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Tschetschenien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und die Kriege in Afrika stellen nicht nur die Erwartungen an ein friedliches, weil ökonomisch geprägtes 21. Jahrhundert in Frage. Zusätzlich sind sie begleitet von Versuchen, einen fundamentalen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Der Kern der veränderten Sichtweise auf diese "Neuen Kriege" kann als "Anti-Clausewitz" beschrieben werden und basiert auf dem Vorrang von Kampf und Gewalt gegenüber der Politik. Die weltberühmte Formel vom "Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" beruht demgegenüber auf dem Primat der zivilen…mehr

Produktbeschreibung
Tschetschenien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und die Kriege in Afrika stellen nicht nur die Erwartungen an ein friedliches, weil ökonomisch geprägtes 21. Jahrhundert in Frage. Zusätzlich sind sie begleitet von Versuchen, einen fundamentalen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Der Kern der veränderten Sichtweise auf diese "Neuen Kriege" kann als "Anti-Clausewitz" beschrieben werden und basiert auf dem Vorrang von Kampf und Gewalt gegenüber der Politik. Die weltberühmte Formel vom "Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" beruht demgegenüber auf dem Primat der zivilen Gesellschaft.

Clausewitz' Theorie ist jedoch nicht auf diese Formel zu reduzieren. Aus seinem "Testament" geht hervor, daß er jeden Krieg aus Gewalt, Kampf und dem Primat der Politik zusammengesetzt sah.

Herberg-Rothe gelingt es, Clausewitz' politische Theorie als Diskurs von Gegensätzen zu rekonstruieren, wodurch sie neue Aktualität gewinnt - als Theorie der Begrenzung von Krieg und Gewalt im 21. Jahrhundert.
Autorenporträt
Drf. phil. habil. Andreas Herberg-Rothe ist Privatdozent am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2001

Kampf um Anerkennung mit Bomben und Granaten
Lies keine Bereitstellungspläne, lies die Klassiker: Andreas Herberg-Rothe findet, daß Clausewitz zum Krieg schon alles gesagt hat

Der Krieg gehört zu den beliebtesten Beschäftigungen des Homo sapiens. Niemals gab es auf dem Erdball eine historische Zeit, in der nicht irgendwo größere Menschengruppen aufeinander eingeschlagen hätten. So vielfältig ihre Ziele und Gründe, so vielgestaltig waren die Kriegsformen. Die spartanische Phalanx kämpfte anders als der mittelalterliche Panzerreiter, das Karree der Fußsoldaten bei Waterloo oder die Schützenlinie von Ypern. Ein Stoßtrupp im malaiischen Dschungel bewegt sich anders als die halbwüchsigen Bewacher einer Straßensperre von Freetown oder ein serbisches Sonderkommando im Kosovo.

Läßt sich diese historische Mannigfaltigkeit in einer einzigen Theorie erfassen? Nach Meinung des Berliner Politologen Andreas Herberg-Rothe ist die Antwort klar: Im Werk des preußischen Generals Carl von Clausewitz sei das diskursive Feld der politischen Kriegstheorie bereits vollständig abgesteckt. Es halte alle Kategorien bereit, um auch den Gestaltwandel der spätmodernen Kriege begreifen zu können, jenen Wechsel vom regulären Krieg staatlicher Soldatenheere zum wilden Krieg der Banden, Marodeure und Attentäter. Eine Abkehr von Clausewitz, wie sie - in alter britischer Tradition - zuletzt von John Keegan oder Martin van Creveld verkündet wurde, erscheint dem Autor daher überflüssig, unangebracht, ja geradezu frevelhaft, beruhe sie doch auf gezielten Mißdeutungen und höchst schädlichen Absichten.

Wenn ein Klassiker alles gesagt hat, genügt die Auslegung seiner Schriften, um die Rätsel zu lösen. Nicht historische Empirie, analytische Beschreibung oder theoretische Systematik sind dann gefragt, sondern Exegese. So erschöpft sich die vorliegende Schrift weitgehend in der ausführlichen Ausdeutung Clausewitzscher Grundkonzepte. Allerdings verliert sich die Exegese rasch in einem Labyrinth von Schleifen, Exkursen, Sackgassen und Rückwegen. Es spricht nicht gerade für eine Interpretation, wenn ihr gegenüber das Original als Muster an Klarheit und Stringenz erscheint. Die begrifflichen Inkonsistenzen, die der Autor bei Clausewitz feststellt, bereinigt er durch eine riskante Operation. Danach ist der logische Raum möglicher Aussagen zum Krieg vollständig umgrenzt, weil als Eckpunkte polare Gegensätze markiert sind. Mit demselben Recht kann man so einen Satz wie dessen Gegensatz behaupten. Immer bleibt die Theorie immun gegen jede logische oder empirische Widerlegung.

