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Im dritten Stock des Jüdischen Museums in Wien steht in einem gläsernen Schaukasten eine Schachtel, gefüllt mit Devotionalien der Erinnerung: Spielsachen, Notizen, Fotos, Filmprogramme, Postkarten, ein Tagebuch ... Das jüdische Ehepaar Franz und Anni Bial hatte diese Schachtel für die Tochter Lilli gepackt, die mit einem Kindertransport nach England kam; die Eltern wurden deportiert und ermordet. Wie ein Magnet zieht diese Hinterlassenschaft die Schweizerin Jula Fink nach Wien, auf die Spuren anderer Verschwundener, von deren Schicksalen ebenfalls bloß Bruchstücke geblieben sind. Sie stößt auf…mehr

Produktbeschreibung
Im dritten Stock des Jüdischen Museums in Wien steht in einem gläsernen Schaukasten eine Schachtel, gefüllt mit Devotionalien der Erinnerung: Spielsachen, Notizen, Fotos, Filmprogramme, Postkarten, ein Tagebuch ... Das jüdische Ehepaar Franz und Anni Bial hatte diese Schachtel für die Tochter Lilli gepackt, die mit einem Kindertransport nach England kam; die Eltern wurden deportiert und ermordet.
Wie ein Magnet zieht diese Hinterlassenschaft die Schweizerin Jula Fink nach Wien, auf die Spuren anderer Verschwundener, von deren Schicksalen ebenfalls bloß Bruchstücke geblieben sind. Sie stößt auf Namen wie Friedl Dicker-Brandeis, Viktor Ullmann, Sidonie Nádherný und Karl Kraus, Marie Zimmermann und Gustav Klimt.
Katharina Geiser ist in ihrem ersten Buch eine an W. G. Sebald gemahnende, wunderbar anrührende Spurensuche gelungen.
Autorenporträt
Katharina Geiser wurde 1956 geboren und studierte in Zürich Germanistik. Lebt und schreibt in Wädenswil am Zürichsee. "Vorübergehend Wien" ist ihr erstes Buch.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2006

Ein Aasgeier im Heimatschutz
Dreimal Wiener Ansichten: Eine Stadt wird besichtigt
„Wien ist anders” formulierte es eine Image-Kampagne der neunziger Jahre. Diesen Slogan hat nun das Wien Museum für den Titel einer Ausstellung pfiffig variiert: „Wien war anders”. Gezeigt werden Stadtansichten des Fotografen August Stauda (1861-1928), von dem das Museum 3000 Bilder in seinem Archiv hat. Auftraggeber Staudas war unter anderem der Hofmannsthal-Freund Graf Karl Lanckoronski-Brzezie, Präsident der Gesellschaft für Denkmalpflege und einer der führenden Köpfe der so genannten „Heimatschutzbewegung”, die das authentische „Alt-Wien” vor dem Zugriff moderner Stadtplanung bewahren wollte. Stauda richtete seine Kamera nicht auf die Prachtbauten der Ringstraße und die imperialen Achsen der Stadt, sondern dokumentierte die engen Gassen, einstöckigen Häuser, Hinterhöfe, Bildstöcke und andere, dem Verschwinden preisgegebene architektonische Details. Sein Blick ist dabei eher systematisch als idyllisch, sodass die Kamera auch einen Eindruck von den beengten und elenden Verhältnissen jenseits bürgerlicher Wohlgeordnetheit vermittelt oder die mit Werbung übersäten Hausfassaden festhält.
Auch zu Lebzeiten von Luigi Kasimir (1881-1962) war Wien längst eine moderne Metropole, die es um die Jahrhundertwende mit zwei Millionen Einwohnern sogar unter die sechs größten Städte der Welt schaffte. In seinen Farbradierungen, die an die Tradition der Alt-Wiener Veduten eines Rudolf von Alt anknüpfte, ist davon allerdings wenig zu bemerken. Das schönfärberische Potenzial des Mediums ist demjenigen der Fotografie naturgemäß überlegen, und Kasimir entwirft - „in fast völliger Unberührtheit von den Ismen seiner Zeit” - ein romantisches Wienbild, in dem etwa der „Blick aus der Burg auf den Michaelerplatz” 1911 sorgsam so gewählt wird, dass das ein Jahr davor errichtete und wegen seiner kompromisslosen Modernität heftig angefeindete Adolf-Loos-Haus nicht zu sehen ist. Auch Kasimir kümmert sich wenig um die monumentalen und metropolitanen Aspekte Wiens, sondern mehr um atmosphärisch aufgeladene Detailansichten. Modernisierung, technischer Fortschritt und Krieg bleiben zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen - Kasimir zeichnet auch den zerbombten Stephansdom, Hamburger Werftansichten oder die Großglocknerstraße -, aber eine sentimental getönte „Überzeitlichkeit” behält gegenüber jeglichem chronologischen Dokumentarismus die Oberhand. Interessant ist, dass „Kasimirs Wien nur von Oktober bis Februar” existiert; wobei die stets kahlen Bäume weniger Stimmungswert als die Aufgabe haben, Größenverhältnisse zu klären und Raumtiefe zu suggerieren. Außerdem würde das Laub „den Blick auf das Architekturobjekt” verstellen.
Die ehemalige FAZ-Redakteurin und freie Kunsthistorikerin Catherine Tessmar hat sich in ihrem Buch „Wiener Platzerln” nun nicht nur mit der restaurativen Ästhetik von Kasimirs ungeheuer zahlreichen (Tessmars Hochschätzung beläuft sich auf 67 500 Drucke) und erfolgreichen Grafiken, sondern auch mit den politischen und ökonomischen Aspekten in der Vita dieses opportunistischen, um nicht zu sagen: skrupellosen Geschäftemachers auseinander gesetzt. Dass die Karriere Kasimirs nachgerade prädestiniert ist, um an ihr auch ein unschönes Stück österreichischer Geschichtskontinuität herauszuarbeiten, macht die Autorin gleich in der Einleitung klar: „Vom Kaiser ausgezeichnet, in der Ersten Republik groß geworden, vom Ständestaat geschätzt, von den Nazis verehrt und von der Nachkriegsgesellschaft geliebt, identifizierte sich noch die Zweite Republik Österreich mit seinen Wiener Veduten als Staatsgeschenken.”
Der 1999 vom Journalisten Hubertus Czernin gegründete Wiener Czernin Verlag, in dem die „Wiener Platzerln” erschienen sind, hat sich in den letzten Jahren durch Standardwerke zu Themen wie Restitution und Provenienzforschung einen Namen gemacht. Tessmars Buch fügt sich also nahtlos in das Verlagsprofil, kommt die aus Graz stammende Kunsthistorikerin am Ende doch - unter Bezugnahme auf den vor drei Jahren publizierten Forschungsbericht der Historikerkommission der Republik Österreich - zu dem Schluss, dass die „Schändlichkeit und Dreistigkeit” von Kasimirs Verhalten „nicht einzigartig” gewesen sei, sondern „dem üblichen Maß” entspreche. Der Künstler hatte sich 1946 als mutmaßlich illegaler Nationalsozialist wegen „Hochverrats” und aufgrund des Erwerbs der Kunsthandlung Halm und Goldmann im März 1938, also unmittelbar nach dem „Anschluss” Österreichs, wegen „missbräuchlicher Bereicherung” vor Gericht zu verantworten: Als Jüdin war Kasimirs langjährige Händlerin Elsa Gall zum Verkauf der Kunsthandlung - weit unter Wert - gezwungen gewesen. Die Arisierung der Sammlung Rieger hingegen, an der Kasimir offenkundig beteiligt war, wurde ihm nie zur Last gelegt.
Klingen und Brausen
In ihren akribischen Recherchen zeichnet Tessmar den nicht ganz unkomplizierten Prozess nach, an dessen Ende Kasimir frei und - obgleich von der Presse als „illegaler Aasgeier” bezeichnet - letztendlich unbeschadet hervorgeht. So genau hätte man es dann vielleicht nicht immer wissen wollen; ob die illegale SA-Einheit, der Kasimir angehörte, nun offiziellen Status hatte oder nicht, scheint einigermaßen vernachlässigenswert, liest man das „Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung” an die Vermögensverkehrsstelle, in dem Kasimir und sein Drucker Ernst Edhoffer ihre Bereicherung auch noch im Lichte eines „höheren” Zwecks darstellten: „Durch die Erwerbung der Firma Halm & Goldmann, der derzeit größten Kunsthandlung Wiens, würde ein nicht unwichtiger Kulturbetrieb in berufene, rein arische Hände gelangen.”
Hätte den „Wiener Platzerln” eine etwas stärkere essayistische Zuspitzung und der Verzicht auf den ein oder anderen historischen Exkurs vielleicht ganz gut getan, so lernt man die akademische Sachlichkeit von Tessmars Studie dann doch wieder schätzen, hat man die Lektüre von Katharina Geisers „Vorübergehend Wien” hinter sich gebracht. Um die Lebensläufe von Menschen nachzuzeichnen, die der Vernichtung durch die Nazis zum Opfer fielen oder knapp entkamen, hat die Schweizer Germanistin ihre Recherchen in eine Fiktion gekleidet, die die Intention dieses fraglos gut gemeinten Unterfangens unbarmherzig untergräbt. „In dieser Stadt haben die Musen großzügig geküsst zu vielen Zeiten. Klingen und Brausen sind noch nicht versiegt, das ist eine einfache Wahrheit”, orgelt es dem Leser gleich zu Beginn aus vergangenen Jahrhunderten entgegen.
Der betulich-preziöse Ton, den Geiser, beziehungsweise ihre wienreisende Ich-Erzählerin Jula Fink hier anschlagen, ist der Realität, die beschrieben werden soll, grausam inadäquat, nichts als schierer Kitsch: dass „Lappen von Schnee torkelnd durch die Nacht” fallen oder eine Fahne an ihrer Stange „Morgengymnastik treibt”, mag man als sprachliche Verirrung ja noch durchgehen lassen; entschieden unwohl fühlt man sich angesichts der lustlos stereotypen Herbeizitierung historischer Ereignisse: „Da stand der Erste Weltkrieg noch an”, heißt es an einer Stelle, worauf man einige Seiten später erfährt, dass „das beseelte Böse wiederum und unglaublicher sein Gepränge entfaltet. Der Zweite Weltkrieg steht an.”
„Vorübergehend Wien” segelt unter der selbst gelegten Latte - schon die in den Text montierten Fotos verweisen unübersehbar auf das Werk W. G. Sebalds - gleich meterweise durch. Die stilistischen Entgleisungen sind nämlich nur eine Facette eines ganz grundlegenden gestalterischen Unvermögens: Angesichts der Exkurse zu den Zügen, die 50 000 Wiener vom Aspangbahnhof aus in die Vernichtungslager von Auschwitz, Theresienstadt, Minsk und Maly Trostinec deportieren; angesichts der so genannten „Kindertransporte”, mit der Menschen wie Lilli Bial nach England gelangten und den Holocaust überlebten, ist es geschmacklos und peinlich, wenn die ständig mit ihrer Sensibilität renommierende Protagonistin davon erzählt, wie sie in Bett Nummer 226 der City Night Line vom „kurzatmigen Stöhnen von Schraube zu Schraube in der Platte nahe über mir” irritiert wird oder durch die „Stillstände in Bahnhöfen und deren geheimnisvolle Dauer” in Unruhe versetzt wird.
Assoziativ und in schwer durchschaubarem chronologischen Zickzack bewegt sich die Erzählerin durch die Jahrzehnte, ruft Zelebritäten (Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Franz Kafka, der auch irgendwann mal in einem Zug nach Wien saß, und dem die Ohren „als patente Lauscher” vom Kopf wegstehen; vor allem aber das Liebespaar Karl Kraus und Sidonie Nádherny von Borutin, mit der Geiser per „Sidi” ist) und Unbekannte auf, deren Spuren sie doch eigentlich nachzeichnen will, die sie indes - das Schlimmste, was einem solchen Buch passieren kann - verwischt.
Erst ganz zum Schluss, nachdem Geiser/Fink Lilli Bial, deren im Jüdischen Museum in einem Karton aufbewahrte Kindersachen eigentlich Anstoß dieser literarischen Recherche waren, ausfindig macht und persönlich trifft, gewinnt „Vorübergehend Wien” etwas von der Eindringlichkeit, die man einem solchen Buch wünscht: „Trotzdem, I had a happy life.”KLAUS NÜCHTERN
CATHERINE TESSMAR: Wiener Platzerln. Die Geschäfte des Künstlers Luigi Kasimir. Czernin Verlag, Wien 2006. 160 Seiten, 18,60 Euro.
KATHARINA GEISER: Vorübergehend Wien. Zsolnay Verlag, Wien 2006. 300 Seiten, 23,50 Euro.
Die Ausstellung „Wien war anders. August Stauda, Stadtfotograf um 1900” ist noch bis 27. August im Wien Museum (Tel.: 0043-1-50587470) zu sehen.
Es ist ein Wien, aus dem die Spuren der Moderne sorgfältig herausgehalten wurden, das der Fotograf August Stauda festgehalten hat: Blick auf die Barnabitengasse um 1904. Im Hintergrund sieht man die Mariahilfer Straße.
Foto: Wien Museum
Wien jenseits bürgerlicher Wohlgeordnetheit: August Staudas Blick in einen Innenhof um 1909.
Foto: Wien Museum
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hart ins Gericht geht Klaus Nüchtern mit Katharina Geisers Buch "Vorübergehend Wien", das an Menschen erinnern will, die der Vernichtung durch die Nazis zum Opfer fielen oder knapp entkamen. Zwar scheint ihm das Vorhaben der Schweizer Germanistin gut gemeint, die Ausführung aber wird ihm in keiner Weise gerecht. Nüchtern stört sich nicht nur sich am "betulich-preziösen Ton" Geisers beziehungsweise ihrer wienreisenden Ich-Erzählerlin, der der Realität, die sie beschreiben will, "grausam inadäquat" ist. Er hält der Autorin ihr Scheitern am Thema vor. Die gefühligen Ausführungen ihrer Protagonistin findet er angesichts der Deportation von Tausenden von Menschen in die Vernichtungslager von Auschwitz, Theresienstad und Minsk schlicht "geschmacklos und peinlich".

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