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Jeden Morgen steht er vor dem Spiegel und misst seine Bauchnabeltiefe. Jeden Abend modelliert er im Fitness-Studio seinen Muskelpanzer: auf dem Weg zur "Alpha-Anatomie". Ansonsten bewegt sich Philipps Business-Leben zwischen Diät und Dauerflirt, Trizeps und Ferientrips. Körper und Karriere, Frauen und Erfolg spielt er meisterhaft gegeneinander aus. Diesem Solisten ist nichts wichtiger als Wirkung. Ein Global Player auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Doch hinter dem selbstherrlichen Spiel ist Unternehmensberater Philipp ein Getriebener: Der Kinderwunsch seiner Dauerverlobten und Mentorin…mehr

Produktbeschreibung
Jeden Morgen steht er vor dem Spiegel und misst seine Bauchnabeltiefe. Jeden Abend modelliert er im Fitness-Studio seinen Muskelpanzer: auf dem Weg zur "Alpha-Anatomie". Ansonsten bewegt sich Philipps Business-Leben zwischen Diät und Dauerflirt, Trizeps und Ferientrips. Körper und Karriere, Frauen und Erfolg spielt er meisterhaft gegeneinander aus. Diesem Solisten ist nichts wichtiger als Wirkung. Ein Global Player auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Doch hinter dem selbstherrlichen Spiel ist Unternehmensberater Philipp ein Getriebener: Der Kinderwunsch seiner Dauerverlobten und Mentorin Isabell beunruhigt ihn genauso wie der Kollege, der ihm den Aufstieg zum "Juniorpartner" streitig macht. Ein gewisser Herr Weinheimer verfolgt ihn. Der Siegeszug dieses modernen Karriere-Athleten durch die "Olympiade des Lebens" wird zur Hetzjagd.
Autorenporträt
John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, lebte zeitweise in Irland und den USA, er promovierte 23-jährig über Erkenntnistheorie und war danach als Theater- und Filmkritiker, als Schauspieldramaturg und Übersetzer tätig. Er ist einer der meistgespielten jungen deutschen Theaterautoren der letzten Jahre. 2006 erhielt John von Düffel den Nicolas Born-Preis des Landes Niedersachsen für sein literarisches Werk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Ewiger Muskelkrampf
John von Düffel geht ins Fitneßstudio / Von Volker Weidermann

Willkommen in der deprimierendsten Kampfarena unserer Zeit. Willkommen im monotonen Einsamkeitstempel, in der klinisch reinen Vorbereitungszelle für den zermürbenden Alltagswettbewerb. Hier, wo der stumpfe Marschtakt der Kampf-Technoklänge den Rhythmus für das Leben da draußen vorgibt, den sich immer weiter beschleunigenden Rhythmus, dem schwitzende Trainingsgäste sich verzweifelt anzupassen suchen. Willkommen im Fitneßclub. Hier kämpfen Sie sich frei.

Philipp kämpft auch. Philipp ist erfolgreicher Junganwalt in einer großen Kanzlei und besessener Sportler. Sein Lebensmotto: "Man muß absolut Athlet sein!" Seine Lebensziele: Juniorpartner in der Kanzlei und Bauchnabeltiefe null Millimeter. Philipp ist auf gutem Weg. Denn seine größte Tugend lautet: Selbstdisziplin. Sein Leben ist ein einziges Training, ein ständiger Kampf gegen wirkliche und eingebildete Gegner, Konkurrenten der Gegenwart und der Zukunft. Und ein Kampf gegen sich selbst, gegen den eigenen Körper, gegen die Trägheit. Philipp kämpft nicht nur im Fitneßstudio. Sein Kampf beginnt jeden Morgen nach dem Aufstehen: "Ich mache spontan fünfzehn Crunches in Superzeitlupe und schließe drei Sätze à zwanzig Liegestütze an. Klassisch und mit versetzten Armen." So fängt es an, und so geht es weiter. Der Gang ins Büro ist in verschiedene Sprintwertungen unterteilt, die Zeit der Telefonate mit Mandanten wird für einarmige Liegestütze genutzt. Philipp liebt seinen Körper, Philipp liebt seinen Beruf, Philipp ist unschlagbar selbstbewußt, er gibt den Kunden, was sie am dringendsten brauchen: Orientierung und Sicherheit. Er denkt: "Ich bin in der Form meines Lebens." So einen kann nichts schrecken.

