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Mit diesem Roman setzte Disraeli zu Beginn seiner glänzenden politischen Karriere ein eindrucksvolles Zeichen für Toleranz und Verständigung zwischen den Religionen. Dank der ersten vollständigen Übersetzung ist der mitreißende Reise- und Bildungsroman nun endlich auch hierzulande zu entdecken. Die besten Köche des Landes, Dekorateure, Feuerwerksmeister, sie alle strömen zum Schloss des Herzogs Bellamont, denn es gilt, die Volljährigkeit von dessen Sohn Tancred zu feiern. Zur Krönung der Festivitäten eröffnen Tancreds Eltern ihrem Spross, was ihn als Geschenk erwartet: ein Platz im Parlament…mehr

Produktbeschreibung
Mit diesem Roman setzte Disraeli zu Beginn seiner glänzenden politischen Karriere ein eindrucksvolles Zeichen für Toleranz und Verständigung zwischen den Religionen. Dank der ersten vollständigen Übersetzung ist der mitreißende Reise- und Bildungsroman nun endlich auch hierzulande zu entdecken.
Die besten Köche des Landes, Dekorateure, Feuerwerksmeister, sie alle strömen zum Schloss des Herzogs Bellamont, denn es gilt, die Volljährigkeit von dessen Sohn Tancred zu feiern. Zur Krönung der Festivitäten eröffnen Tancreds Eltern ihrem Spross, was ihn als Geschenk erwartet: ein Platz im Parlament und die Ehe mit seiner hübschen Cousine.
Maßlos ist die Überraschung der Eltern, als Tancred ablehnt. Sein sehnlichster Wunsch ist es, eine Pilgerfahrt ins Heilige Land zu unternehmen. Aller Widerstand der Eltern erweist sich als fruchtlos, sie müssen den Sohn ziehen lassen.
Was als spirituelle Sinnsuche beginnt, wird bald zu einer Erweckungsfahrt umfassenderer Art. Der Orient in seiner ganzen Fremdheit schlägt Tancred machtvoll in seinen Bann. Er verliebt sich in die Tochter des reichsten Kaufmanns von Jerusalem und gerät in das Intrigenspiel rivalisierender arabischer Gruppen. Nach vielen Wechselfällen erkennt er, dass für ein christliches Selbstverständnis privat wie gesellschaftlich die Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln und die Öffnung für das Fremde unerlässlich sind.
Autorenporträt
Benjamin Disraeli (1804 - 1881) - Earl of Beaconsfield - entstammte einer jüdisch-italienischen Familie. Konvertiert zum Christentum, politische Karriere bis zum britischen Premierminister. In seinem literarischen Werk Anprangerung von sozialer Ungerechtigkeit sowie Forderung von religiöser Toleranz (insbesondere) gegenüber dem Judentum.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit größter Aufmerksamkeit müsse man diesen Roman lesen, um seine zentrale Botschaft nicht misszuverstehen, lässt sich Gustav Seibts ausführlicher Rezension entnehmen. Aus Anlass des zweihundersten Geburtstags des einstigen britischen Premiers und Vaters der konservativen Partei wurde Benjamin Disraelis Roman "Tancred oder Der neue Kreuzzug" von Ingrid Rein neu und erstmals vollständig übersetzt. 1847 als dritter Teil der "Coningsby Trilogie" entstanden, erzählt das Buch von Tancred, der als englischer Adelsspross auf die gesellschaftlichen Pflichten pfeift und nach Jerusalem pilgert, wo er am Berg Sinai die ewigen Prinzipien für eine moderne Lebensführung und Gesetzgebung zu finden hofft. Im Heiligen Land angekommen verwirbelt sich der Roman, so der Rezensent, in einem "Brio abenteuerlich-romantischer Episoden". Ein Engel verkündet dem Helden, dass die Gleichheit unter den Menschen nur durch Gottes Führung gelingen könne. Will meinen: die Rückkehr zu den reinen Quellen mosaischer Gesetzgebung tut Not. Dies hält Seibt - anders als der von ihm angeführte "Judenhasser" Carl Schmitt - nicht für eine "jüdische Agenda des liberalen Zeitalters", wohl aber für ein Zeugnis jüdischen Selbstbewusstseins. Nicht offensiv, eher verteidigend und anklagend laute die Botschaft des Buchs: "Ihr Christen verfolgt und verachtet jenes Volk, von dem doch der Kern eurer Gesetze und Zivilisation bis heute stammt." Der kulturkritische Tenor schlage sich ferner darin nieder, dass England und Europa als "barbarische Gefilde" erscheinen, deren einziger Wert das Geld sei. Die romantische Hochschätzung des Orients sei aber kein Ausdruck von "camoufliertem Kolonialismus", sondern entspringe dem Traum von einer Gotteslandschaft, in der sich Juden, Christen und Muslime mit dem Satz "Es gibt nur einen Gott" begrüßten, resümiert Gustav Seibt.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2004

