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Von Bagdad nach Berlin: Die Reise eines jungen Arabers durch eine Welt, die ihre Unschuld verliert.
Bagdad in den 1930er Jahren. Der junge Araber Anwar versteht nichts von den politischen Wirren seiner Zeit. Er träumt von schönen Häusern, von fernen Reisen und vielleicht ein bisschen von der Schwester seines jüdischen Freundes. Er träumt davon, ein »Jemand« zu werden. Doch dann gerät er mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unter den Einfluss der »Schwarzhemden«, der faschistischen Jugendorganisation im Irak. Ein bitter wahres Märchen nimmt seinen Lauf, ein Abenteuerroman mitten durch die…mehr

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Produktbeschreibung
Von Bagdad nach Berlin: Die Reise eines jungen Arabers durch eine Welt, die ihre Unschuld verliert.

Bagdad in den 1930er Jahren. Der junge Araber Anwar versteht nichts von den politischen Wirren seiner Zeit. Er träumt von schönen Häusern, von fernen Reisen und vielleicht ein bisschen von der Schwester seines jüdischen Freundes. Er träumt davon, ein »Jemand« zu werden. Doch dann gerät er mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unter den Einfluss der »Schwarzhemden«, der faschistischen Jugendorganisation im Irak. Ein bitter wahres Märchen nimmt seinen Lauf, ein Abenteuerroman mitten durch die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Der junge Araber Anwar wächst im Bagdad der 30er Jahre zwischen allen Stühlen auf. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, aber die Tagelöhner mit ihrer schweren Arbeit sind ihm fremd - genauso fremd wie die verlockenden Paläste der Reichen. Er träumt davon, sein Glück zu machen, und die Cafés mit den unverschleierten Frauen und dem Zigarettenrauch ziehen ihn unwiderstehlich an. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, scheint Anwars Traum von den »schönen Häusern« und von Reisen in ferne Länder in Erfüllung zu gehen. Im Gefolge des Großmuftis von Jerusalem, eines Bundesgenossen der Nationalsozialisten in Deutschland, flieht er 1941 nach Berlin.

Doch es ist ein geisterhaftes Exil, das ihn erwartet, und statt sein Glück zu finden, verliert er sich im Labyrinth der Geschichte und im Räderwerk des Krieges. Anwars Weg führt in die muslimischen Verbände der Waffen-SS, führt nach Weißrussland und endet bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes. Anwar wird überleben, wird in die Heimat zurückkehren, aber seine Träume sind alle grausam zerstört.
Autorenporträt
Sherko Fatah, geboren 1964 in Berlin, aufgewachsen in der DDR, 1975 Übersiedlung nach West-Deutschland. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin. Auszeichnungen: 2001 mit dem aspekte-Literaturpreis und dem Deutschen Kritikerpreis sowie 2015 mit dem Großen Kunstpreis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011

