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Ein Jäger wird gejagt - an Flucht ist nicht zu denken! Lauf Jäger lauf - so schrecklich-schön wie das Kinderlied ist auch der Roman von Henning Ahrens. Oskar Zorrow, unterwegs im ICE, erblickt aus dem Zugfenster einen Fuchs. Einem plötzlichen Impuls folgend, zieht er die Notbremse, um dem Tier hinterherzulaufen. Doch er wird selbst zum Gejagten und gerät in die Fänge einer Schar von Menschen, die sich die »Widergänger« nennen und auf einem Gutshof in der Nähe eines geheimnisumwitterten Nebellandes leben. An Flucht ist nicht zu denken, denn nur John Schmutz, der Kopf der Widergänger, vermag den…mehr

Produktbeschreibung
Ein Jäger wird gejagt - an Flucht ist nicht zu denken!
Lauf Jäger lauf - so schrecklich-schön wie das Kinderlied ist auch der Roman von Henning Ahrens. Oskar Zorrow, unterwegs im ICE, erblickt aus dem Zugfenster einen Fuchs. Einem plötzlichen Impuls folgend, zieht er die Notbremse, um dem Tier hinterherzulaufen. Doch er wird selbst zum Gejagten und gerät in die Fänge einer Schar von Menschen, die sich die »Widergänger« nennen und auf einem Gutshof in der Nähe eines geheimnisumwitterten Nebellandes leben. An Flucht ist nicht zu denken, denn nur John Schmutz, der Kopf der Widergänger, vermag den Nebel, der alle Erinnerung auslöscht, zu durchqueren. Oskar Zorrow ist zum Ausharren gezwungen. Magie, Märchen, schauervolle Romantik? Henning Ahrens Roman besticht durch seine eigenwillige Sprache, seinen Reichtum an Bildern und durch seinen ernsthaften Witz. Ein literarisches Kammerspiel um Jäger und Gejagte, bei dem die wundersame Geschichte wie eine blankpolierte Kugel wirkt, die der Flinte des Autors entstammt.
Autorenporträt
Ahrens, HenningHenning Ahrens lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte diverse Lyrikbände sowie die Romane »Lauf Jäger lauf«, »Langsamer Walzer«, »Tiertage« und »Glantz und Gloria«. Für S. Fischer übersetzte er Romane von Richard Powers, Kevin Powers, Khaled Hosseini. Zuletzt erschien sein Roman »Mitgift«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Das Schimmern der Rose auf dem Kopfkissen des Erwachenden
Henning Ahrens zeigt in seinem kunstvoll verschlungenen Roman „Lauf Jäger lauf” dem Zeitgeist die Fersen
Oskar Zorrow jagt im ICE durch die Tiefebene der Wirklichkeit. Vom Bahndamm aus verhext ihn ein Fuchs mit bernsteingelben Augen. Zorrow ist gebannt und muss raus zum Märchenfuchs. Der archaische Jagdtrieb ist stärker als zweitausend DB-PS. Zorrow zieht die Notbremse und verlässt fluchtartig die High-Tech-Welt der Fließquarzanzeigen, Hydrauliktüren und Klimaanlagen. Je weiter er sich von Schienen und Fahrplänen entfernt, desto tiefer taucht er in eine sumpfige Traumwelt ein. Bewaffnete Männer fassen, fesseln und verschleppen ihn. Zorrow gerät in das undurchsichtige Wirken einer skurrilen Logenbruderschaft von zwei Männern und einer dichtenden Frau, die unter der Fuchtel des ungemütlichen Malers John Isegrim Reineke-Schmutz auf einem verfallenen Gutshof als „Wiedergänger” konspirieren. Ihre Verschwörung richtet sich vor allem gegen die Tiefebene der Wirklichkeit, denn sie phantasieren äußerst lebhaft in den spukenden Gemäuern des alten Bauernhofs.
Die Wiedergänger leben in ständiger Furcht vor dem Erz-Rohling Erk Brandstetter, der eine Achse des Bösen durch die schmatzende Moorlandschaft brandschatzt und eine Mischung aus Karlsson vom Dach und Ghost Buster zu sein scheint: „Er hing in der Luft, auf dem Rücken einen Apparat mit ratterndem Propeller und in den Händen ein glühendes Rohr.” Seine Koteletten sind spitz zulaufend wie Stoßzähne, sein Vernichtungspotential ist schauderhaft. In der morastigen Landschaft um das Wiedergänger-Gut gärt das Phantastische. Hinter einer dichten Nebelwand ruht das Land des glückseligen Vergessens, das niemand durchqueren kann, denn im Nebel fällt auch der Wunsch der Rückkehr dem Vergessen anheim. Einmal im Nebelparadies, hockt man sich unter eine Kiefer und verhungert. Einzig der Maler Schmutz kann hinter die Nebelwand reisen und kehrt mit Skizzen aus einem paradiesischen Traumland zurück. Im tiefsten Innern ist der Neo-Expressionist ein romantischer Künstler: in seinem Atelier sammeln sich unzählige solcher Orplid-Polaroide.
Apokalypse der Sumpfbrüder
