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"Der 'déprimisme', mit dem der Autor das andere, abgewandte Gesicht der fun society zeichnet und es damit zum preisgekrönten Kultautor des Fin de siècle brachte, er ist auch ein gezielt eingesetztes poetisches Programm. Nur ändert das nichts an der Qualität dieser Gedichte, an der Tatsache, dass eine abgründige Tristesse, ein fiebriger Pessimismus in ihnen einen authentischen poetischen Widerhall findet und eine dichte Atmosphäre schafft, die sich unmittelbar bestürzend auf den Leser überträgt." Gerda Zeltner, Neue Zürcher Zeitung

Produktbeschreibung
"Der 'déprimisme', mit dem der Autor das andere, abgewandte Gesicht der fun society zeichnet und es damit zum preisgekrönten Kultautor des Fin de siècle brachte, er ist auch ein gezielt eingesetztes poetisches Programm. Nur ändert das nichts an der Qualität dieser Gedichte, an der Tatsache, dass eine abgründige Tristesse, ein fiebriger Pessimismus in ihnen einen authentischen poetischen Widerhall findet und eine dichte Atmosphäre schafft, die sich unmittelbar bestürzend auf den Leser überträgt." Gerda Zeltner, Neue Zürcher Zeitung
Rezensionen
Ist das daneben? Ist das großartig? Houellebecqs Poesie ist jenseits von Gut und Böse." BASLER ZEITUNG

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2001

Ausweitung der Badezone
Schalenkoffertiere: Gedichte des Gnostikers Michel Houellebecq

Die Welt ist ein einziger Jammer, und man wäre besser gar nicht erst geboren? Wer sich diese Ansicht zu eigen macht, hat nur zwei Möglichkeiten: nichts anrühren oder nichts anbrennen lassen, Asket zu werden oder den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. So empfiehlt der heilige Antonius bei Gustave Flaubert das kalte Bad und, wenn das nichts hilft, die Abreibung mit Brennesseln. Umgekehrt predigt Pater Bernardus bei Leszek Kolakowski den Rausch gegen die Wollust, weil er sämtliche Glieder lähmt, und wieder die Wollust gegen den Geiz, weil sie alles hergibt.

Im Zwiespalt zwischen Entsagung und Hingebung stecken alle Gnostiker, unter die auch Michel Houellebecq zu rechnen ist. In seinem Roman "Elementarteilchen" stellt er beide Welten nebeneinander. Der eine Halbbruder Bruno swingt von Club zu Club und verschwendet seinen Samen bei jeder Gelegenheit; der andere Halbbruder Michel aber behält ihn für sich, legt ihn unters Mikroskop, manipuliert ihn genetisch, damit daraus ohne Berührung mit dem immer schon verdorbenen Fleisch eine von Grund auf neue, posthumanistische Gattung entstehe. Denn die gesamte Schöpfung ist verfehlt. Der Demiurg hat mit Adam alles vermasselt, und erst die reine Erkenntnis durch "Pneuma" vermag den besseren Menschen zu erschaffen. Vor dem Hintergrund der spätantiken Gnosis erhält Michel Houellebecqs Begeisterung für die Wunder der Gentechnologie eine religiöse Dimension, deren Credo Peter Sloterdijk schon vor zehn Jahren als "Weltrevolution der Seele" bestimmt hatte. Ihr manichäisches Prinzip bestimmt auch die Ordnung der Gedichtzyklen von Houellebecq, seinen ersten Band "Suche nach Glück" wie auch seinen neuen, "Der Sinn des Kampfes".

Grundiert wird sie vom grau in grau des "Deprimismus", den Houellebecq wie schon die "décadents" des vorletzten "fin de siècle" bei Arthur Schopenhauer und Charles Baudelaire aufgespürt hat: "Mit halboffenem Mund, wie Karpfen, lassen wir Totenrülpser heraus. Um vom Leichengestank abzulenken, der aus unseren Fressen strömt, der unbesieglich aus unseren Fressen strömt, geben wir Wörter von uns." Houellebecq verbindet den kruden Ton und den spleen aus den "Blumen des Bösen" mit Schopenhauers Vorstellung von der Welt als Wahn. Während indessen jener auf Erlösung durch Musik oder durch Willensverneinung (oder die Liebe zum Pudel) setzt, glaubt der Dichter Houellebecq allein an die Erkenntnisse im Biolabor. Er enthüllt den Schleier der Maja als genetischen Code. Ebenso unvermittelt, parallel zu den dunklen Zeilen, stehen in diesem Band vom "Sinn des Kampfes" lichte Gedichte reiner Schönheit, die sich so deutlich vom Abgesang auf den Abschaum abheben.