Sehnsucht nach den Häusern der Reichen
Als Diener großer Herren von Bagdad nach Berlin: Der deutsch-kurdische Schrifsteller Sherko Fatah
erzählt die zwiespältige Lebens- und Aufstiegsgeschichte eines Irakers im 20. Jahrhundert Von Karl-Markus Gauß
Bagdad ist auch ein Schauplatz der deutschen Literatur. Da braucht man gar nicht bis zu Karl May zurückzugehen, der seine Leser auf die beschwerliche Reise „Von Bagdad nach Stambul“ mitnahm. Oder zum legendären georgischen Juden Lew Noussinboum, der zum Islam übertrat, die Berliner Gesellschaft mit bizarren Posen als Prinz aus Tausendundeiner Nacht bezauberte und unter wechselnden Namen wie Essad Bey und Kurban Said in der Weimarer Republik ziemlich gute, ziemlich erfolgreiche Romane über „Öl und Blut im Orient“ geschrieben hat. Nein, gerade in den letzten Jahren haben deutsche Erzähler Bagdad erkundet, wie Abbas Khider, der als Flüchtling nach Deutschland kam und „Die Orangen des Präsidenten“ bereits auf Deutsch verfasste, oder Thomas Lehr, der in „September, Fata Morgana“ die gut recherchierte Doppelbiographie zweier Mädchen aus New York und Bagdad entwarf. Zu wenig Beachtung fand der Roman „Am Morgen des zwölften Tages“, in dem Vladimir Vertlib eine deutsch-orientalische Liebesgeschichte von heute auf jene düsteren Jahre zurückbezog, in denen verschiedene Abteilungen der SS und panarabische Islamisten von einer Achse Berlin-Bagdad träumten.
Der 1964 in Ostberlin geborene Sherko Fatah, Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen, hat jetzt genau dieser Allianz von Islamisten und Nationalsozialisten seinen vierten Roman gewidmet. Er erzählt die Lebensgeschichte eines irakischen Straßenjungen, der 1921 zur Welt kommt, als der Irak aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches gegründet wurde. Anwar verstrickt sich, oft ohne sein eigenes Zutun, in die konkurrierenden politischen Bewegungen seiner Zeit, und aus dem armseligen Viertel in Bagdad, wo er mutterlos mit einem strengen Vater aufwächst, verschlägt es ihn ins prächtige Berlin und von dort in die verwüsteten Kriegsgebiete Osteuropas.
Ein Diener großer Herren, hat er aus der Nähe gesehen, wie Reiche entstehen und zusammenbrechen, „während hier, in meinem Land, alles beim Alten war“. Dass sich in Bagdad, im Irak, im Orient nichts ändere, so rasch die Städte auch anwachsen, so blutig ein Aufstand dem nächsten folgt, ist ein Verhängnis, das alle im Roman beklagen: die jungen Juden von Bagdad, als deren Freund Anwar aufwächst, die nationalistischen Offiziere, die ihn zu ihrem Gehilfen machen, die islamistischen Prediger, deren Laufbursche er wird.
Die Islamisten wettern gegen alle: gegen die Juden sowieso, die arm oder reich sein mögen, religiös oder weltlich geprägt, aber jedenfalls Schuld am Elend haben, in das ganz Arabien gedrückt ist; gegen die nationalistischen Offiziere, die den Islam als Waffe des antikolonialen Kampfes verstehen, nicht als dessen einziges Ziel. Nur gegen eine Macht haben der gottesfürchtige Großmufti – eine historische Figur namens al-Husseini – und seine Leute nichts einzuwenden, gegen den Nationalsozialismus, der sie dabei unterstützen soll, die Engländer aus dem Land und die Juden ins Meer zu werfen, damit endlich auch im Irak nichts mehr beim schlechten Alten bleibe.
Sherko Fatah hat den historisch-politischen Hintergrund seiner abenteuerlich anmutenden Geschichte penibel studiert. Viele Figuren, irakische Militärs, Politiker und Geistliche, ranghohe Offiziere der SS, die in seinem Roman auftreten, haben wirklich gelebt und genau das getan, was er von ihnen berichtet. Die innere Entwicklung seines Protagonisten wird an bestimmten historischen Wegmarken beschleunigt oder in eine neue Richtung gelenkt. Immer wenn die Offiziere unter Rachid Ali gegen den König putschen, der den Briten allzu willfährig ergeben ist, tauchen die Verheißungen des Nationalismus auf, die den unglücklichen, vom Aufstieg träumenden Anwar nötigen, auf sie zu reagieren. Als ein solcher Putsch 1941 niedergeschlagen wird, folgte in Bagdad ein Pogrom, dem 200 Juden zum Opfer fielen – und das in einer Stadt, in der sie eine ihrer ältesten, seit mehr als zwei Jahrtausenden existierenden Gemeinden hatten. Für Anwar, der damals selbst eine private Rechnung begleichen wollte, ist der Pogrom eine Station auf dem langen Weg, der ihn in die Nähe der Mächtigen bringt und dabei ins Verderben führt.