Der Lyriker Henning Ahrens entwirft in seinem außerordentlich originellen Prosadebüt eine poetisch verdichtete Traumwelt, die sich aus den Traditionen der romantischen Phantastik und der Naturlyrik speist. Wie der Intercity schnurrt der Intertext. Mit viel Humor zitiert der Autor die klassischen Topoi der Schauerromantik. Ahrens zeigt sich spiel- und kombinierfreudig: Er hat seinen sehr lyrisch rhythmisierten Text einen „Roman in sechs Folgen” genannt und sich von den Motiven des populären Fortsetzungsromans inspirieren lassen. Schreiende Köpfe ragen aus dem Moor, unter einer Augenklappe schwitzt eine blinde Narbe, alte Recken zerlegen, ölen und polieren ihre Luger, und ein Kapitel heißt folgerichtig „Rauchende Colts”.
Auf dem Gutshof der Wiedergänger sind die Grenzen zwischen Kunst und Realität durchlässig: gegen Ende des Romans steigt eine apokalyptische Engelsschar von einem Deckengemälde und bereitet dem Spuk der Wiedergänger ein flammendes Ende. Auf dem Programm der Sumpfbrüder steht nicht nur ein Plädoyer für den Erhalt des Konjunktivs und Genitivs: Ihr Kampf gilt dem Zeitgeist. Im Moor scheinen sie ein Naturschutzgebiet für Unzeitgemäßes errichten zu wollen. Ahrens zeichnet sie als groteske, Rührei schlabbernde Kulturpessimisten und sexuell verwirrte Moor-Conspirateure, doch jenseits der ironischen Inszenierung ihrer nebulösen Sumpf-Intrigen gibt sich der Text kämpferisch.
Ahrens hat seinen Roman raffiniert gegen alle literarischen Moden konzipiert. Er spielt einen aggressiven Provinzialismus gegen die landläufige Metropolenliteratur aus. Listig wie der magische Fuchs läßt er seinen lethargischen, traumvernebelten Helden auf dem Weg in die lockende Großstadt jenseits aller ICE-Fahrpläne versumpfen und die irrwitzigsten Abenteuer erleben. In Jwd ist die Hölle los. Der spinnenverwebte Heuschober birgt mehr Geheimnisse als die Studenten-WG.
Anstelle von Metropolengeglitzer feiert Ahrens die Natur mit dem überbordenden, präzisen Vokabular eines wortgewandten Oberförsters. Gegen poppigen Szenejargon setzt er fachkundiges Jägerlatein. Plastisch beschreibt er die variablen Geometrien der Mückenwolke, die halluzinogenen Maserungen der Eichenrinde und den scharfschnabeligen Sturz-Vektor des Raubvogels.
Mörike trifft Schlingensief
Ahrens´ Phantastik bezieht ihre bannende Kraft aus einem poetischen Hyperrealismus. Das Nebelland ist ein federn- und blütengewordenes Bestimmungsbuch. Doch dieses Provinzmärchen gaukelt keine falsche Fuchs-und- Hasen-Idylle vor. Seine Modernität besteht nicht in der Thematik, sondern in der Erzähltechnik, die mit schnellen Schnitten heterogene Materialien und Atmosphären, Pulp-Romantik und getragene Retro-Töne zu einem erstaunlich stimmigen Ganzen arrangiert.
Ahrens verfremdet und verzerrt den Ton des Volkslieds, die Strukturen des Märchens und die Motive einer Wald-und-Wiesen-Romantik mit den Effektpedalen zeitgenössischer Kunst. Wie der Bösewicht Erk Brandstetter wird der Leser
Zeuge eines Amalgams aus populären Kulturen unterschiedlicher Epochen: „Als er in den Gang trat, vernahm er gedämpfte Klänge - eine der Jugendbands war es, welche hier im Bunker übten, und Schlagzeug, Bass und E-Gitarre verhöhnten, Brandstetter erkannte sie sofort, eine eigentlich von Cello und Flöte zu begleitende Volksweise. Es ist, als träfe Mörike auf Schlingensief, ohne dass dabei schrille Albernheit entstünde. Statt Zeugnis von der götzengleichen Wirklichkeit abzulegen, erschafft der Autor ein kunstvolles, poetisches Universum, das wie eine farbig schillernde Märchenblase in die Realität eingeschlossen ist.
Scheint im Text anfangs noch die willkürlich Logik aller in sich gekrümmten Traumwelten zu herrschen, verdichtet er sich nach und nach zu einem fast mathematisch strukturierten Prosagewebe, in dem jeder verlorene Gegenstand nach einigen Kapiteln wieder auftaucht und jedes angeschlagene Motiv sein Echo findet. Alle Objekte schimmern hier mit der surrealen Präzision jener Rose aus dem Coleridge-Gedicht, die ein Erwachender auf seinem Kopfkissen findet als Beweisstück für den geträumten Garten Eden. Und legt man den Roman aus der Hand, leuchtet der Text mit eben diesem Schimmern nach. STEPHAN MAUS
HENNING AHRENS: Lauf Jäger lauf. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 256 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2002

