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Er war Schriftsteller mit Publikationsverbot, Dissident und gefeierter Staatsmann. Er schlug sich als Taxifahrer durch, weil er nicht studieren durfte. Als Wortführer der Regimegegner landete er im Gefängnis. Nach der Revolution von 1989 wurde er als tschechischer Staatspräsident eine der geachtetsten Leitfiguren der westlichen Welt. Vaclav Havel erlebte alle Höhen und Tiefen, die ein politisch engagierter Mensch im kommunistischen Teil Europas erleben konnte. Zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution legt Michael Zantovsky, engster Freund und Weggefährte, die erste große Havel-Biographie…mehr

Produktbeschreibung
Er war Schriftsteller mit Publikationsverbot, Dissident und gefeierter Staatsmann. Er schlug sich als Taxifahrer durch, weil er nicht studieren durfte. Als Wortführer der Regimegegner landete er im Gefängnis. Nach der Revolution von 1989 wurde er als tschechischer Staatspräsident eine der geachtetsten Leitfiguren der westlichen Welt. Vaclav Havel erlebte alle Höhen und Tiefen, die ein politisch engagierter Mensch im kommunistischen Teil Europas erleben konnte. Zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution legt Michael Zantovsky, engster Freund und Weggefährte, die erste große Havel-Biographie vor, die zugleich einen neuen Blick auf die dramatischen Ereignisse des Herbstes 1989 wirft.

Zantovsky, als Schriftsteller, Publizist und Diplomat selbst eine vielseitige Persönlichkeit, hat Havels Weg vom politisch Verfolgten zum höchsten Repräsentanten eines Landes aus nächster Nähe begleitet. Er kennt Havel seit den Zeiten der berühmten Charta '77, war Mitbegründer des Bürgerforums, das die »Samtene Revolution« herbeiführte, und wurde engster Berater Havels während seiner Präsidentschaft. Havels Witwe, die Schauspielerin Dagmar Veskrnova, wie auch enge Freunde Havels gaben ihm sehr persönliche Auskünfte. Seine Biographie zeigt uns einen Mann, der bei aller Verletzlichkeit mit bewundernswertem Mut für Freiheit und Wahrhaftigkeit eintrat - ein Vorbild vom Range Nelson Mandelas.
Autorenporträt
Zantovsky, MichaelMichael Zantovsky, geboren 1949 in Prag. Psychologe, Journalist, Schriftsteller und Diplomat. 1988/89 Prager Korrespondent von Reuters. Mitbegründer des tschechischen Bürgerforums. 1990-92 Sprecher und Politischer Berater von Präsident Havel. 1992-97 tschechischer Botschafter in den USA. 1997-2002 Vorsitzender des tschechischen Senatsausschusses für Auswärtige Politik und Sicherheit. 2003-2009 Botschafter in Israel, seitdem Botschafter in London. Seit den 1970er Jahren enger Weggefährte Havels.

Freundl, HansHans Freundl, geb. 1957, übersetzt Sachbücher aus dem Englischen, u.a. von David Graeber, Nelson Mandela und Bob Woodward.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

 Michael Frank staunt nicht schlecht über das Differenzierungsvermögen des Biografen. Immerhin war Michael Zantovsky einst Päsidialamtssprecher bei Václav Havel. Dass er dennoch keine Hagiografie verfasst hat, sondern ein detailreiches, dennoch kurzweiliges Bild Havels voller Schattierungen und auch Unzulänglichkeiten zeichnet, eines, wie Frank es bislang noch nicht lesen durfte, rechnet er dem Autor hoch an. Parallel zum anekdotenreichen Text liest der Rezensent den Anmerkungsteil des mächtigen Buches mit großem Gewinn, da der Autor hier mitunter die Überlieferung korrigiert. Der Frank manchmal allzu selbstgewiss erscheinende Duktus des Textes, gerät zur Nebensache, da der Autor dem Kern der Sache, wie er einräumt, oft sehr nahe kommt und er politische Abläufe und politische Dynamik mit biografischen Fakten zu erklären vermag.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2015