Als Jugendlicher mit einem jüdischen Geschwisterpaar aus der Oberschicht befreundet, lässt Anwar sich nach und nach vom Antisemitismus der Offiziere und Prediger anstecken. In seiner Revolte gegen den Vater, gegen die enge Welt, aus der er kommt, fühlt er „immer die Sehnsucht nach den Häusern der Reichen“. Die einzigen Reichen, die er kennt, sind aber die jüdischen Jugendlichen Ezra und Mirjam, die paradoxerweise beide heftig mit dem Kommunismus kokettieren. Ein feiner Nebenstrang des Romans leuchtet die verschiedenen Wege aus, die die Juden in der Ära des arabischen Nationalismus zu gehen versuchten. Was immer sie erproben, auch für sie gilt: es bleibt alles beim Alten, und darüber wird es nur immer schlimmer. Der Roman endet Mitte der fünfziger Jahre, als sich die letzten Juden Bagdads am Flughafen versammeln, um nach Israel auszufliegen.
Bis dorthin ist es jedoch eine weite Strecke. Sherko Fatah hat großes Geschick darin, politische Ereignisse wie nebenhin mit dem Romangeschehen zu verbinden, er muss die historischen Dinge nicht referieren, sondern weiß sie in die Gespräche und Handlungen seiner Figuren zu integrieren. Auch bei einem zweitem, schwierigen Problem der Gestaltung zeigt er sein Können: Der Roman ist in der Ich-Form erzählt, alles Geschehen wird aus der Perspektive Anwars berichtet und gedeutet; dennoch werden wir nicht auf den engen Horizont dieses trotzigen Kindes, sehnsüchtigen Jugendlichen, ewigen Dieners und willfährigen Kriegsverbrechers verwiesen. Ohne dass er dazu auktoriale Kommentare bräuchte, bringt es Fatah zuwege, im Bericht seines Erzählers zugleich dessen Fragwürdigkeit aufscheinen zu lassen. So wird uns Anwar einerseits vertraut, weil wir von seinen Ängsten und Sehnsüchten erfahren, andererseits aber fremd und widerwärtig, weil dieses Kind der armen Vorstadt sich als Büttel im Völkermord verdingt.
Im Gefolge des Großmuftis kommt er nach Berlin, mit der Ostturkestanischen Division der Waffen-SS – die es tatsächlich gegeben hat – zieht er mordend und plündernd durch Osteuropa. Selbst wenn „Ein weißes Land“ auch in diesen Passagen dokumentarisch gearbeitet ist, liegen hier die Schwächen des Romans. Zwar wurde der Großmufti tatsächlich von Hitler empfangen und des öfteren von Himmler besucht, an dessen Vernichtungsplänen sich der fromme Asket geradezu berauschte. Aber dem Roman tun die vertrauten Blicke auf die Großen und die großen Verbrecher der Weltgeschichte, Blicke des kleinen Mannes, der durch das Schlüsselloch späht, nicht gut, es entsteht eine unangenehme Atmosphäre von Traulichkeit im Grauen.
Der kleine Straßenjunge Anwar sehnt sich zeitlebens danach, „bemerkt zu werden“. Was ihm entgeht: dass er ja bemerkt wird, nur dass die Deutschen, die er bewundert, in ihm nicht den gleichberechtigten Arier erkennen. Ein Deutscher warnt ihn sogar davor, durch die nächtlichen Straßen von Berlin zu ziehen: „Man könnte dich für einen Juden halten.“ Daraus lernt Anwar aber nichts, am Ende bleibt der Verräter, der seine Freunde und auch sich selbst verraten hat, gänzlich unbelohnt.
Sherko Fatah
Ein weißes Land
Roman. Luchterhand Verlag, München 2011. 478 Seiten, 21,99 Euro.
Reiche entstehen und
brechen zusammen – im Orient
ändert sich nichts
Aus dem trotzigen Kind wird
ein ewiger Diener und
willfähriger Kriegsverbrecher
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2011

