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Das nationale Verfassungsrecht löst sich im europäischen Integrationsprozeß in zunehmendem Maße aus seiner nationalen Umgrenzung; das ursprünglich mitgliedsstaatlich geprägte Europarecht hat begonnen, auf die nationalen Verfassungsrechtsordnungen zurückzustrahlen. Dies führt zu einem Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht, das u.a. auch zu Angleichungsprozessen der nationalen Verfassungsrechtsordnungen führt. In diesem Sinne kann von der Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung gesprochen werden. Der Band analysiert in detaillierten Länderstudien die…mehr

Produktbeschreibung
Das nationale Verfassungsrecht löst sich im europäischen Integrationsprozeß in zunehmendem Maße aus seiner nationalen Umgrenzung; das ursprünglich mitgliedsstaatlich geprägte Europarecht hat begonnen, auf die nationalen Verfassungsrechtsordnungen zurückzustrahlen. Dies führt zu einem Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht, das u.a. auch zu Angleichungsprozessen der nationalen Verfassungsrechtsordnungen führt. In diesem Sinne kann von der Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung gesprochen werden.
Der Band analysiert in detaillierten Länderstudien die Erscheinungsformen, in denen das europäische Recht auf die einzelnen mitgliedstaatlichen Verfassungsrechtsordnungen einwirkt und diese verändert. Er gibt auf die Frage eine Antwort, inwieweit sich heute in Europa eine Konvergenz der nationalen Verfassungsrechtsordnungen feststellen läßt und welchen Entwicklungsstand die europäische Verfassungsordnung aufweist. Darüber hinaus nimmt das Buch in einem umfangreichen Resümee der Landesberichte zu der verfassungspolitischen Diskussion über die Schaffung einer europäischen Grundrechtscharta, eines Verfassungsvertrages sowie deren konkreten Entwicklungschancen Stellung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2001

Staat ohne Verfassung, ohne Verfassung kein Staat
Die Europäische Gemeinschaft müht sich noch immer um eine tragfähige, gemeinsame Rechtsordnung
JÜRGEN SCHWARZE (Hrsg. ): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung. Das Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden 2000. 570 Seiten, 138 Mark.
Das politische Projekt Europa zielt auf eine europäische Verfassung. Denn mit dem supranationalen Charakter der Europäischen Gemeinschaft, mit der unmittelbaren innerstaatlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts und seinem Vorrang vor jeglichem Recht der Mitgliedstaaten wird Hoheitsgewalt gegenüber den Bürgern ausgeübt. Der Verfassungsstaat der Moderne verlangt aber nach rechtlicher Verfasstheit bei der Ausübung von Hoheitsgewalt. Schon in der nordamerikanischen Revolution wurde das Prinzip des „limited government” etabliert, wonach alle Staatsgewalt nur so weit reicht, wie sie vom Volk in der Verfassung begründet worden ist. Wenn also nach verbreiteter Auffassung eine Verfassung ohne Staat nicht denkbar ist, dann erscheint umgekehrt die Europäische Union mangels Staatlichkeit als nicht „verfassungsfähig”.
Verfassung kann aber auch in einem weiteren Sinn als die rechtliche Grundordnung eines politischen Herrschaftssystems verstanden werden. Dass dafür keine Verfassungsurkunde gebraucht wird, zeigt Großbritannien. Und dass die Entstehung ein lang andauernder Prozess sein kann, zeigt Europa. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1967 nicht zu Unrecht den EWG-Vertrag „gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft” genannt.
Gemeinsam fortleben
Der Prozess der Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung ist ein wechselseitiger. Einerseits können die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr – wie Jürgen Schwarze nicht müde wird zu betonen – als ein unabhängiges, selbst verfasstes Ganzes fortleben, sondern nur als Teil einer überwölbenden, einer gemeinsamen Verfassung gehorchenden Gesamtheit. Andererseits bleibt die Europäische Union auf unabsehbare Zeit abhängig von den nationalen Verfassungsordnungen, die den Rahmen und die Voraussetzung für die europäische Integration bilden. Jede Vertragsänderung auf europäischer Ebene bedarf der Zustimmung durch die Mitgliedsstaaten. Das Gemeinschaftsrecht bleibt angewiesen auf die Durchsetzung in den Mitgliedstaaten. Die Abhängigkeit findet beredten Ausdruck im EU-Vertrag, der die Europäische Union zur Achtung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten verpflichtet.
Schon diese Vorschrift macht einen Vergleich der unterschiedlichen Verfassungen unabweisbar. Im vorliegenden Sammelband wird dieser Verfassungsvergleich darüber hinaus vorgenommen, um die Integrationschancen zu ergründen und Antwort auf die Frage zu finden, inwieweit die EU die Realisierung von Reformvorhaben wie den Abschluss eines europäischen Verfassungsvertrags meistern kann. In umfangreichen Landesberichten zu sechs ausgewählten Mitgliedstaaten (Frankreich, Deutschland, Vereinigtes Königreich, Spanien, Österreich und Schweden) werden die Grundzüge des nationalen Verfassungsrechts, die Haltung des nationalen Rechts gegenüber der europäischen Integration, die Wandlungen der nationalen Ordnungen im Prozess der europäischen Integration und die Perspektiven europäischer Verfassungsentwicklung aus nationaler Sicht dargestellt.
Die Wandlungen der nationalen Verfassungsordnungen werden zu den Problemfeldern Souveränität, Staatsorganisation, Demokratieprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit erörtert. Dabei fällt auf, dass die im Grundgesetz neben den Prinzipien des Bundesstaats, der Demokratie und des Rechtsstaats stehende vierte Staatsnorm des Sozialstaatsprinzips fehlt. Das verwundert, da der EG-Vertrag mittlerweile viele sozialpolitische Kompetenzen enthält, die sich langfristig auch auf die nationalen Sozialsysteme auswirken können. Seit einigen Jahren ist zudem der Einfluss der europäischen Grundfreiheiten und des Kartellrechts auf die nationalen Sozialversicherungssysteme Gegenstand einer intensiven Diskussion. In zwei viel beachteten Verfahren hat der Europäische Gerichtshof aus der Waren- und Dienstleistungsfreiheit ein Recht der Versicherten abgeleitet, auch in einem anderen Mitgliedstaat medizinische Produkte und Dienstleistungen nachzufragen. Hier liegt ein Konfliktpotenzial, das die territoriale Begrenzung der nationalen Sozialversicherungssysteme insgesamt in Frage stellt.
Ohne Schranken
Die Perspektiven europäischer Verfassungsentwicklung aus nationaler Sicht ergeben sich aus zwei Hauptbefunden der beeindruckenden Analysen. Zum einen sind die Verfassungen der Mitgliedstaaten für Veränderungen in Richtung europäische Verfassung offen. Zum andern errichten sie Schranken; am rigidesten ist hier Deutschland mit genau formulierten Integrationsanforderungen im Grundgesetz. Aber durchweg werden doch drei grundlegende Anforderungen an die Entwicklung eines gemeinschaftlichen Verfassungssystems gestellt: Erstens ist dies die Forderung nach einem ausreichenden Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene. Zweitens die damit verbundene Frage nach dem Kompetenzverhältnis zwischen der nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit und dem Europäischen Gerichtshof. Und drittens die Problematik demokratischer Legitimation und Kontrolle europäischer Politik und Rechtsetzung.
All das braucht viel Zeit. Jürgen Schwarze mahnt daher an, dass die EU bei ihrer Verfassungsentwicklung Behutsamkeit walten lassen muss, dass sie unterschiedliche Strukturen zwischen vorhandenen Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten nicht vorschnell überspielen darf und dass sie es vorerst bei dem Konzept eines Grundlagenteils eines europäischen Verfassungsvertrags bewenden lassen soll. Noch ist also der Weg zur europäischen Verfassung das Ziel.
BODO PIEROTH
Der Rezensent ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Politik an der Universität Münster.
Nizza beim jüngsten EU-Gipfel: Die Basis protestiert gegen Europa.
ddp
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2001