Zu den zentralen Streitfragen der Clausewitz-Exegese steuert Herberg-Rothe durchaus eigenwillige Deutungen bei. Als Kernstruktur des Krieges gibt er jenes Ensemble variabler Geistes- und Gemütskräfte an, welche Clausewitz nicht ohne Ironie als "wunderliche Dreifaltigkeit" der polemischen Elemente bezeichnet hatte. In jedem Krieg findet sich der blinde Naturtrieb des Hasses, die Kühnheit des Mutes und die Intelligenz, welche die Gewalt mittels politischer Zwecke steuert. Zur Explikation eines allgemeinen Kriegsbegriffs taugt diese Aufzählung von Dispositionen natürlich nicht. Sie definiert den gesellschaftlichen Vorgang des Krieges mit Hilfe subjektiver Zustände zwischen Vernunft und Leidenschaft. Und sie setzt die Funktionstrennung von Regierung, Feldherr und Fußvolk voraus, denen Clausewitz die jeweiligen Haltungen zugeordnet hat. Die speziellen Merkmale des historischen Krieges zwischen "gebildeten Völkern" können unmöglich einen universalen Kriegsbegriff ergeben.

Kriege sind Gewaltakte, um den Gegner wehrlos und gefügig zu machen, heißt es bei Clausewitz. Die Gewalt strebt zum Äußersten, zum Töten des Feindes, und zwar unabhängig von allen Umständen. Aus Feindschaft, Gewalt und Vernichtung ist das blutrote Band geflochten, das die Universalgeschichte der Kriege durchzieht. Dieser "reine", "absolute Krieg" ist eine Art methodischer Idealtypus. Trotzdem ist die Formel häufig mißverstanden worden. Man hat die Rede vom "absoluten Krieg" als Fiktion auf dem Papier, als praktische, regulative Leitidee, ja als Plädoyer für den totalen Vernichtungsfeldzug gelesen. Und auch Herberg-Rothe verwendet alle Mühe darauf, Kriegsbegriffe zwischen absolutem und wirklichem Krieg zu rekonstruieren - eine vielleicht dialektische, aber keinesfalls logische Übung. Denn das, was der "wirkliche Krieg" genannt wird, ist nichts anderes als die Wirklichkeit der verschiedenen Kriege, während im Begriff des "absoluten Krieges" jene Wirklichkeit zusammengefaßt ist, die allen Kriegen gemeinsam ist.

Es ist zweifelhaft, ob Clausewitz' Kriegsverständnis jemals der historischen Realität entsprochen hat. Nur von der hohen Warte des Stabsoffiziers erscheint der Krieg als kollektives Duell, ähnlich dem Ehrenkampf beleidigter Männerseelen. Herberg-Rothe meint sogar, eine Parallele zum Kampf um Anerkennung erkennen zu können, wie ihn Hegel für die Asymmetrie sozialer Herrschaft beschrieben hatte. Gewiß erfordert die Begrenzung der Kriegsgewalt einen gewissen Respekt vor dem Gegner. Doch die Mehrzahl der Gewaltkonstellationen hat weder mit dem Degenduell der Ehrenmänner noch mit der Rebellion der Knechte gegen den Herrn irgend etwas gemeinsam. Seit der Erfindung der ersten Fernwaffen in der Antike mußten sich Krieger und Zivilisten immer auch beschießen lassen, ohne dem Pfeil-, Stein- oder Kugelhagel wirksam aus der Nähe begegnen zu können. Schon immer hat es zur Tücke der Kriegskunst gehört, den Gegner in eine Lage zu manövrieren, in der man sich den verlustreichen Kampf ersparen und ihm ein Massaker bereiten kann. Doch Herberg-Rothe übergeht nicht nur die eigentliche kriegerische Tätigkeit, das Gefecht, sondern spricht auch nirgendwo von Massakern oder Kriegsterror. Die Entdeckung des "Primats der Politik" führt der Autor auf Clausewitz' biographische Kriegserfahrungen zurück. Napoleons Sieg bei Jena demonstrierte noch den Vorteil einer Strategie der offensiven Entscheidungsschlacht. Seine Niederlage vor Moskau zeigte schon das Übergewicht der hinhaltenden Defensive. Waterloo schließlich wurde nicht etwa, so die Sicht des Autors, durch militärische Überzahl und die virtuose Defensivtaktik Wellingtons entschieden, sondern durch ein außenpolitisches Zweckbündnis. So wird Belle Alliance unverhofft zur Geburtsstätte einer politischen Kriegstheorie. Der Militärhistoriker Clausewitz hat sich mit einer derart schmalen Datenbasis nicht zufriedengegeben. Mehr als hundertdreißig Feldzüge samt ihren gesellschaftlichen Umständen untersuchte er, um daraus seine Kriegstheorie zu destillieren.

