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Immer wieder gibt es Skandale um Kunst, wenn sie ästhetische und moralische Grenzen überschreitet. Schnell stellen sich dann die Fragen: Wozu Kunst? Was darf Kunst? Eine Ethik der Kunst als Teilbereich der Philosophie oder der Angewandten Ethik gibt es bislang jedoch noch nicht. Dagmar Fenner fragt nach der ethischen Dimension von Kunstproduktion und -rezeption: Welche Rolle spielt Kunst in unserer Gesellschaft und welchen Beitrag kann sie zu einem guten Leben und gerechten Zusammenleben leisten? Müssen der Freiheit der Kunst in manchen Fällen Grenzen gesetzt werden? Dagmar Fenner diskutiert…mehr

Produktbeschreibung
Immer wieder gibt es Skandale um Kunst, wenn sie ästhetische und moralische Grenzen überschreitet. Schnell stellen sich dann die Fragen: Wozu Kunst? Was darf Kunst? Eine Ethik der Kunst als Teilbereich der Philosophie oder der Angewandten Ethik gibt es bislang jedoch noch nicht. Dagmar Fenner fragt nach der ethischen Dimension von Kunstproduktion und -rezeption: Welche Rolle spielt Kunst in unserer Gesellschaft und welchen Beitrag kann sie zu einem guten Leben und gerechten Zusammenleben leisten? Müssen der Freiheit der Kunst in manchen Fällen Grenzen gesetzt werden?
Dagmar Fenner diskutiert anhand von Themen wie der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, dem Einsatz von Tieren, der Darstellung von Gewalt und Sexualität oder Blasphemie, wie weit die Verantwortung des Künstlers für die Wirkung seiner Werke reicht. Der systematische Grundriss richtet sich an Künstler, Kunstvermittler, Dozenten und Studierende im Kunstbereich an Hochschulen und Gymnasien sowie an alle Kunstinteressierten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2013

Durch diese hohle Gasse ist vielleicht gar keiner gekommen!
Kunst ist Kommunikation? Dagmar Fenner versucht sich an einem fragwürdigen, ethischen Grundriss für die Kunst - und scheitert schon im Ansatz

Als der spanische Künstler Santiago Sierra 2006 aus sechs Auspuffrohren Gas in das Innere einer ehemaligen Synagoge leiten ließ und diesen Vorgang "allen Opfern von Staat und Kapital" widmete, erhob der Zentralrat der Juden zu Recht Einspruch gegen diese Aktion. Auch schon zuvor hatte Sierra durch spektakuläre Veranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht, etwa als er kubanischen Arbeitslosen und heroinsüchtigen Prostituierten gegen Bezahlung eine Linie auf den Rücken tätowieren ließ.

Mit seinen Grenzgängen ist Sierra freilich kein Einzelfall. Im Zuge des erweiterten Kunstbegriffs sind in den vergangenen Jahrzehnten auch das Schlachten von Ochsen, der Hungertod eines Straßenhundes oder die Ausstellung von Obdachlosen im Kunsthaus Zürich Gegenstand künstlerischer Aktivitäten geworden. Angesichts solcher Aktionen, die tief in das dramaturgische Reservoir des Realen greifen, erscheint es fragwürdig, unbeirrt das Mantra der autonomen Kunst zu beschwören. Vielmehr wäre nach der historischen Herkunft und der Aktualität dieser Vorstellung von Autonomie zu fragen. Insofern hätte das Buch "Was kann und darf Kunst?" der Schweizer Philosophin Dagmar Fenner ein grundlegender Beitrag zur Gegenwartskunst sein können. Dass die Lektüre am Ende dennoch enttäuscht, liegt an dem problematischen Versuch, der zeitgenössischen Kunstproduktion mit den Handreichungen einer normativen Ethik begegnen zu wollen.

Neben Medizin- und Wirtschaftsethik möchte die Autorin eine eigenständige Ethik der Kunst etablieren, und ihr Buch soll ein erster Grundriss dieser neuen Disziplin sein. Die behandelten Beispiele reichen von der bildenden Kunst und Performance über Theater und Literatur bis zur zeitgenössischen Musik. Im ersten Teil des Buchs wird der positive Beitrag der Kunst zur Begründung eines guten und gerechten Lebens gewürdigt. Als Motive nennt die Autorin hier unter anderem: Entlastung, Entspannung, Förderung der Phantasie, politisches Engagement, Symbolisieren von Transzendenz und Identitätsbildung.

Interessant wird die Lektüre, wenn im folgenden Teil die bedenklichen Fälle der Kunstproduktion zur Darstellung kommen. Die Beispiele reichen von den extremen Produktionsbedingungen für Werner Herzogs "Fitzcarraldo" über die Verwendung von Tierkadavern in den Arbeiten Damien Hirsts bis zur potentiellen Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers". Nach Ansicht der Autorin sollte die Beurteilung solcher Fälle die Aufgabe von Ethikkommissionen und Selbstkontrollgremien des Kunstbetriebs sein.