Schulden! Intrigen!
Kreditwesen: Benjamin Disraelis "Tancred" in neuer Übersetzung

Benjamin Disraelis Welt war die eines schamlosen Glaubens an eigene Erfindungen. Von Ehrgeiz verzehrt, stürzte er sich früh in die Londoner City, spekulierte, gründete eine Zeitung, die Börsen-Desinformationen verbreiten sollte, trat als Salonlöwe auf, schrieb anonyme Schmähschriften und fallierte mit südamerikanischen Bergbauwerten. Mit zwanzig war er pleite. "Was wäre ich ohne meine Schulden?", so läßt er 1847 in "Tancred" sein orientalisches Alter ego, den syrischen Emir Fakredin ausrufen, "Jugend und Schulden sind für das Handeln die beiden größten Stimulantien".

Um seiner schlimmsten Außenstände Herr zu werden, begann Disraeli, der keinen Beruf erlernt hatte, einen Roman nach dem anderen zu schreiben, von "Vivian Grey" bis "Henrietta Temple"; Silbergabelromane, wie manche sie nannten, weil darin die gute Gesellschaft mit viel Interesse an Speisefolgen, Verwandtschaftsverhältnissen und Klatsch geschildert wurde. Disraeli schreckte dabei bis zur unfreiwilligen Komik vor keiner Angeberei zurück: "Ihre Ladyship war inzwischen passata, obwohl unter Zuhilfenahme von Kaschmirschals, Diamanten und Turbanen ihr tout ensemble noch immer sehr beeindruckte." Außer durch windige Geschäfte und als Kolportageschleuder machte er auch noch durch hellblaue Hosen und schwarze Strümpfe mit roten Streifen und schließlich durch Affären mit verheirateten Frauen von sich reden, bevor er dann in die Politik ging.

London war in den Jahren nach Waterloo von neureichen Aufschneidern bevölkert, die gerne etwas dürftig Verschlüsseltes über die Aristokratie lasen. Das erste Kapitel des "Tancred", der jetzt pünktlich zum zweihundertsten Geburtstags Disraelis auf deutsch herausgekommen ist, handelt seitenlang von einem Londoner Viertel, das ein Koch aufsucht, der einen Tischdekorateur benötigt, um dann im Roman nur noch einmal vorzukommen, nämlich fünfzig Seiten später völlig verzweifelt, weil der Herzog von Bellamont seine Schnitzel aus Karpfenmilch nicht eines Wortes gewürdigt hat. "Was weiß denn Ben von den Herzögen?" soll Isaac D'Israeli, sein Vater, trocken gefragt haben.

Zunächst wußte er nur, was auch die politische Karriere Disraelis prägte, die ihn 1837 zum Abgeordneten, 1851 zum Schatzkanzler und siebzehn Jahre später zum Premierminister Großbritanniens machte: daß die Zeit der Adelsherrschaft ablief, was die Gesellschaft zu einer strukturellen Heuchelei zwang. Denn noch schwärmte man die aristokratische Welt an, und Disraeli tut es in "Tancred" von der ersten bis zur letzten Zeile. Heldentum, Rasse, Schönheit, Religion, Reichtum - in all dem beschwor er das Außerordentliche als historische Kraft.

