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Der mit den Pferden singt
Es gibt nur noch eine Hand voll unscharfer alter Schwarzweißaufnahmen. Und ein paar vergilbte Erinnerungen an die Zeit, als Katy Thatcher, die Tochter des Dorfarztes, noch ein Mädchen war... als ein knatternder neuer Ford die Sensation im Dorf bedeutete, die moderne Schulmedizin noch in den Kinderschuhen steckte und über die Irrenanstalt nicht gesprochen wurde. In dieser Zeit tritt der stille Jacob in Katys Leben. Er ist gestört, heißt es im Dorf. Doch auch wenn er nie zu ihr spricht oder sie direkt ansieht, versteht Katy ihn gut - und sei es nur in den Momenten,…mehr

Produktbeschreibung
Der mit den Pferden singt

Es gibt nur noch eine Hand voll unscharfer alter Schwarzweißaufnahmen. Und ein paar vergilbte Erinnerungen an die Zeit, als Katy Thatcher, die Tochter des Dorfarztes, noch ein Mädchen war... als ein knatternder neuer Ford die Sensation im Dorf bedeutete, die moderne Schulmedizin noch in den Kinderschuhen steckte und über die Irrenanstalt nicht gesprochen wurde. In dieser Zeit tritt der stille Jacob in Katys Leben. Er ist gestört, heißt es im Dorf. Doch auch wenn er nie zu ihr spricht oder sie direkt ansieht, versteht Katy ihn gut - und sei es nur in den Momenten, in denen sie gemeinsam für die Pferde singen. Und als die Ereignisse eine unerwartete und tragische Wendung nehmen, ist es Katy, die herausfindet, was geschehen ist - und warum.
Autorenporträt
Lois Lowry, geboren 1937 auf Hawaii, begann mit über 30 Jahren das Studium der Literatur und Fotografie und einige Jahre später das Schreiben. Ausgezeichnet u. a. mit der begehrten Newbery Medal ausgezeichnet. Die Autorin lebt z. Zt. in Boston und New Hampshire.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2005

Verschwommenes Gesicht in einem Fenster
Ein Mädchen erzählt aus seiner Kindheit an der amerikanischen Ostküste kurz vor dem ersten Weltkrieg
Eigentlich ist es keine Geschichte für Kinder, die hier erzählt wird. Eigentlich müsste eine liebevolle Urgroßmutter für ihre Urenkel lustige Geschichten erfinden, „von Schweinen mit rosa Haarbändern an ihren Ringelschwänzen” zum Beispiel. Nicht eine so komplizierte, deprimierende wie die von Jacob, an die sich in diesem sehr anspruchsvollen, raffiniert konstruierten und raffiniert einfach erzählten Roman Katy, achtzig Jahre später, nun eine alte Frau, immer noch schmerzvoll erinnert.
Als hätte sich die Erzählerin die Warnungen besorgter Erwachsener zu Herzen genommen, ihre Leser nicht zu erschrecken, entwirft sie also schöne, stimmige Bilder vom Leben in einem ländlichen Amerika vor hundert Jahren, von harmlosen Alltagsabenteuern, von den Kutschenfahrten zu den Patienten auf den Farmen ringsum, bei denen das Mädchen Katy ihren Vater begleiten darf, von Kindergeburtstagen, Kinobesuchen und Kinderspielen. Unglück und Katastrophe, entweder das Erdbeben von San Francisco oder Schiffbruch, sie sind in diesem Sommer des Jahres 1911 die Lieblingsspiele von Katy und ihrem Freund Austin. Und auch sonst gibt es Hinweise genug darauf, dass in dieser Geschichte alles auf eine Katastrophe hin zutreibt.
Jacob, um den sich diese Katastrophe entwickelt, kommt, obwohl fast immer präsent, eher am Rande vor. Er wird, buchstäblich, nicht wirklich greifbar; anfassen lässt er sich nicht. Und er bleibt stumm, bis auf ein seltsames Singen. Er sei „gestört” , sagt man Katy. Nur ein verschwommenes Gesicht hinter einem Fenster ist er, als sie ihm zum ersten Mal begegnet. Immer ist sein Gesicht verdunkelt von einer dicken Mütze, die ihn abschirmt von der Welt, aber die ihn nicht schützen kann - und vor was schützen soll? In den folgenden Monaten lernt sie ihn verstehen, weiß, wie gut Jacob mit Tieren umgehen kann, dass er liebevoll für die kleinen Lämmer und Kälber sorgt und doch auch die überzähligen jungen Katzen, die niemand haben will, im Fluss nebenan ersäufen muss (nein, die Erzählerin macht niemandem vor, das Leben sei lustig). Doch auch wenn es der klugen, einfühlsamen Katy gelingt, so etwas wie Vertrauen zu diesem merkwürdigen Jungen herzustellen - er bleibt fremd, ein Schemen, wie auf den leicht unscharfen Fotografien, an Hand derer Lois Lowry die Geschichte von Jacob „rekonstruiert”.
Jedem der 20 Kapitel, in denen sie das Drama um diesen gestörten, vielleicht autistischen dreizehnjährigen Jungen entwickelt, stellt Lowry, vielfach ausgezeichnete Autorin von gut einem Dutzend Kinderbüchern, ein Foto voran. Ein wohl bedachter Kunstgriff ist das. Erlaubt doch diese Konstruktion der Erzählerin jene gleichzeitig wohltuende und auch beunruhigende Unbestimmtheit, die alte Fotos haben, und dabei doch auch alle Freiheit und Genauigkeit des Fiktionalen. Bild für Bild entfaltet Lowrys Erzählerin mit leisem Ton ihre Geschichte, stimmungsvoll übersetzt von Brigitte Jacobeit. Durch wie zufällig hingestreute Anspielungen steigert sie langsam die Spannung. Auf dreien oder vieren der Fotos ist auch ein Junge zu sehen, der Jacob sein könnte: umschattet, manchmal im scharfen Gegenlicht, nie deutlich - bis er aus dieser Geschichte verschwindet. Nichts mehr ist als eine wunde Erinnerung. Kein einziges Foto gibt es von der Irrenanstalt, in die man den stummen Jacob am Ende bringen wird, weil er ein Kind getötet haben soll. Wie die Geschichte sich aber damals wirklich abgespielt hat, das ahnt nur Katy. (ab 13 Jahre und Erwachsene)
ELISABETH BAUSCHMID
LOIS LOWRY: Mein stiller Freund. Aus dem Englischen von Brigitte Jacobeit. Carlsen Verlag 2004. 177 S., 14,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Bilderleben in Amerika
Sanft, intensiv, verstörend: "Mein stiller Freund" von Lois Lowry