Die freche
Lichtgestalt
In der Person Václav Havels versöhnten sich Moral
und Macht, Poesie und Politik – eine Biografie
VON MICHAEL FRANK
Kaum zu glauben, aber es gibt tatsächlich Dinge, die in Michael Žantovskýs Biografie über Václav Havel nicht vorkommen. Etwa die Geschichte mit den Orden und Ehrenpreisen. Der legendäre Widerständler gegen das totalitäre System des tschechoslowakischen Kommunismus und spätere Präsident des demokratisierten Landes nahm Orden und Auszeichnungen eigentlich gern entgegen. Dennoch mündete seine aberwitzige Popularität in eine Abwehrschlacht gegen das Vielzuviel der Ehre.
  Wer immer Anfang der Neunzigerjahre eine Ehrung zu vergeben hatte, den drängte es, sie dem großen Tschechen anzuhängen. Es schien gar so zu sein, dass Auszeichnungen und Medaillen eigens nur für Havel erfunden wurden, um so für die verleihenden Institutionen etwas Abglanz vom goldenen Ruhm dieser Lichtgestalt erhaschen zu können. So hat es ein hohes Maß an Energie, Witz und List verlangt, den größeren Wust allzu billiger Verehrung so zurückzuweisen, dass sich die Spender nicht allzu brüskiert vorkamen.
  Detailreich zeichnet Žantovský den Lebenslauf – oder besser – die Entwicklung von Gedanken, Empfinden und Reaktionsweise des Schriftstellers, Moralisten und Präsidenten Václav Havel nach. Die Fülle des Erzählten – was Havel alles tat, was er dachte, wie das einzuordnen ist – macht manchmal atemlos, ohne aber den Wissensdurst der geneigten Leserschaft zu strangulieren. Mittels dieser Fülle gelingt es dem Schreiber, Havel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; nämlich trotz der Sympathie, ja, der Verehrung für den Mann, der für die demokratische Entwicklung der tschechischen Nachwendegesellschaft prägend und unentbehrlich war. Žantovský lässt ausreichend Distanz walten.
  So ersteht in Detail und Genauigkeit auch bei unerfreulicheren, durchaus irritierenden Aspekten dieses turbulenten Lebenslaufes ein ziemlich wahrhaftiges Bild.
  Žantovský hat in seiner Havel-Biografie also hagiografischer Hudelei und damit der grassierenden Sehnsucht widerstanden, eine Idealgestalt beschrieben zu bekommen. Entsprechend sind einige Reaktionen auf dieses Buch ziemlich irritiert ausgefallen. Daraus spricht der Verdruss liebender Havel-Enthusiasten: So viele Schattierungen und Unzulänglichkeiten hatten sie um Himmels willen nicht erfahren wollen. Wieso sich die eigenen schönen Vorurteile durch die Realität zerdeppern lassen?
  Am oft hagiografischen Furor, an der unkritischen Mythologisierung Havels als Person und Politiker liegt es auch, dass Žantovský mit seiner Biografie in ein Vakuum vorstößt. Außer der seinen gibt es bislang auf Deutsch keine verlässliche, einigermaßen umfassende und um Objektivität bemühte Darstellung; dies angesichts einer Person, die wohl in kaum einem anderen Land so populär war, so verehrt wurde, ja zumal für deutsche Idealisten scheinbar Unerreichbares zu verwirklichen schien: die Versöhnung von Moral und Macht, Poesie und Politik, Geist und Gesetz in einer Person.
  Das kurzweilige Konvolut über den Dichter-Präsidenten wurde zunächst auf Englisch verfasst. Nur auf Tschechisch liegt eine durchaus umstrittene Biografie des renommierten Prager Journalisten Daniel Kaiser vor, die Havel ziemlich kritisch betrachtet. Žantovský lässt oft durchblicken, dass er den Interpretationen Kaisers misstraut, erklärt sie manches Mal für falsch, zitiert gleichwohl den Kollegen mit großer Ausführlichkeit. Überhaupt ist der Anmerkungsteil des vorliegenden Bandes ein Kapitel für sich: Es reißt parallel zum eigentlichen Erzählstrang bemerkenswerte Seitengeschichten an, verweist auf abweichende Überlieferung, Legende oder Deutung.
  Žantovskýs Text wimmelt von Anekdotischem, von Schnurren und Geschichten aus diesem so verwickelten und kurzweiligen, so grandiosen und ernüchternden Leben. Der Autor, der einige Zeit als erster offizieller Sprecher des tschechoslowakischen Staatsoberhauptes Havel am Verherrlichungswerk seines Meisters mitgewoben hat, versagt sich trotz aller Verehrung keineswegs, ausführlich auf Unzulänglichkeiten des Beschriebenen – etwa sein vertracktes, fallweise asoziales Verhältnis zu Frauen – einzugehen. Mit gewisser Ironie gelingt es ihm auch, die Rolle wahrhaft heroischer Gestalten in Havels Umgebung, namentlich von dessen erster Frau Olga, zu charakterisieren.
