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Die intellektuellen Biographien bedeutender, in den 30er Jahren von Deutschland in die USA emigrierten Gelehrter bilden den Ausgangspunkt, um die Wechselwirkung von politischen Erfahrungen und Forschungsinteressen zu erhellen. Zentral ist dabei die Bedeutung, welche dem Studium der Renaissance zukam: nicht nur als Prototyp der Moderne, sondern auch als Remedium gegen die Gefährdungen und Katastrophen dieses Jahrhunderts.

Produktbeschreibung
Die intellektuellen Biographien bedeutender, in den 30er Jahren von Deutschland in die USA emigrierten Gelehrter bilden den Ausgangspunkt, um die Wechselwirkung von politischen Erfahrungen und Forschungsinteressen zu erhellen. Zentral ist dabei die Bedeutung, welche dem Studium der Renaissance zukam: nicht nur als Prototyp der Moderne, sondern auch als Remedium gegen die Gefährdungen und Katastrophen dieses Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2000

Ich ist eine andere Geschichte
Kay Schiller sucht verdeckte Autobiografien

So wie die Maler seit der Renaissance es liebten, sich unters allegorische oder realistische Fußvolk ihrer Bilder zu mischen und dem Betrachter zuzuzwinkern - eine Tradition, die Alfred Hitchcock mit seinen Mitteln fortgesetzt und zu neuen Höhen geführt hat -, so pflegen auch viele Verfasser literarischer oder essayistischer Werke die Kunst des verdeckten Selbstporträts zwischen den Zeilen ihrer Texte. Aber auch die viri eruditissimi des ersten bis vierten Humanismus, von Erasmus über Ernst Robert Curtius bis Christian Meier, zeichneten gelegentlich mit feinem Stift ihren Werken die eigene geistige Signatur, das eigene intellektuelle Porträt ein: wie ein Vexierbild des sich hinter bibliografischen Vorhängen oder im Fußnotenkeller versteckenden Autors. Gelegentlich bemerkt der Leser, meist amüsiert, das bewusste oder unbewusste Spiel des Autors und goutiert die Bilder, die wie alles Subjektive, alles Idiosynkratische, auch den Texten der Gelehrsamkeit erst Farbe und Geschmack verleihen.

Hellhörig wird er erst, wenn jemand mit dem Anspruch auftritt, aus solchen zarten Blumen die Botanik zu erklären und das periphere, farbengebende Element zum Hauptschlüssel der intellektuellen Biografie zu machen. Aber nach hundert Jahren Andacht zum Unbedeutenden hat man sich daran gewöhnt, dass aus dem Sandkorn das Reich Gottes und aus dem alltäglichen Versprecher das nächtliche Reich der Seele hervorgezaubert wird. Warum also nicht aus autobiografischen Einschlüssen sich den Sinn großer gelehrter Werke erhellen lassen?

Dass dies möglich sei, behauptet Kay Schiller, der am University College London deutsche Geschichte lehrt. Seine These ist griffig: "Alle Geschichtsschreibung ist immer zugleich auch Autobiografie." Dies gelte zumal, wenn der Historiker in seinem Leben einschneidende Brüche wie Verfolgung und Vertreibung erlitten habe. Deshalb habe zumal die aus Deutschland vertriebene jüdische Intelligenz eine Reihe von Werken hervorgebracht, in denen das eigene Schicksal in die Geschichte hineinprojiziert worden sei - um dort zu einer besseren Lösung, einer schöneren Form, der Idee einer Versöhnung zu finden.

So seien "gelehrte Gegenwelten" entworfen worden, Bilder des Mittelalters und der Renaissance, welche beides waren, tröstliche Zuflucht des Verfolgten und ideales Gegenbild der schlechten Gegenwart. Den Beweis für diese These hat Schiller in einer von Michael Geyer betreuten Dissertation an der Universität Chicago angetreten, die jetzt, vier Jahre später, auch auf Deutsch erschienen ist. Sie lässt zwei Kronzeugen auftreten, den Mediävisten Ernst Kantorowicz und den Renaissanceforscher Hans Baron.

Um es gleich vorab zu sagen: Mit beiden Autoren fällt man von dem Pferd, das man reiten möchte - nur fällt man das eine Mal zur Rechten und das andere Mal zur Linken herab. Der eine der beiden macht es einem zu leicht mit dem Autobiografischen und der andere zu schwer, der eine gibt einem zu viel davon und der andere zu wenig. So fällt man mit Kantorowicz auf den Bauch der Psychologie und landet mit Baron auf dem Rücken der Ideengeschichte, dieweil der Gaul der intellectual biography gemächlich davontrabt. Das ist kein Einwand gegen Schillers Untersuchung, die originell, reich an Einsichten und Verknüpfungen und relativ arm an kleinen Fehlern (etwa der Datierung) ist, es ist eher ein Einwand gegen seinen Grundgedanken, es lasse sich eine petite perception aufspreizen zur geistesgeschichtlichen Panoramavision - und gegen seine implizite Behauptung, Kantorowicz und Baron seien geeignete Objekte zu deren Demonstration.

