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Spätestens seit der großen Werkschau 2008 im Kölner Museum Ludwig gilt CHARGESHEIMER (1924 - 1971) als eine Kultfigur in der Geschichte der deutschen Fotografie. In den fünfziger Jahren trieb es ihn mit der Kamera nicht nur auf die Straßen von Paris und Köln, sondern auch in den Kölner Zoo. Für den Künstler ein Ort der Ruhe inmitten einer immer lauter werdenden Großstadt. Man sieht nachdenklich dreinschauende Affen, Pinguine in Reih und Glied, locker herum stehende Flamingos, traurige Bären, melancholisch blickende Tiger, lauernde Flusspferde und immer wieder Elefanten. Auch die Menschen im…mehr

Produktbeschreibung
Spätestens seit der großen Werkschau 2008 im Kölner Museum Ludwig gilt CHARGESHEIMER (1924 - 1971) als eine Kultfigur in der Geschichte der deutschen Fotografie. In den fünfziger Jahren trieb es ihn mit der Kamera nicht nur auf die Straßen von Paris und Köln, sondern auch in den Kölner Zoo. Für den Künstler ein Ort der Ruhe inmitten einer immer lauter werdenden Großstadt. Man sieht nachdenklich dreinschauende Affen, Pinguine in Reih und Glied, locker herum stehende Flamingos, traurige Bären, melancholisch blickende Tiger, lauernde Flusspferde und immer wieder Elefanten. Auch die Menschen im Zoo nahm er ins Visier. Hier eine Gänse fütternde einsame Dame im Pelzmantel, dort staunende Kinder in Sonntagskleidung vor der Absperrung, flanierende Einzelgänger auf dem Weg. Fotos, die Geschichten erzählen. Unbekannte und zum ersten Mal gezeigte Aufnahmen aus einer Zeit, da ein Besuch im Zoo noch zu den Höhepunkten des Jahres gehörte. Ein Bildband zum 150. Geburtstag des Kölner Zoos. Fotografie- und Kölner Zoogeschichte in einem. Entdeckungen für die Fans eines charismatischen Fotografen.
Autorenporträt
Dr. Hajo Steinert, geb. 1952, lebt in Köln. Leiter der Abteilung "Kulturelles Wort" beim Deutschlandfunk, Literaturkritiker, Autor und Herausgeber mehrerer Bücher zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und zur Geschichte des Fußballs in Köln und anderen Stadien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2010

Und hinter tausend Stäben eine kleine Welt

Für eine Jubiläumsschrift fotografierte Chargesheimer vor fünfzig Jahren den Kölner Zoo. Zum neuerlichen Jubiläum erscheint ein Buch.

Von Hubert Spiegel

Es hätte keiner großen Arche bedurft, um die Tiere aufzunehmen, die im Sommer des Jahres 1945 noch in ihren Käfigen und Gehegen im Kölner Zoo lebten. Nur 22 Kreaturen hatten die Bombardierungen der Stadt überlebt: ein Flusspferd, ein Wasserbüffel, ein Mähnenschaf, zwei Zebras, ein Przewalski-Hengst, vier Shetland- und ein Islandpony, ein Maultier, zwei Zwergesel, ein Kamel, zwei Wildschweine, zwei Jaguare, ein Waschbär, ein Storch und ein Gelbhaubenkakadu. Eine kleine Notgemeinschaft hinter Gitterstäben.

Zehn Jahre später ist der Zoo modernisiert, vergrößert und bestens besucht. Jahr um Jahr werden Besucherrekorde verzeichnet. Der Kölner Zoo, so konstatiert Hajo Steinert, war in den späten fünfziger Jahren nicht nur Attraktion und Stadtgespräch, sondern auch eine grüne Insel inmitten einer Stadt, die im Wiederaufbau in rasendem Tempo ihr Gesicht verlor, die in Grund und Boden verplant, verwaltet und modernisiert zu werden drohte. In dieser Situation bildete der Zoo einen "Notausgang zur Natur".

Man weiß nicht mehr, wer die Idee hatte, ausgerechnet Chargesheimer mit dem Auftrag zu betrauen, die Fotografien für die Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Zoos im Jahr 1960 beizusteuern, aber es war ein großartiger, wenig naheliegender und auch recht kühner Gedanke. Denn Chargesheimer, 1924 als Karl-Heinz Hargesheimer geboren, war zwar selbst eine Institution in der Stadt, aber er war ihr bis zu seinem Freitod im Jahr 1971 in Hassliebe verbunden. Chargesheimer, der während des Krieges in Köln und München Fotografie studiert hatte, war ein widerborstiges Kölner Original und ein hellsichtiger Beobachter eines Wiederaufbaus, der neue Wunden schlug, wo er die Verheerungen des Krieges zu heilen versuchte. Seine eigenwilligen Porträts der Prominenz der frühen Republik waren ebenso umstritten wie seine Bildbände "Cologne intime", "Unter Krahnenbäumen" oder der 1958 in Zusammenarbeit mit Heinrich Böll entstandene Band "Im Ruhrgebiet". Von so einem, der in Jazzkneipen herumhing und sich für das existentialistische Drama interessierte, waren keine Jubelbilder zum Jubiläum zu erwarten.

