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Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • Originaltitel: Les excedes
  • Seitenzahl: 133
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 302g
  • ISBN-13: 9783701711895
  • ISBN-10: 3701711895
  • Artikelnr.: 23972336
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2000

Ein Freund, ein guter Freund
Bruno Bayens Roman über Männerleid und Männerglück
Eine Spiegelgeschichte: Zwei Flaneure der besonderen Art charakterisieren einander und erkennen sich im Anderen wieder. Zwei Varianten eines Verhältnisses, das ganz verschieden betrachtet und erinnert wird – je nachdem wer auf wen schaut, wer wen beurteilt. Osmer beschreibt Jean und Jean Osmer. Der französische Schriftsteller und Übersetzer Bruno Bayen erzählt aus wechselnden Perspektiven von zwei Freunden, die herumstreunen und herum reden, die auf der Suche sind nach dem wahren Leben und der richtigen Frau, den bleibenden Träumen und den vergehenden Enttäuschungen, die sich übereinander wundern, aber lange beieinander bleiben. Es geht um Lebensgefühl und Überdruss, um die verrinnende Zeit und die großen Irrtümer, die am Ende kleine Wendepunkte des Lebens markieren. Der Eine hat die Geliebte, die der Andere begehrt. Betrug gehört zum Männerspiel, an dem die Frauen beteiligt sind. Das kann zum Drama werden oder zur Komödie und spielt sich meistens im tristen Zwischenraum ab. Irgendwann kommt jedoch die eine, die bleibt, die stört im Männerbund: „Zuerst hatte ich geglaubt, Osmer werde zum Club der Kurzverheirateten gehören, die sich schon im Lauf des Jahres scheiden lassen. Oder die mit Selbstmord spielen und dann die Bibliothek ihrer Angetrauten in die Seine werfen. Die Folge gab mir Unrecht. Doch welche Unbeständigkeit! Er sagt mir, in dem er mir die beiden Zahnreihen zeigt: Ich, ich habe eine Frau. Und wenn ich ihm sage: Du, du hast eine Frau, mustert er mich von unten: Bitte, keinen Trost. ” Die Geschichten, die hier erzählt werden, sind traurig und komisch und furchtbar wahr: Die großen Leiden im Westentaschenformat. Immer hat man das, was man nicht will und sehnt sich nach dem, was man nicht bekommt.
Ehe oder Nicht-Ehe – das bleibt dem Einen die ewige Frage, auch oder gerade weil er die Vor- und die Nachteile der Zweisamkeit beim Freund studieren kann. Immer undeutlicher werden außerdem die Unterschiede zwischen der langjährigen Freundschaft („Wir schauen einander an, zwei aneinandergekettete Müdigkeiten. ”) und der dauernden Ehe („Ich kenne dich, als hätte ich dich gestrickt.”). Weder da noch dort gibt es Überraschungen.
Die literarischen Vorbilder helfen bei der Lebensentscheidung auch nicht weiter: „Ich stelle mir ein Eheleben vor: das von Charles Dickens, wie er in der Nacht seine Frau wachrüttelt, um ihr seine Träume zu berichten, deren Safe sie wird; das von Benjamin Constant, der geheiratet hat, um früh ins Bett zu gehen. ”
Männliche Leser könnten durch diese Einblicke in männliche Großstadtseelen eher sentimental, weibliche eher amüsiert gestimmt werden. Flauberts „Bouvard und Pécuchet” haben auch ihre Spuren hinterlassen, und am Ende lockern sich die Freundschaftsbande auf überraschende Weise. Die Herren sind gealtert, die Tochter des einen hat längst eigenen Pläne, und eine betagte Dichterin bringt zwar Unordnung in die chronologische Betrachtung, ermöglicht aber auch die Erinnerung an den Film „Der Mann, der Liberty Valance erschoß”. Ganz zum Schluss richtet sich der Blick auf die Weite des Meers. Dabei vergisst man bekanntlich jede Empörung, und der Ärger verfliegt bald.
Im Französischen heißt das Buch des umtriebigen Autors, der Regisseur und Theaterleiter ist, „Les exédés”. Vielleicht wäre „Die Genervten” die den Helden und der Geschichte gemäßere Titelübersetzung gewesen. Andererseits hat Peter Handke den Roman ins Deutsche übertragen.
MANUELA REICHART
BRUNO BAYEN: Die Verärgerten. Roman. Aus dem Französischen von Peter Handke. Residenz Verlag, Salzburg, 2000. 134 Seiten, 39 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2000

Kullernde Duftgespenster
Schweigen macht nicht stumm: Bruno Bayens "Verärgerte"

Man könnte sich einen Literaturwettbewerb ausdenken, bei dem gewinnt, wer einen Text verfaßt hat, in dem der Leser den jeweils nächsten Satz nicht errät. Bruno Bayen, ein 1950 geborener Regisseur und Schriftsteller, hätte gute Chancen, ihn zu gewinnen. Kein Surrealist, nicht Paul Léautaud und kein verbissener Nonkonformist hat je etwas so Zwangloses geschrieben wie "Die Verärgerten". Die Sätze schlingern zwischen Aphorismus und Bonmot und ergeben etwas, worauf der Verlag erleichtert das Schildchen "Roman" drucken kann.