Houellebecqs Menschenwesen schwanken zwischen Vergeistigung und Trieb: "Allein in ihren sorgsam gemauerten Waben / Erwarten sie den Flug, den Aufruf des Unfaßlichen." Allerdings dauert das Schweben in den höheren Sphären des Lichts nicht lange. Nun wurde diese gnostische Auf-und-ab-Fahrt zwischen Himmel und Hölle schon öfters durchbuchstabiert. Auch klingen die himmlischen Harmonien langweiliger als das Höllengezeter - wer liest schon Dantes "Paradies"? Selbst die medizinische Fachsprache und das Einschleusen von abstrakten Ideologemen wie "Ewigkeit" oder "liberales System" sind dem deutschen Leser seit Gottfried Benn vertraut. Und auch die pornographischen Pointen können kaum noch schocken. Das Befremdende und Originelle von Houellebecqs Gedichten indessen liegt in ihrem Tonfall.

In einem Gespräch sagte der Autor, er improvisiere seine Gedichte, so wie man in der Musik improvisiere. Die Form sei ihm vorgegeben, die Wörter kämen von alleine. Ein Gedicht gelinge ihm auf Anhieb oder gar nicht. Tatsächlich sind seine Verse zwar lässig und wie nebenbei gesprochen, zugleich aber häufig auf die klassische Form des französischen Alexandriners und Achtsilbers getrimmt. Houellebecq will nicht, wie Arthur Rimbaud, den klassischen Vers und damit die abendländische Welt zerstören; er will nicht absolut modern sein und fällt weit hinter die formalen Errungenschaften der Avantgarde zurück. Auch bei der Wortwahl scheint das tiefste neunzehnte Jahrhundert durch. Herzen erzittern in der Morgendämmerung, "Schicksal", "Ewigkeit" und "Rückkehr ins Haus des Vaters" sind seine "Südwörter" und entlarven ihn als hartnäckigen Romantiker.

Bei Baudelaire heißt es, der Dichter stolpere über seine Verse, bei Houellebecq holpern sie sogar des öfteren. Er hält nicht immer das Silbenmaß oder die Zäsur beim Halbvers durch. Er ist kein Reimeschmied und Stilist, aber manche seiner Zeilen verblüffen. Wenn er "termites" auf "bite" reimt, zeigt er neben der Sexbesessenheit die Begabung, entfernteste Welten, den Termitenhaufen und das männliche Geschlecht, im gleichen Versausklang aufeinander zu beziehen. Dieser coup zumindest sitzt.

Auch manche Bilder aus dem Urlaubsalbum sind gut entwickelt: "So reiben die Menschenwesen ihre Schleimhäute aneinander / Bevor alles wieder in die Schalenkoffer kommt." Nahe an Baudelaire ist Houellebecq etwa, wenn er das Klagelied des einsamen Städtebewohners, der von der Arbeitslosigkeit wie von einem schweren Arbeitstag "auf der Hochbahnstrecke", also durch die tristen Viertel von Paris, nach Hause fährt, in die Form des Alexandriners bringt. Da erhält sein Gedicht plötzlich den Rhythmus der Metro und den Klang des Rap. Viele andere Gedichte, wie "Ein Sommer in Deuil-la-Barre", scheinen banal; sie wirken erst, wenn man sich vorstellt, daß sie als Blues vorgetragen werden.

Diesen Sprechgesang aber hat der deutsche Übersetzer durchgehend verfehlt. Hinrich Schmidt-Henkel hat kein Gespür für diesen Rhythmus. In den Prosagedichten kann er es sich recht bequem einrichten; selbst da unterlaufen ihm allerdings grobe Entstellungen des Originals. Während etwa Houellebecq in einem - recht schwachen - Prosagedicht über einen Schwalbenschwarm nichts von den Schwalben lernen kann, will sein Übersetzer gleich auf sie schießen ("il n'y a aucun enseignement à tirer des hirondelles", in der Tat). Da fällt schon nicht mehr ins Gewicht, wenn Schmidt-Henkel "chomage" durch "Nichtstun" statt durch "Arbeitslosigkeit" übersetzt, wo sie geradezu als Schwerarbeit empfunden wird. Oder wenn er den Stundenplan des Schreckens mit der Planung des Entsetzens verwechselt. Oder wenn er gar das lyrische Subjekt im Hochhaus sitzen läßt statt im Wohnblock (la cité), wo die Aussicht meistens nur bis zum nächsten Straßenblock oder auf den Hinterhof führt.

Von einem gelungenen Gedicht heißt es, es brauche nicht mehr vertont zu werden, es sei schon Musik. Oder auch: Durch die Übersetzung gelange es in das Stadium der Nachreife. Houellebecqs Gedichte sind häufig unvollkommen, sie warteten auf eine Ergänzung (durch die Musik von Bertrand Brugalat); aber auf diese Übersetzung von Schmidt-Hinkel haben sie nicht gewartet.

Im Original, das der Verlag glücklicherweise mit abdruckt, klingt im alten Alexandriner der Rap nach, und beim Abzählen sowie Nachlesen der Verse wird deutlich, warum Michel Houellebecq mit der Band von Brugalat im Sommer am Strand vor Club-Urlaubern aufgetreten ist. Der Gnostiker braucht den Schmutz, um von ihm abzustrahlen.

RUTHARD STÄBLEIN.

Michel Houellebecq: "Der Sinn des Kampfes". Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Französischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Dumont Verlag, Köln 2001. 207 S., br., 32,- DM.

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Lichte Gedichte reiner Schönheit. FAZ