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Die "Helden" in Peter Stamms neuem Erzählband kommen aus den unterschiedlichsten Orten. Sie leben zu zweit, allein, haben eine Familie und Kinder - oder auch nicht. Manche sind jung, andere alt. Alle sind sie irgendwohin unterwegs, alle scheinen sie auf etwas zu warten. Auf einen Zug oder auf ein Schiff, auf eine Geste der Liebe oder einfach auf das Ende, wie die kranken Reisenden auf dem Weg nach Lourdes.

Produktbeschreibung
Die "Helden" in Peter Stamms neuem Erzählband kommen aus den unterschiedlichsten Orten. Sie leben zu zweit, allein, haben eine Familie und Kinder - oder auch nicht. Manche sind jung, andere alt. Alle sind sie irgendwohin unterwegs, alle scheinen sie auf etwas zu warten. Auf einen Zug oder auf ein Schiff, auf eine Geste der Liebe oder einfach auf das Ende, wie die kranken Reisenden auf dem Weg nach Lourdes.
Autorenporträt
Peter Stamm, geboren 1963, studierte nach einer kaufmännischen Lehre einige Semester Anglistik, Psychologie, Psychopathologie und Wirtschaftsinformatik. Längere Aufenthalte in Paris, New York und Skandinavien. Er lebt mit seiner Familie in Winterthur. Peter Stamm arbeitete in verschiedenen Berufen, unter anderem in Paris und New York, seit 1990 als freier Autor und Journalist. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. 2012 wurde Peter Stamm mit dem Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen ausgezeichnet, 2013 wurde er Mainzer Stadtschreiber und 2014 wurde ihm der Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2004

Alles, was fehlt
Peter Stamm liest im Literaturhaus aus "In fremden Gärten"

Peter Stamm wirkt ein bißchen so, wie seine Prosatexte sind: Er antwortet auf Fragen präzise, ernsthaft, knapp, ruhig, gewissenhaft. Während er liest, ist er sehr konzentriert, wenn er einmal hustet, entschuldigt er sich. Daß das Frankfurter Literaturhaus seinetwegen überfüllt ist wie schon lange nicht mehr, daß sich die Zuhörer nicht nur in den dem Saal angrenzenden Räumen, sondern sogar auf der Treppe und eine Etage höher drängen, scheint er gar nicht wahrzunehmen. Und auf die Frage einer Zuhörerin, warum er denn im Arche Verlag seine Werke publiziere, antwortet er lapidar: Dies sei eben der einzige Verlag gewesen, der seinen ersten Roman genommen habe. Vier andere hätten sein Manuskript sofort zurückgeschickt. Die Zuhörer lachen und schätzen ihn um so mehr.

Ihren Gast bezeichnet die Leiterin des Literaturhauses, Maria Gazzetti, als Vertreter einer dritten Generation bedeutender deutschsprachiger Literaten in der Schweiz, nach Frisch und Dürrenmatt und - später - Muschg. Tatsächlich wurde auch Peter Stamms jüngster Prosaband von der Kritik hoch gelobt. Seit 1998 sein Debütroman "Agnes" und ein Jahr später die Erzählungen "Blitzeis" erschienen, ist der bald 41 Jahre alte Schriftsteller mehrfach ausgezeichnet worden. Immer wurde seine Fähigkeit hervorgehoben, das Hauptereignis auszusparen, das Mögliche gerade durch sein Ausbleiben anzudeuten.

Auch in seinem neuen, im Arche Verlag erschienenen Erzählband "In fremden Gärten" gelingt dem Autor dies mit lakonischer, leiser Sprache vorzüglich. Stamm stellt dem Leser einsame, ja kommunikationsunfähige Menschen vor, die sich Begegnungen nur ausmalen, aber nicht leben können. Ihr Interesse füreinander findet keine Ausdrucksmöglichkeit, endet schließlich hilflos im Rückzug oder in der Ablenkung. In der Erzählung "In fremden Gärten" etwa versorgt eine Nachbarin das Haus, den Garten und die Blumen von Ruth, einer von ihrem Mann verlassenen Frau mit zwei kleinen Töchtern, die im Krankenhaus liegt. Die Nachbarin kommt Ruth in Gedanken immer näher, macht sich Sorgen um sie und entwickelt ein so starkes Mitgefühl, daß sie Ruth besuchen möchte. Ob sie diesen Entschluß aber jemals ausführen wird, erfährt der Leser nicht.

Genauso offen bleibt das Ende der Erzählung "Die ganze Nacht", die Stamm auch für die Lesung ausgewählt hatte: Der in New York lebende Erzähler erwartet eine Frau, deren Ankunft durch einen Schneesturm verzögert wird. Er hat fest vor, ihr etwas mitzuteilen. Um was es sich dabei handelt, verrät er nicht. Am Ende der Nacht jedenfalls, als die Frau endlich angekommen ist, hat der Mann keine Lust oder keinen Mut mehr, das groß angekündigte Gespräch zu führen - das Ereignis, auf das alles hinauslief, bleibt aus. Spröde und in sich zurückgezogen gibt sich auch der Protagonist der in London spielenden Erzählung "Alles, was fehlt". Vom Kontakt zu seiner Nachbarin träumt er nur, denn als sie auf dem Balkon endlich zwei Worte mit ihm wechselt, flüchtet er schnell zurück in die Wohnung. Auch diese Erzählung spricht von dem, was möglich gewesen wäre und doch nicht geschah, und ruft damit beim Leser einen eigenartigen Schmerz hervor.

