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Das Erlebnis des Ersten Weltkrieges in Galizien und die darauffolgenden Jahre in Wien eröffneten Manès Sperber den Zugang zum Marxismus. Doch der junge Psychologe wollte sich nicht den Dogmen der KP beugen und so verfasste er im Jahr 1930 das bestechend klare Essay "Kulter ist Mittel, kein Zweck". Bar jeglicher parteikonformen Engstirnigkeit philosophiert Sperber über die Phänomene des bestehenden Kulturbegriffs und deren Wirkung auf das Leben. Er analysiert die populäre Massenkultur, die Lebensbedingungen der Arbeiter in Deutschland und die Grundsätze der politischen Ökonomie. Brillant…mehr

Produktbeschreibung
Das Erlebnis des Ersten Weltkrieges in Galizien und die darauffolgenden Jahre in Wien eröffneten Manès Sperber den Zugang zum Marxismus. Doch der junge Psychologe wollte sich nicht den Dogmen der KP beugen und so verfasste er im Jahr 1930 das bestechend klare Essay "Kulter ist Mittel, kein Zweck". Bar jeglicher parteikonformen Engstirnigkeit philosophiert Sperber über die Phänomene des bestehenden Kulturbegriffs und deren Wirkung auf das Leben. Er analysiert die populäre Massenkultur, die Lebensbedingungen der Arbeiter in Deutschland und die Grundsätze der politischen Ökonomie. Brillant geschrieben und voller jugendlicher Emphase stellte er sein Werk seinen Parteigenossen zur Diskussion.Ein spannendes Dokument aus einer Zeit, die durch die historischen Entwicklungen schon bald ihre politische Unschuld verlieren wird.
Autorenporträt
Manès Sperber1905 in Galizien geboren und 1984 in Paris verstorben, wurde durch die Romantrilogie "Wie eine Träne im Ozean" (1961), eine Absage an denKommunismus, weltberühmt. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Friedenspreis des deutschen Buchhandels (1983). "Kultur ist Mittel, kein Zweck" ist Teil des Nachlasses von Manès Sperber im Österreichischen Literaturarchiv.Mirjana Stancicgeboren 1953 in Zagreb, ist Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Schriftstellerin. Zahlreiche Publikationen, u. a. "Manès Sperber. Leben und Werk" (2003)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2011