Rauchfahnen am Himmel
Lehrstück aus der arabischen Welt: Sherko Fatahs Roman "Ein weißes Land"

In gewisser Weise ist er sich treu geblieben. Wieder hat Sherko Fatah ein Buch geschrieben, in dem ein junger Iraker von höheren Mächten für deren Zwecke missbraucht wird; in dem ein Einzelner trotz aller Bemühungen an den Umständen scheitert, in die er hineingeboren wurde. Ein Buch, in dem sich die Geschichte die Menschen zu Untertanen macht, ohne ihnen auch nur den Hauch einer Chance zu geben, eines Tages doch zum Schmied zu werden für das eigene Glück.

Vor drei Jahren erzählte Sherko Fatah in "Das dunkle Schiff" von dem jungen Aleviten Kerim, der auf der Fahrt zu seinen Großeltern im Norden des Irak von islamischen Fundamentalisten gefangengenommen und in ein Ausbildungslager verschleppt wurde, in dem er sich zum Gotteskrieger erziehen ließ. Nun, in Fatahs neuem, nicht minder umfangreichem Roman "Ein weißes Land" begegnen wir Anwar, dem 1921 in Bagdad geborenen Sohn eines einfachen Mannes. Anwars Vater arbeitet als Aufseher in einer Dattelfabrik und verrichtet seinen Beruf zuweilen mit dem Schlagstock. Zu Beginn der Geschichte versucht dieser Vater noch, seinem einzigen Sohn ein paar Lehren über das Leben mitzugeben, vor allem Härte, auch ein wenig Demut. Sehr bald jedoch wird Anwar diese Worte vergessen. Er wird durch das Bagdad der dreißiger Jahre streifen, getrieben von einer Sehnsucht nach "den Häusern der Reichen" und dem viel grundsätzlicheren Wunsch, überhaupt "bemerkt zu werden".

Bei Anwar hat man es demnach mit einer Figur zu tun, von der man allmählich sagen kann, dass sie zu den liebsten Kindern des Romanciers Sherko Fatah zählt. Anwar verfügt zwar über den ausgeprägten Willen, im Leben voranzukommen und aufzusteigen. Doch um zu entscheiden, wer genau er sein möchte, welche Positionen er vertreten, wen er seine Freunde nennen will und warum, dazu fehlt ihm sowohl das intellektuelle wie letztlich auch das emotionale Rüstzeug. So ist er einerseits mit einer Cleverness gesegnet, die ihm in brenzligen Situationen hilft zu überleben. Aber andererseits vermag er damit weder seine Naivität noch seine mangelnde Bildung zu kompensieren. Zeit seines Lebens fehlt es ihm an Moral und Wissen.

Er kann nicht sagen, warum sich der Irak in den zwanziger, dreißiger Jahren in Aufruhr befindet. Er weiß nichts vom Zerfall des Osmanischen Reichs, von dem in seinem Geburtsjahr inthronisierten König Feisal und den Gründen für den wachsenden Unmut gegenüber der britischen Mandatsmacht. Er spürt nur, dass die Dinge um ihn herum in Bewegung geraten, und wittert darin seine Chance.

All dies macht ihn zum Spielball der Geschichte. Anders könnte es auch nicht sein, und so ist es sicher nicht falsch, hinter dieser Figurenkomposition den ausgeprägten Wunsch des Autors zu sehen, uns nicht nur vom Schicksal Anwars zu erzählen, sondern mit ihm und durch ihn vor allem vom Schicksal des Irak, seiner Heimat. Dass die Geschichte in der Ich-Perspektive aus Sicht Anwars geschrieben ist, darf man in diesem Zusammenhang als erzählerischen Trick deuten. Hier werden die Beziehungen zwischen dem wachsenden Streben nach Unabhängigkeit vom britischen Empire, dem um sich greifenden Antisemitismus und den Hoffnungen, die manche Iraker in den deutschen Nationalsozialismus setzten, nicht erklärt und analysiert. Sie werden von Anwar als diffuse Zeichen der Zeit nur wahrgenommen, der Leser muss sie selbst dechiffrieren.

Für Anwar spiegeln sich diese Zeichen vor allem in den Freunden und Gefährten, denen er sich anschließt, um sie, einen nach dem anderen, zu verstoßen, sobald der Wind sich dreht. So muss sein Kinderfreund Ezra, Sohn eines reichen jüdischen Kaufmannes, bald dem Banditen Malik weichen, der Anwar nicht nur beibringt, wie man in die Häuser der Reichen gelangt, um ein bisschen an deren Wohlstand teilzuhaben, sondern auch, wie sich unliebsame Beobachter aus dem Weg schaffen lassen. Doch auch die Zeit der Streifzüge mit dem Räuberkönig hat einmal ein Ende.