  Im Bemühen, bedeutsame Gestalten am Wege und im nächsten Kreis zu würdigen, greift Žantovský manchmal aber zu kurz. Als Beispiel sei Václav Malý genannt, ein oppositioneller Priester und Mitunterzeichner der Charta ’77, dem er einen einzigen, wenn auch gebenedeiten Satz gönnt, dessen Rolle als Moderator der Massen in der Samtenen Revolution – heute ist er Weihbischof der Erzdiözese Prag – so aber keine Kontur bekommt: Malýs charismatische Regie bewirkte wesentlich die völlige Gewaltlosigkeit des Umsturzes.
  Dass Havel dem Parlamentarismus eher misstraut hat und mehr auf – wenn auch demokratisch legitimierte – Personalautorität setzte, mag Žantovský nicht di-rekt benennen, verschweigt es aber auch nicht. Havels bestürzende Schwäche in den Zeiten nach Unterzeichnung der Charta im Jahr 1977 wird in nobler Weise ohne denunziatorische Töne gewürdigt. Allerdings neigt Žantovský dazu, die Gedanken und Empfindungen des Schriftstellers und Philosophen im Duktus unverfrorener Selbstgewissheit zu interpretieren, als sei er selbst Havels Alter Ego gewesen.
  Gleichwohl dürften seine Deutungen dem Kern der Sache oft sehr nahe kommen, als offizieller Sprecher des Präsidenten hat er lange mit Havel engen Kontakt gehabt. (Dass Michael Žantovský in seiner Sprecher-Rolle eine der kritikwürdigsten Ungestalten der Prager Präsidentschaftskanzlei gewesen ist – als SZ-Korrespondent durfte der Autor ihn in dieser Rolle ausführlich beobachten –, macht den hohen Differenzierungswillen dieses Buches umso überraschender.)
  In der Deutung biografischer Gegebenheiten als Quell politischer Dynamik, als Triebfeder konkreten staatsmännischen Handelns bleibt diese insgesamt famose Biografie manchmal unvollständig. Dennoch gibt sie einen brauchbaren Abriss der politischen Abläufe in Mitteleuropa in und nach der Samtenen Revolution, wahre Deutungsmacht politischer Prozesse entfaltet sie indes nicht. So unterschätzt Žantovský völlig – das ist das markanteste Beispiel -, wie zentral für Havels geopolitisches Verständnis das Thema der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach den Nazi-Gräueln gewesen ist. Das Gewicht, das der Präsident dieser vertrackten Nachbarschaft zumaß, kleidete dieser einmal selbst in die Formel: Die Deutschen seien für die Tschechen Qual und Hoffnung zugleich.
  Havel ging sogar so weit, die Vertreibung als verhängnisvollen Ur-Infekt für die tschechoslowakische Gesellschaft zu interpretieren. Durch kollektive Rache habe sich das allgemeine Rechtsempfinden so verbildet und geschwächt, dass keine Kraft mehr geblieben sei, dem Totalitarismus des kommunistischen Systems zu widerstehen. Žantovskýs Fehleinschätzung hat wohl mit seiner leidenschaftlichen Vorliebe für den angloamerikanischen Raum zu tun, die ihn auch als Botschafter in die USA führte und bis heute prägend für seine weiteres Wirken blieb.
  Dennoch lässt sich derzeit hierorts Gültigeres und zugleich auch Amüsanteres über Václav Havel nicht finden. Man sollte sich von Volumen und Präsentation des Buches nicht abschrecken lassen. So kolossal der Untertitel „In der Wahrheit leben“, so unglücklich ist das beinahe versteinerte Umschlagsfoto des gealterten Staatspräsidenten, das der Verlag dem deutschen Leser aufs Gemüt plumpsen lässt.
  Der für diese multiple Persönlichkeit weit treffendere Umschlag der tschechischen Ausgabe lässt erkennen, was Fotografie zu erzählen vermag. Nur dieser tschechische, nicht der deutsche Havel wäre befähigt, die prekäre Lage der ersten Präsidententage mit der sarkastischen morgendlichen Frage zu kommentieren: „Hat es heute Nacht einen Putsch gegeben?“ Žantovský deutet das schlüssig so, Havel sei eigentlich nie Politiker sondern immer ein Theatermacher gewesen, ein pedantischer und zugleich lebenslustiger Anti-Schwejk, dessen immense Lebensleistung ihn allerdings auch in Versuchung führte, sich für unentbehrlich zu halten.
Michael Žantovský: Václav Havel. In der Wahrheit leben. Übersetzt von Hans Freundl. Propyläen Verlag, 2015. 688 S., 26 Euro.
Havels Bewunderer sind von
dem Buch enttäuscht: So genau
hatten sie es nicht wissen wollen
Des Morgens fragte der Präsident
Havel sarkastisch: „Hat es heute
Nacht einen Putsch gegeben?“
Václav Havel, der berühmte Dissident, Schriftsteller und erste Präsident der Tschechischen Republik nach der Samtenen Revolution, war ein großer, mutiger Mann. Ein Heiliger war er nicht.
Zeichnung: Schopf
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2015

