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Fritz J. Raddatz, einer der profiliertesten Publizisten Deutschlands, entwirft ein grandioses Porträt des weltberühmten Dichters, das in seiner feinsinnigen Art, Leben und Werk aufeinander zu beziehen, seinesgleichen sucht.
Rainer Maria Rilke ist der nach Goethe meistgelesene deutschsprachige Dichter weltweit. Zeitgenossen priesen und höhnten ihn; und bis heute tönt das Echo auf Rilke und sein Werk gebrochen. Wer war Rilke? Ein "überschminktes Frauenzimmer", wie Georg Heym ihn verspottete, die "Dichtung selbst oder das, woraus die Dichtung entsteht", wie Marina Zwetajewa einmal voller…mehr

Produktbeschreibung
Fritz J. Raddatz, einer der profiliertesten Publizisten Deutschlands, entwirft ein grandioses Porträt des weltberühmten Dichters, das in seiner feinsinnigen Art, Leben und Werk aufeinander zu beziehen, seinesgleichen sucht.

Rainer Maria Rilke ist der nach Goethe meistgelesene deutschsprachige Dichter weltweit. Zeitgenossen priesen und höhnten ihn; und bis heute tönt das Echo auf Rilke und sein Werk gebrochen. Wer war Rilke? Ein "überschminktes Frauenzimmer", wie Georg Heym ihn verspottete, die "Dichtung selbst oder das, woraus die Dichtung entsteht", wie Marina Zwetajewa einmal voller Hingabe schrieb? In den ersten Lebensjahren erzogen als Mädchen, später der frömmelnden Bigotterie der Mutter ausgeliefert, entwickelte Rilke ein höchst ambivalentes Bild vom weiblichen Geschlecht. Frauen verdankt der rastlos von Ort zu Ort Ziehende lebenslange Förderung und Unterstützung, sie verdanken ihm die schönsten Gedichte und Widmungen. Und doch bleibt Weib wie Welt der Feind, umschwärmt inder Entfernung, gefürchtet als Gefahr in unmittelbarer Nähe..

Fritz J. Raddatz gelingt es, nicht nur die Existenz bestimmenden Prägungen Rilkes auf furiose und auch bewegende Art zu beschreiben, sondern den Einfluss dieser emotionalen Quellen auf das Werk des Dichters eindrücklich darzustellen.
Autorenporträt
Fritz J. Raddatz, geb. 1931 in Berlin, gestorben 2015. 1960-69 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlags, 1977-85 Feuilletonchef der Zeit, von 1969- 2011 Vorsitzender der Kurt-Tucholsky- Stiftung. 2010 wurde er mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2009

Einsamer nie als unter Bäumen

Zwischen Silbenkonfektion und Sphärenmusik: In seinem Rilke-Buch erweist sich Fritz J. Raddatz wieder einmal als der Turbo unter den deutschsprachigen Essayisten.

Sollen wir es mit Thomas Mann halten, den der "österreichische Snob" Rainer Maria Rilke anwiderte? "Sein Ästhetizismus, sein adliges Getu', seine frömmelnde Geziertheit waren mir immer peinlich und machten mir seine Prosa ganz unerträglich." Ist es Fritz J. Raddatz' letztes Wort, wenn er in den ersten Gedichten Rilkes die "gefältete Seide eines Silbenkonfektionärs" rauschen hört? Die Antwort deutet er in seiner Biographie schon fast im selben Atemzug an, mit dem Hinweis auf die spätere "unnachahmliche und betörende Sphärenmusik" seiner Dichtung. Am Ende feiert er das Gedicht "Rose, oh reiner Widerspruch ...", das Rilke auf seinen Grabstein gesetzt wünschte: "Er gab uns nun ein letztes Geheimnis auf mit jenem unauflöslichen, unauslöschlichen Gedicht, das er in die Pforte zur Unendlichkeit meißelte."

Zwischen den Polen Respektlosigkeit und der höchsten, die Verzückung streifenden Achtung für das Genie spannt sich Raddatz' temperamentvolles Durchdringen der Individualgeschichte eines Dichters, den eine Mutter mit Adelstick, solange es ging, wie ein Mädchen aufzog und der sich später mit Vorliebe auf Schlössern und in Luxushotels aufhielt - der, man muss es schon sagen, eine subtile Art des Schmarotzertums entwickelte, zu dem ihn allerdings die Verehrerinnen und die Mäzene einluden. Was aber wiegt alles dies, so darf man Raddatz verstehen, gegen ein Werk der Weltliteratur?

Gegen Ende lässt Raddatz keinen Zweifel daran, dass es sich bei seinem Buch um einen biographischen Essay handelt. Auch schon für seine Heine-Bücher von 1977 und 1997 und für seine kürzlich erschienene Benn-Biographie galt seine Absage an eine akademische Germanistik und das "Seminardeutsch", was nicht zugleich den Verzicht auf die Ergebnisse der Editionsphilologie bedeutet. In der Bibliographie fehlt sogar eine auf der Grenze zum Essay stehende Rilke-Biographie wie die von Wolfgang Leppmann (1981); erfasst werden nur "Titel, die zum Erarbeiten dieser Biographie benutzt wurden". Das ist legitim, sobald der Autor sein ganz eigenes Interesse an der Biographie Rilkes zu erkennen gibt.