Zwei Freunde, Jean und Osmer, plaudern sich durch Paris, lieben nacheinander dieselben Frauen, treffen dieselben Menschen, schreiben, tun nichts beziehungsweise "zuviel nicht". Das geht ab und zu ins Kalauerhafte: "Im Stehen kommt alles billiger, an der Theke wie im Nachdenken", aber gleich folgen ontologische Entdeckungen wie "Duftgespenster", ein Desiderat des deutschen Wortschatzes, oder Einsichten wie "Und außerdem ist die Erinnerung immer provinzlerisch", die einem die Partikularität der eigenen Vorvergangenheit klar machen. Gegen die Beschränktheit der Erzählperspektive hilft deren Wechsel: Einmal wird alles aus der Sicht Jeans, dann aus der Sicht Osmers dargestellt, woran die Sicht der älteren amerikanischen Dichterin Ida Iolanda angefügt wird, ehe in einem Epilog der Erzähler einen Ausblick auf die nächste Generation gibt: Jeans Tochter fährt an ihrem achtzehnten Geburtstag mit einem neuen Freund nach Spanien davon.

Vor diesem Finale müssen die Protagonisten bewußt älter werden. Was dazu führt, daß Jean ein Testament zu machen gedenkt, um damit seiner Frau Suzanne den Kommentar zu entlocken: "Ich kenne dich, als hätte ich dich gestrickt." Bayen ist ein erfahrener Psychologe, dem nichts fremd ist: "Bitternis, eine Form des Weitblicks?" Dazu folgender Dialog: "Ich sagte nichts. Sie fügte hinzu: Er macht mich zur Vertrauten seines Zögerns. - Ah!, sage ich: ein Masochist." Jeder Sohn erforsche sein Gewissen angesichts der Passage: "Sooft ich seufze, entsinne ich mich verläßlich der Worte meiner Mutter: Schweigen macht nicht stumm - iß! Und ich esse weiter . . ."

Aber niemand glaube, dies Zickzack aus Einfällen sei nur Allotria. Kaum ein Text enthält seine eigene Poetik mit solcher Prägnanz wie dieser: "Worum geht es? Fast unsichtbar bei der Sache zu sein." Was die Sache sei, verschweigt Bayen mit poetischer Diskretion. Doch daß es sich dabei um das Wirrwarr des Lebens im Okular eines liebevollen Biologen handelt, ist leicht zu erkennen. Wer also den Sommer versäumt und Angst vor dem Herbst hat, lese dieses Buch, das nicht weniger einfängt als einen "Nachmittag, so wunderbar, daß ich ihn ein wenig früher als nötig beschließen möchte, damit der Zauber nicht verfliegt".

Bleibt die Frage, warum Handke, der auch Bayens nicht minder gelösten Roman "Bleiben die Reisen" (1997) übersetzt hat, den Titel "Les excédes" mit "Die Verärgerten" wiedergegeben hat, sind doch Jean und Osmer "Außer sich". Das Selbst und den dazugehörigen Ärger haben sie längst an den Nagel gehängt.

THOMAS POISS

Bruno Bayen: "Die Verärgerten". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Peter Handke. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2000. 136 S., geb., 39,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Von dem Roman selbst ist Martin Ebel durchaus angetan: Bayens Hauptfiguren Jean und Osmer bleiben zwar schemenhaft, aber sie "schließen einen poetischen Raum auf", den der Leser selbst ausfüllen kann. Eine "Traumprosa" sei das, "grellgenau und doch nie ganz zu fassen", lobt der Rezensent. Die Dialoge erinnern ihn gar an die "Unsinns-Dialoge" des frühen Ionesco. An der Übersetzung von Peter Handke läßt Ebel allerdings kein gutes Haar. Mit seinen gestelzten Fremdwörtern (etwa "Zölibatär" anstelle von Junggeselle) verleihe Handke dem Buch einen "hofrätlichen Ton", den das Original nicht habe.

© Perlentaucher Medien GmbH