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Geschichten von Liebe und Lust, vom Tanz der Geschlechter und von der großen Hoffnung, das Leben nicht aus den Augen zu verlieren.

Produktbeschreibung
Geschichten von Liebe und Lust, vom Tanz der Geschlechter und von der großen Hoffnung, das Leben nicht aus den Augen zu verlieren.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2002

Beute Chicano
Dagoberto Gilbs Erzählband
„Holzschnitte von Frauen”
Die Protagonisten in den Erzählungen von Dagoberto Gilb haben Probleme, die andere gern hätten: Andauernd verlieben sich Frauen in sie und wollen mit ihnen schlafen. Für die jungen, schönen Chicanos geht das nicht immer gut aus. Der Aushilfsverkäufer verliert nach amourösen Verwicklungen mit mehreren Kolleginnen seinen Job im Geschenkladen, in einer anderen Geschichte schläft die reiche, weiße Frau in Austin mit dem Mann, der während ihrer Europareise auf ihr Haus aufpassen soll – und schmeißt ihn dann doch wieder raus.
Dagoberto Gilb, von dem es auf deutsch schon den Roman „Der letzte bekannte Wohnsitz des Mickey Aurora” und den Erzählungsband „Ich hab mit den schönsten Mädchen getanzt” gibt, hat mit „Holzschnitte von Frauen” dem Decamerone einen elften Tag hinzugefügt. Einen Tag, an dem, unter der Regierung eines Chicano-Erzählers, Männer in fremden Wohnungen kurzes Liebesglück finden. In Laredo, Albuquerque und Los Angeles gibt es jedoch keine Mönche, Nonnen und Einsiedler mehr, es gibt Handwerker, Journalisten und Arbeitslose, die ihre Städte mit einer gewissen Trostlosigkeit betrachten. Und sich, wenn sie nicht schon dort sind, nach Kalifornien sehnen.
Von Boccaccio hat Gilb nicht nur gelernt, wie sich Hindernisse, die einem Liebesakt im Wege stehen, umgehen lassen. Wie Boccaccio konstruiert er einige seiner Erzählungen auch um Dingsymbole herum. Die Rolle, die bei Boccaccio z.B. das Fass spielt, in das Gianello klettert, während seine Frau sich mit dem angeblichen Fasskäufer vergnügt, oder der Falke, der im Kochtopf landet, nehmen bei Gilb schmutzige Kissen oder eine alte Matratze mit Kuhle ein.
Wenig Macho, viel Sonnencreme
Wohnungen spielen in den meisten der zehn Geschichten eine große Rolle. Die Männer haben keine oder erinnern sich an armseligen Behausungen mit gestampften Lehmboden auf der anderen Seite des langen Zauns – in dem Mexiko, in das sie nicht zurückwollen, oder, wenn sie schon auf der nördlichen, reichen Seite geboren sind, noch nie waren. Richard Rodriguez hat das kulturelle Dazwischen dieser Menschen vor ein paar Jahren in seinen Essays beschrieben: Kein Mexikaner mehr, aber eben auch kein weißer Amerikaner zu sein. Gilbs Figuren sprechen Englisch, sprechen es mit anderen Chicanos aber mit um so mehr spanischen Einsprengseln, konjugieren in Wendungen wie „nos watchamos, pues” die englischen Verben spanisch oder können es nicht leiden, den eigenen Namen spanisch ausgesprochen zu hören. Die Übersetzung – und das gelingt ihr sehr gut – übernimmt spanischen Originalausdrücke wie pues nada, que duro, quién sabe in den deutschen Text.
Dagoberto Gilbs Helden werden immer wieder verführt. Die Frauen bedienen sich der schönen, bornzefarbenen männlichen Körper. Keine Geschichte erfüllt das Muster der sexuellen Ausbeutung in der klassischen Rollenverteilung, hier herrscht umgekehrter Sexismus. Die Männer, die in Mexiko noch große Machos sein könnten, können es in Texas oft nicht mehr sein. Weshalb sie, trotz aller sexuellen Erfolge, immer auch Spuren von Verunsicherung zeigen. Und sich oft zu anderen, fernen Frauen zurücksehnen, ob sie nun Tere, die in Las Palomas war, Diana oder Cata heißen.
Auch ein äußerliches Merkmal dieses Buches erinnert an Boccaccios Decamerone: die beeindruckenden Holzschnitte. In einer Zeit, da Buchillustrationen, zumindest in diesem Genre, eher selten geworden sind, kommt „Holzschnitte von Frauen” wie eine illustrierte Decamerone-Ausgabe der zwanziger Jahre daher. Von diesen Holzschnitten, die nichts schönlügen, auf denen Autos, kleine Teufel, Schlangen und auch mal eine Bierbüchse zu sehen sind, hat das Buch denn auch seinen auf deutsch rhythmisch leider leicht holpernden Titel. Die englischen „Woodcuts of Woman” kommen geschmeidiger und ohne die abträgliche idiomatische Assoziation „holzschnittartig” daher.
Die für einen Rezensenten traumhafteste Geschichte heißt „Passiv”: Ein Autor soll ein Buch besprechen und nimmt es, da ihm nichts dazu einfallen will („Das Buch ist mir ein Rätsel”), mit ins Schwimmbad. Dort, Schicksal aller Helden Gilbs, wird er von einem Mann, der unbedingt Schriftsteller werden will, bedrängt. In seiner Verzweiflung spricht er eine Frau an, die ihn, wie er glaubt, vor den Aufdringlichkeiten des Mannes schützen könnte. Mit dem Ergebnis, dass diese Frau einige Tage später bei ihm zuhause durchs Fenster klettert, um ihm die Kleider vom Leibe zu reißen. Das Buch, das Dingsymbol dieser Geschichte, und, zu allem Überfluss, auch noch ein erotischer Roman, hat der verhinderte Rezensent in seiner unaufgeräumten Wohnung bis dahin nicht wiedergefunden. Es hat sich in der Ritze hinter der Matratze verklemmt und löst sich erst, als die Frau aus dem Schwimmbad das Bett in heftige Bewegungen versetzt.
So ähnlich – ach was, genau so, lieber Leser, ergeht manchem Autor, der ein Buch besprechen soll. Dauernd halten die schönsten Männer und Frauen einen von der Arbeit ab. Deshalb lesen Sie die Besprechung dieses schönen Sommerbuchs, in dem es häufig ziemlich heiß ist und nach Sonnencreme riecht, auch erst im Spätsommer.
DAVID WAGNER
DAGOBERTO GILB: Holzschnitte von Frauen. Erzählungen. Aus dem Spanischen von Werner Schmitz. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 198 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Suche Riesin mit Bikini
Die Arbeitslosen der Liebe: Dagoberto Gilbs Erzählungen über Fachkräfte und Schwervermittelbare / Von Pia Reinacher

