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Mit außergewöhnlichem Weitblick und politischer Fortüne hat Otto von Bismarck die Geschicke Preußens, Deutschlands und Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich bestimmt. In seiner hochgelobten Biographie stellt der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg die so einfache wie verblüffend ergiebige Frage: Wie hat er das gemacht? Das Ergebnis ist die beste Bismarck-Biographie seit langer Zeit, die dem großen Kanzler "mehr Leben einhaucht als jeder andere Biograph zuvor" (Wall Street Journal). Wie konnte jemand ohne jede Regierungserfahrung zum preußischen…mehr

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Produktbeschreibung
Mit außergewöhnlichem Weitblick und politischer Fortüne hat Otto von Bismarck die Geschicke Preußens, Deutschlands und Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich bestimmt. In seiner hochgelobten Biographie stellt der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg die so einfache wie verblüffend ergiebige Frage: Wie hat er das gemacht? Das Ergebnis ist die beste Bismarck-Biographie seit langer Zeit, die dem großen Kanzler "mehr Leben einhaucht als jeder andere Biograph zuvor" (Wall Street Journal). Wie konnte jemand ohne jede Regierungserfahrung zum preußischen Ministerpräsidenten aufsteigen und dieses Amt ohne nennenswerte Gefolgschaft fast drei Jahrzehnte lang ausüben? Wie konnte jemand, der nie einen Soldaten befehligt hat, drei erfolgreiche Kriege führen, um sein Ziel, ein Deutsches Reich unter preußischer Führung, zu erreichen? Wie konnte jemand gegen den Widerstand von Krone und Machteliten die umfassendsten Sozialreformen der deutschen Geschichte durchsetzen? Steinberg findet die Antwort in Bismarcks einzigartiger Persönlichkeit, in seiner vielfach bezeugten geradezu magnetischen Anziehungskraft auf Freund und Feind, in der beispiellosen Souveränität, mit der er sich über alle Schranken hinwegsetzte und eigenen Gesetzen folgte. So vermag der Autor nicht nur das "politische Genie" Bismarcks zu erklären, sondern zugleich einen neuen Blick auf dessen Epoche zu werfen.
Autorenporträt
Steinberg, Jonathan
Jonathan Steinberg, geboren 1934 in New York. Professor für Neuere Europäische Geschichte an der University of Pennsylvania, zuvor an der Cambridge University. Sein Forschungsschwerpunkt ist die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Auf der Suche nach dem eisernen Selbst

An Biographien über Bismarck besteht kein Mangel. Der Brite Jonathan Steinberg lässt daher vornehmlich die Zeitgenossen des "Reichsgründers" zu Worte kommen, um viele Widersprüche des "Zauberlehrlings" Preußens zu erfassen.

Von Michael Epkenhans

Bereits Theodor Fontane hat Otto von Bismarck trotz aller Vorbehalte am Ende seines Lebens als die "interessanteste Figur" des 19. Jahrhunderts bezeichnet. In dieser Faszination ist der Grund dafür zu sehen, dass viele Historiker es mehr als einhundert Jahre nach dem Tod des "Reichsgründers" immer noch reizvoll finden, sich ihm biographisch zu nähern. Obwohl Angehörige der Zunft angesichts der kaum noch überschaubaren Literatur zu Bismarck und seiner Zeit beim Erscheinen einer weiteren Biographie oft kopfschüttelnd meinen, inzwischen sei doch alles über den "Eisernen Kanzler" gesagt und geschrieben worden, finden sie es am Ende der Lektüre dann doch erstaunlich, was es an Neuem zu berichten gibt, beziehungsweise aus welchem Blickwinkel man alte Fragen neu beantworten kann. Trifft dieses Urteil auch auf Jonathan Steinbergs Bismarck-Biographie zu?

Steinberg, der zu den besten englischen Kennern der deutschen Geschichte gehört, ist überzeugt, einen wichtigen Baustein zur Erklärung von Bismarcks "Macht" liefern zu können. Ihm ist bewusst, dass er einen neuen Zugriff wählen muss, um seiner Deutung die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen. So legt er anstelle einer "klassischen" Biographie eher ein "life in letters" vor. Das ist mutig, unkonventionell, gleichwohl höchst interessant. Mit großer Akribie hat Steinberg alle bekannten gedruckten Quellen - seien es amtliche Akten und Protokolle, Tagebücher oder Memoiren - gesichtet und zu einer Darstellung verwoben. Hinzu kommt eine Fülle von großenteils unbekannten Zeitungsberichten, die zu erschließen ihm erst das Internet möglich gemacht hat. Was ist dabei herausgekommen? Eine in Teilen stark psychologisch argumentierende, alles in allem aber sehr lesbare und nachdenkenswerte Biographie eines Mannes, der - daraus macht auch Steinberg keinen Hehl - wohl der bedeutendste Staatsmann der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war.