Aufstiegschancen und Schutz sucht Anwar danach in der Nähe von Nidal, einem Führer der irakischen Nationalisten. Er ist es, der ihn an den Großmufti von Jerusalem vermittelt, in dessen Gefolge Anwar nach Berlin reisen wird. Dort will sich der religiöse Führer als Partner der Deutschen ins Spiel bringen, für den Fall, dass es ihnen gelinge, den Orient von den Engländern zu befreien. Als Zeichen seines guten Willens schickt der Großmufti Anwar zu jenen Hilfstruppen der Waffen-SS, die hinter der Ostfront gegen russische und polnische Partisanen kämpfen sollen. In den Reihen der aus Aserbaidschanern, Türken, Usbeken und Tataren zusammengewürfelten Division erreicht der junge Iraker dann jenes titelgebende "weiße Land". Später wird er sich daran erinnern, wie sie alle gemeinsam in den Gräben ausharrten und "das Kinn auf der Erde, über das flache Land blickten, durch von Schneekristallen überzuckerte Grashalme hindurch bis zu den Rauchfahnen, die vor dem grauen Himmel wie phantastische, plumpe Bäume aufragten und allmählich im Wind zergingen".

Nicht nur hier gelingt es dem Autor, starke Bilder für den Schrecken zu finden, dem er seinen Helden aussetzt. Immer dort, wo Sherko Fatah nah an seiner Hauptfigur bleibt, ist das Buch von einer Eindringlichkeit, die deswegen überzeugt, weil sie den Leser schwanken lässt zwischen Mitleid für Anwar, dieses ewige Opfer der Umstände, und Wut über sein Unvermögen, sich wenigstens einmal im Leben für irgendetwas zu entscheiden und eine Haltung einzunehmen. Daher überzeugt "Ein weißes Land" vor allem als Anti-Bildungsroman und Anwar als tragischer Held. Wenn es stimmt, was Sherko Fatah vor kurzem sagte, und Teile der arabischen Welt tatsächlich bevölkert sind von jungen Männern, die ähnlich orientierungslos umherirren wie sein junger Iraker, dann darf man den Roman auch als Mahnung verstehen, sich dieser Menschen anzunehmen.

Ob es dazu allerdings des weiten Bogens bedurft hätte, den Sherko Fatah zu spannen versucht, muss bezweifelt werden. Für einen mittellosen Jungen, der im Bagdad der dreißiger Jahre aufwächst, ist es ein sehr langer Weg bis ins Berlin des Zweiten Weltkrieges und erst recht bis in die russische Einöde. Die Mühe, die es gekostet hat, aus dem Leben Anwars ein Epos über die Geschichte des Irak zu machen, ist an mancher Stelle noch deutlich zu spüren. Sie bürdet dem Roman eine Last auf, an der er allzu schwer trägt.

LENA BOPP.

Sherko Fatah: "Ein weißes Land". Roman.

Luchterhand Verlag, München 2011. 478 S., geb., 21,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Zum Schluss ist Katharina Granzin richtig verärgert, ganz offensichtlich hat ihr Sherko Fatahs Roman nicht gefallen, der die unwahrscheinlichen Abenteuer eines Irakers aus armer Familie erzählt. Diesen katapultieren die Weltläufte von Bagdad aus zum Großmufti nach Jerusalem und von dort ins "ostturkestanische Regiment" der Waffen-SS. Doch weder die Orte noch die Personen findet Rezensentin Granzin glaubwürdig, Bagdad bleibt ihr zu blass, Berlin ist ihr zu explizit, die Figuren findet sie ganz und gar konturlos, abgesehen von den Nazi-Flittchen und den Nazi-Krankenschwestern. Hier erkennt sie auf "sexistischen Mist", vielleicht sogar auch "rassistischen Mist".

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