Mit der Liebe verhält es sich in diesen Geschichten so: Sie ist unmöglich. Und doch flammen in Dagoberto Gilbs "Holzschnitten von Frauen" ständig neue Ikonen des Weiblichen auf. Die Frau, gesehen aus den gierigen Augen des Mannes: grelle, zwielichtige, verworfene, rätselhafte Wesen. Ab und zu tritt eine erotische Madonna auf die männliche Weltenbühne. Aber das ist die Ausnahme. In den zehn Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers mexikanischer Herkunft ist Liebe, Verführung, Sexualität der reißende Untergrund und die triebgesteuerte Ohnmacht des Helden Voraussetzung zum krisenhaften Ausgang. Das ergibt, im spröden sprachlichen Zugriff, im lakonischen Ton dieses Autors eine elektrisierende Mischung.

Dagoberto Gilb, der von der amerikanischen Kritik hoch gelobt und mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, gilt hierzulande immer noch als Geheimtip. Sein bevorzugter Stoff siedelte sich bis jetzt auf ganz anderem Terrain an: Unterprivilegierte Randständige, illegale Einwanderer, die sich ihren Traum vom amerikanischen Glück hart erkämpfen mußten, Gescheiterte und Gebrochene im Räderwerk des mörderischen Arbeitskampfes waren seine literarischen Helden.

In den neuen Geschichten ist die Liebe wie ein Strom, der seine Opfer magisch anzieht, in die Tiefe reißt und dann vollkommen gleichgültig ausspuckt: Mit blauen Flecken, aufgerissenen Schrammen und dem Stigma der Gescheiterten auf die Stirn gebrannt, finden sie sich am Rande des Hades wieder. Wie wild und abgebrüht die einsamen Wölfe in Dagoberto Gilbs Geschichten auch durchs Leben streunen, die Liebe schleudert sie immer in die Nähe des Abgrunds. Der Autor bringt die Sache in den ersten Sätzen seiner Eingangserzählung "Maria de Covina" lakonisch auf den Punkt: "Die Sache ist nämlich die: Ich mag Frauen. Nein halt. Ich liebe Frauen." Die Schwäche für das weibliche Wesen wird dem jungen, hübschen Verkäufer zum Verhängnis. Zwar hat er bereits eine attraktive Freundin, aber wenn er in die Nähe von Frauen kommt, fühlt er sich wie betrunken.

Trotzdem gehört sein Charme nicht zu der konventionellen Sorte: Er ist weder aggressiv, noch schleicht er den Frauen nach, noch baggert er sie an. Sein Kapital der Verführung ist schlicht: zwei Sportsakkos, ungefähr sechs Krawatten, drei schicke Hosen, ein feines Paar Floresheim und ein Anzug mit Seidenfutter, den er bei "Lemonde" gekauft hat. Das reicht. Die Verkäuferinnen erliegen dem polierten Charme auf der Stelle, die Kundinnen, durchwegs ältere, reiche Damen, verwandeln sich beim Anblick des Verkäufers in willenlose Wesen. Die Geschichte wäre nicht so raffiniert, wenn sie nicht kurz vor Schluß eine bitterböse Wende nähme. Die Falle lauert in Form von Maria de Covina, Abteilungsleiterin und Chefin des Verführers, eine frustrierte Männerhasserin, die ihn nun ihrerseits mit schwülen Reizen ins Netz lockt, mit ihrem Giftstachel lähmt und dann - entläßt.

