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Das Leben in Tomeks kleinem Laden, in dem es alles gibt, ist friedlich und ruhig. Bis zu dem Tag, an dem Hannah über die Schwelle tritt und bei ihm eine Zuckerstange kauft - denn Tomek beschließt, ihr zu folgen... Durch den Wald des Vergessens führt die Reise, über den Ozean und zu der Insel-die-es-nicht-gibt, und als Tomek und Hannah sich bei den Parfümeuren wiederbegegnen, liegt Tomek in tiefem Schlaf und sieht sie nicht. Doch die Quelle des Flusses, der rückwärts fließt, finden sie gemeinsam – und gemeinsam beschließen sie letztendlich, nicht vom Wasser des Lebens, das unsterblich macht, zu trinken.…mehr

Produktbeschreibung
Das Leben in Tomeks kleinem Laden, in dem es alles gibt, ist friedlich und ruhig. Bis zu dem Tag, an dem Hannah über die Schwelle tritt und bei ihm eine Zuckerstange kauft - denn Tomek beschließt, ihr zu folgen... Durch den Wald des Vergessens führt die Reise, über den Ozean und zu der Insel-die-es-nicht-gibt, und als Tomek und Hannah sich bei den Parfümeuren wiederbegegnen, liegt Tomek in tiefem Schlaf und sieht sie nicht. Doch die Quelle des Flusses, der rückwärts fließt, finden sie gemeinsam – und gemeinsam beschließen sie letztendlich, nicht vom Wasser des Lebens, das unsterblich macht, zu trinken.
Autorenporträt
Jean-Claude Mourlevat wurde 1952 in der Auvergne, Frankreich, geboren und studierte in Straßburg, Toulouse, Stuttgart, Bonn und Paris. Zunächst arbeitete er als Lehrer in Frankreich und Deutschland und absolvierte nebenher eine Theaterausbildung. 1990 verließ er den Schuldienst, um Dramen von Brecht, Cocteau und Shakespeare zu inszenieren. 1997 begann er, für Kinder und Jugendliche zu schreiben. Inzwischen gehört er zu den renommiertesten Jugendbuchautoren Frankreichs und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2007

Schweigen vor lauter Glück
Doppelroman: Das Märchen von Hannah und Tomek

Die Niagarafälle, die genau auf der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada 58 Meter in die Tiefe stürzen, zählen zu den großen Touristenattraktionen Nordamerikas, bewundert von Millionen Besuchern im Jahr. Hunderttausende haben dort ihre Flitterwochen verbracht, in Herbergen, die den Charme von Stundenhotels ausstrahlen, wie der Fotograf Alec Soth in seinem Bildband "Niagara" nachweist, den der Steidl-Verlag im vorigen Jahr auch bei uns veröffentlichte. Soths Blick ist eine bitter-ironische Mythenzerlegung, Illustration der dunklen Seite des Liebesmonds. Geradezu folgerichtig scheint es da, dass die Fälle seit je auch Lebensmüde und Todessüchtige anziehen. Indes war schon Oscar Wilde davon überzeugt, dass der Niagara-Tourismus, der mittlerweile seit zweihundert Jahren blüht, eine besonders trügerische Form der Trauminszenierung sei. Die Wasserfälle als Sehnsuchtsziel bezeichnete er als erste, wenn nicht gar heftigste Enttäuschung im amerikanischen Eheleben. Und auch die Sensation des Naturereignisses vermochte er nicht zu würdigen. Ein Wunder, spottete er, wären die Fälle allenfalls, würde das Wasser aufwärts donnern.

Nun ist Tomek nicht Oscar Wilde. Als der Halbwüchsige ganz am Ende seiner langen Reise in der Ferne eine funkelnde Mauer ausmacht, die den Fluss blockiert, da hält er staunend inne. Dann erst erkennt er, dass es sich um einen Wasserfall handelt. Nur fällt das Wasser nicht. "Ganz im Gegenteil: Es stieg ruhig und friedlich ohne jede Gischt vollkommen senkrecht nach oben. Was für ein Wunder!, dachte Tomek."

Die Niagarafälle sind auch nicht vergleichbar mit den Wasserfällen unmittelbar vor der Quelle des Qjar-Flusses, des Flusses, der rückwärts fließt und dessen Quellwasser ewiges Leben verheißt. Noch nie ist ein Mensch von dort zurückgekehrt. Tomeks Geschichte handelt von dem langen gefährlichen Weg zum Ursprung des Seins durch den Wald des Vergessens und über die Blumenwiese, deren Duft in todesähnlichen Schlaf versetzt. Daraus erwacht nur, wer jemanden hat, der geduldig am Bett sitzt und so lange aus Büchern vorliest, bis die einzig richtige Kombination von Worten ausgesprochen ist, denn für jeden Menschen gibt es eigene Erweckungsformeln, die niemand sonst kennt. Vergleichsweise einfach sind die anderen Aufgaben unterwegs zu lösen: Ein Gebirge ist zu überwinden, und es gilt, die Wüste und den Ozean zu bezwingen.

Doch eigentlich ist Tomeks Geschichte die Geschichte von Hannah, denn das Mädchen machte sich zuerst auf den Weg zur Quelle des Qjar-Flusses, um einen Tropfen Lebenswasser für ihren blaugrünen Indigofink zu schöpfen, bei dem es sich tatsächlich um eine verwunschene Prinzessin handeln soll. Tomek, der in einem kleinen Dorf einen Gemischtwarenladen nach Art der Vorväter führt, in dem alles zu kaufen ist, was es überhaupt auf der Welt gibt - nur eben kein Wasser des Qjar-Flusses -, folgt ihren Spuren, weil er sich auf Anhieb in Hannah verliebt hat, als sie durch die Ladentür trat und eine Zuckerstange verlangte.

