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Le Corbusier erscheint in dieser grundlegenden Darstellung in einem neuen Licht. Aus den faszinierend gezeichneten und klar beschriebenen Analysen seiner Entwürfe treten die geometrischen Strukturen hervor, die jedem einzelnen Bau seine charakteristische Ordnung verleihen.

Produktbeschreibung
Le Corbusier erscheint in dieser grundlegenden Darstellung in einem neuen Licht. Aus den faszinierend gezeichneten und klar beschriebenen Analysen seiner Entwürfe treten die geometrischen Strukturen hervor, die jedem einzelnen Bau seine charakteristische Ordnung verleihen.
Autorenporträt
Klaus-Peter Gast wurde 1956 geboren. Nach seinem Studium der Architektur an der Technischen Universität in Braunschweig war er mehrere Jahre als praktizierender Architekt tätig. Seine wissenschaftliche Tätigkeit mit den Schwerpunkten Architektur und Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts schlägt sich in zahlreichen Publikationen, Vorträgen und Lehrveranstaltungen nieder.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2000

Paris ist eine Messung wert
Zum Klavierspielen hatte er die Armatur: Klaus-Peter Gast erläutert, wie Le Corbusier sich seine Maße schuf

Seit er zu einer Zelebrität der modernen Architektur geworden war, bekam Le Corbusier viel Besuch in seinem engen, klösterlichen Atelier in der Pariser Rue de Sèvres. Im Mai 1949 war es eine Gruppe westdeutscher Stadtplaner, die ihn heimsuchte. Der Meister führte der Reisegesellschaft nicht nur seine jüngsten Projekte vor, sondern auch ein neues, körperbezogenes Maßsystem. Ein halbes Jahr später war die Schrift druckfertig, in der er es unter dem Titel "Modular" der Welt vorstellte. Der Kölner Städtebauer Rudolf Schwarz, der mit der Truppe unterwegs war, notierte ironisch: "Er hat die Sache jetzt endgültig heraus."

"Die Sache" war nicht mehr und nicht weniger als eine Proportionsskala, die den abstrakten Meter und die unpraktischen englischen Längenmaße ergänzen oder ersetzen sollte. Der Modulor bestand aus zwei mit Hilfe des altehrwürdigen Goldenen Schnitts ermittelten Skalen. Um absolute Zahlen zu erlangen, bezog Le Corbusier die Proportionen in schierer Willkür auf die vermeintliche Idealgröße des Menschen: 1,83 m oder sechs Fuß, so groß wie die Polizeiwachtmeister in englischen Kriminalromanen.

Geometrisch ergeben sich die irrationalen Werte des Goldenen Schnitts, indem man die Diagonale einer Quadrathälfte auf eine Seitenverlängerung des Quadrats abträgt. Treibt man das Spiel weiter und gewinnt aus einer einfachen Manipulation ein neues Doppelquadrat, setzt eine endlose Folge harmonischer Teilungen ein. Die Entdeckung, die Le Corbusier für sich machte, muß ihn wie ein Rausch überfallen haben. "Er merkt immer deutlicher", schrieb er über sich in der dritten Person Einzahl, "daß ihn das Glück in einen Garten geführt hat, dessen Blumen Zahlen sind."

Es war längst nicht die erste Begegnung Le Corbusiers mit optischen "Maßreglern". Daß alles Ordnung und Gesetz sei, lernte er bereits in seiner Ausbildung an der Kunstschule von La Chaux-de-Fonds. Proportionsstudien begegnete er in der Baugeschichte, vor allem im französischen Barockklassizismus, doch auch in der Architekturpraxis von Zeitgenossen. So stieß er in seinen Wanderjahren auf Holländer wie Lauweriks, die "im System" arbeiteten, und Peter Behrens, der sich zeitweise stark für Proportionsschemata interessierte. Schon beim Entwurf einer frühen Villa in seiner Heimatstadt zeichnete Le Corbusier, der damals noch Jeanneret hieß, in den Aufriß Diagonalenscharen, die Bauformen und Einzelelemente regulierten. Das Ordnungsdenken der klassischen, auch der akademischen Architektur begleitete den Neuerer, der jedem Akademismus abgeschworen hatte. War es der Halt im Zeitlosen, den auch der Revolutionär benötigt?