KATHARINA DESCHKA-HOECK

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.09.2003

Der Held und sein Wetter
Meist bedeckt, gelegentlich heiter: Peter Stamm ist ein Meister des meteorologischen Manierismus
Was wären wir ohne das Wetter? Menschen ohne Seele, die nicht wüssten, ob sie sich traurig oder unverzagt ans Tageswerk machen sollen. Der wolkenverhangene Himmel ist es, der uns die Entscheidung abnimmt, wie wir uns fühlen, die gleißende Sonne, das dichte Schneetreiben! Der Literatur des 19. Jahrhunderts war der Zusammenhang wohlbekannt. Jeder Romanheld hatte da sein eigenes Wetter, und was immer in seiner Seele verborgen war, es spiegelte sich in den meteorologischen Phänomenen, die uns der Autor einprägsam zu schildern wusste.
Keinen anderen Erzähler seiner Generation kenne ich, der das Wetter so konsequent als äußere Kulisse innerer Dramen einsetzte, wie Peter Stamm. Der Schweizer ist 1961 geboren, und dass er dem Wetter eine so große Rolle zumisst, die Stimmung seiner Gestalten zu charakterisieren, gibt seinen Erzählungen und Romanen etwas merkwürdig Altväterisches. Immerhin, wir führen unsere Existenz nicht mehr in der freien Natur, den Blick zum Himmel gerichtet, was uns von dort drohe, sondern in großen Städten, im Schatten hoher Gebäude. Was tun Stamms müde Helden folglich am liebsten? Sie schauen aus dem Fenster, mitunter aus dem eines Hochhauses in New York, und suchen ihre Seele am Horizont, von wo der Regen kommt.
Stamm hat seit 1998 die Romane „Agnes” und „Ungefähre Landschaft” sowie den Prosaband „Blitzeis” veröffentlicht und dafür viel Lob erhalten. Ganz zu Recht wurden sein verhaltener Ton, die erzählerische Ökonomie, der schmucklose, sparsame Stil, die kunstvolle Unauffälligkeit der Gestaltung gerühmt; kein Zweifel, in der Beherrschung alter künstlerischer Techniken hat er es zu früher Meisterschaft gebracht. Alles, wofür er bisher gelobt wurde, ist auch in seinem neuen Erzählband vorhanden, und sogar ein bisschen mehr. Jetzt sind es nicht mehr ausschließlich die Dreißigjährigen, deren nervösen Aufbrüchen und leisem Scheitern er sich geduldig zuwendet. Nein, jetzt hat Stamm nach der Schwierigkeit, erwachsen zu sein, auch jene entdeckt, die es den Menschen bereitet zu altern. Und die schönsten der elf Erzählungen, die in dem Band „In fremden Gärten” gesammelt sind, handeln nicht mehr von den bekannten ungeselligen Nomaden der Nacht, die zwar eine Frau suchen, mit der sie diese verbringen können, aber in Panik verfallen, sobald dabei Gefühle ins Spiel kommen.
Wolken überm Haus der Witwe
Regina, zum Beispiel. Die ist 75, und ihre Lebenssituation wird von Stamm mit dem ersten, seine Erzählkunst aufs schönste konzentrierenden Absatz ohne jedes überflüssige Wort skizziert: „Das Haus war zu groß. Die Kinder hatten es ausgefüllt, aber seitdem Regina allein darin wohnte, war es größer geworden. Ganz langsam hatte sie sich aus den Räumen zurückgezogen, war ihr ein Zimmer nach dem anderen fremd geworden und schließlich abhanden gekommen.” Eine Zeitlang hält die Witwe noch an alten Gewohnheiten fest; etwa dass sie vor Weihnachten die Geschenke versteckt, als gälte es, sie vor neugierigen Kindern verborgen zu halten. Aber die Kinder kommen nur mehr selten und bleiben, obwohl sie auswärts wohnen, nie mehr über Nacht.
Einmal bleibt indessen die Enkeltochter, und wenn sie es auch nicht tut, um sich mit der Großmutter zu unterhalten, sondern um mit ihrem gleich mitgebrachten australischen Freund im selben Bett schlafen zu können, ist es für Regina doch beglückend. Und es ist schön, wie Stamm hier eine Art von Komplizenschaft zwischen den Jungen und den Alten, eine Komplizenschaft gegen die Herrschaft der mittleren, in Amt und Geschäft stehenden Generation andeutet. Der junge Mann, mit dem sie sich kaum verständigen kann, erinnert Regina an einen Engländer, den sie vor über fünfzig Jahren geküsst hat. Es ist nichts Großes aus dieser Liebschaft geworden, aber genug, dass sie aus der Erinnerung neue Sehnsucht gewinnt: die wird die Räume des Hauses zwar nicht ausfüllen, aber führt die alte Frau immerhin aus der Enge ihrer Wunschlosigkeit heraus.
