Produktdetails
  • Verlag: Herbig
  • Seitenzahl: 334
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 612g
  • ISBN-13: 9783776624441
  • ISBN-10: 3776624442
  • Artikelnr.: 14125876
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2006

In der Grauzone
Walther Leisler Kiep blickt auf acht Jahrzehnte seines Lebens zurück

Sein Nachname lautet Kiep, auch wenn man so oft Leisler Kiep hört und liest, daß sich dies schon in manches Personenregister eingeschlichen hat. Ihm wird das gefallen, zumal die Selbsttaufe mit Leisler seine enge Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten familiengeschichtlich herausstellen soll. Denn der in Frankfurt am Main geborene Vorfahre Leisler wanderte als junger Offizier in die Neue Welt aus, übernahm 1689 im Handstreich die Provinz New York und arbeitete eine Verfassung aus, "die auch die Rechte der Schwarzen und der Indianer berücksichtigte". Allerdings war er der Kolonialmacht ein Dorn im Auge: "Nachdem britische Truppen die Herrschaft über New York zurückerobert hatten, machten sie mit ihm kurzen Prozeß. Im Mai 1691 wurde er . . . gehenkt. Leislers Leichnam wurde anschließend geköpft. Vier Jahre später wurde das Urteil auf Betreiben von Leislers Verwandtschaft, die im Unterhaus interveniert hatten, annulliert und Jacob Leisler rehabilitiert. Leisler hatte sein Leben verloren, aber seine Ehre war wiederhergestellt."

Demgegenüber fügte der Nachkomme, der als Bundesschatzmeister (1971 bis 1992) hin und wieder seinen Kopf für das Finanzgebaren der CDU hinhalten mußte, der eigenen Ehre manche Verletzungen selbst zu: "Im Rückblick stehen den 21 Jahren als Schatzmeister der CDU 22 Jahre an gerichtlichen Verfahren gegenüber. Immer ging es darum, daß Mittel für die Finanzierung der Partei gewonnen werden mußten. Die rechtlichen Vorgaben - Staatsferne, Transparenz und Vermeidung unangemessenen Einflusses - traten in einen kaum aufzulösenden Gegensatz zu dem in der Realität der Parteidemokratie ständig wachsenden Finanzierungsbedarf der Partei. Als Schatzmeister begab ich mich hierbei in eine Grauzone. Die Hoffnung, mit Hilfe dieses Amtes für meine politische Überzeugung zu wirken, hat sich nicht erfüllt."

Zwölf Seiten, untertrieben überschrieben mit "Schatzmeisters Sorgen", sind der Parteienfinanzierung gewidmet, beginnend mit dem 5. Oktober 1971, als Kiep sich auf Bitte des Fraktions- und Parteivorsitzenden Barzel zum obersten "Kassenwart" wählen ließ. Kiep reizte an der Funktion die gleichzeitige Mitgliedschaft im CDU-Präsidium. Damit habe er allerdings "in das schlechteste Geschäft" seines Lebens eingewilligt. Bei einer Abendeinladung will er erstmals eine Ahnung vom Spendensystem bekommen und mit "ungläubigem Kopfschütteln" reagiert haben: "Zusammen mit Rainer Barzel war ich bei Fritz Berg zu Gast. Er war Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und gleichzeitig Geschäftsführer der ,Staatsbürgerlichen Vereinigung 1954 von Koblenz und Köln e.V.'. Vertreter von anderen Parteien waren ebenfalls anwesend. Wir trugen unsere jeweiligen Anliegen und Ansichten vor. Daraufhin äußerte Fritz Berg seine Wünsche an die Politik, sagte Gelder für die Parteien zu, und wir wurden entlassen."

Nach dieser "Erfahrung" beschäftigte sich Kiep näher mit der Staatsbürgerlichen Vereinigung (SV). Weil das Bundesverfassungsgericht 1959 die steuerliche Absetzbarkeit von Zuwendungen an Parteien in der Höhe begrenzt hatte, bestand mittels der "gemeinnützigen" SV die Möglichkeit, die Beschränkung zu umgehen. Die meisten Gelder seien der CDU und der FDP zugeflossen, während die SV die SPD "vergleichsweise sparsam bedacht" habe. Diese "sicherte ihre Finanzierung durch eigene Unternehmen wie den Druck- und Zeitungsverbund DDVG sowie ihre Nähe zu den Gewerkschaften".

Die Spendenbelege der SV seien "von den jeweils begünstigten Parteien nie eingesehen" worden, weil die SV-Quittungen unmittelbar an die Spender gingen. Das ganze System erschien Kiep "mehr als zweifelhaft", zumal er als niedersächsischer Finanzminister (1976 bis 1980) die Spendenpraxis aus anderer Perspektive betrachtete: "Der Text der mir vorliegenden Spendenquittungen sprach ausdrücklich von der Verwendung der gespendeten Mittel für staats-, nicht aber für parteipolitische Zwecke." Ministerpräsident Ernst Albrecht und der 1973 an die CDU-Spitze aufgestiegene Helmut Kohl wollten ihn "bei einer Überprüfung des Spendensystems" unterstützen.