Wie sehr es Steinberg darum geht, Bismarcks Persönlichkeit mit ihren vielen, teilweise unauflösbaren Widersprüchen zu erfassen, macht bereits die Einleitung deutlich. Diese ist überschrieben mit dem Titel "Bismarcks ,souveränes Selbst'". Steinberg wählt diesen Begriff in Anlehnung an Max Webers Ausführungen über "Legitimationsgründe" von Herrschaft bewusst, um deutlich zu machen, dass Bismarck zwar über keine tatsächliche Macht verfügte, aufgrund seiner "Persönlichkeit", der "Souveränität eines außergewöhnlichen, gigantischen Selbst", aber enorme Durchsetzungs- und Gestaltungskraft besessen habe. Das klingt kompliziert, ist aber einleuchtend, da Entscheidungen des jeweiligen Souveräns - Wilhelms I., Friedrichs III. und schließlich Wilhelms II. - seine Macht nicht nur begrenzen, sondern ihn dieser sogar berauben konnten. Ausgehend von dieser Prämisse, beschreibt Steinberg, wie es Bismarck gelang, seine persönliche Macht auszuüben. Im Gegensatz zu allen bisherigen Biographen lässt er nicht Bismarck selbst sprechen, sondern jene "Freunde und Feinde", die davon in irgendeiner Form betroffen waren. In zehn Kapiteln zeichnet Steinberg Bismarcks Leben aus der Perspektive der Zeitgenossen nach - angefangen mit einem sehr lesenswerten Kapitel über einen "geborenen Preußen" über "Die Einigung Deutschlands" bis hin zu einem umfangreichen Abschnitt, der sich mit dem Dreikaiserjahr und Bismarcks Sturz auseinandersetzt.

Der "rote Faden" der Rahmenerzählung ist bekannt. Dennoch gelingt es Steinberg durch die von ihm herangezogenen, oft sehr sprechenden Zeugnisse von Zeitgenossen aus dem In- und Ausland, neues Licht auf altbekannte Probleme zu werfen. Am Ende kommt aber auch er nicht umhin, wie Ludwig Windhorst (einer von Bismarcks schärfsten Kritikern) oder die Baronin Spitzemberg (eine kluge, Bismarck wohlgesonnene Chronistin der Zeit) die Widersprüchlichkeit der Persönlichkeit des Reichskanzlers als gegeben und letztlich unauflösbar zu konstatieren. Ob man zur Erklärung dieser Widersprüche unter Rückgriff auf Sigmund Freud Bismarcks Hass auf seine Mutter in den Mittelpunkt der Darstellung stellen oder den missverständlichen Begriff des "Dämonen" einführen muss, sei dahingestellt. Bismarcks Weigerung, eigene Fehler einzugestehen, sein offenes Bekenntnis, Gegner wirklich zu hassen, seine Hypochondrie und sein regelrecht physisches Leiden an seiner Umwelt in schwierigen Situationen oder auch - so Steinberg - seine ungehemmte "Fresslust" sind einige Beispiele, die diese "Diagnose" bestätigen sollen. Dagegen stehen jedoch Bismarcks Tugenden: Seine Höflichkeit, ja, wirkliche Wärme gegenüber Besuchern, seine Liebe zu seiner Frau oder die enge Beziehung zu seiner Schwester Malwine.

