeit der kulturellen Blüte im Süden des ehemaligen Reiches, wohin sich der chinesische Kaiserhof und zahlreiche Adlige nach dem Verlust des Nordens zurückgezogen hatten. Der von den Herrschern der Süddynastien geförderte Buddhismus stand im Zenit seines Einflusses auf Politik und Literatur, eines Einflusses, der auch über die Zeit des Mittelalters und über die Grenzen Chinas hinaus spürbar blieb.
Das Zentrum des kulturellen Lebens im Süden bildeten die im späten 5. Jahrhundert entstehenden Adelssalon s an den Höfen der Herrscher. Die Arbeit stellt den wichtigsten dieser adligen Zirkel, den Salon in der Westlichen Villa des Prinzen Xiao Ziliang, in seinem gesamten historischen Kontext vor.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Lackner lobt in seiner ausführlichen und fachkundigen Rezension die letztjährige Neuerscheinung über das chinesische Frühmittelalter als "Gewinn für den Sinologen". Der Rahmen: Zwischen dem 3. und 5. Jh. n. Chr. wanderte aus dem Norden Chinas sechzig Prozent der dortigen Aristokratie in den Süden aus, um sich im Gebiet südlich des Yangtse anzusiedeln. "Vieles von dem, was wir heute mit der Kultur des traditionellen China verbinden, ist jener Epoche zu verdanken", Kalligraphie und der Buddhismus etwa, so Lackner. Die Auswirkung auf heute: Der Süden empfinde sich gegenüber dem rauen Norden wegen feinerer Küche, höflicherer Umgangsformen und schönerer Sprache als höher zivilisiert. Geistige Verortung fand die "Ära der Südlichen und Nördlichen Dynastien" bei einer buddhistisch geprägten, geistigen Elite, die sich in der Villa des Prinzen Xiao Ziliang (460 - 494) traf: Sie "klassifizierten - durchaus in spielerischem Geist - Maler, Kalligraphen, Literaten und vor allem Schachspieler aus alter und neuer Zeit gemäß den in jener Epoche so beliebten Schemata der Rangordnung.". Die Aufstellung eines kulturellen Kanon also, so Lackner. Der Autor zeige, "zu welch hohem Grad die aus der prinzlichen Villa hervorgegangenen Gedanken das politische, soziale, religiöse und kulturelle Programm der Gründungsphase der Liang-Dynastie (502-557) geprägt haben."

© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2001

Die Seele stirbt nicht im Salon
Thomas Jansen verfolgt die Entstehung der chinesischen Kultur

Auch China hatte seine Völkerwanderung. Allerdings handelte es sich nicht um eine "Invasion der Barbaren", sondern um eine Verlagerung des Schwerpunktes der chinesischen Zivilisation in halbbarbarische Gebiete. Der Norden, also das alte China, war von stets wechselnden nichtchinesischen Herrscherhäusern besetzt. Im Zuge dieser "translatio imperii" flohen zwischen dem dritten und dem fünften nachchristlichen Jahrhundert Millionen Chinesen, darunter mehr als sechzig Prozent der Aristokratie, aus dem Norden in die Gebiete südlich des Yangtse, die bis dahin von einigen Kolonisten chinesischer Abstammung, in der großen Mehrheit jedoch von nichtchinesischen "Barbaren" bewohnt waren. Unter alteingesessenen Kolonisten, den immer neuen Wellen aristokratischer und nichtadliger Zuwanderer sowie der sich allmählich sinisierenden Bevölkerungsmehrheit kam es zu Reibereien: Statusfragen, das Problem der korrekten Sprache (der prestigeträchtige Luoyang-Dialekt der Neueinwanderer stand gegen die von Barbarismen durchsetzten Varianten des Südens), die eher rustikalen Umgangsformen der lokalen Elite, die durch das verfeinerte Zeremoniell der Zugereisten ersetzt wurden - all das bestimmte über Jahrhunderte die Geschichte des Südens.

