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Als Fabrizia Ramondino im Juni 2008 starb, stellten die italienischen Buchhändler gerade ihren letzten Roman in die Regale. Jetzt erscheint das literarische Vermächtnis der großen italienischen Schriftstellerin auf Deutsch in dem Verlag, der 1986 bereits ihren ersten Roman "Althénopis. Kosmos einer Kindheit" veröffentlichte und damit "die Stimme Neapels" auch hierzulande vernehmbar machte. La Via, das ist die Hauptstraße im kleinen Städtchen Acraia, das in den Hügeln zwischen Rom und Neapel liegt. Seit den Zeiten des Römischen Reichs hat sich entlang dieser Straße vieles ereignet: Kriege,…mehr

Produktbeschreibung
Als Fabrizia Ramondino im Juni 2008 starb, stellten die italienischen Buchhändler gerade ihren letzten Roman in die Regale. Jetzt erscheint das literarische Vermächtnis der großen italienischen Schriftstellerin auf Deutsch in dem Verlag, der 1986 bereits ihren ersten Roman "Althénopis. Kosmos einer Kindheit" veröffentlichte und damit "die Stimme Neapels" auch hierzulande vernehmbar machte.
La Via, das ist die Hauptstraße im kleinen Städtchen Acraia, das in den Hügeln zwischen Rom und Neapel liegt. Seit den Zeiten des Römischen Reichs hat sich entlang dieser Straße vieles ereignet: Kriege, Handel, Liebesgeschichten, Tode, lange Hungersnöte und plötzlicher Reichtum, kleine Intrigen und verheerende Skandale, Zerstörung und Wiederaufbau, Abwanderung und Rückkehr. La Via teilt das Dorf in zwei Teile. Ein Seekapitän reist in das Städtchen und kommt mit seinen Bewohnern ins Gespräch mit Rituzza, der spindeldürren Nachbarin mit den zwei pummeligen Töchtern, die Kinderfeste organisiert und van Goghs Sonnenblumen kopiert; zwischen ihr und dem Seekapitän stellt sich eine Intimität ein, die ihn beunruhigt. Oder mit Bartolomeo, dem anarchistischen Hirten, und seiner furchtsamen Frau Ausilia. Und mit den drei Generälen Raffaele, Orso und Lorenzo, die noch immer die Schlacht um Montecassino schlagen.
Autorenporträt
Fabrizia Ramondino, geb. 1936 in Neapel, wuchs in Palma di Mallorca, Neapel und Frankreich auf. Sie studierte Dt. Literatur und Romanistik und war in den 1960er Jahren in der Neuen Linken aktiv. 1966-1982 arbeitete sie als Lehrerin in Neapel. Seitdem ist sie freie Schriftstellerin. Lebt heute in Itri.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2010