Steinberg kommt zu dem Schluss, Bismarck habe Politik vor allem als "Kampf" und nur in einem sehr begrenzten Sinne als "Kunst des Möglichen" begriffen: "Ein Kompromiss war für ihn nie ein befriedigendes Ergebnis. Er musste den Gegner besiegen und vernichten oder verlieren und selbst vernichtet werden." Für die Innenpolitik trifft dies sicherlich weitgehend zu: Ähnlich wie Lothar Gall betrachtet Steinberg Bismarck als einen "Zauberlehrling", der die "Geister" nicht loszuwerden vermochte, die er gerufen hatte. Hier rächte sich bitter, dass er alle Warnungen hinsichtlich der Bedeutung von Prinzipien in der Politik, der Achtung von Werten, Überzeugungen und Glaubensbekenntnissen anderer zunehmend rücksichtsloser in den Wind schlug. Im Hinblick auf die Außenpolitik relativiert Steinberg sein harsches Urteil über Bismarcks Verständnis von Politik dann selbst ein wenig. Das "Schachbrett", an dem die fünf Großmächte der Zeit miteinander spielten, war seine Bühne, und er verstand es - von vielen dafür bewundert - meisterhaft, dort seine "Kombinationen" mit "einer gewissen Sicherheit" durchzuspielen.

Zwar entbehrt es nicht einer gewissen "Ironie", so Steinberg, dass Bismarck fast dreißig Jahre nach Beginn seiner außergewöhnlichen Laufbahn in seiner Auseinandersetzung mit dem jungen Wilhelm II. genau an jener Macht des Souveräns scheiterte, die zu stärken er einst angetreten war. Bismarcks Entlassung bedeutete aber nicht, dass sein "Erbe" nicht fortwirkte. Seinem Ansatz folgend, bestätigt Steinberg noch einmal Max Webers Verdikt aus dem Jahre 1918, Bismarck habe eine Nation ohne jedwede politische Erziehung hinterlassen, stets darauf bedacht, dass ein Führer die notwendigen Entscheidungen schon für sie treffen würde. Dieser "Führer" sei dann Hindenburg gewesen, der allerdings die Macht an Adolf Hitler weitergegeben habe. Über letztere Deutung lässt sich streiten.

Ebenso wird man es dem Urteil des Lesers überlassen müssen, ob es Steinberg - ganz der Pflicht des Historikers zu "politischer Pädagogik" folgend - gelungen ist, am Beispiel Bismarcks "die Stärken und Schwächen des menschlichen Selbst" zu zeigen, "wenn es Macht ausübt". Er will jedenfalls deutlich machen, "wie kraftvoll ein großes Selbst sein kann, aber auch, dass die Ausübung höchster politischer Macht denjenigen, der sie besitzt, verändert". Den Wert seiner Darstellung schmälern solche Einschränkungen nicht: Sie ist in alter englischer Tradition gut geschrieben, klar in der Darstellung, selbst für den Fachmann immer wieder erkenntnisreich in der Analyse.

Jonathan Steinberg: Bismarck. Magier der Macht.

