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Die Liebe im Alter ist stärker als das Vergessen Péter Farkas erzählt in "Acht Minuten" von den letzten Tagen eines dementen Paares, das trotz Alter und Krankheit seine Würde und vor allem die Liebe zueinander bewahren kann. Für diesen Roman wurde der in Deutschland lebende Autor mit dem Sándor-Márai-Preis ausgezeichnet und erhielt den Preis für den besten Debüt-Roman in Ungarn. Er ist ein alter Mann, und seit einiger Zeit nimmt er merkwürdige Veränderungen in seiner Wohnung wahr. Eine fremde Frau taucht eines Morgens auf und verschwindet nach einiger Zeit wieder. Von anderen, ihm fremden…mehr

Produktbeschreibung
Die Liebe im Alter ist stärker als das Vergessen
Péter Farkas erzählt in "Acht Minuten" von den letzten Tagen eines dementen Paares, das trotz Alter und Krankheit seine Würde und vor allem die Liebe zueinander bewahren kann. Für diesen Roman wurde der in Deutschland lebende Autor mit dem Sándor-Márai-Preis ausgezeichnet und erhielt den Preis für den besten Debüt-Roman in Ungarn.
Er ist ein alter Mann, und seit einiger Zeit nimmt er merkwürdige Veränderungen in seiner Wohnung wahr. Eine fremde Frau taucht eines Morgens auf und verschwindet nach einiger Zeit wieder. Von anderen, ihm fremden Menschen werden angeblich nützliche Gegenstände in die Wohnung getragen, und er muss diese Gerätschaften wieder zum Müll tragen. Jüngst sind sogar die Ehebetten, in denen er und seine Frau bisher schliefen, auf zwei Zimmer verteilt worden, eine unsinnige Maßnahme, denn nun schlafen er und seine Frau in einem Bett. Und wer glaubt, er und seine Frau könnten sich nicht mehr verständlich machen, nurweil sie mit ihrem Namen nichts mehr anfangen kann und dem Mann die Lust zu sprechen abhanden gekommen ist, der ahnt nicht, wie gut sie beide miteinander zurechtkommen.
Aus ihrer ganz eigenen und eigenwilligen Perspektive hat Péter Farkas die Geschichte eines dementen Paares geschrieben, die Liebes- und Überlebensgeschichte zweier Menschen, denen die Erinnerung weggeblieben ist und die sich in ihrer immerwährenden Gegenwart innig miteinander verbunden fühlen, inniger sogar als je zuvor. Diese beiden Menschen sind auf ihre Art glücklich, solange sie nach ihren ganz eigenen Regeln zusammenleben können, wer allerdings meint, ihnen helfen zu müssen, und sich in ihr Leben einmischt, kann Katastrophen auslösen. Einfühlsam und bewegend erzählt Péter Farkas Roman von einem erfüllten Leben im Dunklen, von einem Leben, das seine eigene Würde hat.
Autorenporträt
Péter Farkas wurde 1955 in Budapest geboren. 1982 verließ er Ungarn, seither lebt er mit seiner Familie in Köln. Er hat eine literarische Zeitschrift herausgegeben, Ausstellungen organisiert und arbeitet für den Rundfunk. 1997 wurde er für das beste literarische Debüt in Ungarn ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2012

Demenz als Sabotage

Und das eigene Ich zerbricht wie eine Skulptur aus Sand: Péter Farkas hat einen berührenden und kämpferischen Roman über das Leben mit der Krankheit geschrieben.

Am Frühstückstisch gerät der Tag zum ersten Mal ins Stocken. Die alte Frau hat vergessen, was es mit dem Stückchen Butter auf sich hat, das sie zwischen Zeigefinger und Daumen hält. Erstaunt betrachtet sie es, bis der alte Mann, der ihr gegenübersitzt, auf den Teller deutet und ihr hilft, die Butter mit dem Messer auf dem aufgeschnittenen Brötchen zu verteilen. Als sie genussvoll den ersten Bissen nimmt, blinzelt sie ihn dankbar an. Doch der zarte Moment ist nur von kurzer Dauer. Die Frau hält inne, wendet den Blick ab und starrt leer aus dem Fenster. Ängstlich beobachtet der Mann die Frau, mit der er die längste Zeit seines Lebens verbracht hat: "Er hoffte, dass sie sich nicht jetzt, am Tisch, beim Frühstück, während des Essens einkotete. Daran konnte er sich einfach nicht gewöhnen."

