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Ein polnischer "Mann ohne Eigenschaften" - Natasza Goerkes (Anti-)Held treibt durch seinen Alltag und versinkt in den Rätseln, die die Welt für ihn bereithält. Goerke umkreist ihn mit erzählerischer Raffinesse, ihre Prosa sprüht von sanft ironischem, oft surrealem Humor, so grotesk wie das Leben.

Produktbeschreibung
Ein polnischer "Mann ohne Eigenschaften" - Natasza Goerkes (Anti-)Held treibt durch seinen Alltag und versinkt in den Rätseln, die die Welt für ihn bereithält. Goerke umkreist ihn mit erzählerischer Raffinesse, ihre Prosa sprüht von sanft ironischem, oft surrealem Humor, so grotesk wie das Leben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2003

Sei endlich mal surrealistisch!
Unter Tapiren: Natasza Goerke beschreibt unmöglich

Es gibt Bücher, die man nach dem ersten Satz zuklappen sollte. Wenn der gleich hinkt und über die Metapher stolpert, darf man vermuten, daß es nicht mehr besser wird. Natasza Goerkes erster Satz geht so: "Sachte, Geste für Geste und Lächeln für Lächeln, nahte, was unserem seltsamen Tanz die Krone aufsetzen sollte." Da liegt ein Mittvierziger im Bett und hängt seinen fruchtlosen Träumereien nach. Er ist, wie es wenig später heißt, arbeitslos, hat deshalb keinen Grund, das Haus zu verlassen, und folglich weder Frau noch Geliebte. "Doch wer weiß", schreibt die Autorin, "vielleicht war es auch umgekehrt." Wie das? Hat er also keine Frau, verläßt deshalb nicht das Haus und ist folglich arbeitslos? Aber müßte nicht, wer keine Frau hat, das Haus wenigstens verlassen, um einzukaufen? Oder ist es umgekehrt?

Natasza Goerke liebt Floskeln wie "wer weiß", "leicht möglich" oder "wie auch immer", die wie Luftblasen ihre Prosa durchlöchern. Nach längerem Gerede folgt häufig ein Satz, der mit "Kurz" und Doppelpunkt als Zusammenfassungsversprechen beginnt, bloß um sich erneut im Unbestimmten zu verlieren. Mag sein, daß die Übersetzerin Marlis Lami dazu beigetragen hat, den Text endgültig zu ruinieren. Doch mit Sicherheit nicht ihr anzulasten ist, daß der arbeits- und frauenlose Held plötzlich eine Frau nebst vierjährigem Kind in seiner Wohnung vorfindet, wenig später eine Geliebte mit dem Namen Wolga Nix in der Fußgängerzone trifft, obwohl er doch angeblich keine hat und das Haus nicht verläßt. Oder war es umgekehrt?

Selbstverständlich soll das Surrealismus sein. Surrealismus heißt, daß man alles zusammenschustern darf, ohne auf Sinn und Verstand zu achten. Dafür sind schließlich die Leser zuständig. Surrealismus entschuldigt alles. Da geht gelegentlich "ein Tapir von beträchtlichem Kaliber" auf der Straße auf und ab, während der Protagonist Fortschritte in der Auflösung seiner Existenz macht. Er hat sich zum Ziel gesetzt, "die Unmöglichkeit des Beschreibens zu beschreiben". Er weiß, daß es ihm an Talent mangelt, doch unter Künstlern fühlt er sich nun mal am wohlsten. Deshalb will er ein Werk schaffen, das "nicht im Text selbst bestehen sollte, sondern vielmehr in den Qualen des künstlerischen Schaffensprozesses". Das klingt fast wie ein poetologisches Programm. Es geht also ums Empfinden, und daher sind alle Gefühlsregungen plakativ vergrößert und mißraten als sprachliche Klischees: Hinter jeder Euphorie lauert zuverlässig "ein Abgrund der Verzweiflung", und wo sich Selbstsicherheit einstellt, folgt ganz bestimmt "fassungsloses Staunen".

Im Zentrum dieser Sprachbemühungen aber ist nichts. Der Held ist taten-, ziel- und gedankenlos. Was er selbst als Gedanken bezeichnet, ist bloß Geschwätz. Es kann ja sein, daß die Autorin genau das darstellen wollte. Schließlich handelt es sich um Rollenprosa. Doch wozu soll es gut sein, einen Menschen, der nicht schreiben kann, ein Buch schreiben zu lassen, nur um zu zeigen, daß er nichts zu sagen hat? Lesen läßt sich das nur unter Qualen oder, um es mit Natasza Goerke zu formulieren: "Meine Seele, die um ein Haar kapituliert hätte, verlieh ihrer Pein Ausdruck in einem Schrei äußerster Verzweiflung."

JÖRG MAGENAU.

Natasza Goerke: "Rasante Erstarrung". Erzählung. Aus dem Polnischen übersetzt von Marlis Lami. Skarabäus Verlag, Innsbruck 2003. 90 S., geb., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Natasza Goerkes "Rasante Erstarrung" gehört für Rezensent Jörg Magenau zu den Büchern, "die man nach dem ersten Satz zuklappen sollte". Nicht nur häufige Floskeln wie "wer weiß", "leicht möglich" oder "wie auch immer", die vielen sprachlichen Klischees und die Sätze, die als Zusammenfassungen beginnen, um sich dann doch wieder im Unbestimmten zu verlieren, gehen dem Rezensenten auf die Nerven (wobei er einräumt, dass die Übersetzerin wohl ihren Teil dazu beigetragen hat, "den Text endgültig zu ruinieren"). Auch die Geschichte - es geht um einen Mittvierziger, der sich anschickt, "die Unmöglichkeit des Beschreibens zu beschreiben", ohne selbst schreiben zu können - hat ihn nicht überzeugt. Wozu es gut sein soll, einen Menschen, der nicht schreiben könne, "ein Buch schreiben zu lassen, nur um zu zeigen, dass er nichts zu sagen hat", ist Magenau völlig unerfindlich. Zum Ärger des Rezensenten wimmelt die Geschichte dann auch noch von Ungereimtheiten, die einem als Surrealismus verkauft werden sollen. Surrealismus heiße in diesem Fall, "dass man alles zusammenschustern darf, ohne auf Sinn und Verstand zu achten." Eines ist bei diesem Buch jedenfalls garantiert, versichert der Rezensent: eine qualvolle Lektüre.

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