Anfang April 1976 beriet sich Kiep mit den Schatzmeisterkollegen von SPD, FDP und CSU sowie mit Uwe Lüthje über eine Neuordnung der Parteienfinanzierung und eine Begrenzung der Wahlkampfkosten. Lüthje nahm als Generalbevollmächtigter kommissarisch die Funktion als CDU-Bundesschatzmeister wahr, die Kiep als Minister in Hannover "ruhen" ließ: "Doch die Zustimmung zu meinem Reformvorhaben, die mir von allen Parteien zunächst zugesagt worden war, schmolz wie Butter in der Sonne, je näher es zum Schwur kam." Nun habe "jeder" nur noch eigenes bewahren wollen, und die CDU-Landesverbände hätten sich zudem in "Zurückhaltung" geübt. Daher sollte "eine Klärung der Parteifinanzierungsfragen auf höchster juristischer Ebene" erfolgen - durch ein von Kiep, Lüthje und Horst Weyrauch erstelltes Gutachten. Dieses reichte das Land Niedersachsen im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens beim Bundesverfassungsgericht ein. Weyrauch war nicht nur Kieps Vertrauter und langjähriger Steuerberater, sondern auch Wirtschaftsprüfer für die CDU. Während des Normenkontrollverfahrens hätten Kiep, Lüthje und Weyrauch ihnen bekannte SV-Förderer gewarnt, daß ihre "Spenden nicht steuerlich absetzbar sein würden". Mit dem erwarteten Karlsruher Urteil vom Juli 1979 sei für Kiep persönlich "das Kapitel Staatsbürgerliche Vereinigung abgeschlossen" gewesen: "In der Partei hingegen herrschte keine Freude. Auch der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff ärgerte sich: Der ,Idiot Kiep' säge den Ast ab, auf dem wir alle säßen . . ."

Kiep erwähnt beiläufig, daß Lüthje und Weyrauch für die "Verwaltung der Spenden" zuständig gewesen seien. Und er schildert, wie er bei einem Schweiz-Urlaub 1991 gemeinsam mit dem eilig herbeizitierten Weyrauch in St. Margarethen Karl-Heinz Schreiber traf, der ein "großes braunes Kuvert" übergab. Kiep will die Angelegenheit schnell vergessen haben - bis die Augsburger Staatsanwaltschaft im November 1999 wegen Steuerhinterziehung einen Haftbefehl ausstellte, der zunächst durch eine Kaution und später nach jener Anhörung ausgesetzt wurde, die die Parteispendenaffäre der CDU ins Rollen brachte. Im September 2000 urteilte das Oberlandesgericht München, daß die Annahme der Schreiber-Million keine strafrechtliche Relevanz habe: "Allerdings muß ich zugeben, daß die Entgegennahme der Spende unter diesen Umständen, an diesem Ort im Ausland und in dieser Höhe eine der größten Dummheiten meines Lebens war." Unklar bleibt nach der Lektüre der Erinnerungen, wie sich Kiep auf das alles über Jahrzehnte einlassen konnte. War es wirklich große Naivität - was er den Leser glauben machen möchte - oder eher eine unheilvolle Paarung aus Ehrgeiz und Arroganz?

Darüber hinaus gewährt der Autor interessante Einblicke in die Familiengeschichte. Durch eine Beratertätigkeit seines Vaters Louis Kiep verbrachte er von 1935 bis 1939 glückliche Jahre in Istanbul, die ihm Land und Leute derart nahebrachten, daß er bis heute über beste und höchste Kontakte verfügt und für einen baldigen EU-Beitritt der Türkei plädiert: "Ich bin der Überzeugung, daß das europäische Haus ohne die Türken nicht standfest ist." Sie würden als "Vermittler zwischen der christlich und der islamisch geprägten Welt" gebraucht.

Zu Besuch in Kronberg im Taunus beim Großvater mütterlicherseits, Walther vom Rath, hörte der zwölf Jahre alte Enkel Walther in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 davon, daß der "Dorf-Nazi Nummer eins" die Villa der Frau von Gans, einer Jüdin, angezündet hatte. Die Familie vom Rath, aber auch die anderen Einwohner Kronbergs seien entsetzt gewesen. Dabei war sein Großvater "in zweifacher Hinsicht betroffen": Jener Legationssekretär in Paris, "dessen Erschießung durch den jungen polnischen Emigranten Herschel Grynszpan den Nazis den Vorwand für die Pogromnacht geliefert hatte, war sein Neffe gewesen. Der Tod eines Verwandten hatte als Vorwand für diese Barbarei gedient."

