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Dinkel wendet Luhmanns soziologische Systemtheorie auf den evangelischen Gottesdienst an. Mit dem streng deskriptiven, empirischen Begriffsinstrumentarium der systemtheoretischen Betrachtungsweise rückt er Vertrautes in fremdes Licht, um gewohnte Perspektiven mit neuen Aspekten anzureichern. Durch die methodischen Anleihen bei Luhmann verdeutlicht Dinkel die besondere Funktion, die Unersetzbarkeit, die speziellen Chancen und die prinzipiell größere Leistungsfähigkeit des Gottesdienstes im Vergleich zu massenmedialen Formen religiöser Kommunikation. Dinkels stimmige funktionale Theorie des…mehr

Produktbeschreibung
Dinkel wendet Luhmanns soziologische Systemtheorie auf den evangelischen Gottesdienst an. Mit dem streng deskriptiven, empirischen Begriffsinstrumentarium der systemtheoretischen Betrachtungsweise rückt er Vertrautes in fremdes Licht, um gewohnte Perspektiven mit neuen Aspekten anzureichern.
Durch die methodischen Anleihen bei Luhmann verdeutlicht Dinkel die besondere Funktion, die Unersetzbarkeit, die speziellen Chancen und die prinzipiell größere Leistungsfähigkeit des Gottesdienstes im Vergleich zu massenmedialen Formen religiöser Kommunikation. Dinkels stimmige funktionale Theorie des Gottesdienstes mündet in ein engagiertes Plädoyer für eine spezifisch religiöse Kommunikation und ermutigt, das Glaubensthema in den Mittelpunkt der Arbeit der evangelischen Kirchen zu stellen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nach Henning Zebritzki hat der Autor hier mit seinem Versuch, die Luhmann'sche Systemtheorie auf das Verständnis vom evangelischen Gottesdienst anzuwenden, gründlich Schiffbruch erlitten. Seiner Ansicht nach ist diese Studie geradezu ein typisches Beispiel dafür, wie die Praktische Theologie immer wieder versucht, "zwanghaften Anschluss an nichttheologische Diskurse der Gegenwart" anzuknüpfen, nicht zuletzt, um "neue Legitimierungen" zu finden. Zebritzki fragt sich, ob dies überhaupt nötig ist, darüber hinaus hat er an Dinkels Vorgehensweise einiges auszusetzen. So trage der Autor sein "oft diskutables , oft schlichtes Verständnis des evangelischen Gottesdienstes einfach in das Raster der Luhmannschen Begrifflichkeit ein". An mancher Stelle erinnern die Ausführungen des Autors den Rezensenten an einen "Orientierungsstufenaufsatz", an anderer Stelle bemängelt er den "Absturz der Theorie ins Triviale und Taktlose". Kein Buch, das man unbedingt gelesen haben muss, deutet Zebritzki am Schluss an.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2001

Und statt Meßwein ein Glas Odol
Christoph Dinkels atemfrische Schlüsse aus der Systemtheorie

Die Systemtheorie Niklas Luhmanns hat einen universalen Anspruch. Sie zielt darauf, ein begriffliches Instrumentarium bereitzustellen, mit dem das gesamte Sozialsystem der modernen Gesellschaft erfaßt und beschrieben werden kann. Eine solche Theorie läßt sich auf verschiedene Weise lesen und deuten. Der Ansatz der Systemtheorie kann problemgeschichtlich positioniert und damit kritisch relativiert werden. Zum anderen kann die Theorie in ihrer inneren Stringenz rekonstruiert und, als Ganzes oder im Hinblick auf einzelne Theoreme wie etwa den Sinnbegriff, in ihrer Plausibilität diskutiert werden.

