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Theodor Fontanes privates Christentum Säkularisierung - Emanzipation des (post-)modernen Menschen von ungeliebter Tradition oder Chance für ein neues Verständnis von Christentum? Die gegenwärtige Praktische Theologie richtet ihr Augenmerk neu auf den Prozess der selbstständigen Aneignung von Religiosität jenseits der Bindung an die Kirche. Dass dieses Phänomen der Individualisierung kein Novum ist, zeigt Eckart Beutel im vorliegenden Band am Beispiel Theodor Fontanes. In seinem Werk zeichnet er die Ausformung eines privaten Christentums bereits im 19. Jahrhundert vor.

Produktbeschreibung
Theodor Fontanes privates Christentum Säkularisierung - Emanzipation des (post-)modernen Menschen von ungeliebter Tradition oder Chance für ein neues Verständnis von Christentum? Die gegenwärtige Praktische Theologie richtet ihr Augenmerk neu auf den Prozess der selbstständigen Aneignung von Religiosität jenseits der Bindung an die Kirche. Dass dieses Phänomen der Individualisierung kein Novum ist, zeigt Eckart Beutel im vorliegenden Band am Beispiel Theodor Fontanes. In seinem Werk zeichnet er die Ausformung eines privaten Christentums bereits im 19. Jahrhundert vor.
Autorenporträt
Eckart Beutel, geboren 1968, Dr. theol., ist Pfarrer z.A. im Dienst der Evangelischen Landeskirche Württemberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2004

Fontane fragen!
Eckart Beutel setzt die Theologen auf den richtigen Dampfer

Wer irgendwo in Deutschland einen evangelischen Sonntagsgottesdienst besucht, hat gute Chancen, in der Verkündigung von einer Form der Trinität zu hören, die so etwas wie ein neues Standardbekenntnis geworden ist: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Beliebt sind infolge dieser Themen außen- oder innenpolitische oder ökonomische Ausführungen über Länder wie den Vereinigten Staaten, Israel und Palästina und seit ein, zwei Jahren auch über den Irak. Wie jene sozialethische Trias und ihre Anhängsel mit den klassischen Themen der abendländischen Theologie zusammenhängen, bleibt dabei regelmäßig offen. Mit ihrer stereotypen Thematisierung wird jedoch prinzipiell beansprucht, daß die Kirche für die Welt da ist, für die Menschen außerhalb der Kirche, die es zu erreichen und zu vertreten gilt.

Das aber könnte auch eine Illusion sein. Denn es ist denkbar, daß sehr viele Menschen in der Kirche und außerhalb der Kirche etwas ganz anderes von ihr erwarten. In der Geschichte des Protestantismus jedenfalls gibt es für das Mißverhältnis zwischen der vermeintlich auf die Gesellschaft bezogenen Verkündigung in der Kirche und der Erwartung einzelner prominente Beispiele. Theodor Fontane etwa, der sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche zu Hause war und sie bestens aus eigener Anschauung kannte, hat unmißverständlich klargestellt: "Der Heiland brachte eben das Heil. C'est tout! Das Heil aber ist eine Jenseits-, nicht eine Diesseitsfrage." Und daß das in der Kirche, mit seinen Voraussetzungen, Schwierigkeiten und Folgen verkündigt wird, das hat Fontane auch erwartet - obwohl er selbst persönlich zum christlichen Glauben ein Verhältnis hatte, das von Distanz zur Tradition gekennzeichnet war.

Diese zwiespältige Haltung Fontanes zur christlichen Religion, sowohl im Hinblick auf seine Person wie auch auf sein Werk, hat jetzt Eckart Beutel in einer luziden, sehr lesenswerten Studie dargestellt, die die bisherige Forschung elegant aufnimmt. Beutels Schlüsselbegriff für seine Interpretation ist der der Säkularisierung. Sie wird nicht einfach als Entwicklung verstanden, in deren Verlauf die soziale Relevanz von Kirche und Religion in dem Maße abnimmt, wie die moderne Gesellschaft sich entwickelt. Beutel schließt sich vielmehr jener neueren Deutung der Säkularisierung an, welche die Ausdifferenzungen und Leistungen der modernen Gesellschaft wie Industrialisierung, Rationalisierung und Individualisierung als Ursachen für eine Umformung des Christentums versteht. Es sei für die Moderne typisch, so folgt Beutel dem Altmeister der Praktischen Theologie Dietrich Rössler, daß sich neben dem institutionellen kirchlichen Christentum ein privates und ein öffentliches Christentum herausbilde. Diese Unterscheidung wendet Beutel nun auf den "nichtfiktionalen" Fontane und auf das "fiktionale" Werk des Schriftstellers an. In einem ersten Hauptteil skizziert Beutel die Gehalte von Fontanes eigener "Weltfrömmigkeit"; in einem zweiten Teil stellt er das Verhältnis von religiöser Tradition und Individuation in den Romanen Fontanes dar.