Das ist Zorrows wilde, verwegene Jagd
Weichenstellung ins Nebelland: Henning Ahrens zieht in seinem famosen Erzähldebüt die Notbremse im Zug der Zeit

Man würde kaum vermuten, daß zwischen einer ICE-Toilette und einem Gegenwartsroman viele Gemeinsamkeiten bestehen. "Bitte verlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn vorfinden möchten." - Oskar Zorrow, unterwegs im ICE zwischen Erldorp und Nillberg, um in der Großstadt ein neues Leben als Tierkadaverbeseitiger anzufangen, gerät in der kleinen Kabine über diesen rätselhaften Satz ins Grübeln und kommt zu dem idealistischen Schluß, daß dem Wortlaut der Aufforderung zufolge sich wie in einem Roman alle Dinge jenseits der Türschwelle seinen Wünschen fügen müßten. So wird im Romandebüt des 1964 geborenen Henning Ahrens noch das stille Örtchen zum Raum der Poesie.

Als Zorrow vor dem Zugfenster einen Fuchs vorbeihuschen sieht, zieht er die Notbremse, steigt aus dem Zug und stellt dem Tier nach. "Lauf Jäger lauf" setzt mit diesem Tagtraum ein, den jeder Zugreisende kennen dürfte. Der Halt auf offener Strecke wird zum Ausgangspunkt einer Erzählung, die fortan dem wilden, rasanten Zickzacklauf eines gejagten Tiers gleicht. Zorrow gerät erst in die Fänge und dann in den Bann der "Widergänger", einer rüden, etwas trottelhaften Bande, die mit vorsintflutlichen Schußwaffen herumfuchtelt, sich fast ausschließlich in Volkslied- und Märchenzitaten verständigt und auf dem verfallenen Gutshof Morrzow ohne elektrisches Licht, dafür aber mit Kaffeemaschine und Zigarettenautomat haust. Gelegentlich schießt ein Düsenjäger über die Einöde, doch ist Morrzow, wie der Reisende bald merken wird, ein Ort außerhalb der Zeit, im "Hinterland der Wirklichkeit", wie es Ahrens im kurzen Nachwort formuliert. Mit der geradlinigen Fortbewegung hat Zorrow auch das Realitätsprinzip hinter sich gelassen. Statt der Naturgesetze gelten nun alle Regeln der Kunst. Morrzow unmittelbar benachbart ist ein geheimnisvolles Nebelland, dessen Betreten zugleich künstlerische Inspiration und Gedächtnisverlust verheißt.