Der Landgang
eines Kapitäns
Nördlich von Neapel: Fabrizia
Ramondinos Roman „La Via“
Ein Dorf hat tausend Augen, Ohren und Münder, aus denen tausend Geschichten herauskriechen. Zum Beispiel Acraia, ein Ort in den Bergen zwischen Neapel und Rom, direkt an der alten Handelsstraße Richtung Norden gelegen, wo während des Zweiten Weltkrieges die lang umkämpfte Front verlief. Auch deshalb blieb von dem historischen Acraia wenig übrig: nur ein paar Häuser in der Oberstadt, Rione Terra genannt, während unten im Borgo alles neu ist. Auf Einladung seines Freundes Teodosio, mit dem ihn ein geheimnisvoller Pakt verbindet, nimmt ein namenloser Kapitän Mitte der 90er Jahre im Rione Terra Quartier. Der freundliche Außenseiter, Held und Ich-Erzähler von „La Via“, ist rekonvaleszent und kann einige Monate lang nicht zur See fahren.
Gemeinsam mit Onofrio, mit dem er eine Autowerkstatt betreibt, versorgt Teodosio den Kapitän allabendlich mit einem köstlichen Mahl und breitet in langen Erzählungen alles Wissenswerte über Acraia vor ihm aus. Innerhalb weniger Tage ist der Kapitän eingesponnen in ein Netz aus lauter Geheimnissen, die ihm nicht nur die beiden Freunde, sondern auch deren Bekannte, Verwandte und Nachbarn anvertrauen.
„La Via“ ist das letzte Buch der neapolitanischen Schriftstellerin Fabrizia Ramondino, der Verfasserin des großartigen Neapel-Porträts „Althénopis“ (1981). Ramondino, 1936 geboren, war Mitte vierzig, als sie ihre weit verzweigte Familiengeschichte zum Gegenstand ihres Debüts machte und begann, in Romanen und Erzählungen ihre Nomadenkindheit als Tochter eines Diplomaten zwischen Mallorca, Frankreich und Neapel und den Geschichtenkosmos ihrer exzentrischen Verwandtschaft heraufzubeschwören. Auch ihr politisches Engagement als Lehrerin in den ärmsten Vierteln von Neapel und in einer Arbeiterabendschule sowie die Erfahrung eines Alkoholentzugs wurde zum Material ihrer Bücher, die von einer großen Sprachlust geprägt waren.
Ihr süditalienischer Erzählkosmos verschmolz mit cartesianischen Methoden der Analyse, inspiriert von ihrer französischen Schulbildung. So flossen essayistische Passagen, lexikographische Erklärungen und Fußnoten mit psychoanalytischen Deutungen in ihre Romane ein. Als Fabrizia Ramondino im Sommer 2008 unweit von Itri nach dem Baden einen Infarkt erlitt und starb, kam „La Via“ gerade in die Buchhandlungen.
Hinter Acraia verbirgt sich Itri, wo Ramondino seit Mitte der achtziger Jahre beheimatet war, der Kapitän ist ein Alter Ego der Autorin, die ähnlich ungebunden wie ihr Held gelebt hat und sich um Konventionen wenig scherte. Voller Skepsis beobachtet der Landgänger, wie das glitzernde TV-Italien auch die Provinz verändert: Traditionelle Handwerke sterben aus, Familienbetriebe schließen, Hirten und Landwirte finden keine Nachfolger. Stattdessen greift die Grundstückspekulation um sich. Der Traum vom schnellen Geld erfüllt sich für den ehemaligen Barbier, der sich mit Heilkräutern und homöopathischen Behandlungsmethoden eine goldene Nase verdient. Die Sympathien des Protagonisten gehören den marginalisierten Gestalten wie dem Schafhirten Bartolomeo, einem unverbesserlichen Anarchisten oder den drei „Generälen“, die mitnichten einen militärischen Rang bekleiden, sondern während des Krieges als Diebe durchkamen und inzwischen Experten für die Schlacht von Montecassino geworden sind. Über allem wacht Donna Rosita, eine mythische alte Dame und schwerreiche Wohltäterin. Ihren konsumverblendeten Kindern erteilt sie eine Lehre, indem sie sich in hohem Alter mit ihrem Liebhaber davon macht und ihnen das Erbe entzieht.
Wie in ihrem letzten Erzählungsband „Die Katze“ zieht Ramondino das Wunderliche und Unangepasste an. Hier scheint der letzte Hort der uritalienischen Tugenden zu sein: eine kämpferische Pietas, Solidarität mit den Schwachen, sinnliche Lebensfreude. Doch trotz der plastisch gezeichneten Figuren, der subtilen Schilderung zeitgenössischer Verwüstungen und der farbigen, von Maja Pflug nuancenreich und elegant übersetzten Sprache ist „La Via“ ein Nebenwerk und nicht auf der Höhe früherer Romane. Das liegt vor allem an der Struktur: Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, betreten die Dorfbewohner nacheinander die Bühne und bieten dem Kapitän in ausufernden Monologen ihr Schicksal dar, in wörtlicher Rede, die fast nie unterbrochen wird oder in einen Dialog mündet.
Die Ausführungen dehnen sich ins Endlose, und man wundert sich nicht, dass auch dem Kapitän ab und zu der Geduldsfaden reißt. Immer wieder lesen wir von einem Helden, dem andere etwas berichten, wovon sie gehört haben. Es ist also die Erzählung einer Erzählung einer Erzählung und nie, wie in anderen Büchern Ramondinos, die Geschichte an sich. Auf der Handlungsebene passiert kaum etwas. Die Pointe, auf die der Roman schließlich zuläuft, ist Donna Rositas sorgfältig vorbereitetes Verschwinden. Dennoch hat „La Via“ einen gewissen Zauber, als posthume Begegnung mit Fabrizia Ramondino. Denn der Roman ähnelt einem Rundgang durch ihr Städtchen, wie sie ihn tagtäglich unternahm.
MAIKE ALBATH
FABRIZIA RAMONDINO: La Via. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Arche Verlag Zürich und Hamburg 2010. 318 Seiten, 24, 90 Euro.
Die alte Dame erteilt ihren
Kindern eine Lektion. Sie geht mit
Liebhaber und Erbe auf und davon
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2011