Die Dekonstruktion der Geschichte von Hannah und Tomek zum reinen Nacherzählungsfaden wird ihr nicht gerecht. Denn sie nimmt dem ganz und gar Verspielten dieses Märchens, das keine Orte hat, dafür aber alle Zeit, den Zauber und reduziert die Kunst des Erzählens auf das rein Handwerkliche. Dabei ist es doch die größte Leistung und alles überstrahlende Kunst des Franzosen Jean-Claude Mourlevat, der als Deutschlehrer arbeitete und als Schauspieler im Kindertheater und der erst als Mittvierziger vor zehn Jahren mit dem Schreiben begann, einen Ton gefunden zu haben, der wie ein Leitstrahl durch alle Prüfungen führt, die er seinen beiden Helden zumutet. Nie gerät Mourlevats Erzählen dabei in Gefahr, dem Sensationellen des Stoffes zu erliegen.

Ob er über die Ausweglosigkeit des Tods schreibt oder Hannah in den dramatischen Kampf mit einem Ungeheuer von Bär verwickelt oder ob er seine Figuren erkennen lässt, dass das Leben allemal mehr Phantasie entwickelt, als es der Mensch vermag - stets bleibt seine Stimme im ruhigen Parlando. Seine Vollendung findet es in den letzten Sätzen Hannahs: "Aber jede Geschichte braucht ein letztes Wort, und ich, die Schwatzhafte, werde das schönste Wort von allen wählen. Ich habe es in der Wüste gelernt. Es heißt ,Schweigen'".

Das Schweigen als Antrieb einer Erzählung, die sich mit jeder Wendung neuen absurden Vorstellungen öffnet, die dann wie von selbst zur glaubhaften Projektion der Märchenwirklichkeit werden, ist eine fabelhafte Pointe. Sie wird übertrumpft von ihrem eigenen Fundament. Mourlevat erzählt Hannahs Erlebnisse, eine Neufassung des ewigen Themas der Veränderung durch Bewegung auf der Lebensreise, gleich zweimal: als Ich-Erzählung des Mädchens, was Auslassungen und Zeitsprünge zum plausiblen Bestandteil der Handlung macht, zudem in einem anderen Band aus der Perspektive des unsichtbaren Erzählers, der Tomek nicht von der Seite weicht.

Die Geschichte ist in beiden Fassungen dieselbe, aber in keinem Augenblick gleich. Immer neue Bögen schlingen sich um die Handlung, was sinnfällig bereits im Titelbild der deutschen Ausgabe wird (unsere Abbildung). Die Zeichnung des Tomek-Bands zeigt ein Dorf am Meer bei Tageslicht. Durch die Mitte des Gebäudes, das im Zentrum entsteht, wenn man das Hannah-Buch danebenlegt, verläuft die Grenze zur Nacht und jenen Moment, da das Mädchen aufbricht, um den Weg ins Leben zu finden.

Gleichgültig ist, welchen Band man zuerst liest. Der andere wird ganz selbstverständlich zur kommentierenden Ergänzung. Dieses Verfahren ist im Detail von raffinierter Leichtigkeit, wenn etwa Hannah ihren Kampf mit dem Bären als atemlose Actionszene schildert, Tomek hingegen in seiner Fassung vom Ringen um Leben und Tod nur einen Schrei vernimmt, der aus dem Dunkel dringt, und dann an der Ungewissheit über ihr Schicksal zu verzweifeln droht, bevor er zurück in die Logik der fortschreitenden Erzählung findet.

Dass Mourlevat immer wieder sein engmaschiges Handlungsnetz verlässt, um wie unabsichtlich über das Unwiederbringliche der Zeit zu philosophieren, die verstreicht, und die Möglichkeiten unterschiedlicher Lebensentwürfe, macht seinen Doppelroman zu einem Gesamtkunstwerk, dessen Bedeutung man nie als schwergewichtig oder gar drückend empfindet. Im Gegenteil: Die Bücher schenken zusammengenommen 330 Seiten reinen Glücks.

ANDREAS OBST

Jean-Claude Mourlevat: "Der Fluss, der rückwärts fließt - Hannah". Aus dem Französischen übersetzt von Maja von Vogel. Carlsen Verlag, Hamburg 2007. 157 S., geb., 13,- [Euro]. Ab 9 J.

Ders.: "Der Fluss, der rückwärts fließt - Tomek". Aus dem Französischen übersetzt von Tobias Scheffel. Carlsen Verlag, Hamburg 2007. 174 S., geb., 13,- [Euro]. Ab 9 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der Fluss, der rückwärts fließt" ist ein Doppelroman, genauer gesagt ein Roman in zwei Büchern, der dieselbe Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt. Die Geschichte ist fantastisch, denn in der Tat geht es um einen Fluss, der rückwärts, und sogar einen Wasserfall, dessen Wasser aufwärts fließt. Und um eine Reise zur Quelle des Flusses Qjar, die ewiges Leben verheißt. Auf den Weg macht sich die junge Hannah und Tomek, der sich in sie verliebt hat, reist hinterher. Im einen Buch ist Hannah die Ich-Erzählerin, im anderen ist ein anderer Erzähler Tomek ganz nah. So kompliziert die Konstruktion scheint - der Rezensent Andreas Obst ist entzückt von der handwerklichen Meisterschaft des Autors Jean-Claude Mourlevat im Besonderen und den Büchern überhaupt. Egal, in welcher Reihenfolge gelesen, die Romane fügen sich aus seiner Perspektive zum "Gesamtkunstwerk", das dem Leser auf der ganzen Strecke "reines Glück" zu schenken vermag.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Bücher (Hannah und Tomek) schenken zusammengenommen 330 Seiten reinen Glücks.", Frankfurter Allgemeine 20151104