Gar nichts? Oh doch. Erschreckend ist es, im Fitneßstudio unbemerkt zu bleiben, nicht auf alle Trainerinnen sofort den allergrößten Eindruck zu machen, von seiner Sekretärin womöglich nicht geliebt zu werden, von seiner Freundin Isabell nicht bewundert zu werden. Erschreckend ist die Vorstellung, sein Kollege Claaßen könnte an seiner Stelle Juniorchef werden, die Bauchnabeltiefe könnte überraschend wieder angewachsen sein - oder er könnte Weinheimer begegnen. Weinheimer ist das Synonym all seiner Ängste. Gut ein Jahr ist es her, daß Philipp auf Barbados mit Weinheimers Frau eine Affäre begonnen hatte. Von Weinheimer unbemerkt, wie beide dachten.

Doch Weinheimer hatte es sehr wohl bemerkt, ging, trotz Sturmwarnung, ins Meer und drohte zu ertrinken. Philipp, von Frau Weinheimer zu einer selbstmörderischen Rettungsaktion gedrängt, wird, mit unglaublichem Glück, gemeinsam mit Weinheimer ans Ufer gespült. Seitdem hat Philipp das Grundvertrauen in seinen Körper verloren. Er weiß, daß seine Muskeln nur ein trauriges Schauspiel sind, eine nutzlose Fassade, auf die im Notfall kein Verlaß sein wird. Und noch etwas schreckt Philipp dauerhaft: Er hat einen Versager gesehen. Er hat mit Weinheimer das Schreckensbild des Lebens kennengelernt. Einen Mann, der sich, im gemeinsamen Urlaub mit seiner Frau, von einem dahergelaufenen Muskelpaket Hörner aufsetzen läßt, dem dann auch noch der Selbstmord mißlingt und der nun, mit dieser Lebensschmach, mit dieser unglaublichen Erniedrigung weiterleben muß. Ein Versager zu sein, wie Weinheimer: Diese Angst treibt Philipp an.

Denn Philipp ist auch nur ein Männchen. Er weiß das sehr gut. Er weiß, daß seine täglichen Selbstanfeuerungen - "Ich bin der zuversichtlichste Mensch auf der Welt!", "Ich liebe meinen Beruf wie mich selbst!", "Gründe für einen freien Oberkörper: Selbstbewußtsein, Selbstbewußtsein, Selbstbewußtsein!", "Sämtliche Schwächen sind eliminiert, jede Spur von Versagen getilgt, ich bin am Ziel!" -, daß all diese Tageslosungen nur ablenken sollen von der einen Erkenntnis: im Grunde dem täglichen Lebenswettbewerb nicht gewachsen zu sein. Er weiß genau, wenn der Fitneßkampf nur einen Tag unterbrochen würde, stürzte das ganze Überlebenskonstrukt mit einem Male ein, Isabell würde ihn verlassen, Herr Claaßen würde Juniorchef, und er, Philipp, müßte ins Meer gehen, weit hinaus ins Meer, um nie, nie mehr zurückzukehren. Er hätte es verdient. Für dieses Leben käme er nicht mehr in Betracht.

John von Düffel, der vor drei Jahren den mehrfach preisgekrönten und von der Kritik gefeierten Roman "Vom Wasser" vorgelegt hat und vor anderthalb Jahren den weniger gefeierten Roman "Zeit des Verschwindens", hat jetzt mit "Ego" eine Art Fitneßroman geschrieben, ein Kampfbuch aus der Mitte der Gesellschaft, ein Buch der Angst, der Schönheit und der Einsamkeit. Über Konkurrenz, Narzißmus und das Ende aller Sicherheiten. "Das Verschwinden aller Sicherheiten durch den global entgrenzten Wettbewerb trifft die Mitte in seiner ganzen Härte", hatte von Düffel vor kurzem in einem programmatischen Artikel geschrieben. "Der existentielle Riß geht quer durch die Gesellschaft. Alle sind gleich nah am Abgrund. Wir schreiben das Ende aller geschützten Bereiche." Und weiter: "Die Tendenz geht zum totalen Einzelkämpfertum. Das Ich ist der einzige Fluchtpunkt in Zeiten allseitiger Konkurrenz, Narzißmus die einzige mögliche Liebe."

