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Wegen seiner "Arme-Leute-Krankheit", seiner schweren Kurzsichtigkeit und Armut wird 'das Kind' im Spital zur Außenseiterin. Mit den Hänseleien und Boshaftigkeiten der reichen Kinder muss es alleine fertig werden. Selbst der von ihr bewunderte Primarius will nicht wahr haben, dass die Eltern kein Geld haben, um das Kind abzuholen. So flüchtet es sich in den Glauben an den großen Zauber, an Feen und gute Engel, die ihm den Aufenthalt in der fremden Umgebung erleichtern sollen.

Produktbeschreibung
Wegen seiner "Arme-Leute-Krankheit", seiner schweren Kurzsichtigkeit und Armut wird 'das Kind' im Spital zur Außenseiterin. Mit den Hänseleien und Boshaftigkeiten der reichen Kinder muss es alleine fertig werden. Selbst der von ihr bewunderte Primarius will nicht wahr haben, dass die Eltern kein Geld haben, um das Kind abzuholen. So flüchtet es sich in den Glauben an den großen Zauber, an Feen und gute Engel, die ihm den Aufenthalt in der fremden Umgebung erleichtern sollen.
Autorenporträt
Christine Lavant, geb. 1915 in St. Stefan im Lavanttal, Kärnten, lebte mit Ausnahme von zwei Jahren im Geburtsort. Sie schrieb Lyrik und Prosa und erhielt zahlreiche Preise. 1954 und 1964 den Georg-Trakl-Preis für Lyrik und 1970 den Großen Staatspreis für Literatur. Die Autorin verstarb 1973.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2015

Es schreibt von selbst, ich halte nur den Stift
Bauernweib oder Mystikerin? Dichterin! Die Kärntnerin Christine Lavant ist zum hundertsten Geburtstag vielfach zu entdecken

Thomas Bernhard brachte die Lyrik von Christine Lavant 1987 mit einer Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp nach Deutschland. Doch weder seine Empfehlung noch die kurz darauf neuerschienene Debüterzählung "Das Kind" von 1948 verliehen dem Namen jenen Klang, den er in Österreich noch immer besitzt. Zum heutigen hundertsten Geburtstag der Dichterin unternimmt nun der Klagenfurter Germanist Klaus Amann einen erneuten Anlauf, den bemerkenswerten Prosatext durch eine revidierte und kommentierte Handschriftenedition bekannter zu machen.

Dafür sprechen mindestens drei Gründe. Erstens verkörpert die Autorin das seltene Phänomen eines Wunders: Als Christine Thonhauser wird sie als neuntes Kind eines kaum lesefähigen Bergmanns im Kärntner Lavanttal geboren, das für den späteren Künstlernamen steht. Von Anfang an gilt das Kind als kaum lebensfähig, erst wird es von einer hartnäckigen, auch das Augenlicht bedrohenden Skrofulose geplagt, später kommen Lungenentzündungen und Tuberkulose hinzu. Das bedeutet eine Kindheit im Krankenhaus - unter einem Kokon von Verbänden und mit ständigen schmerzhaften Behandlungen. Spritzen in die Augenregion und die hochdosierte Röntgenbestrahlung, die nicht nur ihre Leiden ausbrennt, hinterlassen deutliche Spuren in der Erzählung.

Zu diesem Überlebenswunder kommt zweitens die sagenhafte literarische Initiation. Der Klinikchef schenkt dem Kind einen Band Rilkes, der ihr Leben verändert. Die Tochter ihres Augenarztes leitet später Lavants Gedichte und drei Erzählungen an den Verleger Viktor Kubczak weiter, der sie sofort mit Begeisterung aufnimmt. Und die berühmte Schwägerin desselben Arztes, Nora Purtscher-Wydenbruck, erste englische Rilke-Biographin und Übersetzerin, entdeckt Lavants Talent und überträgt die drei erschütternden autobiographischen Erzählungen "Das Krüglein", "Das Kind" und "Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus" unter dem vielsagenden Titel "The Unlettered Child. A True Story" ins Englische. Ihr gesteht Lavant, die sich selbst als "Dorfstrickerin" bezeichnet, auf die Frage nach ihrem Schreiben: "It writes itself - I just hold the pen."

Aus dieser Vorgeschichte ergibt sich der dritte und gewichtigste Grund, die Erzählung "Das Kind" zu feiern: Die Autodidaktin Lavant, die man gern als "Wurzelfrau aus Kärnten" bestaunte, zeigt sich darin als bemerkenswertes Naturtalent - vergleichbar mit der Malerin Séraphine Louis, der wir unlängst in Martin Provosts Film "Séraphine" und Ulrich Tukurs Novelle "Die Spieluhr" wiederbegegnen konnten. Lavants Text wirkt wie ein literarisches Pendant zu solchem Impressionismus. Das Kind erfasst die es umgebende fremde Krankenhauswelt mit naiver Unmittelbarkeit, die numerierten Türen ohne Fugenfutter, die glänzenden Böden ohne Mauselöcher, die Ärzte und Schwestern mit ihren großen Brillen und peinigenden Spritzen, die Leiden und Spöttereien der kleinen Mitpatienten. Der innere Monolog des Mädchens schweift vom Wahrnehmungsstrom in allerlei Phantasien ab und wird nur gelegentlich von wörtlicher Rede aus der Umgebung unterbrochen oder von Außenperspektiven einer diskreten Erzählerstimme abgelöst. All das vollzieht sich in ruhigem, gleichmäßigem Parlando, tatsächlich fast so, als schreibe da etwas von allein, ganz ohne Absicht. So gerät man als Leser in die bedrängte Innenwelt eines kranken Kindes, das nur in Ansätzen begreift, was mit ihm und um es herum geschieht. So erschließt sich am Ende dann der Sinn des biblischen Mottos zu Beginn: "Den Unmündigen aber wird es offenbar werden."