Verstärken und Verfestigen
Verzahnung von nationalem und europäischem Verfassungsrecht

Jürgen Schwarze (Herausgeber): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung. Das Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht. Schriftenreihe Europäisches Recht, Politik und Wirtschaft, Band 234. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000. 570 Seiten, 138,- Mark.

Den Kerngedanken der Länderstudien über die jeweiligen Verfassungsentwicklungen einzelner europäischer Mitgliedstaaten nimmt der Herausgeber bereits in seiner Einführung vorweg: "Hat sich in einem ersten Schritt noch das Recht der Europäischen Gemeinschaft aus den verfassungsrechtlichen Prinzipien und Traditionen der Mitgliedstaaten gebildet, so hat das europäische Recht inzwischen begonnen, seinerseits auf die nationalen Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten zurückzuwirken."

In der Tat ist heute der überwiegende Teil nationaler Gesetzgebung (mehr als zwei Drittel) durch Brüsseler Direktiven unmittelbar tangiert. In allen nationalen Verfassungssystemen ist die europäische Einbindung zu einem Wesenselement der Verfassungswirklichkeit geworden. Dies hat geradezu zwangsläufig zu einer Angleichung, ja Verzahnung nationalen und europäischen Verfassungsrechts sowie einer zunehmenden Konkordanz des Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten untereinander geführt. Wird deswegen eine genuin europäische Verfassungsordnung gebraucht? Oder macht gerade umgekehrt das zunehmende Ineinandergreifen nationalen und europäischen Verfassungsrechts eine solche Ordnung nicht überflüssig?

Die Argumente für eine europäische Verfassungsordnung sind bekannt und liegen vor allem im appellativ-normativen Bereich: mehr Transparenz durch klarere Kompetenzabgrenzung, demokratische Legitimation durch den europäischen Bürger, einheitlich-verbindlicher Grundrechtskatalog, identitätsstiftende Kraft. Abgesehen davon - so argumentieren Befürworter einer europäischen Verfassung -, sind die verfassungsrechtlichen Zusammenhänge zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten auf die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung gerichtet, wie sie sich aus dem Zusammenspiel von nationalem Verfassungsrecht und grundlegenden Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts geradezu zwangsläufig ergibt.

