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Zur Zeit der Kulturrevolution unter Mao Zedong wird der brave Soldat Wu Dawang als Haushaltshilfe in das Heim seines Divisionskommandeurs abberufen. Zur Vorbereitung auf seine Aufgabe unterzieht man ihn einer Gehirnwäsche diensteifrig folgt er den ihm eingetrichterten Anweisungen. Während einer längeren Abwesenheit des Kommandeurs macht sich dessen hübsche Frau Liu Lian an den ahnungslosen Wu heran. »Zieh dich aus, um dem Volke zu dienen«, befiehlt sie ihm, und er gehorcht. Eine amour fouentfacht zwischen den beiden, vergessen sind Volk und Partei. Erst als im Schlafzimmer eine Skulptur des…mehr

Produktbeschreibung
Zur Zeit der Kulturrevolution unter Mao Zedong wird der brave Soldat Wu Dawang als Haushaltshilfe in das Heim seines Divisionskommandeurs abberufen. Zur Vorbereitung auf seine Aufgabe unterzieht man ihn einer Gehirnwäsche diensteifrig folgt er den ihm eingetrichterten Anweisungen. Während einer längeren Abwesenheit des Kommandeurs macht sich dessen hübsche Frau Liu Lian an den ahnungslosen Wu heran. »Zieh dich aus, um dem Volke zu dienen«, befiehlt sie ihm, und er gehorcht. Eine amour fouentfacht zwischen den beiden, vergessen sind Volk und Partei. Erst als im Schlafzimmer eine Skulptur des Großen Vorsitzenden zerbricht, scheint ihr lustvolles Treiben jäh beendet auf solch einen konterrevolutionären Akt steht die Todesstrafe. Wer aber denkt, hier ist Schluss, der irrt und kennt weder die Fantasie der Lust noch die erotische Ausstrahlung einer kaputten Mao-Ikone. Ein wilder, verrückter und anrührender Roman über die Freiheit der Liebe und die Liebe zur Freiheit.
Autorenporträt
Yan Lianke, geboren 1958, ist ein chinesischer Schriftsteller der Gegenwartsliteratur. Im Jahr 2014 wurde er mit dem Franz-Kafka-Preis für sein Gesamtwerk geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2007

Es war einmal ein keuscher Soldat

Yan Lianke, einer der wichtigsten chinesischen Autoren, war Propagandaschreiber bei der Volksbefreiungsarmee. Erstmals liegt nun ein Roman von ihm auf Deutsch vor: "Dem Volke dienen", eine ironisch-erotische Zumutung für sein Land, ist in China verboten.

Es musste einiges passieren, bis der Roman das folgende Tableau erreicht: Auf einem Fußboden, der übersät ist vom Schutt sorgfältig zertrümmerter Statuen, Bilder und Kalligraphien des Vorsitzenden Mao Tse-tung, liegen, nackt und erschöpft, ein Mann und eine Frau, während über ihnen die einzig heil gebliebene Schrifttafel das Thema anzeigt: "Dem Volke dienen!" Das könnte eine Kunstinstallation darüber sein, wie ideologische und sexuelle Ekstase in eins fallen und zugleich kollabieren, ein grotesker Abgesang auf das vergangene Jahrhundert. Die Parole "Dem Volke dienen!", eine der wenigen, die das gegenwärtige China aus der maoistischen Ära übernommen hat, wechselt ihre Vorzeichen; der Körper tritt an die Stelle des Staates, die kollektiven Großbegriffe haben ausgedient.

Man versteht ohne weiteres, warum gerade dieser Roman der erste ist, der von Yan Lianke, einem der wichtigsten chinesischen Autoren zurzeit, ins Deutsche übertragen wurde. Er vereint in sich die Verkaufsargumente, unter denen westliche Verlage für gewöhnlich meinen, dem Publikum etwas Chinesisches zumuten zu können: Er hat mit Mao zu tun, handelt von Sex und wurde verboten. In diesem Fall hat der Verlag die Stellungnahme der Zensurbehörde ("vulgäre und obszöne Darstellungen", "schwerwiegende gedankliche Irrtümer") aparterweise gleich als Geleitwort abgedruckt. Aber man würde das Buch erheblich unterschätzen, würde man glauben, es bediene nur solche Schlüsselreize, sei einfach eine Satire auf die Verblendungen der Kulturrevolution.