Ein Foto zeigt ihre Mutter. Andere zeigen Menschen, die die Autorin Lois Lowry gekannt hat. Wieder andere hat sie aus einem Antiquitätengeschäft mitgebracht, und die Menschen, die da verschlossen oder unbefangen in die Kamera lächeln, sind Wildfremde für sie. Aber alle diese Fotos erzählen vom längst versunkenen ländlichen Leben in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, und Lois Lowry hat sie zum Ausgangspunkt eines originellen und rundherum geglückten Romanprojekts gemacht. Denn aus dem jungen Mädchen in der Matrosenbluse mit dem flachen Hut oder der alten Frau mit dem schwarzen Bändchen sind Romanfiguren geworden, die sich trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft zu einem künstlerischen Gewebe gruppieren: weil die Autorin die Fotos ernst nimmt, weil sie genauer hinsieht als üblich, weil sie den Ehrgeiz hat, ungewöhnliche Details auch zu verstehen und zu erklären, und weil sie schließlich in schöner Balance weder den Bildern noch ihrer Geschichte mehr zumutet, als sie tragen können.

Das schönste - und das verstörendste - Foto stellt dem Roman seinen Helden zur Verfügung, freilich einen, der so rätselhaft ist, daß er nur von außen beschrieben werden kann: ein Junge steht da, unbestimmbaren Alters und zutiefst verschüchtert, mit einer Mütze auf dem Kopf und halb verschattet. Aus diesem Bild wird Jacob, der wunderliche Junge aus einer armen Farmersfamilie, der Tiere liebt und so gut Geräusche imitieren kann, sonst aber kaum mit seiner Umgebung kommuniziert. Die Arzttochter Katy freundet sich mit ihm an, und weil sie sich für ihn interessiert, kann sie am Ende, als es zur Katastrophe kommt, als einzige seine Beweggründe verstehen.

Kinderbüchern, die aus der Perspektive des durch die soziale Stellung der Eltern begünstigten Nachwuchses über die Nöte weniger glücklicher Kinder berichten, haftet oft etwas Schales an. Wenn Katy von Jacob und seinen Schwestern erzählt, fehlt diese nesthäkchenhafte Mischung aus sozialem Bewußtsein und kaum verhohlener Befriedigung über das eigene Los völlig. Weil Lowry ihrer Katy die eingeschränkte Perspektive beläßt, aber die Sichtweise der erwachsenen, aus der Rückschau eines langen Lebens erzählenden Frau ganz sanft durchscheinen läßt, wirkt nicht einmal die angedeutete ganz geradlinige Biographie, die in der langen Ehe mit dem Sandkastenfreund von gegenüber mündet, verlogen oder kitschig.

Denn Katy vertuscht andererseits auch keine der kleinen oder größeren Katastrophen, die sich in der Wahrnehmung einer Acht- oder Zehnjährigen zum schier unbewältigbaren Albtraum auftürmen können; ihre Erlebnisse sind mit einer Intensität geschildert, die sie als bare Selbstverständlichkeit ausweisen, und die dem Band beigegebenen Fotos tun ein übriges, die Realität des Geschehens zu unterstreichen und gleichzeitig mit jedem neuen Bild den historischen Abstand zu betonen.

Daß Kindheit, auch wenn man es sich anders wünschen mag, aus der Rückschau erheblich mehr Raum einnimmt als andere Epochen einer Biographie, ist sattsam bekannt. Wie daraus im Zusammenspiel mit glücklich ausgewählten Bildern ein Kunstwerk begründet werden kann, zeigt Lois Lowrys Roman mit Bravour.

TILMAN SPRECKELSEN

Lois Lowry: "Mein stiller Freund". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Jakobeit. Carlsen Verlag, Hamburg 2004. 177 S., geb., 14,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Buch ist für Rezensentin Elisabeth Bauschmid eine Art Gegenerzählung zu all den Kindergschichten um niedliche kleine Schweinchen mit Ringelschänzen. Lois Lowry erzählt darin eine zutiefst deprimierende Geschichte von einem wahrscheinlich autistischen Jungen, der - die geschichte spielt zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts - in ein Irrenhaus abgeschoben wird, weil ihm die Schuld am Tod eines anderes Kindes zugeschrieben wird. Doch so beunruhigend diese Geschichte auch ist, die Rezensentin hat nur lobende Worte für das Buch übrig: Sehr anspruchsvoll, raffiniert konstruiert und raffiniert einfach erzählt.

© Perlentaucher Medien GmbH