Das Problem aber ist: In allen sechs untersuchten Verfassungsordnungen (Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Spanien, Österreich und Schweden) kommt den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien - Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip, Grundrechtsgewährleistung - zwar gleich hohe Bedeutung zu. Und alle diese Prinzipien gehören zum verbindlichen Wertekanon der Europäischen Union. Bereits bei der Verwirklichung dieser Prinzipien zeigen sich aber deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Insofern stellt sich nicht nur die generelle Frage, inwieweit eine Ordnung tolerabel ist, bei der Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit geradezu zwangsläufig in verschiedenste Richtungen auseinanderlaufen.

Wichtig sind vor allem zwei weitere Aspekte: Erstens ist eine grenzenlose Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen nach dem jeweiligen nationalen Verfassungsrecht nicht möglich und würde somit bei der Grenzziehung zwischen europäischer und einzelstaatlicher Ordnung wahrscheinlich große Schwierigkeiten schaffen. Zweitens herrscht vor allem in Frankreich, Schweden und Deutschland in Fragen des Grundrechtsschutzes große Skepsis gegenüber dem Gemeinschaftsrecht und den Gemeinschaftsorganen.

Unbestritten ist, daß die nationalen Verfassungsordnungen im Prozeß der europäischen Integration ihrerseits bereits beträchtliche Wandlungen erfahren haben; kein Staat kann heute aus eigener Kraft den erforderlichen rechtlichen Rahmen für die vielfältigen, über den Nationalstaat hinausreichenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnungsaufgaben leisten. Unbestritten ist aber auch, daß die europäische Verfassungsentwicklung von den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen abhängig bleibt. Solange die Europäische Union, trotz aller Kompetenzzuwächse, nur über eine begrenzte politische Gestaltungsmacht verfügt, bilden die nationalen Verfassungsordnungen den Rahmen und die Voraussetzung für die europäische Verfassungsentwicklung.

Viel entscheidender ist jedoch: Zwar ist allen Mitgliedstaaten die Forderung nach einem ausreichenden Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene gemein. Ganz offensichtlich aber bestehen in allen Staaten Hemmungen hinsichtlich der Verwendung des im staatlichen Kontext geprägten Verfassungsbegriffs. Und schließlich: Wie kann europäische Politik und Rechtsetzung adäquat demokratisch legitimiert werden ohne eine europäische Öffentlichkeit?

Einen Ausweg sieht der Herausgeber in der Verbindung "traditioneller Formen der Herstellung von Willenseinigung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten und einer neuen Bezeichnung für den grundsätzlichen Reformschritt". Dafür sei der Begriff des "europäischen Verfassungsvertrages" geeignet, der in der Diskussion zunehmend verwendet wird.

Denkbar sei eine Zweiteilung der Gemeinschaftsverträge, wonach in einem grundlegenden Vertrag nur die Ziele, Grundsätze und allgemeinen politischen Leitlinien, die Bürgerrechte und der institutionelle Rahmen festgelegt werden. In einem oder mehreren weiteren Vertragstexten sollten die übrigen Vorschriften der vorhandenen Verträge aufgenommen werden, insbesondere die Vorschriften über die einzelnen Politikbereiche.

Tatsächlich ist dieser Vorschlag auf dem Weg in Richtung eines gemeinschaftlichen Verfassungssystems auf Grund der nach wie vor unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Mitgliedstaaten an die weitere Entwicklung eines gemeinschaftlichen Verfassungssystems derzeit der wohl realistischste. Er setzt allerdings den politischen Willen der Mitgliedstaaten voraus, vor dem Hintergrund der zunehmenden Aufgabenfülle der Union "zu einer verstärkten, auch verfassungsmäßig verfestigten Zusammenarbeit in Europa zu gelangen".

STEFAN FRÖHLICH

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bodo Pieroth lobt den Sammelband, der den Vergleich der Verfassungen von sechs ausgewählten EU-Mitgliedstaaten und Fragen zu den Möglichkeiten einer tragfähigen gemeinsamen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft zum Inhalt hat, für seine "beeindruckenden Analysen". Doch "verwundert" es den Rezensent, dass bei der Untersuchung der Einzelaspekte ausgerechnet die "Staatsnorm des Sozialstaatsprinzips" ausgespart ist, da, wie er ausführt, der Vertrag der EU "mittlerweile viele sozialpolitische Kompetenzen" beinhaltet, und außerdem der europäische Einfluss auf die "nationalen Sozialversicherungssysteme" längst intensiv diskutiert wird. Der offensichtlich in der Materie bewanderte Rezensent geht allerdings in seiner Kritik nicht detailliert auf einzelne Beiträge des Sammelbandes ein und hält sich auch mit Wertungen des Buches insgesamt sehr zurück.

© Perlentaucher Medien GmbH