Gerade neun Seiten braucht Stamm, um eine vielschichtige, traurige, aber keineswegs düstere Lebensgeschichte darzutun. In anderen Erzählungen geht es um einen Mann, der in New York eine Frau erwartet, die nicht kommt, weil der Schneesturm alle Verkehrswege unpassierbar gemacht hat, und der aus dem Fenster schaut und den Schnee betrachtet: „Ich liebe den Schnee” wird er durchaus doppelsinnig sagen, wenn die Frau, um Stunden verspätet, endlich eintrifft. Oder um einen Reisenden, der in Lissabon mit zwei Kanadierinnen durch die Nacht zieht, mit einer von ihnen ins Bett will, aber auch wieder nicht so unbedingt, dass es ihn stören würde, wenn er am Ende stattdessen mit beiden lauwarmes Dosenbier saufen wird. Oder um zwei Schweizer, die als Mitarbeiter multinationaler Konzerne, der eine im Baltikum, der andere in London, ihren Job tun sollten und dabei auf brüchiges Terrain geraten.
Was ist das für eine Szenerie, in die sie und all die anderen Figuren Stamms gestellt werden? „Am Morgen war der Himmel bewölkt gewesen, jetzt wehte ein böiger Wind und trieb immer neue und dunklere Wolken über den Himmel” heißt es in einer Geschichte; „der Himmel war bedeckt, aber es regnete noch nicht” in einer anderen. Und einmal gibt Stamm sogar den definitiven Wetterbericht: „Das Wetter war besser.” Irgendwann merkt man, dass es bei diesem Autor keinen Unterschied macht, ob die Figuren, von denen er erzählt, dreißig oder siebzig sind, als Spitzenmanager oder Aushilfskellner arbeiten und in London oder Lissabon, in Manhattan oder einem Schweizer Dorf leben. Alter und Klasse, Weltregion und familiärer Status können ihnen, die von Stamm gleichermaßen auf das Wetter gebracht werden, nichts anhaben. Mit dem trüben Wetter kommt eine gleichförmige Betrübnis in diese Erzählungen, in denen alle Figuren mit der Aura des Vergeblichen ausgestattet sind und im selben lapidaren Tonfall charakterisiert werden.
Und das beginnt die Freude an der Lektüre doch erheblich zu trüben. Wenn es im Baltikum genau so ausschaut wie in Großbritannien und junge Leute in New York gerade so verdrießlich wie Greise in den Schweizer Alpen ihre Existenz meteorologisch begreifen, dann braucht es einen auch nicht mehr zu interessieren, wo welche Geschichte spielt, weil es ohnehin immer diesselbe Teilnahmslosigkeit ist, mit der die Leute sich und ihrer Umgebung betrachten.
Es ist schon richtig, dass wir in einer globalisierten Welt leben und die Lebensverhältnisse an ganz verschiedenen Orten der Erde ähnlich geworden sind; gleichwohl bleibt es eine vornehme Aufgabe der Literatur zu zeigen, dass nicht alles eins, sondern jedes Ding besonders ist. Wenn ein Autor, wie gekonnt immer er das tut, über die ganze Welt das nämliche Wetter stülpt, steht er in der Gefahr, eine literarische Schule des meteorologischen Manierismus zu begründen.
KARL-MARKUS GAUSS
PETER STAMM: In fremden Gärten. Erzählungen. Arche-Verlag, Zürich und Hamburg 2003, 154 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Für Andreas Isenschmid hat sich die Fähigkeit des Autors, die existentielle "Verlorenheit" seiner Protagonisten darzustellen, in seinem vierten Prosaband noch gesteigert. Er lobt die Schilderung der Figuren, in denen der Rezensent "Geistesverwandte" von Melancholikern wie Melvilles "Bartleby" oder Camus' "Fremden" erkennt, als gegenüber den früheren Erzählungen des Autors noch "subtiler" und zurückhaltender. Zwar besteht bei so fragiler Personenzeichnung immer die Gefahr, sie entweder zu "zerreden" oder allzu ungenau zu fassen, meint er, doch Stamm gelinge es im überwiegenden Teil der Geschichten, die Verlorenheit und Vereinzelung seiner Protagonisten deutlich zu machen. Dazu passt, wie Isenschmid findet, die äußerst karge, "auf Nötigste beschränkte" Sprache des Autors, der sich in diesen Texten auch als "Meister der sprachlichen Askese" erweist. Ein paar Erzählungen, wie "Fado" oder "Die ganze Nacht" kritisiert der Rezensent als gar zu "aufgesetzt lakonisch", doch zeigt er sich insgesamt sehr angetan von den "hoch aufgeladenen", aber "einsilbig" vorgetragenen Geschichten, deren verhaltener Sprachgestus und "diskret bedeutungshafte" Erzählweise ihn an Tschechow und Carver erinnern.

© Perlentaucher Medien GmbH