Der Geist des Kleinbürgertums
Aus dem Nachlass gezogen: Das Typoskript „Was ist Kultur“, das der junge Manès Sperber als Kommunist in Berlin verfasste
Die Konfrontation eines Ex-Marxisten mit seinen marxistischen Jugendschriften ist immer eine Probe auf die Eigenkraft seines Denkens. Jedenfalls sind die hier zum ersten Mal veröffentlichten forschen Gewissheiten eines Fünfundzwanzigjährigen – zweitausend Jahre Philosophie unbrauchbar, weil auf dem Kopf stehend – dort am interessantesten, wo sie mit originellen Querverbindungen übers Dogma hinauswachsen. Der 1905 in Galizien geborene, 1927 nach Berlin gekommene Manès Sperber war in den Jahren, in denen dieser Text entstand, noch mehr Intellektueller als Schriftsteller. Als junges Mitglied der Kommunistischen Partei versuchte er den Marxismus und die Individualpsychologie Alfred Adlers, als deren Gesandter er sich in Berlin niedergelassen hatte, miteinander zu verbinden.
„Was ist Kultur?“ heißt das unlängst im Sperber-Nachlass der Österreichischen Nationalbibliothek aufgetauchte Typoskript, dessen Publikation diesen Titel nicht mehr tragen darf, weil er inzwischen für ein anderes Buch geschützt ist. Der gewählte Ersatztitel hat den Vorteil, zugleich eine Kurzfassung der Grundthese des aus Vorträgen hervorgegangenen Textes zu liefern. Kultur kann für den jungen Manès Sperber nur Ausdrucksmittel einer konkreten historischen Wirklichkeit sein, nicht autonomer Selbstzweck. „Wo jemand für sie die Anerkennung als Zweck postuliert, sehen wir sie bereits in der Krise.“ Dass diese Auffassung nicht in die Klappermechanik der ästhetischen Widerspiegelungstheorie verfällt, rettet diese Frühschrift vor der Belanglosigkeit, obwohl Sperber, der in Berlin mit Brecht und Döblin verkehrte, für innovative Tendenzen in Literatur, Kunst, Film und Theater wenig Gespür zeigte.
Hat man sich einmal in die etwas zerknitterte Terminologie von Klassenkampf, Produktivkräften, Bourgeoisie und Proletariat eingelesen, bietet der Text Stellen von analytischer Pfiffigkeit, die man sich im zusammengestückelten und offenbar unfertigen Kapitelaufbau des Buchs frei aussuchen kann. Interessant sind diese Seiten weder durch die zwingende Logik einer systematischen Kulturtheorie noch durch brillante Beobachtungen zu literarischen Werken, Theaterstücken, Filmen oder zur Alltagskultur. Anregend sind sie vielmehr durch das, was mitunter frisch und frei aus der breit angelegten Theoriekombinatorik zwischen Soziologie, Ökonomie, Anthropologie und Psychoanalyse herauspurzelt, etwa zum Thema der Massenkultur, der schöpferischen Kompensation und Überkompensation, den Dunkelstellen zwischen Kleinbürgertum und Arbeiterbewegung.
Den nach der Jahrhundertwende stark diskutierten Gegensatz zwischen Kultur und Zivilisation fegt der Autor gleich am Anfang über die Tischkante. Zivilisation sei nichts als die Kultur des kapitalistischen Zeitalters, also verbürgerlichte Kultur. Zum Verhältnis von Bürgertum und Kleinbürgertum liefert er dann reizvolle kleine Schattenbildskizzen. Das kosmopolitisch weiträumig denkende, aber schöpferisch steril gebliebene Bürgertum habe, so schreibt er, seine geistigen Reservoirs ganz ins Kleinbürgertum ausgelagert, zu den Gelehrten und Künstlern, jenen typischen Zeitungslesern und Sittlichkeitspedanten mit ihrem hochentwickelten Gewissen: Es sei eine Klasse an der Leine der Bourgeoisie, die ihre Freiheit umso lauter hinausbelle, je enger ihr Bewegungsraum sei. Hat der Bürger seit seiner historischen Aufgabe – die Abschaffung der Adelsherrschaft – mit dem Anspruch auf allgemeine Rechtsstaatlichkeit „die Menschheit in Besitz genommen“, fährt der junge Autor fort, so sei der Kleinbürger deren Pächter. Ein Pächter, der dem Besitzer imponieren wolle: „Er möchte den Bürger überbürgern. Er spricht von der Kunst als Selbstzweck und schafft sie für das Heim des Bürgers.“
Der Kulturbegriff ist in diesem Buch weit gesteckt und reicht bis zum Alltagsverhalten in Berufsleben, Sexualität, Neurose. Immer wirkt in Sperbers Darstellung die kapitalistische Gesellschaft störend in die Entfaltung der Lebensmöglichkeiten hinein. Bei der Arbeit hat der Kapitalismus negative Wirkung, weil er via Arbeitsteilung und starke Belastung die Sinnzusammenhänge zerstört, bei der Sexualität, weil er aus dem organisch bedingten Geschlechterkampf – und der Angst des Mannes vor dem Versagen gegenüber der Frau – einen Gesellschaftskampf macht, in dem die Frau wirtschaftlich und sozial klein gehalten wird.
Auch in diesen Punkten ist der junge Autor aber klug genug, nicht in die naive Behauptung zu verfallen, nach Abschaffung des Kapitalismus durch die kommunistische Gesellschaft wären alle diese Probleme gelöst. Ob der undogmatische, interdisziplinäre Ansatz diese Schrift schon zu einem „Prätext der modernen Kulturwissenschaft“ macht, wie die Herausgeberin im Vorwort behauptet, bleibe dahingestellt. Sicher ist das Buch aber eine überraschende Rumpelkammer für jenen „cultural turn“ unserer Jahre, der ziemlich genau weiß, woher er kommt, nicht aber, worauf er eigentlich hinaus will.
JOSEPH HANIMANN
MANÈS SPERBER: Kultur ist Mittel, kein Zweck. Herausgegeben von Mirjana Stancic. Residenz Verlag, St. Pölten und Salzburg 2010. 363 Seiten, 29,90 Euro.
„Wo jemand für die Kultur die
Anerkennung als Zweck postuliert,
sehen wir sie bereits in der Krise“
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Durchwachsen, aber interessant scheint Joseph Hanimann dieser nun unter dem Titel "Kultur ist Mittel, kein Zweck" erschienene Text "Was ist Kultur?" aus dem Nachlass von Manes Sperber. Die Jugendschrift, die Sperber als junger Kommunist in Berlin verfasste, ist seines Erachtens in weiten Teilen von typischer marxistischer Argumentation und Klassenkampfrhetorik geprägt, weist aber auch oft mit "originellen Querverbindungen" darüber hinaus. So findet er in dem offensichtlich etwas unausgegorenen Buch immer wieder kluge und gewitzte Analysen etwa zum Thema der Massenkultur oder den Dunkelstellen zwischen Kleinbürgertum und Arbeiterbewegung. Insgesamt wertet Hanimann den Ansatz des Buchs dann doch als "undogmatisch" und "interdisziplinär". Dass die Schrift aber deswegen gleich ein "Prätext der modernen Kulturwissenschaft" ist, wie die Herausgeberin im Vorwort erklärt, bezweifelt er.

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