Es ist kein Thesenroman, sondern eine Erzählung, deren Kern hinter dem funkelnden Witz traurig ist. Im Mittelpunkt steht der Soldat Wu Dawang, der im Haus des Divisionskommandeurs als Ordonnanz und Koch Dienst tut. Er ist ein Mustersoldat, der wie kein anderer 286 Worte des Vorsitzenden sowie klassische Schriften auswendig kann. Aber es stellt sich heraus, dass sein Eifer auch daher rührt, dass er seiner Frau im heimischen Dorf versprochen hat, Karriere zu machen und sie dann in die Stadt zu holen, wo sie jeden Tag Dampfnudeln essen kann.

Als nun die junge Frau des Kommandeurs dessen mehrmonatige Abwesenheit zu erotischen Avancen nutzt, gerät der arme Wu in eine Zwickmühle: Ob er zustimmt oder ablehnt, beide Male verrät er seine Frau und seine politischen Ideale, denn die Vorgesetzten haben ihm oft genug eingetrichtert, dass "Dienst am Volk" für ihn "Dienst am Kommandeur und seiner Frau" bedeutet, und wenn er dieser Anforderung nicht entspricht, ist es mit seiner Laufbahn und den Lebensaussichten seiner Frau vorbei. So geht er schließlich auf die verführerischen Avancen ein, und immer wenn die Frau des Kommandeurs die alte Tafel mit der Aufschrift "Dem Volke dienen!" von ihrem Platz verrückt, ist dies für ihn das Zeichen, dass er sich ihr nähern soll. Nachgeschoben wird, dass Wus Frau frigide und der Kommandeur auf Grund einer Schussverletzung impotent ist. Der Roman verbirgt das Konstruierte dieser Konstellation nicht; er streicht es durch Querverweise auf Psychoanalyse und moderne Literaturtheorie sogar heraus. Aber das Wunder ist, mit wie viel Leichtigkeit und Komik Yan Lianke diesem künstlichen Amalgam Leben abgewinnt. Er schafft es, den politischen Jargon der Zeit als poetisches Mittel zur Verfremdung noch des kleinsten Details zu gebrauchen. Alles hier ist Ironie, aber eine Ironie, die sich nicht selbst genügt, sondern nur eine Verkleidung der Melancholie ist, die darunter liegt. Nachdem die erste Zögerlichkeit abgestreift ist, heißt es von Soldat Wu: "Er pflügte die Wolken und säte den Regen", und dies in einem fort. Während draußen die Kulturrevolution wütet, toben die beiden Liebenden am Ende nur noch nackt durch die von der Außenwelt abgeschirmte Offiziersvilla und zerstören, um sich ihre Hingabe zu beweisen, dasjenige, was ihnen zuvor am teuersten war, die Reliquien ihres maoistischen Glaubens. Doch die unverhoffte Verzückung, die sie für einen Moment aus ihrem Trott reißt, ist auch eine Entdeckung der Beliebigkeit, die die vermeintlichen Notwendigkeiten ihres Lebens sonst durchdringt. Von dieser Entdeckung werden sie sich nicht mehr erholen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Figuren, die dieser postmodern anmutenden Versuchsanordnung entspringen, alles andere als postmodern sind; ihre Zwänge und Ambitionen sind ganz gewöhnlich, und all die ironische Durchtriebenheit dient Yan nur dazu, sich in die Leiden dieser Gewöhnlichkeit auf eine gänzlich unsentimentale Weise einzufühlen. Erst einmal aber lässt die Unbedingtheit der Liebe in einer quasiromantischen Volte die Welt, wie man sie kennt, zu nichts zerfallen: Die gesamte Division wird aufgelöst, da der zurückgekehrte Kommandeur alle möglichen Mitwisser seiner Erniedrigung entfernt hat. Und die Geliebte verschafft dem untreuen Wu ein äußerliches Happy End, indem er ehrenvoll aus der Armee entlassen wird, eine Stelle im angesehenen Traktorenwerk "Der Osten ist rot" in der Stadt erhält und seine Frau nachziehen darf. Aber in sein altes Leben findet er nicht mehr zurück.