Damit ist der Rahmen abgesteckt: Péter Farkas erzählt in dem Roman "Acht Minuten" von einem älteren Ehepaar, dessen Alltag durch eine Demenzerkrankung bestimmt ist. Neben zahllosen Ratgebern und Sachbüchern sind in den vergangenen Jahren eine Reihe literarischer Veröffentlichungen dazu erschienen: Tilman Jens' vieldiskutierter Bericht "Demenz. Abschied von meinem Vater" (2009), Katharina Hackers Roman "Die Erdbeeren von Antons Mutter" (2010) oder Arno Geigers autobiographische Erzählung "Der alte König in seinem Exil" (2011). Diese Bücher erzählen oft drastisch von den Folgen, die das Älterwerden im Alltag eines Menschen und seiner Angehörigen haben kann. Auch Péter Farkas - er wurde 1955 in Ungarn geboren, lebt allerdings seit knapp dreißig Jahren in Deutschland - folgt nach der beklemmenden Szene am Frühstückstisch zunächst der Spur dieser Verwüstungen. Der alte Mann berichtet von körperlichen Beschwerden, vom Wechseln der Windeln und anderen demütigenden Ritualen, die er mit seiner Frau im Badezimmer absolviert. Dazu kommt die Herrschsucht des Pflegepersonals, das das Leben seiner Patienten an sich gerissen hat und sich dafür gemäß der auf dem Küchentisch ausgelegten Preisliste "je angefangene 10 Min." bezahlen lässt.

Interessant ist, dass Farkas anders als andere Autoren bewusst auf eine verlässliche, vermeintlich "gesunde" Außenperspektive verzichtet. Sein Erzähler leidet ebenfalls unter ersten Anzeichen einer Demenz. Die Erinnerungen an das Leben als Akademiker, das er offenbar einst geführt hat, haben sich fast vollständig in Luft aufgelöst. Er ahnt, dass er genau wie seine Frau, die er täglich wäscht, anzieht und füttert, eines Tages ebenfalls sein Kurzzeitgedächtnis verlieren wird - und diesem Moment, in dem das Ich zerbricht, "wie eine Skulptur aus Sand", sieht er gerade erwartungsvoll entgegen. Der "alte Mann", der im ganzen Roman ohne Namen bleibt, reagiert schon jetzt nicht mehr, wenn das Pflegepersonal ihn anspricht, und "dass ihn einige mittlerweile als Idioten betrachteten, störte ihn nicht". Im Gegenteil. Er genießt es, dass seine Frau und er sich die Demenz wie einen schützenden Mantel über die Schultern ziehen können: "Zärtlich und zweifellos mit einer ein wenig kindischen Genugtuung tätschelte er manchmal die Wangen der alten Frau, wenn es ihnen gelungen war, eine für sie gänzlich sinnlose, für die Außenwelt aber als lebenswichtig angesehene Zwangsaufgabe zu sabotieren."

Eine der schönsten Stellen in dem Buch ist die, als zwei der "selbsternannten Aufseher" die Möbel in der Wohnung des Ehepaares umstellen, um vermeintlich einfachere, sicherere Wege zu schaffen - und dabei auch gleich die Betten an zwei gegenüberliegende Wände des Schlafzimmers rücken. In der folgenden Nacht wacht der Mann auf. "Schwankend, mit geschlossenen Augen" durchquert seine Frau das Zimmer, ihre Decke hinter sich herziehend, suchend und tastend, bis sie schließlich an seinem Bett angekommen ist, sich neben ihm auf die viel zu schmale Matratze legt und sich an ihn schmiegt. So wird die Liebe in Zeiten der staatlichen Pflegeversicherung noch einmal zum Akt der Rebellion: Péter Farkas hat einen berührenden und zugleich kämpferischen Roman über zwei Menschen geschrieben, die mit ihren "hutzligen Körpern" und ihrem "selbstvergessenen Glück" jenem gesellschaftlichen Normativ den Kampf ansagen, in dem das Alter insgesamt als chronische Krankheit erscheint.

KOLJA MENSING

Péter Farkas: "Acht Minuten".

Aus dem Ungarischen von György Buda. Luchterhand Literaturverlag, München 2011. 132 S., geb., 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kolja Mensing hat schon einige Sachbücher und literarische Bearbeitungen zum Thema Demenz gelesen, aber dieser Roman von Peter Farkas hat ihn besonders angesprochen. Der in Ungarn geborene und seit dreißig Jahren in Deutschland lebende Autor lässt einen selbst von ersten Anzeichen der Demenz gezeichneten Mann vom Leben mit seiner dementen Ehefrau erzählen, und schon diese Perspektive gibt dem Roman einen besonderen Reiz, wie der Rezensent lobt. Und so ist es neben den berührenden Momenten eines aus den Fugen geratenden Alltags das “Kämpferische", mit dem sich die beiden Alten gegen das übergriffige Pflegepersonal stellen, das Mensing an dieser Geschichte besonders gefallen hat.

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