Tancred selbst, ein junger Lord, der im Heiligen Land nach neuerlicher Offenbarung sucht, ist eine Art abstinenter Byron. Aber dem Haß auf alles Mittelmäßige, den Disraeli einmal als seinen Lebensimpuls bekannte, mischte sich das Bewußtsein bei, daß die romantische Welt nicht einfach nur entdeckt werden kann, sondern hergestellt werden muß. "Ohne Anleihe zählen Fürsten heute nichts mehr." Die gesellschaftliche Hierarchie besteht also noch, ihre Stufen werden aber vor allem als Mittel betrachtet, den rücksichtslos Entschlossenen nach oben zu bringen.

Disraeli hat die entsprechende Verlogenheit stets von beiden Seiten her bewirtschaftet. Tancred Lord Montacute, den seine Eltern für einen Sitz im Unterhaus vorgesehen haben, lehnt mit dem Befund ab, die Stützen der Gesellschaft trügen gar nichts, sondern seien nur Überreste eines einstigen Bauwerks. Darum verläßt er die im ersten Drittel des Romans mit schmeichelnder Boshaftigkeit geschilderte Welt der adligen Partys, um, selbstverständlich nicht ohne eine unbegrenzte Kreditlinie, nach Jerusalem zu reisen. "Was wollt ihr konservieren?" hatte Disraeli schon in "Coningsby", dem ersten Teil der Romantrilogie, deren dritter "Tancred" ist, die Konservativen unter Premier Peel gefragt und höhnisch geantwortet: "Alles Bestehende, solange es eine Redensart und keine Tatsache ist."

Tancred sucht nach Tatsachen, die Prinzipien begründen können, und findet sie im Nahen Osten, der einzigen Region, die Gott selbst besucht habe. Durch Tourismus zur Erleuchtung - neben den landschaftlichen und weiblichen Schönheiten des Orients sind es die Begegnungen mit den islamischen, christlichen, vor allem aber jüdischen Eliten dort, die den an Großbritannien irre gewordenen Lord berühren. In zahlreichen Religionsgesprächen entfaltet der früh zur anglikanischen Kirche konvertierte Disraeli seine Vorstellung von der spirituellen, in reinem Blut und heiligem Boden begründeten Vorrangstellung des Judentums sowie - "Araber sind Juden zu Pferde" - der semitischen Völker überhaupt. Meine Herkunft, sollte das heißen, kann sich vor eurer sehen lassen.

Auf der anderen Seite dieses grandiosen Kitsches steht als Gegenbild zur Fabrikantenwelt und zum Utilitarismus jener nervöse, junge syrische Emir. Er liebte nicht nur die Schulden, sondern gerade so wie Disraeli auch die Politik: "Intrigen! Das ganze Leben ist eine Intrige! Intrigen sind das einzig Wahre!" Disraeli mußte es wissen. So aufrichtig er an seine eigenen Phantasien glaubte, so sehr lebte er im Element von Verschwörungen. Was er denn von platonischer Liebe halte, wurde Lord Lyndhurst, der Förderer Disraelis, einmal gefragt. "Hinterher, aber nicht vorher", war die Antwort. So verhielt sich Disraeli zum konkreten Glauben, zur Tradition und zur Romantik. Es waren für ihn nur nachträgliche, dem Erfolgswillen untergeordnete Ideen. Daß er als Politiker mehr reüssierte denn als Schriftsteller, unterstreicht in diesem Sinne, worin seine eigentliche Einbildungskraft bestand.

Ein Buch wie "Tancred" - und viel mehr noch seine anderen - liest man aufgrund der politischen Räsonnements mit Interesse, aber nicht mit Begeisterung, denn dazu ist alles, was geschieht, zu absehbar - und das, wo es doch gerade voller Offenbarungen sein soll. Wirklichen und dann auch großen Gewinn verspricht erst eine Lektüre, die eine Biographie Disraelis mit heranzieht, am besten die auf deutsch vorliegende von Lord Robert Blake.