Propyläen Verlag, Berlin 2012. 752 S., 29,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Johannes Willms weiß diese Bismarck-Biografie des amerikanischen Historikers Jonathan Steinberg zu schätzen. Zwar ersetzt das Werk die älteren Lebensbeschreibungen Bismarcks nicht, aber es liefert in seinen Augen eine Reihe von durchaus neuen Aspekten und Einblicken. Aufschlussreich findet er Steinbergs Ansatz einer Psychohistorie, nach der Bismarcks Macht nicht primär auf institutionellen, gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen basierte, sondern auf seiner Persönlichkeit. Dafür werden nach Angaben von Willlms ausgiebig Äußerungen von Weggefährten, Freunden und Feinden des Eisernen Kanzlers analysiert. Bisweilen fühlt sich der Rezensent hier an einen "Briefroman" erinnert, was er durchaus positiv meint, liest sich das Buch doch aufschlussreich und unterhaltsam. Er attestiert dem Autor zudem einen immer wieder reizvollen Blick für die Details. Etwas unterbelichtet bleibt für Willms am Ende allerdings die Frage nach dem Einfluss von Bismarck auf das weitere Geschick Deutschlands.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Das übergroße Selbst
Eine Bismarck-Biografie als Psychohistorie: Der Amerikaner Jonathan Steinberg schreibt die Geschichte eines
Mannes, dessen Macht nicht auf Kräften oder Institutionen beruhte, sondern auf seiner Persönlichkeit
VON JOHANNES WILLMS
Aber die dämonische, charakterzerstörende und vergiftende Gewalt, die jene Spottgeburt von Dreck und Feuer auf unsere nicht sehr widerstandsfähige Nation ausgeübt hat, ist gefallen, und das ist viel.“ So äußerte sich der Althistoriker Theodor Mommsen in einem privaten Schreiben über Otto von Bismarck, den Kaiser Wilhelm II. im März 1890 zum Rücktritt vom Amt des Reichskanzlers genötigt hatte. Der liberale Mommsen war Abgeordneter des preußischen Landtags wie des Reichstags, in denen er Otto von Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten und deutschen Reichskanzler erlebt hatte. Der Pastorensohn Mommsen gehörte zu jenem Spektrum der deutschen Öffentlichkeit, dessen Zustimmung Bismarck in dem Maße zu gewinnen verstand, wie es ihm mit Geschick und einer großen Portion Glück gelang, die spätestens seit 1848 ungestillte Sehnsucht vieler Deutscher nach nationaler Einigung zu befriedigen. In dem Maße jedoch, wie immer deutlicher wurde, dass er dieses Verlangen nur um den Preis erfüllte, dem maroden bürokratischen Absolutismus der preußischen Monarchie eine Überlebensfrist zu stunden, wechselten immer mehr seiner einstigen Bewunderer ins Lager der Gegner. Das scherte Bismarck wenig, denn trotz des auf Grundlage des allgemeinen Männerstimmrechts konstituierten Reichstags blieb das politische System des Reichs nach den Maßgaben des preußischen Absolutismus fassoniert, der dem Reichskanzler, der in Personalunion auch noch Ministerpräsident von Preußen war, innen- wie außenpolitisch weitgehend freie Hand ließ. Und in Preußen garantierte das Drei-Klassen-Wahlrecht, nach dem der Landtag gewählt wurde, obrigkeitskonforme Mehrheiten. Gestützt auf diese Hausmacht konnte der Reichskanzler den Reichstag, der kein parlamentarisches Regime darstellte und ihn deshalb auch nicht stürzen konnte, nach Belieben kujonieren. Darin erwies sich Bismarck als großer Meister, der mit diabolischem Geschick dieses Marionettentheater von ihm herzlich verachteter „Kammerzelebritäten“ zu manipulieren verstand. Dessen ungeachtet hob die Erinnerung an seine politischen Erfolge nach dem erzwungenen Rücktritt vom Amt Bismarcks Ruhm und Ruf als Staatsmann in ungeahnte Höhen.
  Dazu trug auch erheblich bei, dass seine Nachfolger ihm nicht das Wasser reichen konnten. Nicht erkannt wurde dabei, dass sie immer häufiger gerade an den Friktionen scheiterten, die das heillos antiquierte und zu den prägenden Tendenzen der Zeit in immer ärgeren Widerspruch stehende Herrschaftssystem generierte, das sich Bismarck seinen eigenen Fähigkeiten und Machtprojektionen entsprechend zugeschnitten hatte. Eine historisch-kritische Aufarbeitung der aus diesem Kontrast resultierenden Verklärung des „Eisernen Kanzlers“ setzte erstaunlich spät ein. Die von Erich Eyck in der Emigration verfasste und 1941 bis 1944 in der Schweiz veröffentlichte dreibändige Biografie war die erste große kritische Auseinandersetzung mit Bismarck. Deren aufklärerische Wirkung wurde jedoch durch den Widerspruch der damaligen Historikerzunft weitgehend vereitelt, die nach dem Erlebnis Hitlers aus nationalpädagogischen Gründen an Bismarck als Lichtgestalt der jüngeren deutschen Geschichte festhalten wollte.