Bei einer universalen Theorie kommt eine dritte Lesart hinzu, die sozusagen ihre spezifische Versuchung darstellt: ihre Anwendung auf die Empirie. Da die Systemtheorie eine universale Theorie ist, kommt dafür praktisch jeder Gegenstandsbereich in Betracht: die Renaturierung von Abraumgebieten ebenso wie die Selbstorganisation der Suzukifahrer in Mitteleuropa, die Problematik der Fusion von Großkonzernen ebenso wie protofeministische Theorien im Spätmittelalter. Chancen wie Risiken dieser dritten Variante sind offensichtlich. Im gelungenen Anwendungsfall, der mit mindestens einer der beiden anderen Lesarten gekoppelt sein dürfte, läßt die Systemtheorie ein soziales Phänomen allererst kenntlich werden und bietet eine Verstehensmöglichkeit, die ohne sie nicht gegeben wäre. Im anderen Fall aber wird Luhmanns Begrifflichkeit wie ein Rahmen um etwas gelegt, was der Anwender ohnehin schon sieht und daher als Bild auch ohne jenen Dekor seine Berechtigung hätte.

Ein solcher Anwendungsfall liegt mit der Studie "Was nützt der Gottesdienst?" von Christoph Dinkel vor, die eine "funktionale Theorie des evangelischen Gottesdienstes" bieten möchte. Dinkel problematisiert weder den Ansatz der Systemtheorie, wie das etwa jüngst Martin Laube in religionssoziologischer Perspektive getan hat, noch läßt er sich auf eine nähere kritische Diskussion der Theorie ein. Er sieht seinen Ansatz dadurch legitimiert, daß er eine grundlegende Konvergenz zwischen der reformatorischen Bestimmung des Gottesdienstes und der Explikation der religiösen Kommunikation durch die Systemtheorie diagnostiziert. Die reformatorischen Theologen hätten selbst den Gottesdienst insofern funktional definiert, als "die Erfüllung seiner Funktion für den Glauben . . . das zentrale Steuerungsorgan für seine Gestaltung" darstelle. Ebendas sei es, was die Systemtheorie in externer Perspektive beschreibe, wenn sie der religiösen Kommunikation primär die Aufgabe zuweise, das für Kommunikation unerläßliche "Sinnvertrauen" zu erzeugen. Diese "einheitliche Funktionsbestimmung" möchte Dinkel in ihren konkreten Wirkungen nicht nur auf soziale, sondern auch auf psychische Systeme bezogen wissen. Damit hat er den Rahmen gewonnen, in dem der evangelische Gottesdienst der Gegenwart in fünf Kapiteln als "religiöse Kommunikation", als "Interaktionssystem", als "Selbstbeschreibung des christlichen Lebens" und in seinen "Medien" und "Leistungen" beschrieben werden kann.

Die so gedeutete Anwendung der Systemtheorie auf das Verständnis des evangelischen Gottesdienstes hat den Vorzug, daß Dinkel tatsächlich dessen proprium als Basisbestimmung explizieren kann, nämlich die "Erlangung und Stärkung eines zur Weltgestaltung fähigen Rechtfertigungsglaubens in seiner doppelten Form als Kommunikationsmedium und als individuelle Frömmigkeit". Das stattet die Studie mit einer gewissen theologischen Solidität aus, die resistent ist gegen die Theoriedelirien, die die praktische Theologie beider Konfessionen zyklisch heimsuchen. Gegen modische Trends der Aktualisierung kann Dinkel vor dem Hintergrund der Systemtheorie geltend machen, daß religiöse Kommunikation sich "vor allem durch Abweichungsverstärkung von ihrer Umwelt differenziert und stabil hält". Dabei kommt insbesondere der inhaltlichen Bestimmtheit des Gottesdienstes als spezifisch christlich eine entscheidende Funktion für den Selbstaufbau des Religionssystems zu: "Durch die beständige Wiederbeschreibung des christlichen Lebens im Gottesdienst reproduziert sich die christlich-religiöse Kommunikation und damit das christliche Leben selbst und sorgt so für das Fortbestehen des sozialen Systems und des christlichen Lebens, das zu ihm gehört."

Es stellt sich allerdings die Frage, ob Dinkels Studie tatsächlich durch die Adaption der Systemtheorie "unerwartete und weiterführende Sichtweisen" eröffnet und "wichtige und neue Perspektiven für die differenzierte Beschreibung und die Verbesserung der kirchlichen Gottesdienstpraxis" liefert. Denn die bloße Anwendung der Systemtheorie auf den evangelischen Gottesdienst legt die grundlegende Fehlkonstruktion der Arbeit bloß: Sie zerfällt auf für den Leser höchst irritierende Weise in Begriff und Empirie, in ein Referat der Systemtheorie einerseits und eine Fülle von zum Teil treffenden Beobachtungen und Kommentaren zum evangelischen Gottesdienst der Gegenwart andererseits. Diese Ausführungen zur Empirie des Gottesdienstes hätten jedoch auch ohne den systemtheoretischen Rahmen ihr relatives Recht, da sie ihre eigentliche Begründung durch den reformatorischen Gottesdienstbegriff erfahren.