Vorhang auf für den Dichter-Präsidenten!
Václav Havels Leben - spannend erzählt von seinem Mitarbeiter Michael Zantovský

Michael Zantovský nannte sein Buch, das er auf Englisch verfasste, schlicht "Havel. A Life". Sein deutscher Verlag hielt es für angebracht, den Untertitel durch "In der Wahrheit leben" zu ersetzen, was den Verdacht erweckt, der Autor spinne weiter an der Heiligenlegende, die von der "Samtenen Revolution" über die Prager Hofberichterstattung und die Havel-Biographien Eda Kriseovás (1991) und John Keanes (2000) bis zu den im Dezember 2011 erschienenen internationalen Nachrufen nahezu unentwegt gepflegt wurde.

Als Havels Pressesprecher in den Jahren 1989 bis 1992 war Zantovský an der Konstruktion dieses Mythos nicht ganz unbeteiligt gewesen, als tschechischer Botschafter unterlag er wohl auch Beschränkungen, die einer objektiven Bewertung Havels als "Symbol des modernen tschechischen Staates" (so Václav Klaus in seinem Nachruf) nicht unbedingt förderlich waren. Und dennoch: Zantovský ist eine wunderbare, durchaus nicht apologetische und sehr spannende Erzählung dieses außergewöhnlichen Lebens gelungen - ein Buch, das man allen empfehlen kann, die mehr über das Jahr 1989 und den politischen Wandel in der Tschechoslowakei erfahren möchten, sich aber partout nicht langweilen wollen.

Eine gute Havel-Biographie ist überfällig. Daniel Kaisers Biographie in zwei Bänden ("Disident 1936-1989" und "Prezident 1990-2003"), die diesem Anspruch genügt, liegt bisher leider nur auf Tschechisch vor. Kaiser behandelt sehr ausführlich auch die widersprüchliche Rolle Havels in den deutsch-tschechischen Beziehungen, auf die Zantovský in seinem vorwiegend für den englischsprachigen Raum verfassten Buch leider nur am Rande eingeht. Doch während Kaiser sich dem im Grunde medienscheuen Präsidenten nur so weit nähern konnte, wie es einem Journalisten überhaupt möglich war, stand ihm Zantovský persönlich sehr nahe - er gehörte bis zu seinem Tod zu seinem engsten Freundeskreis. Dieser Kreis, schreibt er, "funktionierte unweigerlich wie ein Club, gelegentlich auch wie ein Hofstaat, wenn Havels kreativen Launen Folge zu leisten war". Auch die Burg-Flüchtlinge, die ihnen überdrüssig geworden waren, arbeiteten weiterhin "in verschiedenen Projekten mit ihm zusammen, korrespondierten miteinander, tauschten Ideen aus und boten ihre Unterstützung und ihren Rat an. Havel vergalt Gleiches mit Gleichem." Entgegen Zantovskýs Empfehlung, er möge eine Partei gründen, um seinen politischen Einfluss zu behalten, beharrte Havel bis zuletzt auf seiner Idee der "unpolitischen Politik". Seine informelle "Burg-Partei" behielt ihr politisches Gewicht, während die aus ihr hervorgegangenen Parteien - darunter die Zantovskýs - kläglich scheiterten.