JÜRGEN KAUBE

Benjamin Disraeli: "Tancred oder Der neue Kreuzzug". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingrid Rein. Manesse Verlag, Zürich 2004. 901 S., geb., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2004

Mit der Yacht nach Jerusalem
Zum 200. Geburtstag von Benjamin Disraeli: „Tancred oder Der neue Kreuzzug” erstmals vollständig auf Deutsch
Carl Schmitt hat dieses Buch gehasst und bewundert, wie seinen Autor, den britischen Staatsmann Benjamin Disraeli, der heute vor 200 Jahren zur Welt kam und 1881 gestorben ist. Für Schmitt, den Judenhasser aus eiferndem Katholizismus, enthielt der Roman „Tancred oder Der neue Kreuzzug” in chiffrierter Form die jüdische Agenda des liberalen Zeitalters. Nicolaus Sombart hat in seinen Jugenderinnerungen aus dem Berlin des Zweiten Weltkriegs plastisch geschildert, mit welcher dringlichen Geheimnistuerei Schmitt ihm die 1936 von der Jüdischen Buchvereinigung veranstaltete Neuausgabe des „Tancred” in die Hand drückte. Nachdem Sombart das Buch in nur einer Nacht verschlungen hatte, fragte Schmitt ihn, ob er auch den Schlüsselsatz gefunden habe. Der laute nämlich: „Christentum ist Judentum für die Massen, dennoch ist es Judentum.”
Dieser Satz steht in der neuen und ersten vollständigen deutschen Übersetzung, die Ingrid Rein nun bei Manesse zum Disraeli-Jubiläum vorgelegt hat, auf Seite 740. Keinem Leser kann diese Botschaft schon auf den vielen Seiten davor entgangen sein. Doch erscheint sie nicht offensiv im Sinne eines jüdischen Überlegenheitsanspruchs, sondern eher verteidigend oder anklagend: Ihr Christen verfolgt und verachtet jenes Volk, von dem doch der Kern eurer Gesetze und Zivilisation bis heute stammt; ihr haltet eine Religion in Schmutz und Schande des Außenseitertums, obwohl sie gegründet wurde, als bei euch noch die Wildnis regierte; eine Religion, die aus den schönsten Landstrichen der Erde, wo Gott selbst mit den Menschen redete, stammt, aus den Paradiesen und Wüsten Arabiens.
Romancier aus Geldnot
Vielleicht wäre dieser dicke, altmodische, dabei romantisch-graziöse Roman vergessen worden, wäre sein Verfasser nicht jener Earl of Beaconsfield gewesen, der zweimal britischer Premierminister war - 1868 und 1874 bis 1880 -, der einer der Väter der modernen konservativen Partei wurde und jener Staatsmann, der mit dem Ankauf der Aktienmehrheit beim Suezkanal den britischen Seeweg nach Indien über den Nahen Osten sicherte. Immerhin war Disraeli schon vor seiner politischen Karriere (und später noch in ihren Ruhephasen) ein erfolgreicher, vielgelesener Autor, der die brennenden Fragen seiner Zeit - vom Klassenkampf bis zum Streit um Rom und den Kirchenstaat - in weitausholenden Erzählwerken diskutierte.
Benjamin Disraeli war der Sohn eines literarisch versierten, aus italienischer Familie stammenden Juden, der zum anglikanischen Glauben konvertierte. Doch Name, Aussehen und dandyhaftes Gebaren ließen auch seinen Sohn immer als Juden wirken, und als Jude musste er seinen Weg durchs Parlament, in die Regierungskabinette bis ins Amt des Premiers und ins Oberhaus bestehen - und er ging ihn mit glanzvollem Erfolg. Bismarck anerkannte ihn als den einzigen Staatsmann, der ihm gewachsen war, und der Berliner Kongress von 1878, der den Balkan und den vorderen Orient immerhin bis 1908 stabilisierte, wäre ohne das Einverständnis der beiden Herren kaum zu einem solchen Erfolg geworden.
Zum Romaneschreiben kam Disraeli als junger Mann aus Geldnot - er wollte Schulden bezahlen. Und einige seiner Bücher waren große Erfolge, vor allem die sogenannte „Coningsby-Trilogie” seit 1841. Der erste Band („Coningsby”) stellte den bürgerlich-adeligen Zwiespalt in der britischen Oberschicht dar; der zweite („Sybil”) zeigte das Elend der neuen Industriearbeiterschicht, noch bevor Dickens und Engels sich des Themas annahmen - Königin Victoria soll bei der Lektüre vor Rührung geweint haben. „Sybil” plädierte für konservative Sozialreformen, für einen paternalistischen Sozialstaat als Grundlage eines Bündnisses von Adel und Arbeiterschaft gegen das geldbesessene, kapitalistische Bürgertum.