Der Suggestion einer "True Story", die von der englischen Übersetzung ausgeht, würde man sich gern entziehen. Schließlich handelt es sich um einen literarischen Text, dessen geheime Wucht aber doch sehr eng mit dem Schicksal der Verfasserin verbunden ist. Ihre ganze Kunst bezeichnet sie in einem Brief einmal als "verstümmeltes Leben, eine Sünde wider den Geist", weil sie von der eigentlichen Heiligkeit des Lebens einen viel tieferen Begriff hat als jeder Gesunde. Ebendieser Kontrast zwischen Demut vor dem Leben und zorniger Empörung und Anklage gegen dessen Verabsäumung - die Empfindung des eigenen Lebens als eines "einzigen Makels" - prägt auch Lavants Lyrik. Sie liegt bereits als erster Teil einer neuen vierbändigen Werkausgabe bei Wallstein vor. Dort ist jetzt eine Sammlung zu Lavants Dichtungen in Gestalt lyrischer Repliken, Essays, Deutungen oder eines Drehbuchauszugs erschienen. An Prägnanz und Kürze wetteifern einige mit der "Frankfurter Anthologie".

Ebendort fand Lavant erstmals 1982 in Hans Maier einen prominenten Interpreten. Nach Thomas Bernhards Nobilitierung war sie dort häufiger präsent. Eine Deutung des Lyrikers und Kritikers Peter Hamm, die Marcel Reich-Ranicki Ende der achtziger Jahre "retournierte", ist nun als ein Addendum im Geburtstagsband gedruckt. Andere Beiträger der "Anthologie" kommen hier wieder zu Wort. Kaum einer zeigt sich so tief betroffen wie Michael Krüger, den diese "unerbittliche Heilige" schon als Schüler tief verstörte. Warum? Weil sie sich mit Lippenbekenntnissen und frommen Worten nicht zufriedengab, Gott mit ihrem Schicksal unnachgiebig herausforderte: "Das war mein Leben, Gott, vergiß das nicht!" Spricht so ein weiblicher Hiob oder gar jene Höllenhündin, die im Gedicht "Kreuzzertretung" den abwesenden "Werwolf" Gott anklagt, zu dem der Sohn als schändlicher "Kadaver" aufersteht?

Tiefster Glaube aus Armut und Lebenstristesse lautete dazu in der "Anthologie" die plausible Formel Kerstin Hensels. Auch Sibylle Lewitscharoff, nie um ein markiges Wort verlegen, zeigt sich von diesem kraftvollen, aggressiven "Gotteshader" stark gepackt und ergriffen und preist Lavant kurzerhand als "größte Dichterin überhaupt im zwanzigsten Jahrhundert unter den Frauen" - weit vor Ingeborg Bachmann. Weniger apodiktisches Lob findet sie auch bei anderen Autorinnen, etwa bei Dorothea Grünzweig für die Gewalt der Bilder, die Lavants Gedichte "erschütternd schön" machen. In den meisten Urteilen liegt wie hier die alte Form des gemischten Gefühls verborgen. So zweifelt nicht nur Ilma Rakusa, ein "Bauernweib oder eine Mystikerin" vor sich zu haben, deren Worte mehr wie Schwarzbrot als wie Zucker wirken: "Und wenn sie bitter schmecken, nähren sie noch besser."

ALEXANDER KOSENINA.

Christine Lavant: "Das Kind".

Neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Klaus Amann. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 86 S., geb., 16,90 [Euro].

"Drehe die Herzspindel weiter für mich". Christine Lavant zum Hundertsten.

Herausgegeben von Klaus Amann, Fabjan Hafner und Doris Moser. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 183 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Doering weist zunächst darauf hin, dass dieses Buch bereits 1948 zum ersten Mal erschienen ist, damals jedoch in einer vom Herausgeber entschärften Fassung. Erst 1999 wurde die Reinschrift der Autorin aufgefunden, die die Grundlage für die vorliegende Edition ist. Doering zeigt sich fasziniert von der Geschichte eines kleinen Mädchens, dass - durch Bandagen und Kurzsichtigkeit gehandicapt - in einer Klinik sich in eine geheimnisvolle Märchenwelt flüchtet. Dabei stehe nicht die Krankheit im Vordergrund, sondern Phantasien, die um "Himmel und Hölle" kreisen. Doering kritisiert die Arbeit der Herausgeberinnen allerdings insofern, als dass sie - recht überflüssig, wie sie findet - katholische Begriffe wie "Ablass, Todsünden, Namenstage oder gar das Rosenkranzgebet" ausführlich erklären, unbekanntere Begriffe wie Aladin jedoch nicht. Unverständlich ist ihr auch, wieso sich die Herausgeberinnen mit der Edition primär an "deutschsprachige NichtösterreicherInnen" richten.

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