In jener Epoche beginnt die chinesische Kalligraphie als kanonisierte Kunstform, es werden die Keime für das später auch im Abendland so berühmte Regelgedicht, das in der Tang-Zeit des siebten und achten Jahrhunderts seine Blüte feiern sollte, gelegt; der chinesische Buddhismus erfährt seine erste bedeutende Phase, und aus der Sehnsucht nach Anwendung der Techniken der durch die Person des Buddha geheiligten indischen Metrik entstehen Ansätze zu einer chinesischen Ars poetica. Im Bereich philologischer Exegese entwickelt sich die vormals glossenbesessene alexandrinische Gelehrsamkeit zu Spekulationen über "Vorhandenes und Nichtvorhandenes", die erstmals mit dem abendländischen Projekt der Philosophie vergleichbar werden.

Vieles von dem, was wir heute mit der Kultur des traditionellen China verbinden, ist also jener Epoche zu verdanken, die in der chinesischen Historiographie die "Ära der Südlichen und Nördlichen Dynastien" heißt. Heute empfindet sich der chinesische Süden geradezu als Inbegriff einer höheren Zivilisation gegenüber dem rauhen Norden: Klimatisch privilegiert, hat der Süden die feinere Küche, die höflicheren Umgangsformen, differenzierte Ausprägungen der regionalen Alltagskultur und einen lieblicheren Klang der Sprache. Daß die Wiege der chinesischen Kultur viele Jahrhunderte, bevor die Expansion stattfand, im Norden stand, ist jemandem aus dem Süden oft schwer begreiflich zu machen.

Thomas Jansen zeigt uns, welche gesellschaftlichen Kräfte bei der Erschaffung dieser neuen chinesischen Kultur mitwirkten. Sie entsprangen einer Verbindung von Hocharistokratie, eingesessenen Würdenträgern, Emporkömmlingen und Vertretern der buddhistischen religiösen Elite, die sich über Jahre hinweg in der Villa des Prinzen Xiao Ziliang (460 bis 494) trafen. Jansen ist dem - durch chinesische und japanische Historiker bereits erschlossenen - Personenkreis und den Werken nachgegangen, die aus den Treffen in der Villa des Prinzen hervorgegangen sind. Die fast durchweg als Traditionalisten zu bezeichnenden Gegner der neuen, in der Villa erarbeiteten kulturellen Synthese nahmen an diesen Treffen meist nicht teil, so daß der Untertitel, der "Debatten in der Villa" nahelegt, etwas korrekturbedürftig erscheint. Weniger im Salon des Prinzen wurden die Debatten geführt, als vielmehr aus ihm heraus in Gegnerschaft zu konservativen intellektuellen Gegenspielern, die sich mit dem Verlust des Nordens nicht abfinden wollten.

Verlust des Nordens

Die europäische Salonforschung hat - zum Beispiel mit den Arbeiten von Peter Seibert - einige Kriterien entwickelt, die ihr Forschungsobjekt von anderen Formen der Geselligkeit abgrenzen halfen: gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung, Zentrierung auf eine Salonnière, Periodizität des Zusammentretens in einem zur Halböffentlichkeit erweiterten Privathaus, Gespräch als wichtigstes Handlungsmoment, Durchlässigkeit bei den Teilnehmerstrukturen, tendenzieller Verzicht auf Handlungsziele jenseits der Geselligkeit, Internationalität. Legt man diese Maßstäbe an, so bleiben vom chinesischen "Salon" des Prinzen Xiao Ziliang immerhin die auch durch buddhistische Feste vorgegebene Periodizität der Treffen in einem Privathaus, das allein schon durch seine palastnahe Lage im Dunstkreis des Hofes im heutigen Nanking von Bedeutung war. das Gespräch als wichtiges Handlungsmoment (wenn auch ergänzt durch religiöse Rituale) und eine gewisse Durchlässigkeit der Struktur der Teilnehmer. Schränken wir die "Internationalität" auf zivilisierte Bewohner einer sich neu etablierenden chinesischen Ökumene ein, so bleibt die Frage der reinen, kein Ziel jenseits ihrer selbst erstrebenden Geselligkeit. In dieser Hinsicht mag der Befund eher negativ ausfallen, denn in chinesischen Zusammenhängen war "die Politik" schon lange vor Napoleon "Schicksal". Jansen zeigt, wie sehr das Politische auch den scheinbar abgelegensten Diskurs durchdringt. Überdies demonstriert er im Schlußkapitel, zu welch hohem Grad die aus der prinzlichen Villa hervorgegangenen Gedanken das politische, soziale, religiöse und kulturelle Programm der Gründungsphase der Liang-Dynastie (502 bis 557) geprägt haben.