Schiffbruch an Land
Fabrizia Ramondino kentert als Erzählerin

Auch alles Ende ist schwer. Diese unausgesprochene Volksweisheit wird zumindest in Acraia aufgeführt, einem kleinen Ort südlich von Rom. Freud und Leid des Lebens halten sich, wie sein (erfundener) Name suggeriert (acre: beschwerlich, mit einem Einschlag von Bitterkeit), nicht die Waage. Unverwüstliche Schreibfläche dafür ist die Straße ("La Via"), die das Dorf teilt - alles hat seine zwei Seiten. Was sich seit der Zeit der Römer bis zum Zweiten Weltkrieg und bis ins Glamour-Fernsehen (von Berlusconis Italien) hier abspielt, ist gleichsam unter einen gesenkten Blick gestellt. Im Kleinen soll sich das große Ganze brechen - das es nicht mehr gibt. Vor allem deshalb schließen sich seine Begebenheiten nicht entfernt zu einem narrenklugen Gleichnis zusammen wie in Kellers Seldwyla oder gar Wielands Abdera. Das ist das Problem, das die vielen Geschichten am Fußboden der Geschichte durchquert. Wie lebt es sich unter solchen Bedingungen?

Der Teppich an Realien, den Fabrizia Ramondino in ihrem letzten Schreibwerk ausbreitet, ist doppelt von persönlichen Lebenserinnerungen durchwirkt. Mit Acraia setzt sie Itri, ihrem letzten Wohnort, ein Denkmal; im Erzähler sich selbst. Ob sie geahnt hat, dass dieses Buch ihr literarisches Testament sein würde? Am Tag bevor es 2008 in den Handel kam, starb sie beim Baden im Meer. Gewiss, eine Koinzidenz; doch sie bewegt auch deshalb, weil ihr Erzählbuch eine literarische Vertiefung gerade im Sinnbild des Meeres sucht. Dies beginnt beim Erzähler, ihrem Double. Sie fingiert ihn als "Seekapitän". Ein Unfall zwingt ihn zu einer Rekonvaleszenz an Land. Nach Jahren auf großer Fahrt durch die weite Welt kehrt er nach Acraia zurück, für ihn jetzt die Fremde, so wie er für dessen Bewohner der Fremde ist. In diesem Blickwechsel nehmen Land und Leute Gestalt an.

Es ist, als ob die erzwungene Atempause des Kapitäns sich ihm auf die Sprache geschlagen hätte. Das macht ihn zum Zuhörer und das Buch zu einem geschriebenen Hörbuch. Umso mehr, als so gut wie nichts geschieht, ausgenommen ein unmotivierter Beischlaf im Nebensatz oder das Verschwinden der "heiligen" Rosita der Lebenslust und -list. Eigentliches Ereignis ist das Erzählen. Jeder, dem der Gast begegnet, ist eine Geschichte. Und wie auf ein geheimes Kommando (der Autorin) teilt sich einer nach dem anderen mit. So wird ununterbrochen geredet, zwar gemeinschaftlich, doch fast nur monologisierend: Italien in der bittersüßen Perspektive von unten, dem Dorfalltag im Spiegel der Zeiten. Grundtönung: Es ist, wie es ist.

Aber wie ist es? Wer auch immer zu Wort kommt, wird von einer Flut von Einzelheiten getragen, als sollte Inventur des Alltagsbewusstseins gemacht werden. Die Tore der Erzählung stehen für alles offen: den Serbien-Krieg; Modereisen auf die Malediven; wie man früher Gymnasiallehrerinnen anredete; Fernsehshows; Rucola; Kooperationen im Tierreich; kommunistische Ortsgruppen; Resopalplatten; Küchenkräuter auf dem Balkon; aber auch Darwin, Mussolini; Tausendundeine Nacht. Viel Naheliegendes wird angeschwemmt; von Gemeinplätzen spricht selbst der Erzähler und von "Klatsch" und Tratsch, die die Lebenswelt als Pasticcio zubereiten.