Baron jedenfalls ist es ganz und gar nicht. Deshalb gerät Schillers Studie in ihrem zweiten Teil zu einer reinen, knappen Gelehrtenbiografie und zur - allerdings ausgezeichneten - Darstellung der Widerstände, die Baron zu überwinden hatte, um seine These vom florentinischen Bürgerhumanismus der Frührenaissance durchzusetzen: gegen die ehrwürdige machtdämonische Darstellung Jacob Burckhardts einerseits, gegen die amerikanischen Schulen der Entpolitisierung (Kristeller) und der Verkleinerung (Thorndike, Haskins) der Renaissance andererseits. Ideengeschichtlich und ideenpolitisch gibt es hier viel zu lernen - nur den versprochenen Autobiografen Baron sucht man vergebens. Denn sosehr die Entdeckung der Polis-Tradition republikanischen Bürgergeistes in der europäischen Neuzeit gespeist sein mochte von der widrigen, bestürzenden Erfahrung der Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts - autobiografische Züge im strengen Sinn findet man darin nicht. Dafür war der eher trockene Hans Baron nicht der Mann.

Ganz anders liegt der Fall bei Kantorowicz, dessen facettenreiches Wesen (schillernde Persönlichkeit möchte man sagen, käme man damit nicht dem Namenswitz bedenklich nahe) nicht der geringste Grund ist für das seit zwei Jahrzehnten beständig wachsende Interesse an diesem Mann und seinem Werk. Auch hier bietet Schiller wieder schöne Bilder aus der Gelehrtenvita, die teilweise wenig bekannt waren, wie das jener "Heidelberger Schule" von Berkeley, die einen Kreis von Gelehrten zum west-östlichen Disput in einem Colloquium Orientologicum versammelte, in dem es tatsächlich ein wenig nach Stefan Georges Orientzigaretten duftete.

Schiller ordnet den jungen Kantorowicz zwischen die geistigen Pole Stefan George und Max Weber ein - und kann, weil sie nie existiert hat, für die angebliche Weber-Nähe nur Heidelberg-atmosphärische Belege bringen. Umgekehrt findet er für die George-Nähe eine reiche Fülle biografischer Belege und Konfessionen aller Art, weit über den Tod Georges hinaus - denn Schiller vertritt, völlig zu Recht, die Auffassung von einer George-Treue (und Kontinuität in dieser Treue) bei Kantorowicz, weit über die Emigration hinaus.

Aber alle diese Belege und Äußerungen liegen neben dem Spätwerk des Historikers, nicht darin. Und weil es hier, anders als bei Baron, so viel Persönlichkeit und üppig sprießende Subjektivität gibt, kann Schiller es sich sparen, die Linien, die er meint, in tiefere Werkschichten hinein zu verfolgen. So wird im Fall Kantorowicz der embarras de richesse dem Intellektualbiografen zum Verhängnis.

Vielleicht muss man für dieses Scheitern einer großen Absicht dankbar sein. Denn ein wenig einschüchternd klangen die kernigen Sätze schon, in denen Schiller eingangs behauptete, für Kantorowicz habe die Geschichte "zur intellektuellen und emotionalen Verarbeitung des Nationalsozialismus sowie seiner Folgen für ihn persönlich" gedient; sie sei ihm ein "Instrument zur Bewältigung" des Verlusts seiner Heimat und seines geistigen Umfeldes gewesen; der Historiker habe der "Anverleibung von historischen Persönlichkeiten" gefrönt, und darum gelte es nun, die "Spuren dieser eklektischen Identifikationsprozesse" zu notieren und "Kantorowicz' Bewältigungsstrategien" nachzuzeichnen. Bei diesen starken Worten hatten wir uns schon ein wenig gesorgt. Freilich weniger um Kantorowicz als um seinen vom süßen Wein der Hermeneutenmacht beduselten Deuter.

ULRICH RAULFF

Kay Schiller: "Gelehrte Gegenwelten". Über humanistische Leitbilder im 20. Jahrhundert. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, 192 S., br., DM 24,90.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ulrich Raulff kritisiert die These von Schillers Buch, hält es aber dennoch für gelungen. Grundsätzlich findet er es fragwürdig, aus Gelehrtenbiografien - in dem Buch geht es um die zwei Historiker Hans Baron und Ernst Kantorowicz - auf die Herleitung ihrer historischen Arbeiten zu schließen, das hieße "aus solchen zarten Blumen die Botanik zu erklären", doch lobt er Schillers Untersuchung als "originell, reich an Einsichten und Verknüpfungen und relativ arm an kleinen Fehlern". Raulff merkt an, daß der eine der vom Autor vorgestellten Historiker zu wenig, der andere zu viel an Autobiografischem aufweist, um sie zu geeigneten Objekten der Untersuchung zu machen. Während das Werk Barons ideenpolitisch und -geschichtlich viel zu bieten habe, liefere es kaum autobiografische Einsichten. Kantorowicz dagegen hätte sich so reichlich zu seinem Leben geäußert, daß es müßig sei, es aus seinem Spätwerk mühsam herauszudestillieren. Trotz dem Scheitern einer "großen Absicht" lobt Raulff das Buch als kenntnisreich und schön geschrieben.

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