Dem Verlust der früheren Selbstverständlichkeit und Ganzheit mit einer neuen Synthese entgegenzuwirken, dazu bedurfte es neuer Formen der adligen Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung. Es nimmt nicht wunder, daß in einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft die Klassifikation zum Diskursfeld ersten Ranges wird. Die Besucher des "Salons" klassifizierten - durchaus in spielerischem Geist - Maler, Kalligraphen, Literaten und vor allem Schachspieler aus alter und neuer Zeit gemäß den in jener Epoche so beliebten Schemata der Rangordnung. Klassifikation erleichterte die Einordnung und Standardisierung von zeitlich und geographisch Ungleichem und schuf so eine neue, synchron gültige Hierarchie der Stilformen. Das Schachspiel erweckte kosmologisch-politische Resonanzen, so daß es - neben der Frage, welcher von drei Rangklassen ein Schriftsteller zuzuordnen sei - zum Inbegriff von Rang schlechthin und zur Möglichkeit, Auseinanderstrebendes zu vereinen, avancierte.

Die Ursprünge dieser Art von Prosa gehen auf die Texte zurück, die der Bewertung von Beamten dienten. Daß ein bedeutender Anteil dessen, was wir unter chinesischer Ästhetik verstehen, sich auf Techniken administrativer Evaluation zurückführen läßt, ist gleichwohl erstaunlich, und ein großes Verdienst Jansens besteht darin, daß er uns an diesem Prozeß der Säkularisierung eines ursprünglich sakralen, in der Vergöttlichung des Staates verwurzelten Diskurses teilhaben läßt. Freilich wurde auch die Neuordnung der Beamtenränge zum Thema: Nach Auffassung der meisten Mitglieder des "Salons" muß diese zentral, unter den Auspizien der neuen, in der Peripherie des Hofes entstandenen und letztlich auf diesen orientierten Synthese vollzogen werden.

Der Preis der Einheit

Gegen diese Perspektive erheben sich die Stimmen eines archaisierenden, doch im Grunde seinen "föderalistischen" Ausgangstheoremen treu gebliebenen Konfuzianismus, denen zufolge jedwede Wertung nur in der Region, der "Heimat", erfolgen kann. Die in der Liang-Dynastie seit Beginn des sechsten Jahrhunderts verfügte Abschaffung des überkommenen "Ränge"-Systems zeitigt zwar eine größere Homogenität der Aristokratie, beseitigt jedoch gleichzeitig das ebenfalls überkommene Mitspracherecht auch nichtadliger Familien. Der Preis der Einheit der politischen Klasse besteht im Verlust der Mitwirkung anderer Schichten.