Das Ergebnis ist ebenso überraschend wie erhellend. Denn der Protestant Fontane, der in seinen eigenen christlichen Überzeugungen eine sehr reservierte, individuelle Position gegenüber kirchlicher Inanspruchnahme vertrat, schätzte unter den Pastoren gerade die Vertreter eines "orthodoxen" Glaubens, die als Vertreter der Institution und ihrer Lehre eindeutig identifizierbar sind. Der Widerspruch, so Beutel, besteht nur scheinbar. Denn das private, individuelle Christentum bedarf, um sich als solches überhaupt unter Anverwandlung der orthodoxen Lehre herauszubilden, der Vorgabe der tradierten Inhalte des christlichen Glaubens.

Diese Vorgabe kann das individuelle Christentum aber nicht selbst leisten, sondern nur eine Orthodoxie, die sowohl das kirchliche Bekenntnis interpretiert wie auch die Unterscheidung von Kirchlichkeit und individueller Frömmigkeit respektiert. Dieser Orthodoxie gilt Fontanes ganze Sympathie: "Wenn ich Herrn Pastor W. in vielen seiner Auslassungen (...) recht verstehe", so Fontane über den Hofprediger und Schopenhauer-Liebhaber Windel, "so steht er zu den christlich-heidnischen Konflikts- resp. Superioritätsfragen etwa wie folgt: er löst, kurz gesagt, die Heilsfrage von jeder andern, und das scheint mir das allein richtige."

Kein Wunder, daß Fontane auch in seinem fiktionalen Werk Pastorenfiguren entwirft, die dieser Vorliebe entsprechen. Den Pastorenfiguren in den Romanen Fontanes kommt überwiegend die Aufgabe zu, die Protagonisten der Handlungen konstruktiv deutend zu begleiten. Das aber ist ihnen nur möglich, wenn sie selbst als Vertreter der institutionalisierten Religion betont kirchlich agieren. Fontane ist Realist genug, um dabei auch das Versagen und das Scheitern der Pastoren anzudeuten - wie etwa in der Figur des Pastor Niemeyer in "Effi Briest", über den der alte Briest abschließend urteilt, er sei doch "eigentlich eine Null, weil er alles im Zweifel läßt". Nichtsdestotrotz spiegelt sich auch in den Romanen Fontanes jenes Spannungsverhältnis zwischen dem kirchlichen und dem individuellen Christentum, das nur produktiv wird, wenn der christliche Glaube mit seinen Inhalten erkennbar bleibt.

Eben das ist heute vielfach das Problem. Wenn eine Gemeinde den Sonntag "Trinitatis" zu einem Tag der Umwelt mit anschließender Fahrradtour umfunktioniert, so geht das buchstäblich an die Substanz des Christentums. Denn selbst auf ein bloßes verständliches Referat der Grundzüge von Gottes Dreieinigkeit (doch, so etwas gibt es) könnte sich der geneigte Gottesdienstbesucher seinen individuellen Reim machen. Der Appell, daß wir weniger Auto fahren sollten, ist religiös gesehen nicht unbedingt tröstlich - schon weil er seit Jahren folgenlos bleibt.

HENNING ZIEBRITZKI

Eckart Beutel: "Fontane und die Religion". Neuzeitliches Christentum im Beziehungsfeld von Tradition und Individuation. Christian Kaiser Verlag / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003. 264 S., br., 34,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Henning Ziebritzki stellt ein Buch vor, dass Theodor Fontanes Verhältnis zur Religion untersucht hat, sowohl in Hinblick auf seine Person wie auf sein Werk. Für Ziebritzki hat Autor Eckart Beutel eine höchst "luzide" Studie abgeliefert, die zu der Erkenntnis kommt, dass Fontane, obwohl er persönlich ein eher distanziertes Verhältnis zur Kirche hatte, die Vertreter orthodoxer Positionen bevorzugte. Denn nur in Abgrenzung von tradierten Vorgaben könne sich ein privates, individuelles Christentum entwickeln, referiert Ziebritzki. Der Schlüsselbegriff für Beutels Untersuchung laute Säkularisierung, so der Rezensent; Säkularisierung bedeute bei Beutel nicht einfach eine abnehmende Relevanz der Kirche im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft, sondern eine Umformung des Christentums in einen öffentlichen und einen privaten Glaubensbereich. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem kirchlichen und dem individuellen Christentum werde auch in Fontanes fiktionalem Werk deutlich, wo die Vertreter der Religion betont kirchlich agierten. Fontane bleibe aber Realist genug, meint Ziebritzki, dass er das Scheitern der Pastoren stets andeute.

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