Zorrows drei Entführer, Kurt Ohneland, Karl Bustermann und Vera Ribbek, halten Zorrow zunächst für einen Schergen ihres Todfeindes Erk Brandstetter, vor dem sie aus Nillberg geflohen sind. Der Anführer der Bande, der Landschafts- und Porträtmaler John Schmutz, erkennt jedoch rasch die Harmlosigkeit des Tierfreundes und läßt ihn fortan in Damenkleidern für seine Werke Modell stehen. Überhaupt entpuppt sich die Gang bald eher als eine Künstlerboheme, eine Mischung aus Georgekreis, Hausbesetzerkommune und Literaturstipendiatenrunde, die sich unterhalten, als hätte die Berliner Russenmafia sich mit Grimms Märchen und des Knaben Wunderhorn auf ihren Auslandseinsatz vorbereitet.

Gleich zu Beginn wird das mythische Grundmuster der Handlung genannt, die sagenhafte "Wilde Jagd", eine Horde Untoter, die durch die Wälder zieht und Fremde in ihr Gefolge zwingt. Wer hier jagt und wer gejagt wird, ist freilich nicht leicht zu entscheiden. Vorangetrieben wird der Roman durch den Konflikt zwischen den Widergängern und dem mit Wunderkräften und moderner Waffentechnik ausgestatteten Erk, der als apokalyptischer Showdown zwischen Tradition und Fortschritt inszeniert wird. Zugleich jedoch entspinnt sich zwischen den Figuren ein handfestes Beziehungsnetz aus Eifersucht und Rivalität, in deren Mittelpunkt die schöne Luise steht, eine Lulu und femme fatale, die, auf der Suche nach ihrem Exfreund Schmutz, ebenfalls per Zug "in die Pampa" reist und nicht mehr zurückfindet.

Im neunzehnten Jahrhundert galt die Eisenbahn den Technikkritikern als Inbegriff der zerstörerischen Züge der Moderne. Es ist nicht Ahrens' Absicht, die naturselige Zivilisationskritik der (Neo-)Romantiker zu reaktivieren. Das Programm der Widergänger - eine krude Mischung aus "Steppenwolf", New-Age-Philosophie und Sprachpflegertum -, das Zorrow in Form eines Manifests in die Hände gerät, ist selbst nur Zitat. Ahrens zwingt den Leser dazu, dunklen Echos und Déjà-vus nachzugehen. Ahnung und Gegenwart - alles in Morrzow macht einen vertrauten und doch nicht genau bestimmbaren Eindruck. Zwischen uns und der Überlieferung liegt die Nebelwelt, in der alle Erinnerung gelöscht ist.

Historisch wäre Morrzow irgendwo im Osten Deutschlands nach der Wende verankert - die Bewohner des Guts mußten einst vor den Russen fliehen. Der Zweite Weltkrieg ist der Graben, der die Gegenwart von der altdeutschen Fabel-, Sagen- und Mythenwelt trennt. Die Widergänger sind Kriegsveteranen, die nicht in der Gegenwart ankommen können; auch Erk hat eine dunkel bleibende Vorgeschichte aus Kriegszeiten. An einem Teich nahe des Guts lebt Hans von Lange, ein Alkoholiker und unerlöster Fischerkönig, der nur noch Erinnerungsfetzen stammelt: "Überlebender der Bismarck, was? Verbogenes Ruder, ewiger Kreislauf. Jetzt Fischer, wie?" Er rät Zorrow zur Flucht durch den Nebel.

Ahrens ist zuerst mit Gedichten hervorgetreten, in denen in ganz ähnlicher Weise wie im Roman Slang und auf den Grund des Bewußtseins abgesunkene Sprachreste aufeinanderprallen. Durchgängig streut Ahrens altertümliche Worte und Wendungen ein. Man schaut nicht um die Ecke, sondern "lugt", ein Fuchs, oder vielmehr ein "Rotvoß", "wischt vorbei" oder "schnürt" durchs Gras. Durch seine hochartifizielle Sprache wird der Text zu einer durchlässigen Membran für die Vergangenheit: "Echsenzungengleich beleckten Flämmchen die Scheite, und das Dunkel im Raum wurde immer tiefer, als stiege es auf aus den Ritzen im Parkett, welches offenbar noch aus jener Zeit stammte, als die Könige Querflöte gespielt hatten." Daß Ahrens eine Dissertation über John Cowper Powys geschrieben hat, erklärt manches. Dessen "A Glastonbury Romance", in der die jenseitige Artuswelt immer wieder in die prosaische Gegenwart hineinragt, stand hier Pate.