Yan Lianke, der lange Jahre als Propagandaschreiber bei der Volksbefreiungsarmee gearbeitet hat, kennt die Sprache dieser Umgebung in- und auswendig, und auch die großartige Übersetzung des Sinologen Ulrich Kautz trifft ihren Ton mit schlafwandlerischer Sicherheit. Hinter der burlesken Oberfläche sind Yans Romane realistische Bestandsaufnahmen des heutigen Chinas. Mit der doppelten Zumutung, die das Thema dieses ironisch-erotischen Kammerspiels ist, müssen heute alle Chinesen klarkommen.

MARK SIEMONS

Yan Lianke: "Dem Volke dienen". Roman. Aus dem Chinesischen übersetzt von Ulrich Kautz. Ullstein Verlag, Berlin 2007. 206 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Verena Mayer gefällt Yan Liankes Roman, der den Unmut der chinesischen Zensurbehörden auf sich zog und erst durch seine Veröffentlichung im Westen bekannt wurde. Ihrer Meinung nach funktioniert das Buch auf mehren Ebenen. Man kann es einfach als "gelungenen erotischen Roman lesen", meint Mayer, es ist aber auch "eines der interessantesten Dokumente über das moderne China" - nicht zuletzt, weil es nicht den Wandel, sondern ein "typisches Leben in der chinesischen Provinz" aufzeigt. Dem Autor gelinge es, trotz plakativer Szenen "nie platt" in seiner Gesellschaftskritik zu sein. Mayer freut sich auch über die gelungene Übersetzung von Ulrich Kautz, der den Stil des Autoren wunderbar einfängt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.03.2008