Auch die berühmte Formel vom Krieg als Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit nichtzivilen Mitteln ist vielfach Anlaß zu Fehldeutungen gewesen. Man hat sie als Plädoyer für den Vorrang der Zivilregierung über das Militär gelesen oder als normative Garantieerklärung für die gewaltbegrenzende Macht politischer Zwecke. Wenn der Krieg nur ein Instrument ist, dann, so die trügerische Hoffnung, bleiben die Gewaltmittel einem rationalen Kalkül unterstellt. Daß politische Ziele Gewalt auch entgrenzen können, betont Herberg-Rothe zu Recht. Gleichwohl verharmlost er das Politische ganz und gar. Der Krieg taugt nur deshalb als politisches Werkzeug, weil die Politik selbst nichts anderes als ein Machtkonflikt ist. Der Krieg unterbricht den politischen Verkehr nicht, sondern tauscht nur die Feder gegen den Degen. Ob es jedoch sinnvoll ist, politische Machtkonflikte, seien sie zivil oder militärisch, überhaupt noch mit Hilfe eines rationalen Handlungsmodells zu beschreiben, ist dem Exegeten keine weitere Betrachtung wert. Mittel haben häufig die unangenehme Eigenschaft, auf ihre Zwecke zurückzuwirken. Kriege folgen ihren eigenen Gesetzen, verschärfen die Konflikte, aus denen sie entsprungen sind, treiben die politischen Gewinnkriterien in die Höhe und können für Generationen Rachegefühle und Ressentiments hinterlassen.

Wie nahe Degen und Feder im akademischen Streit beieinanderliegen können, zeigen Herberg-Rothes Ausfälle gegen seine Widersacher. Was er über Keegan und van Creveld behauptet, grenzt bisweilen an den Tatbestand der polemischen Denunziation. Keegan erscheint als Verfechter einer neuen heroischen Kriegeraristokratie, als sei das Votum für eine Berufsarmee und für rituelle Einhegungen schon ein Verrat an der Demokratie. Van Creveld, dem man zweifelsohne vorhalten kann, er habe in seiner Clausewitz-Kritik Politik auf Staatspolitik verkürzt, gilt dem engagierten Autor als Inbegriff eines chauvinistischen Irrationalismus. So kann die Ehrenrettung eines Klassikers sogar das gewohnte Niveau sozialer Ehrenhändel unterschreiten.

WOLFGANG SOFSKY

Andreas Herberg-Rothe: "Das Rätsel Clausewitz". Politische Theorie des Krieges im Widerstreit. Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 256 S., br., 58,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Sofsky geht mit der Ausdeutung der politischen Theorie des preußischen Generals Carl von Clausewitz durch den Berliner Politologen Andreas Herberg-Rothe hart ins Gericht. Er wirft dem Autor mangelnde Klarheit und Stringenz, ja sogar "begriffliche Inkonsistenzen" vor. Die "eigenwillige Deutung" und die versuchte "Ehrenrettung eines Klassikers" sei niveaulos, meint Sofsky. Dass das Werk von Clausewitz, wie der Autor meint, das gesamte "diskursive Feld der politischen Kriegstheorie" abstecke, bezweifelt der Rezensent. Zur Erklärung des Phänomens Krieg reiche die These von Clausewitz keinesfalls aus, der den Krieg auf natürliche Dispositionen des Menschen wie "Naturtrieb des Hasses", "Kühnheit des Mutes" und "Intelligenz, welche die Gewalt mittels politischer Zwecke steuert" zurückführt. Ob Clausewitz' Kriegsverständnis jemals der historischen Realität entsprochen hat, bezweifelt Sofsky ebenfalls. Die Parallele, die Herberg-Rothe zwischen der These von Krieg als Ehrenkampf und Duell und der Hegelschen Theorie von der "Asymmetrie sozialer Herrschaft" zieht, ist für Sofsky nicht überzeugend. Die "Formel vom Krieg als Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit nichtzivilen Mitteln" deutet der Politologe ebenfalls fehl, so Sofsky. Herberg-Rothe verharmlose das Politische und übersehe dabei, dass politische Ziele Gewalt auch entgrenzen könnten und dass Politik selbst nichts anderes als ein Machtkampf sei. Für Sofsky ist die Interpretation von Herberg-Rothe eine Fehldeutung, die von vornherein nicht dem eigenen Anspruch entsprechen kann, auch den "Gestaltwandel der spätmodernen Kriege" zu begreifen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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