Während des Krieges begleitete Walther im Herbst 1942 seinen Vater zu einem Mittagessen mit Otto Carl Kiep in den Berliner Gardekavallerieclub. Der Diplomat, der als Major der Reserve seit Sommer 1939 im "Amt Ausland/Abwehr" des Oberkommandos der Wehrmacht Dienst tat, wurde Anfang 1944 auf Grund einer Denunziation verhaftet und Ende August 1944 hingerichtet. Voller Stolz berichtet Kiep darüber, wie Onkel Otto im März 1933 als Generalkonsul in New York auf einem Galadiner zu Ehren von Albert Einstein im "Waldorf Astoria" couragiert das Wort ergriff und, an die amerikanischen Gastgeber gewandt, über Einstein sagte: "Your gain is our loss."

In diesem Zusammenhang behauptet jetzt der Neffe, daß der deutsche Botschafter Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron dem Essen absichtlich ferngeblieben sei: "Die Begegnung mit dem jüdischen Physiker wäre nach Berlin gemeldet worden und hätte seine Karriere beeinträchtigt oder gar das Ende seiner diplomatischen Laufbahn bedeutet. Mein Onkel wußte, daß ihm die gleichen Konsequenzen drohten. Dennoch folgte er der Einladung, denn eine andere Haltung wäre mit seiner Auffassung von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit nicht vereinbar gewesen." Was Prittwitz betrifft, ist diese Darstellung leicht infam, weil er doch als einziger hoher deutscher Diplomat unmittelbar auf die Reichstagswahlen vom 5. März 1933 reagierte und am folgenden Tag in einem Telegramm an das Auswärtige Amt "angesichts der innenpolitischen Entscheidung in Deutschland" sein "hiesiges Amt zur Verfügung" stellte. Prittwitz war bald enttäuscht darüber, daß keiner der Kollegen - also auch Otto Kiep nicht - seinem Beispiel folgte.

In die Politik stieg der erfolgreiche Unternehmer Walther Leisler Kiep Ende 1964 ein, und zwar mit jenem Gefühl der Unabhängigkeit, das in der CDU immer wieder auf Ablehnung stieß und aller Parteisoldaten-Mentalität widersprach. Die große Karriere blieb ihm versagt: 1980 war er "Schattenaußenminister" von Unions-Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß, zwei Jahre später Spitzenkandidat bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg, wo er ein Rekordergebnis für die CDU von 43,2 Prozent einfuhr, ohne einen Senat bilden zu können, weil die FDP unter fünf Prozent geblieben war. Bundeskanzler Kohl empfahl ihn schließlich als Vorsitzenden der renommierten "Atlantik-Brücke": "Meine politische Karriere stagnierte zu dieser Zeit, denn ich wollte kein politisches Amt übernehmen, solange nicht alle gegen mich erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Schatzmeister der CDU rückhaltlos aus der Welt geschafft waren. Ich war nun bald sechzig Jahre alt und empfand mich somit als sicher und erfahren genug, die wichtige Mission der Atlantik-Brücke voranzutreiben." Bis 2000 hatte der gebürtige Hamburger und Reserveoffizier der Bundesmarine dort das Kommando inne und bewährte sich als großer Brückenbauer und Emissär nicht nur in den Beziehungen der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten, sondern auch zu China, zu Israel, zur Türkei und - bis 1989 - zur DDR.

RAINER BLASIUS

Walther Leisler Kiep: Brücken meines Lebens. Die Erinnerungen. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2006. 334 S., 24,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Interesse hat Rainer Blasius die Erinnerungen des CDU-Politikers Walther Leisler Kiep gelesen, wenn er ihm auch nicht alles abnimmt. Großen Raum nimmt selbstverständlich Kieps Zeit als Schatzmeister der Partei ein - ein Posten, den er 21 Jahre inne hatte und der ihm 22 Jahre lang juristischen Ärger einbrachte. Allerdings meldet Blasius gewisse Bedenken an, ob Kiep wirklich so naiv in die verschiedenen CDU-Spendenaffären - von der Staatsbürgerlichen Vereinigung bis zu den Schreiber-Millionen - hineingestolpert ist, wie er "glauben machen möchte", oder ob ihn nicht auch "Ehrgeiz und Arroganz" angetrieben haben. Aufschlussreich erschienen dem Rezensenten dagegen Einblicke in Kieps Familiengeschichte, vom Urahn, der als Revolutionär geköpft wurde, bis Kieps Vater, der, ein Diplomat und Wehrmachtsoffizier, 1944 aufgrund einer Denunziation hingerichtet wurde.

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