Das Zwitschern hungriger Lerchen
Mit Mao-Parolen siegt auch in der Armee die große Liebesunordnung: Yan Liankes Roman „Dem Volke dienen”
So macht Kommunismus Spaß: Wu Dawang, Gruppenführer beim chinesischen Militär, wird eines Tages ins Schlafzimmer der Frau seines Vorgesetzten zitiert. Dort räkelt sich die schöne Liu Lan bereits halbnackt auf dem Bett, der Gatte ist auf Dienstreise. Und auch der Rest gleicht einer Männerphantasie. „Sie befahl: ‚Dien dem Volke und zieh dich aus.‘” Dabei bleibt es nicht. In der Villa des abwesenden Kommandeurs durchleben Wu Dawang und Liu Lan alle Phasen von sexuellem Genuss und Überdruss, am Ende verbringen sie „wirklich und wahrhaftig wie die Urmenschen in ihrer Höhle splitterfasernackt sieben Tage und sieben Nächte hinter verschlossenen Türen miteinander”. Sieben Tage reichen, um ein Universum zu erschaffen, und auch Wu Dawang und Liu Lan leben in ihrer eigenen Welt. Sie merken nicht einmal, dass es draußen schon Winter geworden ist. „Während dieser kurzen Zeit von nicht einmal zwei Monaten waren sie Herren ihrer Instinkte, gleichzeitig aber auch deren Sklaven. Ihre erotischen Spiele waren nahezu einziger Lebensinhalt, einziger Selbstzweck für die beiden geworden.”
Nun wären Hingabe und Selbstvergessenheit für Liebende nichts Ungewöhnliches. Doch der Schauplatz von Yan Liankes Roman ist die chinesische Armee, und dort geht es streng nach den Geboten Maos zu, die Parole „Dem Volke dienen” steht groß auf einer Holztafel. Ausgerechnet diese Tafel wird gleich zu Beginn des Romans zweckentfremdet. Sobald Liu Lan die Tafel nämlich verschiebt, weiß der Soldat Wu Dawang, dass er seiner Geliebten im Schlafzimmer zu Diensten sein soll. „Er zögerte kurz, dann zog er die Uniformhose aus. . . . ,Dien dem Volke!’, stieß sie atemlos hervor. ‚Tu’s! Tu’s! Tu’s doch!”
Die Worte des Großen Vorsitzenden als Sexsignal – das reichte, um die chinesischen Zensurbehörden auf den Plan zu rufen. Nachdem Yan Lianke 2005 einen Auszug des Romans in einer Zeitschrift veröffentlicht hatte, durfte das Buch in China nicht erscheinen. „Dem Volke dienen” kam zuerst in Frankreich heraus und machte seinen Autor auf dem Umweg über den Westen weltweit bekannt. Doch es ist nicht die schon im Titel beziehungsweise Titelbild (eine Männerunterhose mit dem Bildnis Maos) steckende Provokation, die das Buch zu einem der interessantesten Dokumente über das moderne China macht. „Dem Volke dienen” ist ein äußerst vielschichtiger Roman. Zunächst einmal rollt Yan Lianke am Beispiel Wu Dawangs ein typisches Leben in der chinesischen Provinz auf. Es ist ein Leben, das an „Kräuter, die ohne Sonnenlicht auskommen mussten, erinnerte”. Wu Dawangs Vater ist tot, die Mutter hat Leberzirrhose, er selbst rackert sich auf den Feldern ab, bis er das Angebot bekommt, in die chinesische Armee einzutreten. Es ist seine einzige Chance. Denn selbst ein plumpes Landmädchen wie seine Verlobte Ezi heiratet ihn nicht ohne weiteres, sondern nur unter der Bedingung, dass er immer „Ochse und Pferd” für sie sein werde – und dass er in die Partei aufgenommen und zum Offizier befördert wird.
Feiertage in der Lehranstalt
Also lässt Wu Dawang sich in der Volksbefreiungsarmee, „dieser großen Lehranstalt”, schinden. Er lernt, worauf es ankommt: „Sag nichts, frag nichts und tu nichts, was dir nicht zukommt.” Für den jungen Chinesen lohnt sich die Plackerei trotzdem. Im Vergleich zu seiner früheren Existenz erscheint ihm jeder Tag in der Armee als „ein Feiertag wie daheim in Wujiagou höchstens das Neujahrsfest”. Wu Dawang fällt dem Instrukteur positiv auf, schließlich darf er im sogenannten Haus Nr. 1 Hilfsdienste verrichten. Dort, als Koch und Botengänger des Divisionskommandeurs, merkt er endgültig, was einer wie er wert ist. „Der Rangunterschied zwischen ihnen war so unüberwindlich wie die Große Mauer, der Kontrast so gewaltig wie der zwischen einem Wolkenkratzer und einer Bergbauernhütte.”