Die Kindheit in Prag und die Erziehung der Mutter haben die Psyche Rilkes tief geprägt. Gegen die Psychoanalyse aber hat er sich gewehrt. Raddatz durchmisst die Lebensgeschichte Rilkes nach Kindheit und quälendem Drill auf österreichischen Militärschulen in großen Schritten. Das Münchner Studium bringt die erste entscheidende Begegnung mit der Nietzsche-Kennerin Lou Andreas-Salome (1897), mit der er zwei Russland-Reisen unternimmt (1899/1900), die in ihm eher ein Wunsch- denn ein reales Bild des Landes hinterlassen haben. Es folgt die Worpswede-Episode, eingeleitet durch den Besuch auf dem "Barkenhof" des Künstlers Heinrich Vogeler, wo Rilke die Bildhauerin Clara Westhoff kennenlernt, die er 1901 heiratet, von der er trotz gemeinsamer Tochter zwar bald getrennt lebt, ohne aber je geschieden zu werden.

Man mag sich fragen, was Rilke, den schmächtigen Sucher nach adeliger Herkunft seiner Familie und den Träumer von herrschaftlichem Wohnen, zur kargen Landschaft des Teufelsmoors nördlich von Bremen, zum Dorf Westerwede, dem Nachbarort der Malerkolonie, hingezogen hat. Eine Antwort scheint mir der Essay "Worpswede", Rilkes Beitrag zur Geschichte der Landschaftsmalerei, zu geben. "Denn gestehen wir nur", heißt es da, "die Landschaft ist ein Fremdes für uns, und man ist furchtbar allein unter Bäumen, die blühen, und unter Bächen, die vorübergehen. Allein mit einem toten Menschen, ist man lange nicht so preisgegeben wie allein mit Bäumen." Solche Sätze bestätigen von der Kehrseite her Raddatz' Beobachtung, dass die "innere Struktur" Rilkes "hermetisch" bleibe. So heiße "Liebesfähigkeit" "Alleinsein". Rilke lebe, einer Schnecke gleich, im selbsterrichteten Haus, nämlich im Haus der Kunst.

Raddatz sieht Rilkes Werk durchdrungen von Metaphern der eigenen Weiblichkeit und findet bei ihm auch Briefe von damenhafter Manieriertheit, zugleich eine manische Angst vor dem Geliebtwerden; ihm bleibe Liebe immer eine Nebenform schöpferischer Erfahrung. Sicherlich glimmt in Rilke eine Sehnsucht nach dem Androgynen. Skepsis stellt sich aber ein, wenn das Verhältnis "Rilke-Rodin" zur "homoerotischen Ehe" stilisiert wird. Versteht man darunter nicht nur Bewunderung und hingebungsvolle Verehrung, sondern eine wechselseitige Beziehung, so war der Pariser Bildhauer, der "frauenverschlingende" Rodin, dessen Sekretär er Ende 1905/Anfang 1906 war (wofür ihn sein Rodin-Buch von 1903 empfohlen hatte), gewiss kein homoerotischer Partner.

Zwei Bücher aus dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts laufen allen anderen den Rang ab. Das erste, der "Cornet", von Raddatz als Rilkes "Werther" bezeichnet, ist in der Tat ein sensationeller Erfolg und hat das Publikum in Zeiten eines eher romantischen "Soldatentums" begeistert. Doch hört man recht, wenn heute die Vorstellung der rhythmisch hinreißenden, von Rilke später selbst abfällig "versinfizierte Prosa" genannte "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" so beginnt: "Geheimnis Kunst. Auf schwingt sich eine Sprache, hart und transparent zugleich, lyrische Prosa von der zeitlos erhabenen Bescheidenheit romanischer Dome, die fratzenbleckenden Kapitelle zeigen nach unten in unser Elend und spiegeln in den schwarzen Pfützen des Menschenkriegs eben doch den darüber sich wölbenden Himmel"?

Faszinierend dagegen das Kapitel über den "Malte Laurids Brigge", die Lokalisierung des Romans in der Geschichte der Moderne, bestechend der Überblick über die europäische Literatur der ersten Jahrhunderthälfte. Raddatz jongliert mit seinen Kenntnissen. Als "bohrende avantgardistische Prosa", mit der dieser "Surrealist avant la lettre" der Entwicklung zwei Jahrzehnte voraus war, sogar schon die Technik des surrealistischen Films vorwegnahm, wird der Roman verstanden, auch als Echo eines Grauens vor der Verlorenheit des Menschen in der Großstadt. Den Dichter der verhängten Einsamkeit und der Innenschau sucht Raddatz gegen den Verdacht der Blindheit vor allem Politischen zu schützen, obwohl er als Anwalt nicht viel Beweismaterial besitzt; das Erleiden des Weltkriegs als Weltunheil, die Hoffnungen, die er zunächst auf die revolutionären Bewegungen von 1918 setzt, aber in der Spätzeit eben auch das Sympathisieren mit Mussolini.

