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Europäische Geschichte Europa als fremde Kultur: Wie Botschafter aus Fernost die Welt des Abendlandes erforschten. Keineswegs naiv-bewundernd, sondern kritisch und selbstbewußt betraten die ersten Botschafter aus dem Reich der Mitte die europäischen Metropolen. Ihre Ethnologie der abendländischen Welt ist es, die uns heute eine ungewöhnliche Perspektive auf die Geschichte Europas ermöglicht.

Produktbeschreibung
Europäische Geschichte Europa als fremde Kultur: Wie Botschafter aus Fernost die Welt des Abendlandes erforschten. Keineswegs naiv-bewundernd, sondern kritisch und selbstbewußt betraten die ersten Botschafter aus dem Reich der Mitte die europäischen Metropolen. Ihre Ethnologie der abendländischen Welt ist es, die uns heute eine ungewöhnliche Perspektive auf die Geschichte Europas ermöglicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2001

Kurios, diese sozialistischen Geheimgesellschaften!
Versteh' einer die Europäer: Feng Chen untersucht die Berichte früher chinesischer Diplomaten

1721 veröffentlichte Montesquieu - vorsichtshalber zunächst anonym und im fernen Amsterdam - seine "Lettres persanes", jene fiktiven Briefe ebenso fiktiver persischer Europareisender. Er schuf damit eine neue literarische Mode: Der orientalische Blick auf den "fernen Westen" fand beim europäischen Buchpublikum so große Aufmerksamkeit, daß bis zum Tod Montesquieus 1761 nicht nur dreißig Auflagen der Briefe verkauft wurden, sondern auch zahlreiche Nachahmer die Verfremdung des Blickwinkels auf die eigene Welt erprobten. Unter der Maske fingierter fremdländischer Autoren und ihrer mangelnden Vertrautheit mit der europäischen Zivilisation zeichneten sie ein bald spöttisches, bald ernsthaftes Sittengemälde der abendländischen Gesellschaft des achtzehnten Jahrhunderts. Doch die perspektivische Verfremdung bei Montesquieu und seinen Epigonen blieb nur ein literarischer Trick und der vermeintlich fremde Blick letztlich ein Blick in den Spiegel.

Anders ist dies im Falle des Quellenkorpus, das die chinesische Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Feng Chen untersucht hat: In den Berichten, Tagebüchern und Notizen chinesischer Gesandter in Europa zwischen 1866, dem Beginn der diplomatischen Mission des "Reiches der Mitte" im Abendland, und 1894, ihrem zeitweiligen Abbruch infolge der Niederlage Chinas gegen Japan, sind Fremdheit und Verwirrung Ausdruck wirklicher und oftmals schmerzlich irritierender Erfahrungen. Denn die Welt der Diplomatie, in die China in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eintrat, gehorchte europäischen Spielregeln, die von den Chinesen erst mühsam erlernt werden mußten. Lange hatte sich China geweigert, diplomatische Beziehungen mit den "barbarischen" Nationen Europas aufzunehmen, und konnte erst nach einer Reihe militärischer Niederlagen, angefangen beim Opiumkrieg 1840 bis 1842, von den europäischen Mächten zur Einrichtung permanenter Legationen in den Metropolen der westlichen Welt gezwungen werden.

Die Entsendung chinesischer Diplomaten nach Europa stand also für die Chinesen unter dem Zeichen der Unterwerfung. Entsprechend hoch waren die kulturellen, psychologischen und institutionellen Anstrengungen. Auch erhielten die künftigen Diplomaten keine spezifische Schulung. Dem klassischen chinesischen Bildungsideal folgend, hatten sie vor allem chinesische Geschichte, Literatur und Philosophie studiert. Die eher kulturelle denn politisch-administrative Ausbildung sollte sich für ihre Mission allerdings als durchaus dienlich erweisen. Denn anders als es die europäischen Spielregeln der Diplomatie vorsahen, wurden die ersten chinesischen Abgesandten mit einem Auftrag weniger diplomatischer als vielmehr ethnographischer Art nach Europa geschickt: Sie sollten Beobachter der europäischen Zivilisation sein und über ihre Erfahrungen dem Kaiserhof schriftlich Rechenschaft geben.