Yan Lianke zeichnet ein realistisches, aber auch subtiles Bild von seinem Helden. An keiner Stelle wird der Roman platt gesellschaftskritisch – das verhindert schon Yan Liankes Sprache, eine Mischung aus poetischen Bildern und rotzfrecher Ironie, die in der großartigen Übertragung von Ulrich Kautz weder in den Kitsch noch in den Kalauer abdriftet. Zudem zieht Yan Lianke eine reflexive Ebene in den Roman ein, die des Erzählers. Immer wieder hält er die Handlung an, reflektiert über das Schreiben und darüber, dass sich der Leser selbst ein Bild machen soll, auch wenn ihm alles vorhersehbar erscheint. Und dass es einen Autor braucht, um eine komplexe Sicht der Dinge herzustellen. „Das wahre Leben lässt sich manchmal nur in Form eines Romans auf Papier bannen”, lautet der erste Satz des Romans. Ganz nebenbei gelingt Yan Lianke so eine kurze Geschichte über die Macht der Fiktion in einem Staat, der nur seine eigene Wirklichkeit zulässt. Der 1958 geborene Yan Lianke weiß, wovon er redet. Bevor er Schriftsteller wurde, war er Propagandaschreiber bei der chinesischen Armee.
Man kann „Dem Volke dienen” aber auch einfach als gelungenen erotischen Roman lesen. Yan Lianke nennt das Ding nicht beim Namen, er illustriert es. Wu Dawang widmet sich dem Körper seiner Liebsten „wie ein Schafhirt, der auf einer Bergwiese nach Herzenslust herumtollt”, er badet „in diesem Fluss der Liebe”, während Liu Lan Dinge sagt, „die sich anhörten wie das ungeduldige Zwitschern hungriger Lerchen im Nest in Erwartung der Fütterung.” Bei Yan Lianke wird die Liebesbeziehung zu einer Art wechselseitiger Landnahme. Wie Teilnehmer einer Expedition erforschen Mann und Frau einander: „Dann wanderte seine Hand zu jener geheimnisvollen, verborgenen Stelle, die ihn am meisten anzog, jenem herrlichen Ort der Schönheit tief im Wald am Ende eines von Blüten gesäumten Pfades, wo Bächlein rauschten und Blumen blühen und Sonne und Mond um die Wette schienen.” Für den Liebenden ist das Universum der Körper des anderen.
Am besten liest sich das Buch aber als Protokoll des Menschen in der Revolte. Die Körper von Wu Dawang und Liu Lan reihen sich nicht ein, sie reiben sich aneinander. Ihre Liebe will nichts, ihr Liebesspiel genügt sich wie jedes Spiel selbst. Dies steht nicht nur in krassem Gegensatz zu dem, was Wu Dawangs Ehefrau unter Sexualität versteht, nämlich ein System aus Ansporn und Belohnung. „Das Volk, und nur das Volk, ist die Triebkraft der Geschichte”, sagt Mao. Wu Dawang und Liu Lan wollen keine Triebkraft sein, für sie zählt allein der Trieb. Er wird zur anarchischen Energie. Der Roman gipfelt in einer Szene, in der Wu Dawang und Liu Lan über ihre Beziehung sinnieren. Wie alle Liebenden sind sie überzeugt, dass die Liebe des anderen nie so groß sein wird wie die eigene. Der Drang der Frischverliebten, sich in Liebesbezeugungen zu überbieten, bekommt bei Yan Lianke etwas von einem grotesken Happening. Um Wu Dawang zu beweisen, dass sie seinetwegen sogar ins Gefängnis gehen würde, zerknüllt Liu Lan ein Mao-Poster und schreit, jetzt sei sie „ein großes konterrevolutionäres Element, du nur ein kleines”.
„Nur an sich selbst denken!”
Das lässt Wu Dawang nicht auf sich sitzen, und er fetzt die „Worte des Vorsitzenden Mao” von der Wand. „Ich bin ein besonders gefährliches Konterrevolutionäres Element! Ich muss nicht nur einmal erschossen werden, sondern zweimal!” Immer größere Mao-Devotionalien, Büsten, Töpfe, Möbel, schaffen die beiden herbei, um sie kaputtzuschlagen oder zu beschmieren. Am Ende ist sogar der Mao-Spruch „Egoismus bekämpfen, Revisionismus kritisieren!” übermalt. Und zwar mit den Worten „Nur an sich selbst denken!” Damit sind die beiden endgültig zu jenen unmündigen Kindern geworden, die ein autoritärer Staat in seinen Bürgern immer sieht.
Metaphern aus der Welt der Kinder durchziehen den Text. Liu Lan flößt Wu Dawang Suppe ein, „wie eine Schwester, die ihr Brüderchen füttert”. Wu Dawang wiederum bringt sie zu Bett „wie ein müdes Kleinkind” oder hängt wie „ein hungriger Säugling” an ihr. In einem System, das alles daran setzt, Leute zu erziehen, wird die Regression zur einzig möglichen Revolution. VERENA MAYER
YAN LIANKE: Dem Volke dienen. Roman. Aus dem Chinesischen übersetzt von Ulrich Kautz. Ullstein Verlag, Berlin 2007. 206 Seiten, 16,90 Euro.
Die Volksbefreiungsarmee paradiert, aber gegen die Zirkulation erotischer Energien helfen keine Aufmärsche. Foto: Kin Cheung/AP
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»Ein brennender, ikonoklastischer, komischer, provokanter, greller und höchst bekömmlich zu lesender Roman; von einer derart kompromisslosen Wildheit, wie wir sie selbst im Westen kaum kennen.« Livres Hebdo »Das ist Eugène Ionesco auf Chinesisch! Und was für ein wunderbarer Schluss: die letzten Seiten, mysteriös und melancholisch, zeugen noch einmal vom wahren großen Talent dieses Autors.« Figaro Litteraire