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Es behandelt die vormodernen Theorien der Zeugung, es beschreibt, wie die Vererbung im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt der sich herausbildenden Biologie rückt, und es verfolgt die Entwicklung der klassischen und der molekularen Genetik im 20. Jahrhundert. Es schließt mit einem Ausblick auf die aktuellen Tendenzen der Genomforschung.

Produktbeschreibung
Es behandelt die vormodernen Theorien der Zeugung, es beschreibt, wie die Vererbung im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt der sich herausbildenden Biologie rückt, und es verfolgt die Entwicklung der klassischen und der molekularen Genetik im 20. Jahrhundert. Es schließt mit einem Ausblick auf die aktuellen Tendenzen der Genomforschung.
Autorenporträt
Rheinberger, Hans-JörgHans Jörg Rheinberger studierte Philosophie und Biologie und habilitierte sich im Fach Molekularbiologie an der Freien Universität Berlin. Seit 1997 ist er wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin.

Müller-Wille, StaffanStaffan Müller-Wille studierte Paläontologie und Geologie in Berlin, promovierte im Fach Philosophie über Carl von Linné, um dann am Deutschen Hygiene-Museum in Dresden zu arbeiten. Nach dem Wechsel ans Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin ist er heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Genomics in Society der University of Exeter.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2009

Bald ist das Gen Vergangenheit

Im soeben verabschiedeten Gendiagnostikgesetz wird Erbinformation streng geschützt. Ein Buch klärt über das Konzept Vererbung auf.

Die außergewöhnliche Bedeutung der Vererbung für die Ausprägung von Merkmalen erscheint heute so selbstverständlich, dass es erstaunt, diesen Begriff nicht schon immer im Mittelpunkt der Lebenswissenschaften zu finden. Wie viele von deren Leitbegriffen ist aber auch "Vererbung" erst allmählich in seinen heutigen Bedeutungsgehalt hineingewachsen.

Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille schildern in ihrer faszinierenden Studie, die ein mehrjähriges Projekt des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte zusammenfasst, den Weg zum zeitgenössischen Vererbungskonzept als eine langwierige Entwicklung, die sich in vielen verschiedenen kulturellen Kontexten zutrug. Phänomene der Vererbung verankerten sich zunächst in einem weiten, von Medizin, Züchtung und internationalem Handel aufgespannten Raum. Dort wurden Regularitäten definiert und eine gemeinsame Sprache gefunden. An der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert verdichteten sich Vererbungsphänomene zu einem epistemischen Objekt, dem Gen, dessen Eigenschaften und Funktionen im Labor bis ins letzte Detail untersucht werden konnten.

Eine Voraussetzung für diese Entwicklung zum epistemischen Objekt Gen war die Anerkennung der Vererbung als erklärungswürdiges Phänomen. Bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts spielten weder Vererbung noch Reproduktion eine gewichtige Rolle im Denken über die belebte Natur. Jedes einzelne Lebewesen war das Ergebnis eines personalisierten und individualisierten Zeugungsprozesses, in dem zahllose Faktoren - das Ei der Mutter, die Spermien des Vaters, das Wetter, der Mond, die Sterne und so weiter - zusammenwirkten. Die Ähnlichkeit zwischen Eltern und Nachkommen erklärte sich allein durch die Ähnlichkeit der während der Zeugung und Individualentwicklung einwirkenden Faktoren.

In einer Welt, in der die meisten Menschen, Tiere und Pflanzen nie weit vom Ort ihrer Zeugung streunten, war dies ein einleuchtendes Erklärungsmodell. Als jedoch im Zuge der ersten Globalisierung immer mehr Lebewesen ihre natürlichen Verbreitungsgebiete verließen, wurde deutlich, dass manche Merkmale stabil in jeder Umwelt auftauchten, andere aber plastisch auf neue Bedingungen antworteten: Die Anzahl der Staubblätter in Blüten blieb gleich, ob in China oder in einem botanischen Garten in Uppsala, Pisa oder Heidelberg, während die Form der Blätter veränderlich war.

In der Folge solcher Beobachtungen in Gärten, Hospitälern oder Laboratorien sowie genealogischer Untersuchungen entstanden im neunzehnten Jahrhundert Vererbungstheorien, die von der persönlichen Beziehung zwischen Eltern und ihren Nachkommen abstrahierten. Bedeutende Beispiele sind Charles Darwins Theorie der Pangenesis, die annahm, dass die Keimzellen die Sammelbehälter für kleine Teile aus dem ganzen Körper bilden, und die Vorstellungen seines Vetters Francis Galton von einer Vorfahren und Nachkommen verbindenden Erbsubstanz, der "stirps".