Jede Erzählung ist mit einem Holzschnitt von Artemio Rodriguez illustriert - stilisierte Bilder der Verführung und des verlorenen Paradieses - die in geheimer Korrespondenz zu den Geschichten stehen. Auch die Porträts von Frauen, die der amerikanische Autor merkwürdig stilisiert, sind wie mit dem Stichel aus dem Holzstock ausgehoben. Das Ergebnis ist nicht, wie man vielleicht erwarten würde, vereinfachende Schablonisierung. Im Gegenteil. Die harten Striche, die äußerste Reduktion schaffen Platz für die Phantasie des Lesers und machen gerade den literarischen Reiz aus. Gefordert ist millimetergenaue Präzisionsarbeit.

Bild um Bild schiebt sich so vor das innere Auge des Lesers, flächig und wie mit Kreide aufgetragen, träumerische Imaginationen des Weiblichen: Huren, glitzernde Schönheiten, schlaue Heldinnen des Alltags, die mit robuster Moral über die Runden kommen, tragische Geliebte, dumpf gewordene Alte, fette Ehemänner mit schönen, einsamen Frauen. Man entziffert die Bilder mit den winzigen vieldeutigen Anspielungen und den kaum hörbaren, aber ziemlich frechen Untertönen mit wachsendem Vergnügen: "Frauen, die hier zu Mittag essen, tragen Nylonstrümpfe, Stöckelschuhe und falsche Perlenketten. Der Kaffee ist zu heiß, zu alt, zu schwarz, zu dünn, und ich färbe ihn mit der weißen Flüssigkeit, die keine Milch ist. Die Kellnerin trägt ihr Haar hochgesteckt, und in dem Netz, das den Knoten hält, stecken zwei Stoffblumen. Eine originelle, berauschende Wirkung, aber wie bei einer mit Strychnin gestreckten Droge ist die Wirkung gedämpft, ein Hauch von Tod schwingt darin mit, und der Trubel macht Blut und Atem und Muskeln verwegen."

Eine der stärksten Geschichten trägt den Titel "Passiv". Hier mischen sich sämtliche, in den übrigen Texten nur prisenweise eingesetzte Ingredienzen zu einem betäubenden Parfüm: die Dreiecksgeschichte ohne Ausweg. Die unterschwellig wabernden homosexuellen Zuckungen, nie ganz ausgesprochen, oft halb verleugnet, stets präsent. Die aggressiv erotische Schönheit im schwarzen Bikini, eine Riesin, gigantisch in jeder Hinsicht - wie oft bei Dagoberto Gilb sind die wirklichen Verführerinnen, denen die Helden erliegen, zwiegesichtig, verkleidete Männinnen mit übersteigerten weiblichen Reizen. Eine mütterliche Freundin, die dem getriebenen Helden Zuflucht bietet. Und das Kernmotiv der Erzählung, immer wiederkehrend: die unlösbare Überlagerung von Realität und Traum. Der Ich-Erzähler wird überschwemmt von erotischen Bilderfluten, denen er hilflos ausgeliefert ist. Zwanghaft muß er an die Geliebte in der Ferne denken, wobei die Distanz die unausgesprochene Voraussetzung zur Liebe ist. Gleichzeitig läßt er sich willenlos, "passiv", von der aggressiven Gigantin im Bikini verschlingen. Wie nirgend sonst gelingt es Gilb hier, Traumfetzen, fiebrige Wahnbilder, erregende Zwangsvorstellungen auf unlösbare Weise zu verweben und damit zu einem spannungsgeladenen Bild der erotischen Verwirrung seines Helden zusammenzufügen.

Dagoberto Gilb: "Holzschnitte von Frauen". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Schmitz. Mit Holzschnitten von Artemio Rodriguez. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 220 S., geb., 18,90 .

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Dagoberto Gilbs Geschichten sind wie kleine Fliegen, die sich im Netz verfangen und noch eine Weile nachzittern", meint Rezensent Tilman Urbach über den Band "Holzschnitte von Frauen" und will dies als großes Lob verstanden wissen. Denn für Urbach gilt es, den in den USA längst preisgekrönten Autor hierzulande endlich zu entdecken. So sieht er in den Kurzgeschichten eine "wunderbare Einladung", sich mit Gilb zu beschäftigen. In den Geschichten gehe es fast immer um die Liebe, um Missverständnisse, um Paare, die vor der erbärmlichen Realität in Traumwelten flüchten, schreibt Urbach und findet vor allem ihre Helden ausgesprochen liebenswert, die zwischen den Kulturen, im Süden der Vereinigten Staaten, nahe an Mexiko leben: "vom Leben deformierte Maulhelden", Outlaws und Underdogs, "die aus dem amerikanischen Traum ausgeschlossen bleiben und doch nicht aufhören können, ihn zu träumen".

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