Der konservative Konfuzianismus ist es auch, der den in der Mehrzahl buddhistisch geprägten Besuchern der Villa von Xiao Ziliang ihre "Artifizialität" zum Vorwurf machen wird. Kein Wunder, daß ob des Versuches, die euphonischen Gesetze der indischen Metrik zum Standard für die chinesischen poetischen Ausdrucksformen zu machen, altfränkische Werte - wie zum Beispiel die erzieherische Aufgabe von Literatur und Schrifttum - beschworen werden: Die "Querelle des Anciens et des Modernes" findet auch im China des späten fünften Jahrhunderts statt. Der Fähigkeit der Mitglieder des "Salons", Gegensätze zu vereinen, die in der chinesischen Tradition bislang als unvereinbar gegolten hatten, hatten die Gegner nur die "Rückkehr zum Alten" entgegenzusetzen. Die Gestalt des Bodhisattva, Leitbild der versöhnungswilligen Aristokratie des "Salons", der in sich den Widerspruch zwischen individueller Erlösung und von Mitleid mit der unerlösten Menschheit getragenem Verzicht auf ebendiese Erlösung verkörperte, war den Konservativen noch kein Vorbild, denn die entsprechend differenzierte Behandlung der Gestalt des Konfuzius sollte erst viel später, im elften Jahrhundert, einsetzen.

Ein Glanzstück der Untersuchung bildet die Erörterung der Debatten um die Unvergänglichkeit der menschlichen Seele. Im Gegensatz zu bisherigen Studien, die sich vor allem an der Unvereinbarkeit einer Dauer der Individualseele (die gleichwohl von Buddhisten jener Zeit behauptet wurde) mit der auf den Buddha zurückzuführenden Vorstellung der "Leere" festgebissen haben, verwirft Jansen diesen rein rezeptionsgeschichtlichen Ansatz und zeigt uns, daß wir es bei den Polemiken gegen eine Fortdauer der Seele weit weniger mit einer religionstheoretischen Auseinandersetzung als vielmehr mit einer Invektive gegen den Adels-"Salon" zu tun haben. Der Traktat über das "Verlöschen der Seele", der auf ein um 489 geführtes Gespräch seines Verfassers Fan Zhen mit dem Salonbetreiber Xiao Ziliang zurückgeht, richtet sich mit seinem auf den Zufall als Fatum gegründeten Determinismus gegen die von den Salonbuddhisten ins Feld geführte Möglichkeit und Notwendigkeit der individuellen Selbstkultivierung. So uneinheitlich kann eine Diskursordnung sein: Während im Bereich der Rangordnung auf der konfuzianischen Gegenseite ein eher "demokratisches" - wenn auch durch die Beschwörung einer nicht mehr vorhandenen "Heimat" getrübtes - Verständnis von allgemeiner Teilhabe an der Macht aufleuchtete, ließ der Konfuzianismus auf der Ebene der Individualseele lediglich das in seinen Konsequenzen undemokratische Fatum gelten. Die Mitglieder des "Salons" entgegneten - in der Person von Shen Yue, dem Vater der chinesischen Reflexion zu Sprache und Poesie - mit der durchaus demokratischen Vorstellung, daß jeder Mensch den Keim zu einem Weisen in sich trage.

Jansens Arbeit ist ein Gewinn für den Sinologen, weil sie neue Einblicke in den schwierigen Prozeß der steten Neuerfindung der chinesischen Kultur gewährt und erlaubt, die Bestrebungen nach einer sozialen und politischen Identifikationsstiftung über neue kulturelle Thematiken nachzuverfolgen. Aber auch Hundertschaften mehrheitlich auf Europa - wenn nicht lediglich auf Deutschland - zentrierter Historiker könnten lernen, welche Formen das nation building in einer chinesischen Emigrationsgesellschaft des fünften Jahrhunderts annehmen konnte. Dafür müßten sie sich freilich einlassen auf eine fremde Poetik, eine fremde Religion, eine fremde Sprachlichkeit - für deutsche Historiker ein wohl kaum zu bewältigendes Unterfangen.

MICHAEL LACKNER

Thomas Jansen: "Höfische Öffentlichkeit im frühmittelalterlichen China". Debatten im Salon des Prinzen Xiao Ziliang. Rombach Verlag, Freiburg 2000. 322 S., 3 Karten, br., 98,- DM.

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