Träger der erblichen Eigenschaften waren nun nicht mehr die Eltern selbst, sondern submikroskopische Teilchen, die zwischen den Individuen einer Art zirkulieren. Erst das vorige Jahrhundert brachte eine abschließende Theorie der Vererbung hervor, die sich vor allem in Modellorganismen wie der Fruchtfliege verkörperte. Die Verdinglichung des Gens als abgegrenzter, materieller Lokus auf einem Chromosom geschah in diesem Forschungskontext. Auch gingen die Genetik und die Evolutionsbiologie eine Synthese ein, die eine schon in Darwins und Galtons Theorien sich andeutende Tendenz verstärkte: Diese Theorien betonen nicht die direkte vertikale Abstammung, sondern die Dimension eines gemeinsamen, von der Gesamtheit der Vorfahren weitergegebenen Reservoirs von Anlagen, die in jeder Generation unter den Individuen neu verteilt werden und um ihre Verwirklichung konkurrieren müssen.

Einzellige Modellorganismen und neue Technologien wie Ultrazentrifugation oder Elektrophorese läuteten das Zeitalter der Molekularbiologie ein. Die Bauteile von Zellen ließen sich bis auf die molekulare Ebene hinunter analysieren. Genetik konnte nun im Reagenzglas stattfinden und musste nicht mehr auf die zeitraubende Kreuzung von Organismen setzen. Am Ende des letzten Jahrhunderts veränderte sich die Genetik noch einmal grundlegend: Bio- und Gentechnologie und Genomik stehen gleichzeitig im Zentrum des globalen Kapitalismus und auch ethischer Debatten. Der Begriff Postgenomik deutet an, dass der Wandel noch lange nicht abgeschlossen ist.

Die Autoren schließen mit der nur auf den ersten Blick kühnen Mutmaßung, die Genetik als separate Disziplin befinde sich möglicherweise in Auflösung. Es werde immer deutlicher, dass eine genetische Analyse nur einen Bruchteil des biologischen Geschehens abbilde. Das epistemische Objekt "Gen" löse sich in einen neuen, von der Systembiologie abgesteckten epistemischen Raum auf.

Diese Diagnose ist vermutlich richtig. Auch in der Evolutionsbiologie verliert das Gen seinen privilegierten Status. Einige neue Schulen fassen den Begriff der Vererbung viel weiter als nur auf die Weitergabe von Genen bezogen und kehren damit zu einer Konzeption zurück, die an frühmoderne Ideen der Zeugung denken lässt: Lebewesen werden von verlässlich wiederkehrenden Faktoren - Genen, zellulären Strukturen, chemischen Gradienten, elterlicher Fürsorge und stabilen sozialen Einflüssen - in jeder Generation neu hervorgebracht. Das bedeutet auch, dass es wahrscheinlich nicht bei einer Systembiologie bleiben wird, die an den Grenzen des individuellen Organismus haltmacht.

Vorstellungen von der Natur der Vererbung werden in der Darstellung der beiden Autoren nicht auf soziale und politische Interessen reduziert, sondern als ein eigengesetzliches Kulturgebilde beschrieben, das sich dennoch beständig mit Technologie, Kunst oder Politik austauscht. Leider finden Vererbungskonzepte, wie sie gegenwärtig in den kontroversen, aber im kulturellen Diskurs so einflussreichen Disziplinen der Soziobiologie oder der Verhaltensgenetik auftreten, keine Erwähnung. Gleichwohl ist dieses Buch wegen seiner Lesbarkeit und seinem gleichzeitig hohen theoretischen Niveau sehr zu empfehlen.

THOMAS WEBER

Hans-Jörg Rheinberger, Staffan Müller-Wille: "Vererbung". Geschichte und Kultur eines biologischen Konzepts. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 348 S., Abb., br., 13,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als lesbar und zugleich von hohem theoretischem Niveau lobt Thomas Weber das Buch von Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille. Deren langjährige Beschäftigung mit der Vererbungslehre und ihrer Geschichte (am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte) scheint sich in diesem Band äußerst positiv niedergeschlagen zu haben. Fasziniert liest Weber von frühen Manifestationen von Vererbungsphänomenen in Medizin und Handel, von der Verdichtung zum epistemischen Objekt, dem Gen, und von postgenomischen Zukunftsaussichten, die ihm die Autoren durchaus plausibel machen können. Schade findet Weber nur, dass gegenwärtige Vererbungskonzepte aus Soziobiologie und Verhaltensgenetik im Band keine Erwähnung finden.

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