Erst als Premier in den siebziger Jahren konnte Disraeli mit einer ausgreifenden Reformgesetzgebung dieses Programm umsetzen. Bismarck hat sich mit seinen Sozialgesetzen auch an Disraelis Ideen orientiert, nicht zuletzt an der Vorstellung, die Monarchie durch eine Befriedung der Arbeiterklasse zu festigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bismarcks Gesprächspartner Ferdinand Lassalle die dahin zielenden Ideen aus dem Roman „Sybil” kannte.
Der dritte Roman der Serie ist der 1847 erschienene „Tancred”. Hier geht es kaum um Politik, ein wenig um Gesellschaft, vor allem aber um Ideen und Religionen. Der junge Held stammt aus einer Familie, deren Ahnen als Kreuzzugsritter schon im zwölften Jahrhundert bei den Kriegen im Heiligen Land dabeiwaren. Tancred, Lord Montacute, der Herzog von Bellamont, wird in die Welt eingeführt, das ist der Beginn des Romans. Mit einem bezaubernden Kunstgriff setzt Disraeli das in Szene: Verzweifelte französische Köche (die schon unter Napoleon die Krönungsdiners gestalteten) beraten sich über die für diesen Anlass zu entwerfende Menüfolge - wo, bitte, finden wir in dem barbarischen England einen anständigen Zuckerbäcker?
Doch nach dem rauschenden Trubel - auch einem Triumph kaiserlicher Patisserie -, erfahren die Eltern Tancreds zu ihrem Entsetzen, dass ihr Sohn nicht daran denkt, den ihm zustehenden Unterhaussitz einzunehmen und die vornehme Cousine zu heiraten, die ihm zugedacht ist. Tancred will nach Jerusalem, nach Arabien, an den Berg Sinai, denn nur dort rede Gott mit den Menschen. Er will das geistige Problem der Zeit lösen, zu den Quellen der Spiritualität vordringen, um fern von politischen Ränken und sozialen Nöten, unabhängig von der Herrschaft des Geldes und parlamentarischem Reformstau, die ewigen Prinzipien für eine moderne Lebensführung und Gesetzgebung zu finden.
Unterstützt wird er von einem schwerreichen jüdischen Bankier, den Disraeli als kultivierte Rothschild-Figur zeichnet - die erfolgreichste Gestalt jüdischer Existenz in der judenfeindlichen Christenheit. Ausgestattet mit einem Wechselbrief für unbegrenzten Kredit dieses Bankiers sticht Tancreds Yacht in See nach Jerusalem.
Im Heiligen Land verwirbelt sich der Roman in einem Brio abenteuerlich-romantischer Episoden - Nicolaus Sombart nennt ihn recht witzig eine Mischung aus Oscar Wilde und Karl May. Wir sehen Tancred im Kampf mit Beduinen, gemächlich reitend auf Kamelen und galoppierend auf feurigen Araberhengsten, in Bergschluchten und betörenden Oasen, in geheimen verschlossenen Bergstädten, mysteriösen Ruinenstädten und vor den berückenden Sonnenuntergängen der Wüste.
Am Sinai redet tatsächlich ein Engel mit ihm. Auf Tancreds Klage über den Zustand der Christenheit - „der Glaube schwindet, die Pflicht gerät in Vergessenheit. Eine tiefe Melancholie hat sich der Gemüter der Menschen bemächtigt. Der Priester zweifelt, der Monarch weiß nicht zu regieren, das Volk plagt sich ab und ruft in seinem Wahn neue Götter um Hilfe an” - kann ihm dieser Engel freilich nur versichern, dass Europa wieder in Geburtswehen liege und dass die Gleichheit unter den Menschen nur durch Gottes Führung, also die Rückkehr zu den reinen Quellen mosaischer Gesetzlichkeit erreicht werden könne.
Hinter aller Farbigkeit steht der Traum von einer Gotteslandschaft, in der die monotheistischen Religionen einander noch ganz nah sind, und wo Juden, Christen und Muslime sich einvernehmlich mit dem Satz „Es gibt nur einen Gott” begrüßen. Eine byroneske Abenteurerfigur, der Emir Fakredin, gleichermaßen als Freund und Verräter Tancreds gezeigt, wechselt sogar je nach politischer Lage zwischen den Religionen, und im arabischen Milieu wirkt dies wie die natürlichste Sache von der Welt.