Problematisch ist bereits der dem Buch zugrundeliegende Kunstbegriff. "Dürfte ich das Unwort des Zeitalters bestimmen", notiert Botho Strauß einmal, "so käme nur eines infrage: kommunizieren." Genau diese Vorstellung von Kunst liegt dem vorliegenden Buch zugrunde: "Kunst ist aufgrund ihres Zeichencharakters wesentlich Kommunikation, also Verständigung mittels Zeichen." Damit werden Gemälde, Installationen, Romane, Filme oder Musik darauf festgelegt, Botschaften zu formulieren. Wo diese Verständigung nicht funktioniert, beobachtet die Autorin eine "Kommunikationsstörung zwischen Kunstpublikum und zeitgenössischen Werken".

Die Kunstferne dieser Argumentation zeigt sich am deutlichsten dort, wo es um die Eigenart künstlerischer Fiktion geht. Zwar räumt auch die Autorin ein, dass man Dichtern "nicht pauschal einen Verstoß gegen das Lügenverbot unterstellen sollte". Die Grenzen des ethisch Zulässigen sind aber überschritten, wenn etwa Wolfgang Hildesheimer in seiner fiktiven Biographie "Marbot" seinen Titelhelden als Gesprächspartner des real existierenden Goethe auftreten lässt. Aus kunstethischer Sicht ist hier ein Fall von "verwerflicher strategischer Irreführung des Rezipienten" zu beklagen. Auch Friedrich Schiller entgeht dem strengen Urteil der Kunstethik nicht, da sein Schauspiel "Wilhelm Tell" dazu beigetragen habe, in der Schweiz die Verehrung eines Nationalhelden zu etablieren, dessen historische Existenz keineswegs bewiesen sei.

Die Autorin wünscht sich für solche Fälle zweifelhafter Wirklichkeitsgrade "ein Vor- oder Nachwort oder Anmerkungen, die über den Anteil an historischen Fakten, Mythen und Erfindungen Auskunft erteilen". Welcher konkrete Schaden damit abgewendet werden soll, ist nicht recht einzusehen, in jedem Fall aber wären solche Regularien ein Eingriff in die Freiheit künstlerischer Gestaltung. Der gute Wille zur "rationalen Konsensfindung" schützt offenbar nicht vor autoritären Gesten.

Wo aber läge nun der Bedarf und die Kompetenz einer Ethik der Kunst? Kunst, so die Autorin, sei "immer dann ethisch problematisch, wenn dadurch das Wohlergehen von anderen Menschen oder auch Tieren beeinträchtigt wird". Dem kann man nur mit Mühe widersprechen. Dass Künstler in der Ausübung ihrer Kunst nach Möglichkeit niemanden umbringen oder misshandeln sollten, kann wohl auf allgemeinen Konsens rechnen. Auf der Grundlage derart allgemeiner Feststellungen lässt sich aber schwerlich ein differenziertes Nachdenken über die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst begründen.

So bleibt nach der Lektüre unklar, worin der spezifische Beitrag einer Ethik liegen könnte. Zahlreiche von der Autorin angeführte Fälle - Plagiate, Fälschungen, die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die Gefährdung von Gesundheit und Leben - fallen nicht erst in den Bereich einer noch zu gründenden Ethik der Kunst, sondern unterliegen längst den Regeln der Rechtsprechung. Welchen Sinn hat es aber, diese Regeln unter ethischem Vorzeichen nun noch einmal zu reformulieren? Was wäre etwa gewonnen, wenn Jonathan Meese sich im Anschluss an den Prozess vor dem Amtsgericht Kassel (F.A.Z. vom 14. August) zusätzlich auch vor einer Ethikkommission für seinen Hitlergruß hätte verantworten müssen?

Der programmatischen Titelfrage "Was kann und darf Kunst?" möchte man am Ende der Lektüre deshalb entgegenhalten: "Wozu Ethik?" Ästhetische Urteile sind seit langem Gegenstand von Kunstkritik und Kunstgeschichte, Verstöße gegen geltendes Recht verhandeln die Gerichte. Wo darüber hinaus der Bedarf und die Kompetenz einer Ethik der Kunst liegen sollen, wird aus der Lektüre des Buches nicht deutlich. Über die Aktion von Santiago Sierra in der ehemaligen Synagoge wurde lange und kontrovers gestritten. Es gab Diskussionen, Leserbriefe, eine Debatte im Feuilleton. Am Ende wurde die Aktion frühzeitig abgebrochen - ohne Einsatz von noch mehr Gremien, Ausschüssen und Kommissionen.

PETER GEIMER

Dagmar Fenner: "Was kann und darf Kunst?" Ein ethischer Grundriss.

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2013. 286 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wozu eigentlich eine Ethik der Kunst?, fragt Peter Geimer nach dieser Lektüre. Nicht dass ihm keine Grenzfälle der Kunst bekannt wären, die eine kontrovers-kritische beziehungsweise gerichtliche Beschäftigung nötig hätten. Die dafür nötigen Gremien allerdings sieht Geimer schon in Aktion, etwa beim hitlergrüßenden Meese. Eine Ethikkommission im Bereich der Kunst, wie sie Dagmar Fenner in ihrem Buch fordert, findet Geimer überflüssig. Und mehr noch: Die normative Regulierung der Kunst, wie sie der Autorin vorschwebt, zeugt für den Rezensenten von einem problematischen Kunstbegriff (Kunst als Medium für Botschaften) und bedroht die Freiheit künstlerischer Gestaltung.

© Perlentaucher Medien GmbH