Das umfangreiche Material, das aus dieser diplomatischen Feldforschung in Form von Reiseberichten und Tagebüchern hervorgegangen ist, wird von Feng Chen nach Themenkreisen klassifiziert und ausgewertet. Das Spektrum reicht vom städtischen Alltagsleben, Verwandtschafts- und Familienorganisation, Liebe und Geschlechterordnung, Gesellschaftssystem und Politik, Kultur und Kunst bis hin zu Kleidermode und Küche und erfaßt damit - abgesehen von der überraschenderweise nicht explizit thematisierten Wirtschaftsordnung und den lediglich beiläufigen Beobachtungen des religiösen Lebens - die klassischen Kernbereiche ethnographischer Arbeit.

Dabei entstehen aufgrund der Verschränkung von Eigen- und Fremdwahrnehmung zwei einander ergänzende Bilder: Das eine bietet einen sozialhistorisch-ethnologisch bemerkenswert detaillierten Blick auf das Europa des späten neunzehnten Jahrhunderts und liefert - aus der Außenperspektive - wertvolle Ergänzungen und Korrekturen des gängigen europäischen Selbstbildnisses. Das andere weist auf China selbst zurück und macht es möglich, zwischen den Zeilen der aufmerksamen Beschreibung europäischer Sitten und Gebräuche Hinweise auf die von konfuzianischen Vorstellungen geprägten chinesischen Mentalitäten sowie diskrete Kritik an den reformbedürftigen Verhältnissen der späten Qing-Monarchie (1644 bis 1911) zu erkennen. Je nach Persönlichkeit, sozialer Herkunft und politischen Optionen des Gesandten wechselt die Darstellung zwischen Über- und Unterlegenheitsgestus gegenüber der europäischen Kultur, doch bleibt stets die chinesische Zivilisation das Fundament, auf dem die Botschafter behutsam die Errungenschaften der westlichen Welt abwägen.

Daß sie auf manches von dem, was sie in Europa kennenlernen, mit Verstehensblockaden reagieren, wird von Feng Chen nicht verschwiegen. So entgeht ihnen etwa die Bedeutung der wachsenden sozialistischen Bewegung, die einem Gesandten als eine Art "Geheimgesellschaft" erscheint, "deren Mitglieder reihum die Aufgabe übernehmen, bei geeigneter Gelegenheit alle gekrönten Häupter umzubringen". Manch kuriose Beobachtung der Chinesen wird jedoch durch Erläuterung der chinesischen Verhältnisse, sprachlicher Hürden oder durch Vergleiche mit zeitgenössischen europäischen Reiseberichten aus China verständlich gemacht. Feng Chen gelingt es überdies, trotz des bemüht neutralen Stils, in dem die ausgewerteten Berichte und Notizen verfaßt sind, die Persönlichkeitsprofile einzelner Gesandter herauszuarbeiten, so daß der fremde Blick auf den "fernen Westen", den sie in ihrem höchst gelungenen Werk freilegt, zugleich ein individuelles Gesicht erhält.

ASTRID REUTER

Feng Chen: "Die Entdeckung des Westens". Chinas erste Botschafter in Europa 1866-1894. Aus dem Französischen von Fred E. Schrader, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2001, 183 S., br., 23,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Astrid Reuter lobt diesen Band als "höchst gelungenes Werk", in dem die Autorin durch die Auswertung von Tagebüchern und Briefen die Wahrnehmung Europas durch chinesische Diplomaten im späten 19. Jahrhundert dokumentiert. Hier geht es - wie die Rezensentin betont - weniger um diplomatische Angelegenheiten, als vielmehr um kulturelle Unterschiede. Und so reichen die Themen nach Reuter von Alltag, Kunst, Mode, Küche bis hin zu Liebes- und Familienangelegenheiten. Nach Diagnose der Rezensentin entstehen dabei "zwei einander ergänzende Bilder". Zum einen werden "wertvolle Ergänzungen und Korrekturen des gängigen europäischen Selbstbildnisses deutlich". Zum anderen erfahre man auch viel über China und die chinesische Politik und Gesellschaft jener Zeit. Besonders interessant scheinen Reuter die nicht zuletzt auf Verständnisschwierigkeiten beruhenden Missverständnisse, etwa wenn sozialistische Bewegungen in Europa von chinesischen Diplomaten als Geheimgesellschaften interpretiert werden, die "bei geeigneter Gelegenheit alle gekrönten Häupter" ermorden wollten.

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