Chargesheimer, von dem ein besonderes Interesse an der Tierwelt nicht überliefert ist, ging in den Zoo wie in eine Ausstellung, mit einem Blick, der nach Einzelbildern ebenso wie nach Strukturen fahndete, der die Begegnung mit dem einzelnen Tier suchte und dabei nie die Masse der Besucher aus dem Auge verlor. Er hat das Gespür für den entscheidenden Moment und die Geduld, ihn abzuwarten. Bär und Otter, Zebra, Löwe, Kamel und Nilpferd widmet er geradezu klassisch anmutende Porträts, physiognomische Studien, die immer wieder den magischen Moment fixieren, wenn Mensch und Tier sich Aug' in Aug' begegnen. Die besten Bilder dieses Bandes, der jetzt in Chargesheimers altem Kölner Verlag herausgekommen ist, sind in diesem Sinne Augen-Blicke. Aber Chargesheimer schaut nicht nur auf die Tiere, sondern auch auf die Menschen. Er dokumentiert die Begegnung zwischen Mensch und Tier, und zuweilen nimmt er dabei die Perspektive des Zooinsassen ein: Dann schaut er durch Gitterstäbe auf die Besucher oder fotografiert sie beim Fotografieren.

Chargesheimer hat immer polarisiert, und auch über diesen verdienstvollen Band, der einen weitgehend vergessenen Teil seiner Arbeit wiederentdeckt, ließe sich im Detail trefflich streiten. Die Dramaturgie wirkt zuweilen absichtsvoll und gekünstelt, die direkte Gegenüberstellung der bekannten Porträts von Adenauer oder dem Clown Grock mit Tierporträts ist allzu plakativ. Sympathisch ist Steinerts Versuch, nicht nur Chargesheimers Kunst ausführlich zu würdigen, sondern zugleich das Kölner Stadtaroma der fünfziger Jahre heraufzubeschwören. Da zeigt sich der Kölner Literaturkritiker zuweilen sogar als kölscher "Geföhlsminsch". Die leise Sentimentalität, mit der die sonntäglich gekleideten Besucher beschrieben werden, speist sich aus dem Bewusstsein, dass der naive Blick auf die künstliche Welt des Zoos heutigen Besuchern verwehrt ist. Wir grübeln, wenn wir in diesem Sommer wieder in Tiergärten und Vivarien strömen, über Artenschutz und artgerechte Tierhaltung und blicken wie Chargesheimer fasziniert und melancholisch durch die Gitterstäbe. Neun Jahre nach dem Erscheinen seiner Tierfotografien stürmten die Kölner Karnevalssänger Horst Muys und Lotti Krekel mit dem Lied "Ne Besuch em Zoo" die deutschen Hitparaden. Zwei Jahre später, 1971, schied Chargesheimer freiwillig aus dem Leben.

"Chargesheimer im Zoo. Fotografien aus den fünfziger Jahren", herausgegeben von Hajo Steinert. Greven Verlag, Köln 2010. 120 Seiten, 92 Abbildungen. Gebunden, 28 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Melancholisch und fasziniert" blickt Rezensent Hubert Spiegel in dem Bildband "Chargesheimer im Zoo. Fotografien aus den Fünziger Jahren" auf eine Zeit zurück, in der Zoos noch als Ruheinseln in der lauten Stadt galten und der Besucher sich noch - ohne über artgerechte Tierhaltung nachzudenken - naiv an den Tieren hinter den Gitterstäben erfreute. Spiegel ist begeistert von den "geradezu klassischen Porträts", auf denen der eigenwillige, 1971 verstorbene Fotograf Chargesheimer den "entscheidenden, magischen" Moment der Begegnung mit dem einzelnen Tier einfängt. Dabei lasse er keineswegs die Besucher aus dem Blick; hinter den Gitterstäben sitzend nehme er auch gerne die Perspektive der Tiere ein, bemerkt der Rezensent. Nicht ganz so enthusiastisch fällt sein Urteil über die Dramaturgie des von Hajo Steinert herausgegebenen Bandes aus. Porträts von Prominenten der früheren Republik, für welche Chargesheimer eigentlich berühmt geworden war, werden bisweilen zu "plakativ" den Tierbildern gegenübergestellt. Dennoch sei Steinert ein sentimentaler Rückblick auch auf das Köln der Fünziger Jahre gelungen, freut sich der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH