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David Smith ist Bildhauer. Talentiert, aber nicht berühmt. Deshalb nimmt er auch allzu gerne das faustische Angebot an, jede Skulptur, die er sich vorstellen kann, mit seinen Händen erschaffen zu können, ganz gleich aus welchen Materialien. Auch wenn der Preis für diese Kunst sein Leben ist. Doch David hat dabei zwei Dinge nicht bedacht: Die Schwierigkeit ein Kunstwerk für die Ewigkeit zu erschaffen und ... die Liebe. Er hat nur 200 Tage, um beidem gerecht zu werden. Es gibt nur wenige moderne Comicschöpfer, die so großen Einfluss auf die künstlerische Konstruktion von Comics hatten wie der…mehr

Produktbeschreibung
David Smith ist Bildhauer. Talentiert, aber nicht berühmt. Deshalb nimmt er auch allzu gerne das faustische Angebot an, jede Skulptur, die er sich vorstellen kann, mit seinen Händen erschaffen zu können, ganz gleich aus welchen Materialien. Auch wenn der Preis für diese Kunst sein Leben ist. Doch David hat dabei zwei Dinge nicht bedacht: Die Schwierigkeit ein Kunstwerk für die Ewigkeit zu erschaffen und ... die Liebe. Er hat nur 200 Tage, um beidem gerecht zu werden. Es gibt nur wenige moderne Comicschöpfer, die so großen Einfluss auf die künstlerische Konstruktion von Comics hatten wie der Amerikaner Scott McCloud. Nach seinen berühmten Standardwerken über Comics ("Comics richtig lesen", "Comics neu erfinden" und "Comics machen") hat er nun endlich seine erste große Graphic Novel geschrieben. Auf fast 500 Seiten nimmt er den Leser mit auf eine einzigartige Reise durch die Kunstwelt und die Seele eines Künstlers. Mit jedem Panel beweist McCloud seine große Fähigkeit, mit Bildern erzählen zu können.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Thomas von Steinaecker wird den Verdacht nicht los, das alles schon mal irgendwo gesehen oder gelesen zu haben, was Scott McCloud in seiner Graphic Novel verarbeitet. Sei's drum, wie einem "melodramatischen" Blockbuster gibt er sich dem Buch schließlich hin - und bereut es nicht. Zu perfekt gelingt es dem "Cheftheoretiker" des Comics seine faustische Geschichte vom jungen erfolglosen Künstler, der einen folgenreichen Pakt mit Tod und Teufel eingeht, zu vermitteln. 500 Seiten, und Steinaecker langweilt sich nicht auf einer einzigen. Er staunt nur, welchen Drive Text und Bild entwickeln und wie der Autor Lesererwartungen gekonnt zu enttäuschen weiß. Kein Wunder, dass die Filmrechte schon verkauft sind, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2015

Superheld der Kunstszene
Scott McCloud gilt als der Comic-Cheftheoretiker schlechthin. Nun legt er selbst eine Graphic Novel
vor: „Der Bildhauer“ ist eine moderne Faust-Variation mit atemberaubendem Drive
VON THOMAS VON STEINAECKER
Zu viel Theorie ist der Tod jeder Kunst. Treten Ideen in einem Buch, einem Film oder einer Komposition zu sehr in den Vordergrund, wird das Ganze für den Rezipienten zur quälend trockenen Angelegenheit. In Romanen wirken Figuren dann schnell „papieren“, eine Handlung „ausgedacht“. Doppelbegabungen, also zum Beispiel Schriftsteller, die sich einen Namen als Literaturwissenschaftler machen oder umgekehrt, Theoretiker, die als Schriftsteller reüssieren, sind selten. W. G. Sebald, der Literaturprofessor, der mit 44 Jahren seinen ersten Gedichtband veröffentlichte, bevor er mit seinen Erzähltexten weltweit Furore machte, bleibt die Ausnahme. Einen Roman von Adorno will man sich lieber nicht vorstellen, ebenso wie Schriftsteller besser nicht ihre Zaubertricks verraten sollten.
  Der US-Amerikaner Scott McCloud gilt in der Comicwelt als der Cheftheoretiker schlechthin. 1993 hat er „Understanding Comics“, eines der ersten und wichtigsten Werke über die Neunte Kunst, veröffentlicht, für das immer noch gilt: Es gibt keine genauere und zugleich unterhaltsamere Abhandlung darüber, wie diese so einfach wirkenden und dabei extrem komplexen Geschichten aus Bildern funktionieren. Eine Comictheorie in Comicform, darauf musste man erst einmal kommen. Zwei weitere, ebenfalls Epoche machende Bücher über die Geschichte und Zukunft des Comics folgten. Und nun also, nach einigen frühen Superhelden-Comics in den Achtzigern, eine Graphic Novel, die, oberflächlich betrachtet, wie die ideale Umsetzung dessen wirkt, was ein gezeichneter Roman landläufig zu sein hat: „Der Bildhauer“ ist ein 500 Seiten-Opus, in Schwarz- und Blautönen, über einen Bildhauer, ein Comic über Kunst also.
  Und ganz klassisch, um nicht zu sagen archetypisch ist auch das Grundgerüst der Fabel, die hier erzählt wird. Der Bildhauer David Smith ist Mitte zwanzig und doch schon am Ende. Voller Erwartungen hat er sich in das New Yorker Kunstleben gestürzt, aber der Erfolg stellte sich nicht ein, er ist pleite, bald muss er aus seiner Wohnung raus, die Niederlagen haben ihn zu einem sich in Selbstmitleid suhlenden Zeitgenossen gemacht. Da sitzt ihm eines Tages in einem Fast-Food-Restaurant plötzlich sein alter Onkel Harry gegenüber. Das Problem: Eigentlich ist der schon lange tot. Aber ehe sich David darüber wundern kann, hat der Bote aus dem Totenreich ein verführerisches Angebot für den verhinderten Künstler: Er könnte ein Superheld der Bildhauerei werden, jedes Material wird er mit seinen bloßen Händen formen können – er muss nur einwilligen, nach 200 Tagen zu sterben. Ein faustischer Pakt, dessen Ausgang und Moral wir alle schon kennen. Natürlich führt absolute Wunscherfüllung direkt ins Unglück, und am Ende heißt es dann: „Verweile doch, du bist so schön.“
  Und in der Tat glaubt man zunächst, McCloud erfülle gewissenhaft sämtliche Erwartungen an die alte Geschichte. Für eine Vernissage schafft David wie im Rausch eine Unzahl aufwendiger Skulpturen. Hier zeigt sich aber schon die erste entscheidende Abweichung vom Faust-Stoff: David hat zwar übermenschliche Fähigkeiten, diese sind aber keine Garantie für Erfolg. Auch bei seinen Ideen hapert es: Seine Kunstwerke sind der reinste Kitsch. Selbst die Verpfändung seines Lebens hat ihm daher wenig gebracht, als Künstler ist er gescheitert und lebt alsbald mittellos auf den Straßen New Yorks. Und natürlich lernt er in diesem Moment die ebenfalls erfolglose, dafür aber umso zauberhaftere Schauspielerin Meg kennen, und natürlich verliebt er sich in sie. Derweil verstreicht die Zeit unerbittlich, und natürlich wird David gerade in jenem Moment am meisten auf der Erde gebraucht, als es für ihn eigentlich Zeit ist zu gehen.
  Gerade hier, am Ende der Graphic Novel, ist es ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt McCloud mit dem Muster des vermeintlich bekannten Plots spielt und Erwartungen ins Leere laufen lässt. Aber eigentlich achtet man zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr darauf. Denn „Der Bildhauer“ ist zuallererst ein Comic mit einem atemberaubenden Drive, dessen melodramatischem Sog man sich so gerne überlässt wie einem guten Hollywood-Blockbuster. Da verwundert es nicht, dass die Verfilmung von „Der Bildhauer“ bereits in trockenen Tüchern ist. Dank Davids übermenschlicher Fähigkeiten gibt es reichlich Momente für Spezialeffekte, die im Kino noch eindrucksvoller wirken werden als im Comic; die Liebesgeschichte zwischen David und Meg, ihre Liebe auf den erstenBlick, das manische Auf und Ab, geht zu Herzen, der Griff nach dem Taschentuch beim Finale ist garantiert. Hinzu kommt, dass hier viele „große“ Themen angeschnitten werden, ohne dass sie – wie bei einem Comic-Theoretiker zu befürchten – zu aufdringlich abgehandelt würden: der verlogene Kunstmarkt; die Frage, wie weit man für die Verwirklichung der eigenen Vision gehen sollte, und schließlich das Vanitas-Motiv, an dem McCloud höchst eindrucksvoll das Wesen des Comics als wahrscheinlich einzige Kunst veranschaulicht, die, nach Lessings „Laokoon“, als Einzelbild, sowohl dem Raum wie, als Sequenz, der Zeit angehört. Die letzten Seiten von „Der Bildhauer“ sind denn auch von einer Dramatik und Brillanz, wie man sie nicht oft in der Neunten Kunst erlebt.
  Und trotzdem bleibt ein manchmal nicht angenehmer Beigeschmack: So klar und glatt wie McClouds Zeichenstil fallen auch seine Charaktere aus, vor allem die Männerfantasie Meg in ihrem Schulmädchenoutfit. Selbst bei den überraschendsten Wendungen beschleicht einen das Gefühl, das alles doch schon irgendwo einmal gelesen und gesehen zu haben, sei es bei Murakami oder in Mystery-Romanzen à la „Vanilla Sky“. So mag „Der Bildhauer“ der seltene Fall sein, bei dem man sich am Ende doch gewünscht hätte, dass der Theoretiker im Autor ab und an öfter durchgekommen wäre und ein wenig mehr Innovation gebracht hätte.  
Scott McCloud : Der Bildhauer. Graphic Novel. Aus dem Englischen von Jan-Frederik Bandel. Carlsen Verlag, Hamburg 2015. 490 Seiten, 34,99 Euro.
Die Verfilmung ist schon geplant.
Kein Wunder: Es gibt viele Special
Effects und eine Liebesgeschichte
„Wir kommen alle ins Rutschen“ – der junge Bildhauer David ist gar nicht gut drauf.
Abb.: Carlsen Verlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2015

Zum Raum wird hier die Zeit

Zwei vor, einer zurück: Drei der berühmtesten Comic-Avantgardisten publizieren neue Hauptwerke. Richard McGuire und Marc-Antoine Mathieu überzeugen, Scott McCloud enttäuscht.

Vor 26 Jahren kam ein Taschenbuch namens "Raw" heraus. Das war die erste kleinformatige Ausgabe eines Magazins, das zuvor neun Jahre lang als übergroßes Heft erschienen war. Herausgeber waren der amerikanische Comiczeichner Art Spiegelman und seine Frau Françoise Mouly, und sie hatten für "Raw" von Beginn an die bedeutendsten Comic-Avantgardisten gewonnen, Autoren wie Robert Crumb, Jacques Tardi, Ever Meulen, José Muñoz, Joost Swarte, Gary Panter, Charles Burns, Mark Beyer, Ben Katchor, Mariscal oder Baru. Dazu wurden Comicstrip-Klassiker von Winsor McCay oder George Herriman nachgedruckt, weil die riesigen "Raw"-Hefte sich den ursprünglichen Zeitungsformaten immerhin annäherten. Doch nach acht Ausgaben brachen Spiegelman und Mouly mit der Überwältigung durchs Großformat. Die letzten drei "Raw"-Ausgaben bis zum Ende der Reihe im Jahr 1991 kamen nun geradezu unscheinbar daher.

Das war Programm, denn in diesen jeweils mehr als zweihundert Seiten starken Kleinausgaben steckte eine neue Form der Comic-Avantgarde: eine, die nicht länger allein durch opulente Graphik, sondern vor allem durch ein neues Verständnis des Comicerzählens überzeugen wollte. Die Namen der ersten "Raw"-Ausgabe im Kleinformat zeigten, dass sich die Großen neu erfinden wollten: Burns, Beyer, Katchor, Baru, Mariscal, Swarte, Meulen, Panter und natürlich auch Spiegelman selbst waren wieder mit dabei und unterwarfen sich lustvoll der Beschränkung durchs reduzierte Format, die es durch erzählerische Originalität auszugleichen galt.

Als originellster Erzähler aber erwies sich jemand, den noch keiner kannte: ein gewisser Richard McGuire, der im Inhaltsverzeichnis ausgewiesen war als Bassist einer Rockband und bildender Künstler. Für "Raw" zeichnete er damals sechs schwarzweiße Seiten, jede mit sechs exakt gleichgroßen Bildern, und mit Erscheinen dieser 36 Panels veränderte sich die Comicwelt. Denn der 1957 geborene McGuire brachte Raum und Zeit zu einer ästhetischen Deckung, von der Einstein nicht zu träumen gewagt hätte: reine Harmonie als Dienstleister einer Geschichte, die den schlichten Titel "Here" trug.

Dieses "Hier" bezeichnet eine Ecke in einem leergeräumten Zimmer. Die Perspektive auf diese Stelle ändert sich nie, doch jedes Bild führt in ein anderes, genau datiertes Jahr, und entsprechend verändert sich das Geschehen. 1957 etwa wird das Zimmer von einem jungen Ehepaar bewohnt, das sein erstes Kind erwartet, 1975 gibt es ein großes Hallo für ein anderes Neugeborenes, 1984 spielt ein kleiner Junge unter dem Weihnachtsbaum, und mit jedem neuen Zeitpunkt hat sich natürlich die Wohnungseinrichtung verwandelt. Es geht aber auch in die Zukunft, zum Beispiel ins Jahr 2030, als eine Abrissbirne das Haus zerschmettert, oder weit zurück in die Vergangenheit, etwa ins Jahr 100 650 010 vor Christus, als es natürlich noch kein Haus gibt, sondern just an jenem Ort, wo es mehr als hundert Millionen Jahre später dann stehen wird, ein Stegosaurus durchs Gelände stapft. Damit aber nicht genug: McGuire beginnt in die einzelnen Bilder kleinere Fenster in andere Vergangenheiten oder Zukünfte einzubauen, so dass man ein Detail des Jahres 1983 (eine putzende ältere Frau) im größeren Rahmen einer Szene des Jahres 1966 sieht, in der ein kleiner Junge den Start einer Apollorakete im Fernsehen betrachtet. Das war der Sohn der älteren Frau, und siebzehn Jahre später ist er ausgezogen. Bis zu vier Zeitebenen verschachtelt McGuire auf diese Weise miteinander, und langsam lässt sich aus dem sprunghaft über die gesamte Erdgeschichte ausgreifenden Geschehen die Geschichte der Bewohner dieses Ortes rekonstruieren, der anfangs so belanglos wirkte. Zeit und Raum gehen ein Bündnis ein, das so nur die Darstellungsform des Comics begründen konnte.

Diese sechs Seiten machten McGuire zur Legende, zur grauen Eminenz des Comics. Seine Bild-im-Bild-Staffelung sollte die Überlegungen von Scott McCloud entscheidend beeinflussen, der 1993 "Understanding Comics" herausbrachte, einen Comic, der die ästhetischen Grundlagen der Erzählform erläuterte. Ihm folgten 2000 beziehungsweise 2006 die Fortsetzungsbände "Reinventing Comics" und "Making Comics", mit denen der 1960 geborene McCloud zum einflussreichsten Theoretiker seiner Kunst aufstieg.

Und im fernen Frankreich, wo McGuire so verehrt wird, dass er dort - und nur dort - später zwei aufwendig gedruckte Bilderbücher für Erwachsene herausbringen konnte ("Popeye and Olive", 2001, und "P + O", 2002), erschien 1990 der Band "L'Origine" eines damals einunddreißigjährigen Zeichners namens Marc-Antoine Mathieu, der in einer Weise mit Raum und Zeit spielte, als hätte er McGuires "Here" auf eine neue Ebene heben und in Albenlänge ausbreiten wollen. Natürlich kannte Mathieu den amerikanischen Kurzcomic. In dem runden Dutzend weiterer Alben, das er seither gezeichnet hat, wurde das von McGuire geprägte gezeichnete Erkunden der eigenen Bedingungen des Erzählens immer weiter ausgeführt und verfeinert.

Diese drei in ihrem Anspruch so ähnlichen Autoren haben jetzt gerade jeweils neue Comics publiziert, und jeder davon darf als exemplarischer Fall gelten. Auf McGuires Band wurde jahrzehntelang gewartet, denn es war lange bekannt, dass er an einem großen Werk saß. Dass es wieder "Here" heißen würde und die auf 300 Seiten erweiterte Ausarbeitung der Kurzgeschichte von 1989 sein würde, wusste man nicht. Dass es in Amerika bei Pantheon erschienen ist, der feinsten dortigen Adresse für Comics, und in Deutschland rasend schnell vom Verlag DuMont übersetzt wurde (als "Hier"), zeigt die Erwartungen an dieses späte Debüt McGuires auf dem Feld jener großen Form, die heute pauschal mit "Graphic Novel" bezeichnet wird.

Das neue "Here" folgt denselben Prinzipien wie das alte, nur dass jetzt pro Doppelseite nur ein Bild steht, Farbe benutzt wird und der Blick auf die Zimmerecke sich etwas erweitert hat - wir stehen als Betrachter tiefer im Raum. Durch McGuires Auskunftfreudigkeit wissen wir nun auch, dass es sich bei dem Handlungsort um ein konkretes Haus in New Jersey handelt, das die eigene Familie in seiner Kinderzeit einmal bewohnt hat. Und warum alles 1957 losgeht, also in McGuires Geburtsjahr. Die neue Version bietet zum Einstieg wieder das menschenleere Zimmer, aber mit bereits vorbereitetem Laufstall für das Neugeborene.

Nicht im Geringsten autobiographisch fällt dagegen Mathieus neuer Band aus, der keinen ausgeschriebenen Titel trägt, sondern als Kennzeichnung auf dem Umschlag neben den in Blindprägung angebrachten Autor- und Verlagsnamen lediglich einen schwarzen Richtungspfeil aufweist; in Frankreich spricht man von dem Comic deshalb als "Direction". Auch er ist sofort in Deutschland publiziert worden (bei Reprodukt, unter dem Katalognamen "Richtung"), wobei man kaum von Übersetzung sprechen kann, denn es gibt nur drei Textpassagen auf den insgesamt 250 Seiten: ein in die Geschichte eingeschobenes Titelblatt mit abermals Autor- und Verlagsname, eine auf A-2-Format ausklappbare Faltseite mit einem kurzen Satz und ein Bild, das die Rückseite eines Buchs zeigt, die von einem aufgedruckten längeren Satz geziert wird. Das alles aber ist in einer Zeichenschrift gesetzt, die man erst entziffern muss (wobei die leicht identifizierbaren Namen die entscheidende Hilfe leisten). Dann ergibt sich für den Buchaufdruck ein Satz, der über dem ganzen Werk von Mathieu stehen könnte: "Das Absurde hat nur dann einen Sinn, wenn man es akzeptiert."

Denn das unterscheidet Mathieu von Richard McGuire: Er thematisiert die Doppeldeutigkeiten und Bizarrerien der Zeichnungskunst, wie das seit M. C. Eschers Trugbildern niemand mehr gemacht hat. Ständig wechseln in Mathieus Geschichten die Bezugsgrößen für Raum und Zeit, und das, was er erzählt, ist nur in der Gattung möglich, dies er dafür gewählt hat: dem Comic. Das wiederum verbindet ihn mit McGuire. Beide lassen über das Staunen beim Betrachten ihrer visuellen Einfälle Formerkenntnis entstehen.

Genau das war auch das Prinzip, mit dem Scott McCloud immer wieder in seinem theoretischen Werk verblüffte. Nunmehr aber hat er das wahrgemacht, wovon er schon lange erzählte: noch einmal einen fiktionalen Comic zu zeichnen. "The Sculptor" ist nahezu gleichzeitig in mehreren Sprachen erschienen, unter dem Titel "Bildhauer" auch auf Deutsch (bei Carlsen). Doch es ist, als hätte McCloud über das Pathos, mit dem er die Geschichte eines Mittzwanzigers erzählt, der mit dem Tod einen Pakt schließt, um in den letzten Monaten seines Lebens doch noch Erfolg als Künstler zu haben, all das vergessen, was er in den drei dicken Theoriewerken entwickelt hatte. Hier wird auf fast fünfhundert Seiten so konventionell erzählt wie nur denkbar, mit zahllosen stilistischen Anleihen bei Craig Thompson (Graphik und Seitenarchitektur). Der wurde zwar selbst wiederum durch McClouds Überlegungen geprägt, aber "The Sculptor" ist eben kein originäres Produkt eines Erzählers mehr, sondern ein vielfach vermitteltes. Der Band ist, um mit Platons Höhlengleichnis zu reden, zweifach von der Wahrheit ab. Vom extrem konventionellen Sujet und dem schier unerträglichen Kitsch ganz zu schweigen.

Wie konnte das geschehen? Ist da einer der großen Vordenker des Comics dem eigenen Erfolg zum Opfer gefallen, insofern er gar nicht gemerkt hat, dass all seine früheren Erkenntnisse schon längst Allgemeingut sind und somit nicht mehr überraschen können? McGuire und Mathieu machen auch seit ihrem Beginn immer wieder dasselbe, aber das tun sie derart konsequent, dass ihnen niemand darin zu folgen vermag. Und es sind eigene Einfälle, die bei diesen beiden immer noch tragen, während McCloud sich für seine wirkungsmächtigen Theorien von diversen Vorläufern inspirieren ließ. Dass er nun selbst wieder Künstler werden wollte, rächt sich. Die Trias von erhofften Meisterwerken hat er durch sein Debakel gesprengt.

ANDREAS PLATTHAUS

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Scott McCloud hat sich seinen größten Wunsch erfüllt, ohne dem Teufel die Hand zu reichen. Christian Bos Kölner Stadt-Anzeiger 20150502