  Eine längst notwendige kritische Justierung lieferte erst Lothar Gall mit seiner 1980 erschienenen, sehr erfolgreichen Biografie mit dem programmatischen Titel „Bismarck. Der weiße Revolutionär“, die den Mann und seine Leistung in der Rolle des „Zauberlehrlings“ abschilderte. Galls Verfahren, den Glanz, der die Figur des ersten Reichskanzlers umfloss, durch eine eingehende Untersuchung seines Handelns im Lichte der ihm auferlegten Zwänge wie der eigenen Interessen nicht zu zerstören, sondern sie vielmehr mit Tragik zu patinieren, fand nicht zuletzt deshalb so viel Beifall, weil es eben nicht auf Denkmalsturz hinauslief. Also unterblieb auch, die naheliegende Frage zu erörtern, welchen Einfluss das Erbe Bismarcks auf die weiteren Geschicke Deutschlands hatte.
  Dieses Desiderat wird auch von Jonathan Steinbergs jetzt auf Deutsch vorliegendem Werk „Bismarck. Magier der Macht“ nicht befriedigt, auch wenn er es gegen Ende seines Buchs unvermittelt thematisiert: „Bismarcks Erbe ging, durch Hindenburg weitergegeben, an das letzte Staatsmannsgenie über, das Deutschland hervorgebracht hat – Adolf Hitler. Insofern führt eine gerade, direkte Linie von Bismarck zu Hitler.“ In dieser Kürze ist das eine apodiktische Behauptung, die nichts klärt, sondern nur berechtigte Kritik hervorrufen muss.
  Gleichwohl jedoch schließt die Bismarck gewidmete Psychohistorie des amerikanischen Historikers eine Lücke in der einschlägigen Literatur, die als solche bislang noch gar nicht wahrgenommen worden ist. Allerdings streift Steinbergs Darstellung lediglich Bismarcks schon häufig gewürdigtes politisches Handeln. Das ist jedoch kein Manko, sondern ergibt sich zwingend aus seiner Absicht, „eine Lebensgeschichte Otto von Bismarcks“ zu schreiben, „dessen Macht nicht auf Institutionen, einer Massengesellschaft oder Kräften und Faktoren beruhte, sondern auf seiner Persönlichkeit; sie beruhte auf der Souveränität eines außergewöhnlichen, gigantischen Selbst“, wie der Autor in der Einleitung ausführt. Dieses „Selbst“, so Steinberg weiter, bezeichne „hier jene Mischung aus physischer Präsenz, Sprechweise und Gesichtsausdruck, Denk- und Handlungsart, Tugenden und Lastern, Willenskraft und Ehrgeiz und darüber hinaus vielleicht einer Anzahl von charakteristischen Ängsten, Ausflüchten und psychologischen Verhaltensmustern, die uns als Person erkennbar macht, als jenes Selbst, das wir projizieren und verbergen, kurz: das, was anderen ermöglicht, uns zu erkennen“. Um das zu erweisen, bedient sich Steinberg der Methode, „diejenigen, die die Kraft von Bismarcks Persönlichkeit aus der Nähe erfahren und über ihre Wirkung berichtet haben, ob Freund oder Feind, Deutscher oder Ausländer, jung oder alt, selbst zu Wort kommen und die Geschichte erzählen zu lassen“.
  Das Verfahren Steinbergs erinnert von ungefähr an einen Briefroman, ist als Lektüre wenigstens so unterhaltsam und verschafft obendrein auch dem in der Causa Bismarck bewanderten Leser eine Fülle überraschender Aufschlüsse. Dieser Gewinn verdankt sich dem Umstand, dass Steinberg weitgehend darauf verzichtet, die markanten, sattsam bekannten Auslassungen des Protagonisten zu zitieren. So läuft er auch nicht Gefahr, sich vom trügerischen Glanz der Argumentation Bismarcks gefangen nehmen zu lassen. Der ist umso verführerischer, weil Bismarck sich meisterlich darauf verstand, komplexe Sachverhalte auf schlichte Machtfragen zu reduzieren. Mit dieser Methode, Politik zu einer Dreisatz-Aufgabe und damit nicht nur dem schlichten Wilhelm I., sondern jedermann verständlich zu machen, avancierte er schon zu Lebzeiten zum Idol aller Professoren. Was die Attraktivität und vordergründige Plausibilität dieser Argumentation noch steigerte, war Bismarcks Fertigkeit, sich zu ihrer Illustration kühner historischer Analogien zu bedienen.