Da und dort mag es dem Autor an Objektivität mangeln, und der an politischen Zusammenhängen interessierte Leser wird bei Kaiser gewiss gründlicher informiert, aber an Anschaulichkeit ist Zantovský kaum zu überbieten. Dies gilt naturgemäß vor allem für die Ereignisse von 1989 bis 1992, die er an der Seite Havels erlebte. Humorvoll und mit vielen Details schildert er, wie in diesen Heldenjahren der Bürgersohn und Bohémien, der Künstler, Dissident und Politiker in der Rolle des "Dichter-Präsidenten" verschmolzen und eine Lichtgestalt auf die internationale Bühne trat, die nichts weniger als das Wunder versprach, Politik und Moral zur Deckung zu bringen.

Auf der ersten Reise ins Ausland, die Havel nach München und Berlin führte, glichen der Präsident und seine Begleiter noch "weniger einem Staatsmann und einer Gruppe vornehmer Diplomaten als einem Rocksänger mit seiner Band einschließlich der Roadies, Groupies und Trittbrettfahrer. Es gab keine Auswahlkriterien. Alle, die mitfliegen wollten, taten es einfach. Die Besatzung der großen und lauten Sowjetmaschine bestand nicht aus gewöhnlichen Piloten und Stewardessen, sondern aus Personal des Innenministeriums. Es handelte sich de facto um Angestellte des Staatssicherheitsdienstes." Als ehemaliger Psychologe an einer psychiatrischen Klinik, als Journalist und Literat - unter anderem verfasste er eine Woody-Allen-Biographie - bringt der Autor die besten Voraussetzungen für die Schilderung des kreativen Chaos mit, in dem die neue Ordnung der Tschechoslowakei geboren wurde.

Zantovský hatte Havels Tod abgewartet, bevor er sein Leben zu beschreiben begann. Vermutlich nicht nur aus Gründen der Vollständigkeit. Sein Freund hätte wohl auf etlichen Korrekturen bestanden, manche Schattenseite aufgehellt, manch Persönliches - darunter sein schwieriges Verhältnis zu den Frauen - vielleicht glattweg gestrichen. Havel war vor allem ein Mann des Theaters, er verstand sich auf die Kunst, seine öffentliche Persönlichkeit zu inszenieren. Daniel Kaiser, der den ersten Band seiner Biographie noch zu Havels Lebzeiten verfasste, erzählte einmal, wie sehr der Präsident im Ruhestand und seine Entourage versuchten, auf seine Arbeit Einfluss zu nehmen. Havels Freundin Eda Kriseová, die - so Zantovský - "bekanntermaßen mit den höheren Sphären des Universums in Kontakt stand", ließ ihre Biographie von ihm sogar "autorisieren". Unter dem Titel "Fassen Sie sich bitte kurz" veröffentlichte Havel vier Jahre nach dem Ende seiner Präsidentschaft selbst noch eine Art Nachruf zu Lebzeiten.

Mit seinem Tod am 18. Dezember 2011 endete eine Epoche, die mit allen ihren Konfusionen, Schwächen, Widersprüchen die glücklichste der neueren tschechischen Geschichte war. Es war, als hätte sich plötzlich ein Anker gelöst, das Schiff mit der politischen Klasse des Landes und einem betrunkenen Kapitän an Bord sei aus dem sicheren Hafen der Vernunft und des Anstands ins böhmische Nebelmeer abgedriftet. Man denke nur an die systematische Verharmlosung des Putin-Regimes durch den gegenwärtigen Präsidenten Milos Zeman und vergleiche sie mit der Weitsicht Havels. Lange vor führenden europäischen Politikern erkannte er einen neuen Typ von Diktatur, die - wie er 2008 in einem Interview sagte - "wegen ihrer unauffälligen Maske besonders gefährlich ist" und "die schlimmsten Eigenschaften von Kommunismus und Kapitalismus in sich vereint".

KARL-PETER SCHWARZ

Michael Zantovský: Václav Havel. In der Wahrheit leben. Propyläen Verlag, Berlin 2014. 688 S., 26,- [Euro].

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"Zantovský ist eine wunderbare, durchaus nicht apologetische und sehr spannende Erzählung dieses außergewöhnlichen Lebens gelungen" Karl-Peter Schwarz Frankfurter Allgemeine Zeitung 20150203