Es tauchen nun nicht nur Grimms Märchen, die nordische Mythologie oder Volkslieder auf, auch Paul Gerhart oder der "Räuber Hotzenplotz" gehören zu den Quellen dieses virtuos vernähten Flickenteppichs. "Eintritt streng verboten!", "Eintritt strengstens verboten!", "Eintritt allerstrengstens verboten!" - die Warnschilder im Keller des bösen Zauberers Petrosilius Zwackelmann finden sich auch im labyrinthischen Weinkeller des Schlosses, in dem Erk heimlich ein ganzes Heer von Engeln auf die letzte Schlacht vorbereitet. Man mag einwenden, das alles sei doch nur ein literarisches Bildungsquiz, ein "Erkennen Sie die Parodie" für die letzten noch gebildeten Stände. Verbraucht sich der Reiz des Verfahrens nicht ebenso schnell wie die Munition der ballernden Jägerschar gegen die gewaltige Übermacht der Kellergeister? Eben nicht, denn Ahrens bietet kein beliebiges Zitatenspiel, sondern verfolgt das ernstgemeinte Anliegen, literarische Konventionen zwischen Gangsterfilm und Gothic Novel zur Aufdeckung eines grassierenden Verlusts von Sprachbewußtsein und kultureller Tiefendimension einzusetzen - ein Weg, den Christoph Ransmayr oder Georg Klein schon vorangegangen sind.

Daß die Widergänger am Ende auf verlorenem Posten kämpfen, ist kein Zeichen von Resignation, denn auch Erk, der personifizierte "Zeitgeist", unterliegt im effektvoll orchestrierten Finale, das jeden Action-Thriller in den Schatten stellt: Fette Beute macht ein Dritter. Als Zorrow dann auf einer alten Draisine Richtung Nillberg aufbricht, bemerkt er den heranrasenden ICE nicht. "Jeder hat in seinem Gleise etwas, das ihm Kummer macht", wird einmal das "Beresinalied" zitiert. Ein jeder Leser hält die rettende Notbremse in der Hand.

Henning Ahrens: "Lauf Jäger lauf". Roman. Collection S. Fischer, Frankfurt am Main 2002. 256 S., br., 12,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Eine Reise ins "Hinterland der Wirklichkeit" hat ein atemloser Richard Kämmerlings hier lesend verfolgen können. In diesem "famosen Erzähldebüt" nämlich sieht der Rezensent Protagonist Zorrow einen ICE-Zug auf offener Strecke verlassen, und an einen Ort "außerhalb der Zeit" entführt werden. Die Entführer-Gang entpuppt sich für Kämmerlings bald als eine Art "Künstlerboheme, eine Mischung aus Georgekreis, Hausbesetzerkommune und Literaturstipendiatenrunde". Ihren Sprachstil beschreibt der Rezensent, als "hätte die Berliner Russenmafia sich mit Grimms Märchen und des Knaben Wunderhorn" auf diesen Einsatz vorbereitet. Pate bei diesem Roman stand laut Kämmerlings "A Glastonbury Romance" von John Cowper Powy, über den Ahrens eine Dissertation geschrieben habe. Ahrens verfolge das Anliegen, lesen wir, "literarischen Konventionen zwischen Gangsterfilm und Gothic Novel zur Aufdeckung eines grassierenden Verlusts von Sprachbewusstsein und kultureller Tiefendimension" einzusetzen. Gelungenermaßen, wie man am Ton des begeisterten Rezensenten unschwer erkennen kann. Der sieht bei Ahrens selbst noch das "stille Örtchen" im ICE zum "Raum der Poesie" werden.

© Perlentaucher Medien GmbH"