Man möchte jeden Satz gern bestätigend unterschreiben. Eigentlich möchte man auch gerne einen Roman zu diesen Thesen lesen. Und eigentlich ist "Ego" der Roman zu genau diesen Thesen. Trotzdem ist es kein gelungener Roman, denn "Ego" ist langweilig. Das gesamte Personal besteht aus reinen Staffagen, leeren Menschen, die nur in ihren Funktionen von Bedeutung sind, keinerlei Gefühlsleben haben. Es sind Oberflächenkämpfer, so wie Philipp sie sieht. Ja, ja, sie müssen Staffage sein, da Philipp, aus dessen Sicht der Roman geschrieben ist, sie so sieht, sie nur als Gefahrenquelle, Bedrohung und Herausforderung erkennen kann. Dennoch: Müssen wir das lesen? Müssen wir dieses Horrorkabinett der glänzenden Oberflächen immer wieder neu betrachten, ohne Überraschungen, ohne zweite, dritte, gar vierte Ebene? Gewiß, Philipp ist glänzend gezeichnet. Es gibt diesen Menschen. Wahrscheinlich gibt es ihn hundertfach. Jede Geste stimmt, jede Gebärde ist glaubhaft, sein besessener Kampf gegen sich selbst ist der Kampf von unzähligen deprimierten, einsamen, Lebensangst verdrängenden Fitneßstudio-Besuchern.

Anders aber als in den beiden anderen Romanen aus der glänzenden Scheinerfolgswelt, die diesen Herbst erscheinen, Joachim Bessings "Wir Maschine", der mit Wut, Haß, Sehnsucht und Verachtung geschrieben wurde, oder Rainer Merkels "Das Jahr der Wunder", der von ungeheuer genauen Beobachtungen und dem schönen Staunen des Erzählers lebt, gibt es in "Ego" kaum eine Bewegung, keine wirkliche Entwicklung, keine Überraschung. Wir können uns, trotz aller Mühe, für einen Kampf um die Tiefe eines Anwaltsnabels nicht ernsthaft interessieren. Und John von Düffel, der in den letzten drei Jahren neben den drei Romanen auch zahlreiche Theaterstücke veröffentlicht hat und zur Zeit hauptberuflich als Dramaturg am Hamburger Thalia Theater arbeitet (ein Arbeitswütiger, so scheint es, wie Philipp), interessiert dieser Kampf wohl auch nicht wirklich.

So sind wir am Ende wieder im chromglänzenden Maschinenpark. Folgen dem rasenden Techno-Rhythmus, genießen die Monotonie, beobachten den Nebenmann unauffällig aus den Augenwinkeln, hören nicht eher auf, als bis er endlich seine Waffen streckt, und betrachten vom Fitneßfahrrad aus einstürzende Hochhäuser, Videoclips und Comic strips. Und geben nicht auf. Zum Lesen bleibt da wenig Zeit. Als Trost bleibt nur: Bei John von Düffel immerhin verpassen wir zur Zeit fast nichts.

John von Düffel: "Ego". Roman. DuMont Verlag, Köln 2001. 281 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In einer überaus amüsanten Rezension bespricht Stephan Maus den neuen Roman von John von Düffel. Der Roman, in dem es um einen "Ego-Warrior" aus der Consulting Branche geht, der nach der "3-K-Regel: Karriere, Körper, Kopulation" lebe, verfalle nicht in das häufig ausgereizte Schema der "üblichen sozialkritischen Plattitüden". Trotz der Kritik, die sich durchaus in dem Roman finden lasse, sei es ein äußerst unterhaltsames Buch, das sprachlich gekonnt mit verschiedenen Arten von Slangs spiele und dessen Plot immer wieder überrasche. Eine Lobeshymne auf John von Düffel ist diese Rezension, in der der Rezensent nicht der Versuchung widerstehen konnte, Düffels Stil versuchsweise zu kopieren.

© Perlentaucher Medien GmbH