So sind zwar alle dicht an der Wirklichkeit, aber nicht wirklich im Bilde. Deshalb überall das Bedürfnis, sich auszusprechen, um zu sich zu finden. Doch heraus kommt dabei allenfalls, warum es so ist, wie es ist. Wenn die Geschichte einen erhöhten Standpunkt im Sinn hat, dann noch am ehesten in den Augen des Meerfahrers, der auf dem Lande, im fremden Element also, mehr sieht als die anderen. Das Dorf: oben ein verfallener Äskulap-Tempel - die Tradition, die nicht mehr heilt. Unten, an der Straße, die Piazza - die offene Wunde der Veränderungen. Dazwischen die Kreuzung, ungeregelt, chaotisch, wie das Leben seiner Bewohner. Unordnung, Labyrinth, Hölle geistern durch ihren Redefluss. Da kommt dem Kapitän (im Namen seiner Schriftführerin) das vielleicht einzig tragende Bild in den Sinn: dass das Leben an Land das gefährlichere Meer ist. Ihm fehlt, anders als dem Steuermann auf See, ein Kompass.

Wie also diese unübersichtliche "Straße" begehen? "Dem Leben entgegen", heißt es doppeldeutig. "Wir sind zwar alle unter einem Himmel", besagt das Ende - aber er war verhangen, und man sah keine Sterne. Ausgenommen einige Lichtpunkte am Boden: der Schäfer Bartolomeo, traditionsbewusster Anarchist; die drei "Generäle" (die keine waren); Rituzza, die van Gogh kopiert und eine Garküche betreibt, und Donna Rosita, in aller Munde, aber nie zugegen. Ihr Lebenswandel macht aus der Not die geheime Tugend: Wenn schon keine Regeln mehr gelten, kommt man am besten durch, wenn man sich seine eigenen macht. Motto: "König seiner selbst sein".

Und wie das Leben, so die Sprache. Ist es Materialermüdung eines Spätwerks oder stilistische Verbeugung vor der Fabulierkunst der einfachen Leute? Wie sie reden, kommt eins zum andern; ein Wort gibt das andere: Arte povera. Spiegeln ihre "wirren Erzählungen" eine nur scheinbare Unordnung wider, weil sie, wo sie assoziativ "abschweifen", springen, sich verstricken, den Faden verlieren, gerade dadurch "Gemeinsamkeit" empfinden? Etwa weil es allen gleich geht? Oder der verschlungene Fließtext ihrer Gespräche ihnen eine Atempause in ihrem gewundenen Lebensfluss verschafft? Deutlich jedenfalls wird: Es ist Spätherbst geworden im erfüllten Sprachleben der Fabrizia Ramondino.

WINFRIED WEHLE

Fabrizia Ramondino: "La Via". Roman.

Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Arche Verlag, Zürich/Hamburg 2010. 318 S., geb., 25,60 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für ihr 1981 erschienenes "großartiges" Porträt Neapels in der Familiengeschichte "Althenopis", aber auch für ihre literarische Verarbeitung ihrer Diplomatenkindheit oder ihrer Alkoholkrankheit schätzt Maike Albath die 2008 gestorbene Autorin Fabrizia Ramondino ganz außerordentlich. Ihr postum erschienener Roman "La Via" allerdings, in dem ein genesender Kapitän sich in ein Dorf zwischen Neapel und Rom zurückzieht und dort hautnah die Veränderungen des "glitzernden TV-Italiens" auch an der Provinz abliest, kann sie insgesamt nicht überzeugen. Das Buch ist trotz durchaus schillernder Figurenzeichnung, der sensiblen Dokumentation der Verheerungen des modernen Italiens und einer auch in der Übersetzung "farbigen" und "nuancenreichen" Sprache bestenfalls ein "Nebenwerk", das an die großen Romane der Autorin nicht herankommt, bedauert die Rezensentin. Der Leser erfährt das meiste aus sich hinziehenden Erzählungen der Protagonisten, passieren tut hingegen kaum etwas, so die Rezensentin wenig begeistert. Trotzdem attestiert sie dem Buch einen "gewissen Zauber".

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