  Wie schon vor ihm Otto Pflanze in seiner monumentalen Bismarckbiografie erkennt auch Steinberg in der unglücklichen Jugend, der mit einem schwachen Vater und einer gefühlskalten Mutter aufwuchs, frühe und nachdrückliche Prägungen, die manche Charakterzüge des Erwachsenen erklären. Die Quellen, die über Bismarcks Jugend, Schule, Studium und die erste Zeit beruflicher Tätigkeit, über Unordnung und frühes Leid des Protagonisten, Aufschluss geben, sind jedoch sehr überschaubar, sodass Steinberg hierüber kaum etwas mitteilen kann, was nicht auch schon Pflanze oder Bismarcks akribischer DDR-Biograf Ernst Engelberg ausgebreitet haben. Die Neuartigkeit von Steinbergs Schilderung beginnt da zu greifen, wo er mit seiner Methode die Urteile und Zeugnisse einer stetig größer werdenden Anzahl von Zeitgenossen über Bismarck auswerten kann, die dessen rasch wachsende Bekanntheit reflektieren. Das ist schon deshalb reizvoll, weil man nun Ansichten und Meinungen vernimmt, die andere als nebensächlich ansahen oder diskret übergingen. Das gilt etwa für Bismarcks Frau Johanna, der nicht nur mit der Ausgabe von „Fürst Bismarcks Briefen an seine Braut und Gattin“ ein Denkmal gesetzt wurde, sondern der auch Joachim von Kürenberg 1935 ein Porträt mit dem bezeichnenden Untertitel „Lebensschicksal einer deutschen Frau“ widmete. Über diese puritanische und früh vertrocknete Mustergattin bemerkte der Geheimrat Holstein einmal bündig: „Die Fürstin, obschon sie zeitlebens wie eine Köchin aussah, verstand nichts von Küche . . . “
  Reizvoll ist zum anderen, dass Steinberg manchen der von ihm wiederholt zitierten Gewährsleuten kleine biografische Schilderungen widmet und so diesen Namen preußischer Adeliger und sonstiger Zelebritäten, deren Defilee einem aus anderen Darstellungen vertraut ist, einen farbigen Lebenshintergrund verleiht. Auch hat er ein aufmerksames Auge für Details. So werden die häufig sich einstellenden Leiden und Hypochondrien Bismarcks ausführlich angesprochen, deren Ursachen Steinberg mal in der psychischen Labilität des Protagonisten, mal in der wahrhaft gargantuesken Fresslust des Kanzlers vermutet. Besonders hübsch ist in diesem Zusammenhang die Schilderung, welche absurden Züge die Bismarck-Verehrung bisweilen annehmen konnte, wie dessen Mitarbeiter Christoph Tiedemann berichtet. Als der 1875 zum ersten Mal zusammen mit dem Historiker Heinrich von Sybel bei Bismarck zum Diner eingeladen war, forderte der seine Gäste nach dem ausgiebigen Mahl erst einmal dazu auf, sein Schlafzimmer aufzusuchen, um sich der dort „unter einem Riesenbett“ stehenden zwei Nachttöpfe „von geradezu phänomenalen Ausmaßen“ zu bedienen. Als sie damit befasst waren, bemerkte Sybel „so recht aus tiefstem Herzen: Es ist doch alles groß an dem Mann, selbst die S . . . “!
  Aus der Fülle der Zeugnisse gelingt es Steinberg ein Bild Bismarcks zu formen, in dem die widersprüchlichen Eigenarten des Mannes, der gleichermaßen brutal und sentimental sein konnte, der mit Inbrunst hasste und erlittene Demütigungen nie vergaß, der ein Schinder seiner selbst wie seiner Mitarbeiter war und dessen Krankheiten, Hasstiraden und chronische Schlaflosigkeit, dessen Fress- und Selbstzerstörungssucht, ihre Ursache in der Pathologie der Macht hatten. Das war die Nemesis der Bismarck von seinem jüngsten Biografen attestierten „Souveränität eines außergewöhnlichen, gigantischen Selbst“, deren Wirkung darin bestand, „dass von ihm eine Art magnetische Anziehungskraft ausging, der sich selbst diejenigen, die ihn hassten, nicht entziehen konnten“. Steinbergs „Bismarck“ ersetzt ältere Schilderungen zwar nicht, ergänzt sie aber um einige Facetten.
Jonathan Steinberg : Bismarck. Magier der Macht. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen Verlag, Berlin 2012. 752 Seiten, 29,99 Euro .
Steinbergs Buch erinnert
an einen Briefroman, und so
unterhaltend ist es auch
Seine Fähigkeit, Politik als
Dreisatz-Aufgabe darzustellen,
machte Bismarck zum Idol
Franz von Lenbach wurde zum Malerfürsten auch dank seiner Erfolge als Kanzlerporträtist: Otto von Bismarck, 1884 .
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"Mutig, unkonventionell, höchst interessant. Gut geschrieben, klar in der Darstellung, immer wieder erkenntnisreich.", Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michael Epkenhans, 06.10.2012