Dinkel vermag nicht plausibel zu machen, warum er den Begriff der religiösen Kommunikation mit dem evangelischen Gottesdienstverständnis kurzschließt. Er setzt nämlich die Funktion religiöser Kommunikation, "Sinnvertrauen" herzustellen, mit der spezifisch protestantischen inhaltlichen Bestimmung des Gottesdienstes gleich, "Glauben zu wecken und zu erhalten". Luhmanns Begriff der religiösen Kommunikation geht aber in diesem reformatorischen Verständnis des evangelischen Gottesdienstes nicht auf. Das führt dazu, daß Dinkels Ausführungen zur systemtheoretisch verstandenen religiösen Kommunikation sich weitgehend sowohl auf andere Formen der religiösen Kommunikation als gerade den Gottesdienst wie auch auf die Gottesdienstpraxis anderer Konfessionen und Religionen anwenden lassen.

Daß der systemtheoretische Begriff der religiösen Kommunikation und das reformatorische Verständnis des Gottesdienstes nicht differenziert vermittelt werden, dürfte der Grund dafür sein, daß der Leser bei der Anwendung der Luhmannschen Systemtheorie auf das evangelische Gottesdienstverständnis der Gegenwart Zeuge eines beispiellosen Absturzes der Theorie ins Triviale und Taktlose wird. Die "Umweltabhängigkeit" der Interaktion Gottesdienst wird - obwohl der Autor sich sonst doch um politische Korrektheit bemüht - unter anderem so illustriert: "Hat der Pfarrer überzogen, bekommt die Hausfrau Ärger."

Unter der Erörterung der körperlichen Anwesenheit von Pfarrer und Gemeinde als "Medien der Selbstbeschreibung" fehlt nicht die essentielle Anmerkung, daß Pfarrerinnen und Pfarrer "keinen Körper- und Mundgeruch haben und die Regeln von Takt und Höflichkeit beachten" sollten. Und die Darlegungen zur "Sequenzierung, Strukturierung und Selbststeuerung der Interaktion" beginnen wie ein schlechter Orientierungsstufenaufsatz: "Man kann nicht dauernd Gottesdienst feiern, man muß auch noch etwas anderes tun. Der gemütlichste Abend bei Freunden am Kamin hat einmal ein Ende. Man muß nach Hause und am nächsten Morgen wieder zur Arbeit." Der Autor trägt sein oft diskutables, oft schlichtes Verständnis des evangelischen Gottesdienstes einfach in das Raster der Luhmannschen Begrifflichkeit ein, und man fragt sich bei der Lektüre, ob man nicht zwei verschiedene Bücher liest, deren Seiten ineinandergeschoben wurden.

Dinkels Studie ist somit symptomatisch für ein grundsätzliches Dilemma der praktischen Theologie. Sie versucht den Spagat zwischen dem nahezu zwanghaften Anschluß an nichttheologische Diskurse der Gegenwart, um neue Legitimierungen zu finden, und der praktischen Verpflichtung, an der konkreten Gestaltung der kirchlichen Alltagspraxis mitzuwirken. Beides aber sind vielleicht Scheinprobleme. Denn die eigentlichen Begründungen für die kirchliche Praxis, das zeigt Dinkels Studie mit ihrem Rekurs auf den reformatorischen Gottesdienstbegriff in sympathischer Weise, werden durch die systematische Theologie geliefert. Und das Übrige wie Fragen nach der Farbe des Talars sollte man getrost dem Kollegengespräch überlassen. Es muß ja nicht alles schriftlich festgehalten werden.

HENNING ZIEBRITZKI

Christoph Dinkel: "Was nützt der Gottesdienst?" Eine funktionale Theorie des evangelischen Gottesdienstes. Christian Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000. 339 S., br., 58,- DM.

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