Wer in dieser Biographie unbedachterweise eingehendere Erläuterungen zu Gedichten Rilkes sucht, hat nicht zum richtigen Buch gegriffen. Es bleibt bei Einzelkommentaren. Er wolle sich nicht eingliedern in die "kaum noch überschaubare Reihe der Interpreten", schreibt Raddatz zu den "Duineser Elegien" (das ist das gute Recht des Biographen), auch Rilke nicht ins Klischee des "unverständlich sich verpuppenden Weihepriesters" pressen, sondern ein Angebot unterbreiten, "Rilke zu lesen mit möglichst kühlem Verstand". Drei Themen filtert er aus den Texten heraus: Liebe, Einsamkeit und Gottverlassenheit. Raddatz' Kommentare sind eigenwillige, manchmal auch aufregende Annäherungen an die "Duineser Elegien". Nur vergisst er gelegentlich das Versprechen, kühlen Verstand walten zu lassen, sucht die Metaphern des Dichters noch zu überbieten.

Zwischen den Arbeiten an dem Elegien-Monument und dem Abschluss im Château Muzot (1922) liegen Jahre der Inkubationszeit. Fast gleichzeitig aber vollendet Rilke das andere große Spätwerk, die "Sonette an Orpheus". "Die Todesschwingen, die ihn in den Elegien streiften", schreibt Raddatz, "sind das Leitmotiv der Sonette." Auf die antike Sage, den "Gesang zum Tode hin", projiziere Rilke, auch wenn der Zyklus einer mit neunzehn Jahren gestorbenen Tänzerin gewidmet ist, seinen eigenen Schatten.

Einer vierundzwanzigjährigen, im Pariser Exil lebenden Russin schickte Rilke im Mai 1926, ein gutes halbes Jahr vor seinem Tod (der eine Zeit des Leidens beendete), die "Duineser Elegien" mit einer Widmung in Versen. Die "Mouche seiner Matratzengruft" nennt Raddatz, an Heine erinnernd, diese Russin, obwohl es keine engere Beziehung, nicht einmal ein Zusammentreffen gab. Es ist Marina Zwetajewa, eine der herausragenden Lyrikerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine Wahlverwandte hatte Rilke in ihr entdeckt. Und so heftet sich an ihren Namen in den letzten Monaten des Lebens - der einundfünfzigjährige Rilke starb im Dezember des Jahres 1926 - doch die Gewissheit seines Weiterwirkens.

Raddatz' biographischer Essay lässt im Leser nicht einen Augenblick der Langeweile aufkommen. Er ist interessant auch in den Assoziationen aus Literatur- und Kunstgeschichte, die an die Texte herangetragen werden oder denen man mit Skepsis begegnet. Raddatz überrollt den Leser mit einer dynamischen Sprache. Doch die Rasanz seines lustvollen Schreibens reißt ihn oft zum forcierten oder zu hoch greifenden Ausdruck fort. Raddatz begegnet uns eben auch hier, wie wir ihn kennen, als Turbo unter den deutschen Essayisten.

WALTER HINCK

Fritz J. Raddatz: "Rilke. Überzähliges Dasein". Eine Biographie. Arche Literaturverlag, Zürich/Hamburg 2009, 224 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Angetan, aber nicht unkritisch äußert sich Walter Hinck über Fritz J. Raddatz' Rilke-Biografie. Zwischen höchster Bewunderung und Respektlosigkeit gegenüber dem Dichter sieht er den Autor pendeln. Neben Interpretationen, denen er skeptisch gegenüber steht, etwa Raddatz' Vermutung einer homoerotischen Beziehung zwischen Rilke und Rodin, findet er in dem Buch immer wieder höchst faszinierende Ausführungen. Zu diesen zählt er zum Beispiel die Kapitel über den Roman "Malte Laurids Brigge". Für brillant hält er in diesem Zusammenhang auch den Überblick über die europäische Literatur der ersten Jahrhunderthälfte. Dass Raddatz nicht alle Gedichte Rilkes eingehender betrachtet, scheint Hinck verzeihlich. Zu schätzen weiß er die "eigenwilligen, manchmal auch aufregenden Annäherungen" des Autors an die "Duineser Elegien". Allerdings wird Raddatz seines Erachtens dem eigenen Anspruch, Rilke mit "kühlem Verstand" zu lesen, nicht immer gerecht. Raddatz ist für ihn eben der "Turbo unter den deutschen Essayisten". Und eines ist das Buch zur Freude des Rezensenten nie: langweilig.

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