Disraeli verarbeitete hier nicht nur eigene Eindrücke von einer Orientreise, sondern bezog sich auch auf das zeitgenössisch-aktuelle, durch den Aufstand des ägyptisch-arabischen Statthalters Mehmed Ali gegen die osmanische Herrschaft geweckte politische Interesse der europäischen Mächte am vorderen Orient. Mit visionärem Sensorium erkannte Disraeli hier schon in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Bühne, auf der die Gründung des Staates Israel ein Jahrhundert später möglich wurde; wobei Disraeli eher an einen arabisch-syrischen Nationalstaat für alle monotheistischen Religionen gemeinsam dachte als an einen Judenstaat.
Eva und die Marmorgötter
Zum Finale des Buches muss der edle Tancred sich zwischen zwei gleichermaßen schönen Verkörperungen vorderasiatischer Religiosität entscheiden: zwischen der schönen Jüdin Eva (der Schwester des Fakredin) und einer Königin Astarte, die in fernen Bergregionen noch die alte Religion der heidnischen Griechen mit ihrem marmorschimmernden Götterhimmel kultiviert - denn Disraeli muss empfunden haben, dass er, wenn er den monotheistischen Einklang zwischen Juden, Christen und Muslimen recht glaubhaft machen wollte, nicht ganz ohne das heidnische Gegenüber auskommen konnte. Die Entscheidung kann nicht zweifelhaft sein: Tancred erklärt Eva seine Liebe (während Astarte den schillernden Fakredin nehmen muss), und im selben Moment rauscht das Schiff seiner Eltern, des Herzogs und der Herzogin von Bellamont, im Hafen von Akkon ein. Mit diesem schwebenden Akkord endet das rossinihaft abschnurrende Buch.
Der Roman „Tancred” ist ein Zeugnis jüdischen Selbstbewusstseins, das hat der Judenhasser Schmitt richtig begriffen. Er enthüllt aber an keiner Stelle eine „jüdische Agenda”, die den christlichen Erlösungsglauben durch eine diesseitige, liberal-imperialistische Fortschrittsidee ersetzen möchte. Denn sein Tenor ist kulturkritisch, und die Ouvertüre in Montacute und London vor Tancreds Abreise zeigt ein Society-Gesumm, in dem echte Gespräche nicht möglich scheinen - Gespräche, wie sie unter Palmen, orientalischen Sternenhimmeln oder in Beduinenzelten immer noch geführt werden. Wie Nietzsche weist Disraeli darauf hin, dass in Rom drei Juden angebetet werden: Jesus, Petrus und Paulus, und eine Jüdin, Maria, und dass christlicher Judenhass sich daher eigentlich erledigen müsste.
Vor dem Hintergrund des arabisch-jüdischen Einklangs erscheinen Europa und England als immer noch barbarische Gefilde, die nur einen Wert kennen: das Geld. Disraelis Roman ist auch Ausdruck jener romantischen Orient-Liebe, die man nicht einfach als camouflierten Kolonialismus verstehen sollte. Carl Schmitt soll, als er „Land und Meer” schrieb, ein Porträt Disraelis über den Schreibtisch gehängt haben; vielleicht hätte er besser den Roman „Tancred” mit größerer Aufmerksamkeit lesen sollen. Als Queen Victoria ihren Premierminister fragte, was er nun sei, Jude oder Christ, und woran er wirklich glaube, erwiderte der Earl of Beaconsfield: „Majestät, ich bin die leere Seite zwischen dem Alten und dem Neuen Testament.” Es gibt Leser, die eine so anspruchsvolle Freiheit nicht ertragen.
GUSTAV SEIBT
BENJAMIN DISRAELI: Tancred oder Der neue Kreuzzug. Roman. Aus dem Englischen von Ingrid Rein. Nachwort von Norbert Miller. Manesse Verlag, Zürich 2004. 901 Seiten, 26,90 Euro.
Im Interieur des 19. Jahrhunderts macht es sich der Orientalismus gern bequem. Frederick Arthur Bridgmans „Odaliske und Dienerin”
Foto: akg-images
Benjamin Disraeli, Earl of Beaconsfield (1804-1881)
Foto: Scherl
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