Der in Deutschland und Indien lebende Architekturhistoriker Klaus-Peter Gast hat also gute Gründe, sich der Geometrie im Werk Le Corbusiers zuzuwenden. Er tut es am Beispiel der Villen der zwanziger und früheren dreißiger Jahre und der Bauten und Planungen für Chandigarh, die Hauptstadt des indischen Punjab. Und er tut es mit einem schwindelerregenden furor geometricus, der offen läßt, ob es die Besessenheit des Architekten oder die seines Interpreten ist. Niemand, der nicht vergessene Geometrie-kenntnisse reaktivieren und die Geduld eines Puzzlespielers aufbringen mag, sollte sich an das Studium dieser in jeder Hinsicht erschöpfenden Grundrißanalysen wagen.

Was sich zunächst wie eine Marotte des Autors anläßt, übt mehr und mehr die Faszination eines abenteuerlichen Gedankenexperiments aus. Die Frage, wie weit Gast dabei Entwurfsabsichten Le Corbusiers erfaßt oder eine vom Urheber allenfalls unbewußt angewandte Strategie beschreibt, wird ausgeklammert. Erst nach 1945, als Le Corbusier seinen Modulor formuliert hatte, gerät der Autor auf festeren Grund. Seine Zuversicht gewinnt er aus der Stimmigkeit seiner Planfiguren. Aber damit sie stimmen, müssen Quadrate sich bald überlappen, bald durch Fugen getrennt, bald um konzentrische Rahmen erweitert werden, müssen Hilfslinien bald an Innen-, bald an Außenseiten der Wände anschlagen. Demonstriert wird nicht an Werkplänen des Ateliers, sondern an umgezeichneten Rissen des Autors.

Wie früh oder wie spät man Gast die Gefolgschaft verweigert, unbestreitbar bleiben Scharfsinn und Einfühlungsgabe, mit denen er auch außerhalb der Proportionsfragen Formen und Formverläufe interpretiert. Im Falle Le Corbusiers liegt eine reiche Tradition von Interpretationen vor, die Gast eindrucksvoll weiterführt. Seine oft spröde Sprache kann zu erstaunlichen Nuancierungen finden. Auch die eigenen Farbaufnahmen erfassen mit schöner Genauigkeit Details wie Stimmung, den puristischen Charme der klassischen Villen wie die schwarze Patina der verrottenden Monumente in Chandigarh. Üblicherweise akzeptieren Verleger die Fotokünste ihrer Bücherschreiber, um das Honorar für professionelle Architekturfotografen zu sparen. Hier ist der Fotograf dem Autor gleichen Namens gewachsen.

Le Corbusier hat in sein Maßsystem unterschiedliche Erwartungen gesetzt. Manchmal sah er darin offenbar nur ein Werkzeug, eine Art optisches Klavier. In anderen Äußerungen erscheint der Modulor als ein Spiel der Götter, als ein Schlüssel zu den Gesetzen der Schöpfung, als - wie Gast es formuliert - "Schnittstelle zur Transzendenz". Von Albert Einstein hat Maître Corbu sich weismachen lassen, der Modulor sei eine Erfindung, die das Schlechte schwer- und das Gute leichtmache. Aber anders als der Rabe in La Fontaines Fabel bewahrte Le Corbusier sich genügend Realitätssinn. Als sein Büro ihm einen mißratenen, doch proportionsgerechten Entwurf vorlegte, riet er den jungen Kollegen: "Wenn der Modulor Sie zu Greueln verführt, lassen Sie ihn fallen!"

WOLFGANG PEHNT

Klaus-Peter Gast: "Le Corbusier". Paris - Chandigarh. Vorwort von Arthur Rüegg. Birkhäuser Verlag, Basel 2000. 192 S., 50 Farb- u. 250 S/W-Abb., geb., 148,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Um Le Corbusiers geometrisches Maßsystem geht es in dieser Abhandlung von Klaus-Peter Gast, und diese Herangehensweise an des Architekten Arbeitsweise findet auch der Rezensent Wolfgang Pehnt faszinierend. So hat Le Corbusier beispielsweise den Modulor, eine Proportionsskala auf Basis des goldenen Schnitts und einer angenommenen Idealgröße des Menschen entworfen. Pehnt vermisst lediglich eine präzisere Einordnung, wie Le Corbusiers starke Einbeziehung "optischer Maßregler", zu bewerten ist: "Die Frage, wie weit Gast dabei Entwurfsabsichten Le Corbusiers erfasst oder eine vom Urheber allenfalls unbewusst angewandte Strategie beschreibt, wird ausgeklammert." Und weil eine Beschreibung des Kontexts fehlt, wirkt es in den Augen des Rezensenten manchmal, als verfolge Gast eher eine eigene Marotte als dass er eine Arbeitsweise des Architekten und Planers offenlegt. Trotzdem attestiert Pehnt Gast "Scharfsinn und Einfühlungsgabe" in die Architektur Corbusiers und bezeichnet seine Interpretationen als Bereicherung.

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